Читать книгу Endzeit - S. Mayer - Страница 5
Herr, der allmächtige
ОглавлениеNatürlich hielt er sich nicht an Suzanns Anordnung und schob bereits wenige Minuten später die Beine aus dem Bett, um vorsichtig aufzustehen. Es zog und spannte gemein in seinem Bauch, die Schmerzmittel aus dem Krankenhaus ließen eindeutig nach, und ein paar Sekunden war er versucht, zumindest am Inhalt der Fläschchen zu schnuppern, entschied sich jedoch dagegen. Er hatte keine Wissenschaftlernase, dass er zweifelsfrei erschnüffeln könnte, was sich darin befand, und unvernünftiger Stolz oder auch Trotz hielten ihn von vornherein davon ab. Suzanns Fehleinschätzung, dass er ein bisschen Schmerz nicht aushalten konnte und unmittelbar in blindem Vertrauen nach Linderung lechzte, ärgerte ihn doch mehr, als er dachte.
Er entdeckte einen kleinen Schemel auf der anderen Seite des Tisches und Yûs Kapuzenpullover darauf. Übertrieben hastig griff er danach und nahm ihn an sich, als wäre er ihm das Liebste und Wertvollste auf der Welt, das er zudem niemals freiwillig aus der Hand geben würde.
Irgendwie unsicher sah er sich noch einmal im Raum um und streifte das Kleidungsstück dann über, umarmte sich einen Moment selbst. Er war weit davon entfernt, Angst zu haben, aber sein gesunder Einzelgängerverstand schaltete eine Stufe höher und ließ ihn bewusst auf der Hut sein. Er war hier vollkommen fremd, befand sich nicht einmal mehr auf der Erde oder in der gleichen Dimension, und Suzann hatte sich teilweise doch recht suspekt verhalten. Der Sweater machte keinen Unterschied in puncto Sicherheit, aber er fühlte sich viel wohler, nicht fast nackt herumspazieren zu müssen – und die Tatsache, dass er Yû gehörte, ließ ihn sich einbilden, dass er sich nur für die Dauer von Stunden von seinem Freund getrennt hatte.
Er wandte sich dem Wanddurchlass zu und ging langsam darauf zu, hielt die Hand behutsam über der Wunde. Die Kühle des Kräuterbreis wirkte zwar dem Wühlen der Verletzung entgegen, ließ aber gleichzeitig den allmählich zurückkehrenden Schmerz sehr klar und scharf auftreten.
Aufmerksam besah er sich den Gang, auf den er hinaustrat und der in beide Richtungen kein erkennbares Ende besaß. Direkt gegenüber befanden sich zwei oder drei offene, von Säulen eingeteilte Flächen, die schließlich von glatten, hohen Wänden abgegrenzt wurden und vollkommen leer waren. Es herrschte strahlender Sonnenschein und war bis auf das Vogelzwitschern, von dem er beim besten Willen nicht feststellen konnte, woher es kam, vollkommen still.
Jonas entschied sich für links, wohin auch Suzann sich gewandt hatte, und ging den Gang entlang, um die nächste halbe Stunde, oder noch länger, aus dem Staunen kaum noch herauszukommen. Suzanns Bezeichnung Palast war mehr als zutreffend, allein die Weitläufigkeit und die teils gigantischen Ausmaße der einzelnen Bereiche ließen überhaupt keine andere Klassifizierung zu. Die ersten paar Minuten kam er sich zwar vor, als wandelte er durch die Ausgeburt des größenwahnsinnigsten Architekten, den die Welt je gesehen hatte und jemals sehen würde, aber dann begann es, ihm irgendwie zu gefallen, und er war schlicht überwältigt, fast schon begeistert. So viel Platz war einfach… In seinen kühnsten Träumen hätte er sich diese räumliche Unbefangenheit innerhalb eines Gebäudes nicht vorstellen können.
Es war jedoch nicht nur die scheinbar haltlos ausgereizte Größe, sondern auch die Architektur selbst, die ihn in ihren Bann schlug und völlig vergessen ließ, darauf zu achten, wo er wohin abbog und in welche Richtung er sich im Ganzen bewegte. Er verstand nicht viel davon, aber seine Allgemeinbildung ließ ihn doch erkennen, dass verschiedene Epochen der Weltgeschichte, sogar der Kulturen, und deren Baustile vertreten waren, um nicht zu sagen: sie waren wild zusammengewürfelt.
Wandverzierungen wie aus dem alten Ägypten, gotisch gestaltete Deckenwölbungen, romanische Wasserbecken, hier ein in Stein gemeißeltes Mandala, dort pagodenförmige Ausläufer von aufeinander treffenden Wänden, griechisch geriffelte Säulen, mosaikverzierte Böden und einmal tatsächlich ein, im Verhältnis, unscheinbar kleiner Bereich aus gebrannten Tonziegeln. Er kam sich beinahe vor wie in einem heillos unsortiert errichteten Museum für Baukunst, für das man zudem keinen anderen Baustoff gehabt hatte als weißen Marmor.
Denn ein Teil der Geschichtsleiste fehlte eindeutig, alles ab der Industrialisierung. Jonas sah nichts, das er nicht mit den Ruinen vergangener Kulturzeiten verband, und schon gar nichts, das er von seinem täglichen Schulweg oder nur alten Ortskernen gewohnt war.
Von der Ausstattung ganz zu schweigen. Wenn es hier Strom und fließend Wasser gab, dann in einem Gebäudeteil, den er noch nicht entdeckt hatte. Statt elektrischen Leuchtmitteln gab es Wandhalterungen für Fackeln, Feuerkorbständer wie in dem Raum, in dem er angekommen war, Kerzen und keinesfalls spärliche Wandkamine. Ein kleinerer Raum, der bei genauerer Betrachtung einen Sanitärbereich darstellte, entbehrte jeder Privatsphäre, Wasserhähnen oder Toilettenschüsseln – wartete aber nichtsdestotrotz mit einer Sauberkeit und Frische auf, die ihn überraschte.
Er kam an mehreren Räumen vorbei, die eindeutig das Schlafzimmer von irgendjemandem und zwar wohnlich eingerichtet waren, jedoch jeglicher Ähnlichkeit zu neuzeitlichen Normen entbehrten. Außer Bett und Tisch gab es keine Möbelstücke, stattdessen sah er weitere Truhen wie die beiden in seinem einstweiligen Krankenzimmer, alles einfach und schlichtweg zweckorientiert gestaltet. Es gab Teppiche auf dem Boden und manchmal an den Wänden, aber hätte es irgendwo ein übliches Fenster gegeben, wäre daran mit Sicherheit keine Gardine gehangen. Da waren keinerlei Dekorationsgegenstände oder irgendwelche persönlichen Habseligkeiten zur Freizeitgestaltung, wie Bücher oder Sportsachen. Offenbar verbrachte man seine Zeit hier nur, um zu schlafen, und das, ohne von einem nervtötenden, schrill läutenden kleinen Gerät geweckt zu werden – die einzige Zeitanzeige, die er gesehen hatte, war eine Sonnenuhr. Zuerst hatte er natürlich nicht angenommen, dass man sie verlässlich nutzte, aber nachdem sich hier der spartanische Lebensstil so deutlich abzeichnete, war er nicht mehr so sicher.
Vielleicht hielt man es im Himmel ja wie die Amisch oder ähnlich abgespaltene Gruppen.
Jonas blieb stehen und ließ diese Sightseeingtour nicht länger seine gesamte Aufmerksamkeit beanspruchen, sondern kehrte mit seinen Gedanken zurück zum Wesentlichen.
Wo, verflucht, war er hier – tatsächlich im Himmel? Allein die Vorstellung erschien ihm nach wie vor einfach nur absurd.
Und warum war er noch nicht einer Menschenseele begegnet? Er würde lügen, wenn er behauptete, sich deswegen unwohl zu fühlen, aber es kam ihm seltsam vor, dass sich nirgends jemand fand.
Er lehnte sich an die Wand und gönnte sich einen langen Moment. Die Schmerzen waren mittlerweile so stark, dass er sie nicht mehr ignorieren konnte; er spürte seinen Herzschlag überdeutlich, und seit ein paar Minuten stand ihm auch wieder Schweiß auf der Stirn. Der Kräuterbrei hatte seine kühlende Wirkung längst verloren und fühlte sich nur noch unangenehm auf der Haut an, und auch sein Gesicht spannte wieder und stach bei der kleinsten Muskelbewegung.
Jonas sah in die Richtung zurück, aus der er gekommen war, und stellte ebenso unzufrieden wie leicht besorgt fest, dass er keine Ahnung hatte, wie er zum Ausgangspunkt zurückfinden sollte. Er hatte sich in seinem ganzen Leben noch nie verlaufen und besaß einen ganz guten Orientierungssinn – solange er zumindest einigermaßen auf den Weg achtete. Jetzt war es, als befände er sich mit verbundenen Augen in einem Labyrinth.
Er schnaubte, stieß sich ab und ging weiter, hielt sich nun aber dichter an der Wand als bisher. Er wusste, dass es wahrscheinlich egoistisch war und dass Laori ihm im Grunde nicht viel schuldete – es war sogar genau umgekehrt –, aber er wurde nun doch langsam sauer auf sie.
Planlos bog er um die nächste Ecke, erblickte unvermittelt Suzann in vielleicht fünfzig Metern Entfernung vor ihm und atmete auf. Er hätte es zwar vorgezogen, sie würde von seinem kleinen Erkundungsausflug nichts mitbekommen, schon allein um sich keinem schnippischen, diskriminierenden Tadel auszusetzen, aber lieber das, als endlos herumzuirren und am Ende gar zusammenzubrechen.
Suzann kam zügig auf ihn zu, hielt jedoch ein voll beladenes Tablett in Händen, von dem ihr Blick kein einziges Mal nennenswert abwich, und bog dann auf halber Höhe zu ihm unvermittelt nach rechts ab, ohne ihn zu bemerken.
Jonas nahm es mit einem unwilligen inneren Grummeln hin und beschleunigte seine Schritte, was keine sehr gute Idee war. Das letzte Stück war anstrengender, als er gedacht hätte; er musste sich an der Wand abstützen und unmittelbar vor der Ecke sogar noch einmal schwer mit der Schulter dagegen lehnen und stehen bleiben. Er war beinahe außer Atem und mehr als erschöpft, und ein Anflug von Schwindel machte ihm klar, dass er es unbestreitbar übertrieben hatte.
Der Raum, in den Suzann verschwunden war und dessen Durchlass zum Gang sich nun direkt vor seiner Nase befand, schien nicht zu den leeren Durchgangsbereichen zu zählen, sondern – vermutlich ebenfalls nur mit dem Nötigsten – ausgestattet und benutzt zu sein. Er hörte Geräusche, die vermutlich von Suzann herrührten, wie sie ihr Tablett entlud, und spürte die Anwesenheit einer weiteren Person wie die Berührung einer Hand.
Es war ein eigenartiges Gefühl, das er, selbst wenn es nicht von den Schmerzen und der allmählichen Frustration übertönt worden wäre, gar nicht weiter ergründen wollte. In dem Raum befand sich eine Präsenz, die – das konnte er mittlerweile aus Erfahrung sagen – zweifellos keinem Menschen gehörte, aber ebenso eindeutig anders war als Laoris Aura oder die von Michael und Raphael. Sie erinnerte ihn irgendwie an J, gleichzeitig unterschied sie sich gewaltig davon, war im Vergleich zu ihm… massig und… geballt. Sie alarmierte etwas in Jonas, das er nicht greifen konnte, etwas, das –
»Wie steht es um unseren Gast?«
Mit einem irritierten Stirnrunzeln horchte er auf. Er kannte diese Stimme, wusste aber nicht, woher.
»Gut, Herr«, antwortete Suzann, klang nicht im Ansatz eigen, sondern vielmehr förmlich korrekt und fast schon unterwürfig. »Natürlich ist die Umstellung nicht leicht.« Sie machte eine kleine Pause, schien etwas einzuschenken. »Wegen der Verletzung mache ich mir keine Sorgen, er ist zäh. Es sollte nicht lange dauern, bis er sie überwunden hat.«
»Hm.«
Jonas schob sich ein winziges Stück vor und lugte vorsichtig um den Mauerrand. Wer war der Mann? Er konnte seine Stimme beim besten Willen nicht einordnen, aber etwas sagte ihm, dass es wichtig war, dass er sich erinnerte.
Er konnte jedoch nur Suzann sehen, die vor einem niedrigen Tisch stand und einen Krug in der Hand hielt. Sie wandte ihm halb den Rücken zu, und der andere musste sich vor ihr, außerhalb von Jonas’ begrenztem Blickfeld, befinden.
»Ihr … scheint nicht besonders gerührt zu sein«, meinte Suzann ein wenig vorsichtig. Ihre Haltung wirkte zwar nicht steif, aber doch angespannt, und verriet Jonas, dass sie ihrem Gegenüber eine gehörige Portion Respekt entgegenbrachte.
Von der Art der Anrede ganz zu schweigen, und was sollte dieses Herr? Sollte der Mann dort drinnen etwa –
»Er ist nur ein Mensch, und mir wäre lieber, er würde es bleiben.«
Suzann neigte den Kopf. »Wie meint Ihr das?«, fragte sie neugierig und sprach damit geradewegs auch für Jonas.
»Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrech-en«, wehrte der andere ab. Er klang bestimmt, fast schon verärgert, und Suzann senkte das Gesicht, als hätte sie sich ungebührlich verhalten. »Sorge dafür, dass er Anschluss an den nächsten Rekruten hat, alles andere ist für dich nicht von Belang.«
»Aber für mich.«
Jonas machte zwei Schritte und trat unmittelbar vor die Türschwelle. Es gelang ihm, sicher auf seinen Beinen zu stehen, und sich nicht von den Schmerzen vereinnahmen zu lassen. Im Gegenteil war sein Verstand unerwartet klar, und auch seine Stimme fest und bestimmt, kühl. Er hatte nicht vor, sich abspeisen zu lassen – vor wem auch immer Suzann da kuschte.
Die Halle schien eine Art Wohnzimmer darzustellen und war im Vergleich zu den anderen bewohnten Räumen sehr üppig hergerichtet. Fast überall hingen gemusterte Wandteppiche oder feine Stoffe in gemischten, kräftigen Farben, alle paar Meter daran entlang standen die schlanken, hohen Feuerkörbe, und ein gutes Dutzend Palmen, Farne und weitere Grünpflanzen in kleineren Gefäßen waren nach einem nicht erkennbaren Muster verteilt.
In der ungefähren Mitte stand ein niedriger, recht großflächiger Tisch mit freizügig geschwungener, ovaler Form, an dem Suzann das Tablett abgestellt hatte, um wohl die Armada aus Schüsseln und Schalen darauf zu bereichern. Locker darum herum fanden sich einladende Sitzmöglichkeiten, gepolsterte Hocker, Sessel und mehrere Chaiselongues, und Jonas hatte noch nie einen so großen Teppich gesehen, wie er hier unter allen Möbeln ausgebreitet war.
Außer Suzann und dem Mann mit der mysteriösen Stimme – und den teils ebenso geheimnisvollen Worten – gab es keine Anwesenden, was er mit einem Anflug von Missmut wahrnahm. So unlogisch und einfach naiv es sein mochte, er hatte doch während seiner Erkundung insgeheim immer wieder gehofft, hinter der nächsten Ecke und im nächsten Raum auf Laori zu stoßen, und das hatte hier irgendwie seinen Höhepunkt gefunden.
Der Fremde saß auf der Chaiselongue direkt am Tisch, trug einen hellen, ärmellosen Mantel aus dünnem, weitem Stoff, mit goldenen Stickereien und einem auffälligen Stehkragen, über ansonsten dunkler Kleidung, hatte kraus gewelltes, ohrenlanges Haar in dunklem Braun und einen kurz geschnittenen, gepflegten Vollbart – mehr konnte Jonas nicht erkennen, bevor Suzann auf ihn zugestürmt kam und ihm die Sicht versperrte. Sie war geradezu herumgefahren und hatte ihn erschrocken angestarrt, während der andere nur gemächlich aufsah, griff ihn nun am Arm und schob ihn vehement zurück, weg von der Tür.
»Was soll denn das, lass mich los.« Ärgerlich entwand Jonas sich ihr.
»Was denkst du dir!«, hielt Suzann im selben Moment dagegen, stellte den Krug am Boden ab und griff erneut nach ihm. Sie wollte ihn weiter den Gang entlang drängen, aber es gelang ihr nur einen, zwei Schritte weit, denn Jonas fügte sich nicht wirklich. »Du kannst doch nicht einfach hereinplatzen und zu ihm sprechen. Du solltest nicht einmal aufstehen, sieh dich doch an! Willst du, dass ich Ärger bekomme?«
»Aber –«, begann Jonas und blieb einfach stehen, wandte sich ihr zu.
»Nichts aber«, herrschte Suzann ihn regelrecht an, dass er zwar automatisch abbrach und erst einmal nur ihren bohrenden Blick angepisst erwiderte, allerdings direkt eine entsprechende Zurechtweisung auf der Zunge hatte. Er war hier vielleicht fremd und Gast, aber das gab ihr noch lange nicht das Recht, ihn so anzufahren, zumal er keine Ahnung hatte, was er denn falsch gemacht haben sollte.
Er setzte bereits zu der mehr als unfreundlichen Erwiderung an, die wahrscheinlich dazu führte, dass sie sich wild zankten – immerhin kannte er Suzann nicht und wusste daher nicht um die richtigen Ansatzpunkte; außerdem war sie ein Mädchen, da konnte er nicht dieselben Kaliber auffahren –, kam aber nicht einmal im Ansatz dazu, sie auszusprechen.
»Es ist schon gut, Suzann«, klang es bestimmt aus dem Raum heraus zu ihnen. »Bring ihn wieder herein.«
Suzann zögerte, schürzte dann unverkennbar widerwillig die Lippen und griff Jonas am anderen Arm, um ihn mit sich zurück zu ziehen.
»Na dann«, murmelte sie und stieß die Luft aus, wie um sich selbst Mut zu machen.
Jonas hatte Mühe, mit ihren schnellen Schritten mitzuhalten, verbarg die größer werdende Schwäche in seinen Gliedern jedoch so gut er konnte, und versuchte auch, die Müdigkeit, die sich in seinem Kopf zu formen begann, zu ignorieren. Mit jeder Sekunde mehr auf den Beinen wuchs das Verlangen, sich hinzulegen, dennoch fiel es ihm relativ leicht, sich auf den Fremden zu konzentrieren.
Der saß unverändert auf der Chaiselongue und besah sich ebenso wählerisch wie unzufrieden die Auswahl auf dem Tisch. Er sah erst auf, als Suzann und Jonas bei dem Hocker ihm gegenüber ankamen und in zwar kleiner, aber auffälliger Distanz dazu stehen blieben.
Jonas war sich sicher, hätten sie sich allein im Raum befunden, Suzann hätte ihn sofort darauf bugsiert, stattdessen hielt sie seinen Arm ein wenig zu fest, und das nicht, um ihn zu lenken. Sie sah den Mann nicht an, sondern hielt den Blick gesenkt, und machte auf Jonas ganz den Eindruck, als fürchte sie eine ordentliche Schelte.
Er dagegen war nicht sonderlich beeindruckt, eher misstrauisch und nichtsdestotrotz vorsichtig. Die Aura des Mannes war wirklich … Er hätte nicht gesagt, dass er sich von ihr erschlagen fühlte, oder sie ihn mit Faszination gefangen nahm, obwohl sie mit nichts zu vergleichen war, das jemals jemand ausgestrahlt hatte, dem er begegnet war.
Es war mehr als Größe und Macht, es war mehr als Überlegenheit und Stärke, es war … Egal, was genau es war, dieser Mann war kein Mensch und auch kein Engel, sondern ein Wesen, das noch viel, viel höher war.
Jonas verstand Suzanns Unterwürfigkeit, und ein Teil von ihm war durchaus in fassungslosem Staunen gebannt und schlichtweg schockiert. Der Mann, der dort so lässig die Arme über die Knie hängen ließ und beiläufig eine der Schalen auf dem Tisch näher zu sich zog, bedurfte keinerlei Bekanntmachung oder nur eines zweiten Blickes, um seine Identität offenbar sein zu lassen.
Er war Gott.
Es gab keinen Zweifel und nicht den geringsten Grund, sich zu fragen, woher dieses Wissen stammte. Jonas konnte es mit jeder Faser seines Körpers, seines Geistes, spüren, wie eine unendliche Berührung, auf einer Ebene, die ihm vollkommen fremd und gleichzeitig seltsam vertraut war. Als stünde vor ihm der Inbegriff seiner eigenen –
Etwas in ihm lehnte sich zurück und grinste hämisch. Er konnte es nicht greifen, und das Gefühl war nur für die Dauer eines Herzschlages wirklich präsent, aber es hinterließ eine Nüchternheit, die fast wehtat. Jeder Impuls, irgendeine Ehrerbietung oder Unterwürfigkeit zu empfinden oder gar zu zeigen, verging, als hätte es ihn nie gegeben, stattdessen war Jonas einfach nur enttäuscht.
Dieser Mann war Gott? Der allmächtige Schöpfer und unergründliche Vater allen Seins? Er konnte sich nicht helfen, aber auf ihn machte er eher den Eindruck eines Zigeuners.
Das lag nicht allein an seinem Aussehen, sondern allein die Art, in der er die ausgewählte Schale mit einem verachtenden Mundverziehen noch einmal genauer betrachtete und sie dann achtlos gegen eine andere austauschte, zeigte Jonas, dass er sich für besser hielt als – vermutlich alles, was da kreuchte und fleuchte.
Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, wie er sich Gott als Person vorstellte, immerhin ist das zweite Gebot des Christentums, sich kein Bildnis von ihm zu schaffen, und darüber hinaus bläuten strenge Nonnen kleinen Kindern gern ein, dass er für menschliche Augen überhaupt nicht zu schauen wäre und ein vorbestimmter Sünder seine Herrlichkeit ohnehin nicht erkennen könnte. Aber er hätte wahrscheinlich nicht die Gestalt eines vielleicht Dreißigjährigen, schlaksig schlanken Orientalen, erwartet, und mit snobistischer Selbstherrlichkeit hätte er ebenfalls nicht gerechnet.
Andererseits war Jonas ja schon lange klar, dass Gott nicht das war, was die Bibel einem vorschwärmte. Vielleicht war er es einmal gewesen, so wie J erst im Lauf der Jahrhunderte begonnen hatte, sich in einen schmierigen, skrupellosen Schläger zu wandeln, doch das konnte er weder ermessen, noch wollte er es. Er dachte an Yû, er dachte an Richard, an jenen Winter vor zehn Jahren, und seine Hand ballte sich zur Faust.
»Willkommen …« Fragend und ungeduldig fordernd zu-gleich sah Gott zu Suzann.
»Jonas«, antwortete sie hastig. »Sein Name ist Jonas.«
Gott verzog herablassend das Gesicht. »Jonas«, wiederholte er in einem Ton, der abwertend klang, gleichzeitig aber mit Ärger versetzt war. »Wie passend.«
Er wandte sich ihm zu und betrachtete ihn mit einem scharfen Blick, in dem sich Neugier ebenso versteckte wie Gerissenheit.
»Kennst du die Geschichte von Yonah?« Übertrieben zog er die Augenbrauen hoch.
Jonas schürzte ansatzweise die Lippen und hob das Kinn ein winziges Stück. Gott oder nicht, der Typ war ihm mehr als unsympathisch, und das Lauern in seinen Augen erinnerte ihn nicht nur an J, es machte seine Frage eindeutig zu mehr als beiläufigem Smalltalk.
»Ich weiß, dass der Wal nicht das Wichtigste daran ist«, erwiderte er kühl.
Suzann sog hörbar die Luft ein und umklammerte seinen Arm dann regelrecht, aber Jonas beachtete es kaum. Sollte sie sich doch auf die Knie werfen und Gott huldigen, bis ihre Kräfte versagten, er fand keinen Grund, dasselbe zu tun. Was hatte Gott getan, das seinen Respekt verdiente; die Welt erschaffen und alles, was sich darin fand? Den Menschen? Sollte er ihm dankbar sein für das, was Yû widerfahren war? Sollte er ihn preisen für Richards Tod?
Laori kam ihm in den Sinn und ihre Antwort darauf, warum sie ihm nicht geholfen hatte.
Nein. Er wollte nichts lieber, als Gott mit seinem gerechtfertigten Zorn zu konfrontieren, aber er war nicht sicher, ob er eine offene Erklärung ertrug. Vielleicht irgendwann, wenn er dem Schmerz nicht mehr hilflos ausgeliefert war.
Gottes Augen verengten sich kaum merklich; er richtete sich auf und machte eine wedelnde Handbewegung.
»Lass uns allein«, befahl er hart, ohne Suzann indes tatsächlich zu beachten.
Sie stand eine Sekunde lang starr, nahm dann die Hand weg und drehte sich um, um Gottes Anweisung Folge zu leisten. Es war ihr anzumerken, dass sie es ungern tat, entweder weil sie sich wegen Jonas’ körperlicher Verfassung sorgte, oder weil sie schlicht neugierig war.
»Setz dich doch.« Gott machte eine Geste auf den Hocker, die zwar einladend wirkte, zusammen mit dem unterkühlten Ton seiner Stimme jedoch eine Aufforderung ergab, auf die er keinen Widerstand erwartete.
Obwohl ihm das nicht gefiel, tat Jonas, wie ihm geheißen, und ließ sich mit umsichtigen Bewegungen auf dem Hocker nieder. Was war schon dabei, im Gegenteil hatte er es dringend nötig, und während der Unterhaltung die ganze Zeit zu stehen wie herbeizitiert, gefiel ihm noch weniger.
»Bedien dich ruhig«, bot Gott an, was zu befolgen zwar keine Anweisung war, aber kaum freundlicher klang als seine vorherigen Worte.
Jonas ließ seinen Blick flüchtig über den Tisch gleiten. In den mindestens zwei Dutzend Schalen und kleinen Schüsseln aus edel verzierter Keramik fand sich alles mögliche Obst; vieles davon konnte er nicht benennen, oder hatte es überhaupt schon einmal gesehen. Es war in mundfeine Stückchen geschnitten, mit vielleicht essbaren Blüten garniert und zweifellos frisch hergerichtet. Außerdem standen in der Mitte des Tisches drei verschiedene, kunstvolle Kuchen, von denen nur bei einem ein angeschnittenes Stück fehlte.
Wie aufs Stichwort fühlte er ein hohles Grummeln im Magen, ohne dass ein hörbares Knurren seinen Hunger jedoch verraten hätte, aber obwohl ihm beim Anblick der Schokoladen-Nuss-Torte nicht zu verachtender Appetit kam, nahm er sich nichts. Er wollte seine langsam aber spürbar schwindende Aufmerksamkeit nicht mit essen verbrauchen.
Stattdessen taxierte er Gott noch einmal genau, während der sich gemütlich auf der Chaiselongue ausstreckte, die Beine übereinander legte und affektiert an seinem Obergewand herumzupfte, dessen dünner Stoff offenbar nicht so fiel, wie es ihm beliebte. Der Zorn in Jonas war noch nicht verflogen, im Gegenteil. Es fühlte sich an, als würde er sich wie ein Parasit in ihm festsetzen, mit einem Gespinst aus schleimigen, klebrigen Fäden.
»Du hast sicher viele Fragen«, meinte Gott. »Was ist der Sinn des Lebens, wann finde ich die wahre Liebe, warum gibt es so viel Schlechtes auf der Welt – und noch vieles Unbedeutendes mehr, womit ihr Menschen euch tagtäglich unsinnig plagt.«
»Ich will lieber wissen, wo Laori ist«, antwortete Jonas. Wie er es hasste, wenn man ihn herabwürdigen wollte – dass Gott von einem gewissen Standpunkt aus sogar das Recht dazu hatte, machte es nur umso schlimmer. Es fiel ihm viel schwerer als gewöhnlich, nicht allergisch darauf zu reagieren und ruhig zu bleiben. Davon abgesehen, dass es einfach weder klug noch hilfreich oder in seinem Zustand zweifelsfrei erfolgreich wäre, schätzte er nicht, dass Gott jemand war, der sich prügelte.
»Ihre Aufgabe, dich herzubringen, ist erledigt«, erwiderte Gott leichthin und maß ihn mit einem nichtssagenden Blick. Dann streckte er sich zum Tisch und nahm die Schale dunkler Trauben an sich, die er sich zuvor ausgesucht hatte. »Sie ist nun mit anderem beschäftigt.« Er nahm mit einigermaßen spitzen Fingern eine Traube, begutachtete sie kritisch und warf sie sich in den Mund, um übertrieben ausführlich darauf herumzukauen.
Jonas schwieg. Er hatte es vielleicht ansatzweise schon geahnt, dass er am Ende auch von Laori nur als Fall abgehakt wurde, ganz egal, ob es im Widerspruch zu ihren Worten und auch ihrem bisherigen Handeln stand, und er verstand Suzanns Argument, dass er, wohl selbst als Auserwählter, kein Monopol auf sie hatte, dennoch war er deswegen mehr als geknickt. Er würde nicht noch einmal den Fehler begehen, rosa umbauschten Interpretationen zu verfallen, trotzdem hatte er gehofft, einfach mehr über Laori erfahren zu können.
Außerdem, so ungern er es zugab, er fühlte sich schlichtweg im Stich gelassen. Sie war die einzige, die ihn hinsichtlich dieser ganzen verrückten Strumpfhosennummer nicht überfordert hatte. Sie hatte ihn gedrängt, ja, aber im Grunde hatte sie ununterbrochen Rücksicht auf ihn und sein lahmes Einverständnis genommen. Sie hätte sogar akzeptiert, wäre er nicht in die Pforte getreten. Jonas vertraute ihr, und jetzt war sie einfach weg? Das tat weh.
»Keine Sorge, in ein paar Tagen wirst du sie nicht mehr vermissen.« Gott warf sich eine weitere Traube in den Mund. Er klang nicht so, als würde er irgendwie Anteil nehmen, an wie viel auch immer genau in Jonas’ Gesicht geschrieben stand.
Das war allerdings nur der halbe Grund, warum er auch dazu nichts sagte, sondern Gott nur ziemlich finster ansah. Was meinte er mit er würde sie nicht mehr vermissen?
Ein mehr als unangenehmes Ziehen in der Muskulatur rund um die Verletzung lenkte seine Gedanken auf den wichtigsten Punkt, den Grund, warum er hier war. Er stemmte den linken Arm mit der Hand aufs Knie, um seinen Bauch zu entlasten und zumindest für den Moment zu verhindern, dass sein Oberkörper noch mehr zusammensank.
»Was ist mit J?«, fragte er geradeheraus und konnte die Abneigung nicht aus seiner Stimme heraushalten. »Ist er hier?«
Gott sah ihn überrascht an, fast schon ein wenig perplex, dann lachte er auf einmal, humorlos und kurz. »Warum sollte er?«
»Heißt es nicht, er wäre aufgefahren in den Himmel und sitze zur Rechten seines Vaters?«, erwiderte Jonas schlagfertig und stutzte in der nächsten Sekunde. Irgendetwas an seinen eigenen Worten löste einen seltsamen Widerhall in ihm aus – was hatte Mikha, Michael, doch gleich zu J gesagt?
Er strengte sein Gedächtnis an, aber er kam einfach nicht darauf, und so blieb ihm nur das unheilvolle Gefühl, dass es von Bedeutung sein musste. Genau wie die Tatsache, dass er Gottes Stimme irgendwoher kannte.
Misstrauisch musterte Jonas ihn und versuchte nun, sich daran zu erinnern, doch es wollte ihm genauso wenig gelingen. Es stand außer Frage, dass es nicht an dem Umstand lag, dass es eben Gott war und allein seine Stimme eine ähnliche Erkenntniswirkung besaß wie sein Anblick, oder dass er Jonas gar irgendwann in seinem Leben auf spirituelle Weise etwas in den Kopf geflüstert hatte, sondern er hatte sie genau so gehört, wie er es jetzt, in diesem Gespräch, tat. Und er hatte das untrügliche Gefühl, dass es gar nicht einmal so lange her war.
Gott verzog seinerseits zynisch den Mund, erachtete die nächste Traube zwischen seinen Fingern nicht als würdig und ließ sie achtlos in die Schale zurückfallen, um darin herum zu wühlen und eine bessere zu finden. Er gab dabei eine Mischung aus einem Schnauben und einem abfälligen Laut von sich.
»Die Bibel ist alt«, meinte er geringschätzig. »Dinge verändern sich. Es gibt keinen Himmel mehr.« Er streckte sich erneut zum Tisch und warf die Schale mit einer energischen Bewegung regelrecht darauf, dass sie mit einem lauten Klirren gegen die anderen stieß.
»Was soll das heißen?«, fragte Jonas irritiert. Er beachtete die grobe Behandlung des vermutlich wertvollen Porzellans nicht sonderlich, dafür war er viel zu verwirrt, registrierte es unterbewusst jedoch genauso aufmerksam wie das Lachen. »Ist das hier nicht der Himmel?« Er machte eine ansatzweise Geste mit der freien Hand.
»Kein Mensch kam jemals in den Himmel«, versetzte Gott geradezu und stach mit scharfem Blick nach ihm. Er drapierte erneut sein Obergewand und nahm sich sichtlich zurück. »Er war nicht zu erreichen für niedere Kreaturen.«
Niedere Kreaturen. Nicht nur Jonas’ Misstrauen wuchs obgleich Gottes verdächtiger Reaktionen, sondern auch seine Antipathie.
Vergleichst du mich etwa mit diesem Wurm?
Antipathie war nicht ganz das richtige Wort, es kam vielmehr allmählich Verachtung in ihm auf. Ja, J war eindeutig mit seinem Gegenüber verwandt.
Gott breitete die Hände aus und blickte nach oben, ohne den Kopf zu heben, so dass es den Geschmack eines herablassenden Augenverdrehens bekam.
»Wir befinden uns in Eden«, sagte er im selben verhalten genervten Ton, mit dem Jonas’ Physiklehrer notgedrungen eine Erklärung wiederholte. »Hier wurdet ihr Menschen erschaffen und hierher kehrt ihr zurück, wenn eure irdische Form nicht mehr hält.«
Jonas konnte nicht behaupten, dass er das zweifelsfrei verstand, aber er hatte auch kein Interesse daran, es restlos zu klären. Eden, Gott, das war ihm alles ein bisschen zu …
»Kann ich wenigstens kurz mit Laori sprechen?«, hakte er nach. Sie von jetzt auf nachher nicht wiederzusehen, stieß ihm nicht nur um seiner selbst Willen auf, er wollte sich vergewissern, dass es ihr gut ging. Es war ihr bestimmt nicht leicht gefallen, auf J zu schießen, und sie hatte auch nicht so gewirkt, als hätten Jonas’ Vorwürfe zuvor ihr nicht zu denken gegeben.
»Ich sagte doch schon, sie hat keine Zeit.« Gott war geradezu aufgebracht und gab sich keine Mühe, das irgendwie zu verhehlen. Wenn der düstere Unterton Jonas jedoch beeindrucken oder gar einschüchtern sollte, lag er ganz schön daneben. Der reagierte nicht nur auf blasierte Erniedrigungsversuche allergisch, sondern auch auf lediglich autoritätsgestütze Zurechtweisungen. Wie oft hatte er Erzieher mit unberührtem Schweigen dafür bestraft und wie schnell geriet er im Grunde immer mit Army Barny aneinander.
»Du wirst demnächst selbst zu beschäftigt sein, um auch nur einen Gedanken an sie zu vergeuden«, fuhr Gott fort und traf damit noch eine ganz andere, trotzige Ader. »Sobald du genesen bist, beginnt die Kampfausbildung.«
»Was für eine Kampfausbildung?«, wollte Jonas wissen. Allein bei dem Wort bekam er ein irgendwie mulmiges Gefühl.
Gott sah ihn empört und ärgerlich zugleich an, als hätte er ihn ganz offen und direkt beleidigt, nahm dann die Beine von der Chaiselongue und setzte sich so stockgerade hin, als hätte er unbemerkt einen Besenstiel verschluckt.
»Es gibt Krieg, Junge«, sagte er in einer Mischung aus sachlichem Ernst und unfreundlicher Herablassung. »Die erste Schlacht wird sehr bald geschlagen, endlich, und du wirst darin kämpfen. Das hat Laori dir doch erzählt.«
Jonas sah ihn nur mit leisem Zweifel an. Er wollte etwas antworten, aber die Müdigkeit und Schwäche ließen sich nicht länger zurückdrängen. Seine Glieder und allem voran die Augenlider schienen mittlerweile Tonnen zu wiegen, und seine Konzentrationsfähigkeit nahm rapide ab. Er spürte seinen Herzschlag, in seinem Magen wurde es fahl, und in seinem Kopf begann kantige Schwärze nach seinen Sinnen zu schnappen.
Von den Schmerzen ganz zu schweigen. Inzwischen wühlte es in der Verletzung, als würde jede einzelne Zelle sich in einem wütenden Gedränge befinden, seine ganze Körperwärme schien sich dort zusammenzusammeln, und jeder Muskelstrang in der unmittelbaren Umgebung war mittlerweile vollkommen verkrampft. Wäre eines von Suzanns Fläschchen auf dem Tisch vor ihm gestanden, er hätte nicht mehr gezögert, das ominöse Schmerzmittel zu nehmen, und schalt sich selbst einen machohaften Dummkopf.
Gottes Worte lösten daher nur eine stark gedämpfte Reaktion in ihm aus, die er auch gedanklich mehr schlecht als recht fassen und weiterverfolgen konnte. Krieg, Schlacht, kämpfen … Er hatte nicht einmal mehr die Kraft, sich nach wie vor darüber zu wundern, ob das wirklich passierte.
»Du siehst sehr erschöpft aus«, stellte Gott fest. Es war allerdings kein Entgegenkommen oder gar sorgenvolles Bedenken, sondern sein bestimmter Ton machte klar, dass er diese Tatsache nur dazu benutzte, das Gespräch zu beenden.
Er fügte auch nichts weiter hinzu, sondern hob etwas vom Boden zwischen der Chaiselongue und dem Tisch, das zwar glänzend poliert, mit verschlungenen Linien graviert und zahlreichen kleinen, funkelnden Edelsteinen besetzt, nichtsdestotrotz aber nichts anderes war als eine überdimensionale Kuhglocke. Mit ausgestrecktem Arm hielt er sie hoch und läutete im nächsten Moment auch schon heftig.
Das Geräusch musste laut sein, doch Jonas nahm es kaum war, denn Schwindel und schwarze Schleier überfielen ihn. Er bekam nur bruchstückhaft mit, wie Gott aufstand und dann aus seinem Blickfeld verschwunden war, ein paar anstrengende Atemzüge später Suzann bei ihm auftauchte und aufgescheucht irgendetwas zu ihm sagte, und er schließlich einfach bewusstlos wurde und seitlich vom Stuhl kippte.