Читать книгу Die Grauen Krieger - S. N. Stone - Страница 7
3. Mittwoch
ОглавлениеFür Caleb war die Situation gar nicht so leicht, auch wenn er gerne behauptet hätte, all das, was in den letzten 48 Stunden geschehen war, würde ihn kalt lassen. Es ließ ihn nicht kalt, ganz und gar nicht. Er saß auf der Terrasse, die Sonne kam gerade hervor und der Morgen graute. Es war ruhig und wunderbar einsam. Die ersten Vögel begannen zu singen und die Tiere der Nacht zogen sich zurück. Seltsamerweise fand er in diesen Minuten zwischen Tag und Nacht Frieden. Aber trotz dieses Friedens war seine Aufmerksamkeit nach innen in das Gebäude gerichtet, dorthin wo er Natascha schlafend zurückgelassen hatte.
Sie hätte nicht alleine bleiben sollen. In den Jahren, die sie hier verbracht hatten, hatten sie viele Erinnerungen in die Fabrik hineingetragen und schon damals war es gefährlich für einen Menschen gewesen sich hier aufzuhalten. Aber da war noch etwas, das er fühlte, seit dem sie gestern angekommen waren. Es waren nicht die bekannten Schatten der Vergangenheit, es war eine andere Bedrohung. Sie hätte nicht bei ihm bleiben sollen, warum er sie doch mitgenommen hatte, wusste er nicht.
Natascha balancierte zwei angeschlagene Kaffeebecher und eine Tüte mit alten Butterkeksen hinaus auf die Terrasse, auf der sie Caleb entdeckt hatte. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und starrte in die Ferne, aber sie war sich sicher, dass er ihre Anwesenheit längst gespürt hatte. Heute Nacht hatte sie viel über die Anderen Wesen erfahren, wenn auch nur bruchstückhaft.
„Hier!“ Sie hielt ihm einen der Becher hin. Er drehte sich zu ihr um und schaute zuerst auf die Tasse, dann fragen zu ihr. Natascha setzte sich im Schneidersitz neben ihn und stellte ihren Becher ab, um die Tüte mit den Keksen zu öffnen. Caleb hielt den Becher immer noch verwirrt in der Hand.
„Naja ich habe mich ein wenig umgesehen und eine Küche entdeckt. In einem Schrank habe ich so einen Krümelkaffee und die Kekse gefunden. Leider gibt es kein heißes Wasser und keinen Strom, er wird also nicht allzu lecker sein.“ Sie zuckte mit den Schultern und schob sich einen Keks in den Mund, sie hatte solch einen Hunger.
Caleb musste lächeln. Wie sie da saß, diesen Keks aß und den Kaffee trank, in dem kleine braune Stückchen schwammen, weil sich das Pulver in dem kalten Wasser nicht richtig aufgelöst hatte. Ihre Haare waren vom Schlafen noch ganz durcheinander und sie wirkte ein wenig zerknautscht. Caleb nahm einen Schluck von der Brühe und verzog angewidert das Gesicht. Beide lachten los.
Es war das erste Mal, seit dem Natascha Caleb kannte, dass sie das Gefühl hatte, dass er echt war, dass seine Reaktion ehrlich war und ihr Herz begann wie wild zu klopfen. Oh Gott, er konnte ihre Gefühle empfinden, sie schaute zu Boden.
„Ist schon O.K.“, sagte er, „so schlimm ist es nun auch wieder nicht.“
Tascha wusste nicht, ob er den Kaffee oder ihre Gefühle meinte.
Es war schön hier draußen. Heute würde es angenehm werden die Sonne hatte schon Kraft.
„Was willst du mich fragen?“
Sie erschrak, als er das sagte, tatsächlich hatte sie gerade das Gefühl gehabt so unendlich viele Fragen an ihn zu haben und überlegt, ob er ihr Antworten geben würde, hier an diesem Ort.
„Ich ...“, stotterte sie, „ich ..., hör auf damit!“ Ihre Zuneigung schlug in Hass um, er hatte es schon wieder getan.
„Natascha was soll das? Willst du mich verarschen?“ Er war sauer.
„Wieso bist du so? Was läuft falsch bei dir?“, fragte sie ihn böse.
Er lachte auf. „Was?“
„Ich will einen Waffenstillstand! “
„Ich führe keinen Krieg gegen dich.“
„Bist du dir da so sicher?“
„Hey du bist diejenige, die mich hier gerade anmacht.“
„Und du bist derjenige bei dem man nie weiß, woran man ist!“
Sie schwiegen, dann sagte er: „O.K.!“
„O.K. Was? “
„Waffenstillstand!“ Er hielt ihr seine Hand hin. Natascha zögerte dann schlug sie ein. Gott, er war so, so … sie hatte keine Worte dafür!
„Ich konnte gestern Abend nicht gleich schlafen und habe mich ein wenig umgesehen.“
„Das war gefährlich.“
„Warum? Du hättest bestimmt gespürt, wenn mir was passiert wäre, aber unheimlich ist dieses Haus schon. Es war als wäre ich nicht alleine gewesen.“
„Hier lauern Dinge, die deine Vorstellungen übersteigen.“
„Aha, also so was wie du?“
Er lächelte. „Vielleicht nicht ganz so schlimm wie ich.“
Hatte er das ernst gemeint? Sie konnte nicht darüber lachen, die Worte von dem Priester fielen ihr ein. „Warum habe ich damals nicht gemerkt, dass du anders bist?“
„Dein Unterbewusstsein hat es bemerkt, aber ich habe so lange wie ich konnte versucht es nicht in dein Bewusstsein dringen zu lassen.“ Er rutschte ein Stück um sie besser ansehen zu können, dann fuhr er fort: „Letztendlich bist du ja doch hinter mein Geheimnis gekommen. Irgendwann funktioniert es halt nicht mehr das habe ich dir schon vor anderthalb Jahren gesagt.“
„Und warum habe ich dich nicht erkannt wenn wir uns, sagen wir mal „begegnet“ sind?“
„Wir können uns in einer anderen Ebene des Bewusstseins bewegen, je tiefer wir dort eindringen, desto weniger wichtig werden wir für euch Menschen. Ihr nehmt uns nicht mehr wahr und wir können beeinflussen, wie tief wir dort eindringen, sodass wir uns verbergen können so weit wie wir es benötigen.“
Natascha überlegte. „Aber als ihr ins Museum eingebrochen seid, habe ich euch gesehen.“
„Die Andere Ebene ist nicht perfekt, du hattest zu viel Zeit mit mir verbracht, du warst mir zu nahe. Du hast instinktiv nach mir gesucht.“
„Was war mit diesem Gebäude hier? Ich habe es nicht gesehen, der Taxifahrer der mich her gefahren hat schon.“
„Wir haben das Gelände geschützt. Ich denke, wenn der Taxifahrer es gesehen hat, dann war er vielleicht einer von uns, vermutlich ohne es zu wissen.“
Natascha hatte so ihre Probleme. „Dann habe ich es aber auch gesehen.“
„Ja weil du dann wusstest, dass es da sein musste.“
Natascha trank noch einen Schluck Kaffee. „Du manipulierst also meine Gefühle? Ist das so effektiv?“
Er lächelte. „Oh ja, das ist es.“
Sie fand es gar nicht komisch. „Tust du es gerade jetzt auch?“
Er antwortete nicht, grinste nur. Vielleicht war das der Grund, warum sie sich zu ihm hingezogen fühlte und ihn in der nächsten Minute hasste, weil seine Manipulationen bei ihr nicht mehr richtig funktionierten, aber was waren ihre wahren Gefühle für ihn?
„Ich war auf dieser Galerie und habe Teile von Aufzeichnungen gefunden, warum habt ihr sie zurückgelassen?“
Cale atmete tief ein, dann sagte er: „Wo hätten wir sie lassen sollen? Das alles ist viel zu umfangreich gewesen. Einiges haben wir vernichtet, das andere eben zurückgelassen. Es war wichtiger die Heiligtümer in Sicherheit zu bringen.“
Natascha zögerte, dann sprach sie weiter: „Ich war in einem Privatarchiv, ich habe dort Bücher gefunden-“
„-und mitgehen lassen“, vollendete er ihren Satz, sie nickte.
„Darin habe ich etwas über die Heiligtümer und über Euch gefunden. Du bist grausam, ihr habt grausame Dinge getan, wie kannst du damit leben?“
„Ich bin so, es ist meine Natur zu töten und ich muss damit leben, weil es Teil meines Wesens ist.“ Da war wieder diese Kälte.
„Ich denke nicht darüber nach.“
„Hast du Frauen vergewaltigt?“
Sie musste daran denken, dass sie mit ihm geschlafen hatte, mit jemandem der anderen Gewalt angetan hatte, dass sie von Händen berührt worden war, an denen so viel Blut klebte. Caleb antwortete nicht, aber sein Blick verriet ihr alles.
„Sind wir jetzt fertig mit dem Verhör?“ Er wirkte gereizt.
„Nein, wie kannst du so etwas Unmenschliches tun?“
„Ich kann es tun, weil ich kein Mensch bin.“
„Aber Elisabeth ist ein Mensch, sie ist deine Mutter, da muss etwas in dir sein davon.“
„Sie ist nur ein Gefäß gewesen. Ich bin ein Bewahrer und werde wiedergeboren, wo und wann und durch wen, ist nicht wichtig, nur dass es geschieht.“
Beide schwiegen, da war noch so vieles, was Natascha wissen wollte, aber irgendwie war die Situation nicht mehr entspannt.
„Du solltest bei der Kripo anrufen. Ich denke, man wird sich Sorgen um dich machen. Deine verwüstete Wohnung wurde sicher schon entdeckt.“
Oh je und sie hatte Tom vergessen. Er wollte heute Morgen zurück in Berlin sein, wenn er die Wohnung sah! Sie schaute auf die Uhr, es war halb elf. Natascha ging in das Haus zu ihrem Schlafplatz, um ihr Handy zu holen. Sie hatte es aus der Hosentasche genommen, als sie sich heute Nacht schlafen gelegt hatte, Caleb war ihr gefolgt. Acht unbeantwortete Anrufe, drei von der Kripo, fünf von Tom. Sie rief erst Toms Nummer an, er meldete sich und war total aufgeregt. Tascha brauchte eine Weile um ihn zu beruhigen, er war im Büro und somit konnte sie es sich sparen auch noch bei Schmidt anzurufen. Sie versprach sofort zu ihnen zu kommen und alles zu erklären. Caleb und Tascha packten die wenigen Sachen zusammen, die sie dabei hatten, und gingen in den Hof zum Auto.
Cale blieb stehen. „Scheiße!“
„Was ist?“, fragte sie, dann sah sie es selber. Mit diesem Wagen würden sie hier nicht wegkommen. Die Reifen waren zerstochen, die Türen aufgebrochen und Kabel hingen unter dem Lenkrad heraus. „Aber wie …?“
„Ich habe keine Ahnung“, antwortete Caleb und schaute auf das alte Gebäude. Hier stimmte etwas nicht.
„Ich werde Tom anrufen er soll uns abholen.“
Caleb nahm eine Bewegung in den Sträuchern am Wegrand wahr, was ging hier vor? Er spürte eine Präsenz, nur wessen?
Sie warteten im Fabrikgebäude auf Tom. Caleb wusste nicht, wo sie sicherer waren, im Inneren oder draußen. Es hatte angefangen zu regnen, von wegen schöner Tag, so mussten sie sich für drinnen entscheiden.
„Wie wird man ein Bewahrer?“ Nataschas Worte hatten ihn aus seinen Gedanken gerissen.
Er hatte immer und immer wieder versucht sich klar darüber zu werden, wer für das alles verantwortlich war und wie man sie gefunden hatte.
„Was?“, fragte er.
„Wie wird man ein Bewahrer?“
Er antwortete kurz angebunden und ungehalten. „Man ist es einfach.“
„Erklärs mir, wie bist du einer geworden?“
Er wollte nicht mehr reden, war es leid alles über sich preiszugeben und tat es dann doch.
„Als die Wesen der Dunkelheit und die des Lichts damals das Abkommen getroffen haben Frieden zu schließen, haben sie die besten ihrer Krieger zu einer Armee zusammengetan, sie wurden die Grauen Krieger. Sie sind dafür da das Abkommen zu überwachen, aber es gab welche unter ihnen, solche wie mich, deren Fähigkeiten bei Weitem stärker ausgeprägt sind. Wir wurden dazu bestimmt als Bewahrer die Heiligtümer und die Grauen Krieger zu schützen und dafür zu sorgen, dass nichts mehr von uns Anderen Wesen an die Außenwelt dringt.“ Es klang verbittert.
„Du scheinst nicht glücklich damit zu sein?“
Er lachte. „Ob ich glücklich damit bin oder nicht, ist nicht ausschlaggebend gewesen, es gab nur diesen Weg für mich zu gehen. Sie haben sechs Wesen des Lichts und sechs Wesen der Dunkelheit zu Bewahrern gemacht, wir können diesem Schicksal nicht entrinnen.“
„Aber ihr seid keine Zwölf mehr.“
„Nein das sind wir nicht mehr, aber es sind noch genug von uns übrig. Erst wenn der Letzte von uns ausgelöscht ist, ist der Frieden in Gefahr und das Chaos wird herrschen.“
„Wenn ihr nur noch so wenige seid, braucht ihr doch aber irgendwann Ersatz für die die fehlen, wo findet ihr die?“
„Es ist schwer, es werden immer mal wieder potenzielle Bewahrer geboren, und wir Ursprünglichen eben, aber es folgt keinem Schema oder so. Jemand wie Jakob findet sie.“
„Du wurdest schon wiedergeboren, hast du trotzdem Angst vorm Sterben, wenn du weißt, dass du eh wieder kommst?“
„Oh Tascha“, stöhnte Caleb, „kannst du nicht mal aufhören?“
„Nein es ist wichtig für mich, ich will es verstehen, ich will dich verstehen. Ich will verstehen, weshalb ich davon überzeugt sein soll, dass du nun Gutes tust, bitte!“
Sie saßen auf dem Boden in der großen Eingangshalle, Cale streckte seine Beine aus und antwortete. „Ich habe Angst vorm Sterben, obwohl ich weiß, dass ich wahrscheinlich zurückkommen werde, irgendwann. Oder sagen wir besser, ich habe Respekt vorm Sterben. Es ist keine schöne Erfahrung, es ist grauenvoll und wieder zu kommen ist auch nicht besser. Man fängt immer wieder von vorne an. Man merkt, dass man anders ist und man wird gequält von Erinnerungen an das, was man getan hat und an das, was einem angetan wurde. Diese Erinnerungen sitzen in meiner Seele fest und ich kann den Schmerz und das Leid spüren, jede Sekunde, jeden Moment meines Lebens. Vielleicht empfinde ich es als besonders schlimm, weil ich ein Empath bin und mit Gefühlen spiele, aber ich weiß, dass es auch die Anderen nicht kalt lässt. Man trägt alle vorherigen Leben mit sich herum. Und da es das Abkommen gibt, sind wir in unserem Tun eingeschränkt, das ist sicher auch gut so, aber das macht es mir nicht leichter. Wenn ich töte, gebe ich einen Teil meiner Empfindungen ab, einen Teil der Gefühle, die ich Sekunde für Sekunde von anderen in mich aufnehme. Es ist wie ein Ventil, nur dass ich nicht mehr einfach so töten kann wie es mir gefällt.“
Absurd, es war so absurd! Caleb sprach über das Töten wie Andere übers Essen. Beinahe hätte sie laut aufgelacht, aber sie tat es nicht.
Sie hörten, wie ein Auto die Auffahrt entlang kam, das musste Tom sein. Wenig später war das Knirschen von Schritten auf dem Kiesweg zu hören und dann betrat er die Halle. Natascha sprang auf und warf sich ihm in den Arm, sie war so froh ihn endlich wieder zu haben.
„Baby ich habe mir solche Sorgen gemacht!“ Sein Blick glitt an ihr vorbei und blieb an Caleb haften. „Von Lahn du blödes Arschloch, was soll der ganze Scheiß? Was hast du damit zu tun?“
Er wollte sich von ihr losmachen, aber Natascha hielt ihn fest. „Lass ihn es ist meine Schuld, ich wollte …“
„Nein, ich lasse ihn nicht!“
Tom schob sie zur Seite und ging drohend auf Caleb zu, der aufgestanden war.
„Verschwinde aus unserem Leben, lass deine Spielchen und geh, bevor ich mich vergesse.“
Sie standen sich nun Aug in Aug gegenüber.
„Du drohst mir?“ Caleb klang belustigt und Tom schlug zu, mit all seiner Wut.
Cale schien der Schlag nicht auch nur ein wenig zu beeindrucken und Natascha betet inbrünstig, er würde nicht zurückschlagen. Sie hatte Angst um Tom und konnte das unheimliche Leuchten in Calebs Augen sehen.
Dann grinste er böse und sagte: „Wenn du willst, ich gehe.“ Und er ging, Natascha konnte es kaum glauben, er ging, einfach so.
Er hatte schon fast das Tor erreicht, als er ihre Angst spürte und dann ihren Schrei hörte. Caleb zog sein Schwert und rannte den Weg zurück zur Fabrik.
Sie waren überall.
Plötzlich waren sie aufgetaucht und Natascha und Tom rannten, so schnell sie konnten. Der Weg nach draußen war versperrt und diese Wesen trieben sie immer weiter in das Innere des Gebäudes. Messerscharfe Klauen schlugen nach ihnen. Tom versuchte verzweifelt seine Pistole aus dem Holster zu ziehen, und als er es endlich geschafft hatte, schlug eines der Wesen sie ihm blitzschnell aus der Hand. Er blutete dort, wo die Krallen ihn erwischt hatten. Er ließ Natascha los und es war ihr, als würde sie unter Wasser gezogen werde. Alles verschwamm vor ihren Augen, sie hatte ein Rauschen im Ohr, dann waren sie weg und mit ihnen Tom.
Plötzlich griff etwas nach ihr, zog sie fest an sich und hielt ihr den Mund zu. Ein Stöhnen entfuhr ihrer Kehle.
„Sei ruhig, ich bin es.“
Sie schaute hoch und sah in Calebs Gesicht. Er hatte sich verwandelt, seine Augen glühten bedrohlich, seine Eckzähne waren spitzer und länger, seine Haut ließ die pulsierenden, violetten Adern durchschimmern, er war das Wesen, das er eigentlich war. Und sie fühlte ihn, seine Wärme, seinen Atem und sie wusste, er würde auf sie aufpassen.
„Bleib ganz dicht bei mir dann wird dir nichts geschehen. Wo ist dein Tom?“
Diese Gestalten hatten ihn mit sich geschleift weg von ihr die Treppe hinauf. Sie sagte es ihm, flüsterte, zu mehr war sie nicht fähig. Caleb griff ihre Hand und hielt sie ganz fest dann folgten sie den Bestien.
In der oberen Etage angelangt hörten sie Schreie aus einem der Zimmer. Caleb rannte darauf zu, bedacht darauf Natascha nicht loszulassen. Sie würden ihm nichts tun. Er stürmte in das Zimmer und sah, wie sich eines der Wesen auf Tom stürzen wollte. Cale ließ Natascha los und warf sich dazwischen. Die Krallen gruben sich tief in sein Fleisch und hinterließen eine lange blutige Spur auf seiner Schulter bis hinab zur Brust. Er schlug dem Wesen mit seinem Schwert den Kopf ab. Blut spritzte an die Wand und auf den Boden dann brach es zusammen.
Ein anderes löste sich aus dem Schatten und wollte Caleb angreifen, zögerte dann aber und versuchte sich zurückzuziehen. Er war schneller und tötete es mit einem einzigen Schlag. Cale schnappte sich Tom und sie verließen das Zimmer. Natascha schmiegte sich eng an ihn und so rannten sie aus dem Gebäude heraus. Atemlos erreichten sie Toms Auto. Natascha lehnte sich an den Wagen.
„Ich möchte, dass ihr Euch in den Wagen setzt und abhaut, ich muss noch was erledigen.“
Caleb drehte sich um, wollte zurück in das Gebäude.
„Nein!“, schrie sie ihn an. „Du gehst da nicht noch einmal rein.“
„Und ob ich das werde und ihr fahrt zur Polizei!“
„Das werden wir nicht, ich lasse dich hier nicht zurück!“ Sie war den Tränen nah.
Caleb kam zu ihr und baute sich vor ihr auf. „Doch, das werdet ihr.“
Er kniff die Augen zusammen.
Natascha stellte sich trotzig vor ihn. „Nein!“
„Für Diskussionen ist keine Zeit!“
„Na dann lass es doch.“
„Also gut, gebt mir zehn Minuten, wenn ich bis dahin nicht raus bin, dann fahrt ihr!“ Sie nickte und Caleb verschwand.
Tom öffnete ihr die Beifahrertür und Natascha stieg ein, er nahm auf der Fahrerseite Platz, beide schwiegen und warteten. Er hatte sich ein Taschentuch um die Hand gewickelt, der Kratzer hatte bereits aufgehört zu bluten. Natascha schaute auf die Uhr. Fünf Minuten waren schon vergangen, sechs, sieben, die Zeit raste und von Caleb war nichts zu sehen. Immer wieder wanderte ihr Blick vom Ziffernblatt der Uhr zum Eingang des Gebäudes, neun, zehn Minuten, die Zeit war um. Sie schaute zu Tom, der rührte sich nicht und sie würde es auch nicht tun. 15 Minuten, wo war Caleb? Tom beugte sich zu ihr herüber und griff an ihr vorbei ins Handschuhfach. Er holte eine weitere Pistole heraus und vergewisserte sich, dass sie geladen war, dann steckte er sie in sein Holster.
17 Minuten, Tom startete den Wagen.
„Nein!“, schrie Natascha.
Er fuhr los, ganz langsam, näher an den Eingang der Fabrik, so nah, wie er konnte und wendete. „Das kannst du nicht machen, er hat uns das Leben gerettet!“, weinte sie.
Tom machte den Motor aus und öffnete seine Tür.
„Glaubst du ich haue ab?“ Er schwang die Beine aus dem Fahrzeug und in diesem Moment sah sie, wie Caleb aus dem Gebäude hinaus kam.
Wenige Meter trennten ihn vom Wagen, er rannte. Dann wurden seine Schritte langsamer, immer langsamer. Kurz bevor er sie erreicht hatte, blieb er stehen und sank auf die Knie, das Gesicht schmerzverzerrt, er ließ sein Schwert fallen. Natascha stürzte aus dem Auto auf ihn zu, hinter ihr Tom. Sie schmiss sich zu Cale auf den Boden. Blut hatte sein Shirt durchtränkt an der Stelle, wo ihn das Wesen verletzt hatte, er war blass und zitterte.
„Wir müssen hier weg“, flüsterte er.
„Komm!“ Tom griff ihm unter die Arme. „Natascha hilf mir.“
Sie zogen ihn auf die Beine.
„Tascha bitte, mein Schwert …“, stöhnte er.
Sie bückte sich und hob es auf. Es fühlte sich seltsam an und war recht schwer, dann brachten sie Caleb ins Auto. Natascha stieg hinten bei ihm ein, Tom setzte sich ans Steuer und fuhr los, der Schotter spritzte unter den durchdrehenden Reifen hoch.
Caleb blutete furchtbar und Natascha drückte ihm ihre Jacke auf die Wunde, um es wenigstens ein bisschen aufzuhalten. Sie konnte sehen, dass Tom immer wieder in den Rückspiegel zu ihnen schaute.
„Scheiße er muss in ein Krankenhaus!“
„Nein!“, sie sagten es gleichzeitig.
„Das muss verarztet werden.“
„Ich kann nicht“, antwortete Cale und Natascha war klar weshalb.
Die Wunde war tief und ja, sie musste versorgt werden, aber sie würde auch schnell heilen, sehr schnell, wie sollte er das erklären? Wie sollte er erklären, dass man bei ihm keine Blutgruppe feststellen konnte, oder wie das überhaupt geschehen war. Tom fuhr rechts ran und parkte den Wagen, er schnallte sich ab und drehte sich zu ihnen um.
„Er wird verbluten, die Wunde muss genäht werden!“, schrie er sie an. „Macht was, jetzt!“ Er riss die Tür auf, stieg aus und lief ein paar Schritte, fuhr sich dabei mit den Händen durch die Haare. Natascha starrte ihm hinterher.
„Und nun?“, fragte sie Cale.
„Du wirst es tun!“
„Was werde ich?“
„Du wirst die Wunde nähen!“
Er fingerte umständlich an seiner Hosentasche herum und zog eine kleine, flache, eckige Plastikverpackung hervor. Cale öffnete sie, darin lag eine chirurgische Nadel und Faden, er hielt es ihr hin.
„Ich habe doch gesagt ich brauche nur zehn Minuten.“
„Und was hast du die restliche Zeit gemacht?“
„Das hier gesucht.“ Er deutete auf die Nadel. „Jakob ist Arzt, er hat in der Fabrik ein Behandlungszimmer gehabt und uns, behandelt.“ Er gab es ihr.
„Das kann ich nicht!“
„Doch kannst du!“
„Nein! Ich werde dir wehtun.“
„Natascha ich bin nicht so empfindlich, ich habe schon Schlimmeres erlebt, aber ich werde verbluten, wenn du es nicht machst.“
Er zitterte mittlerweile am ganzen Körper, seine Lippen waren weiß.
„Bitte“, flüsterte er.
Mit zitternden Händen packte sie die Nadel aus. Zum Glück war sie schon mit dem Faden verbunden.
„Das ist doch alles nicht steril hier, meine Hände und so, ich werde dich umbringen.“
„Du wolltest mich doch in die Hölle schicken, dahin wo ich hingehöre, jetzt hast du die Gelegenheit dazu.“ Er zog sich sein Shirt aus. „Tu es, bitte.“
Und sie tat es.
Sie hatte keine Ahnung wie man das machte, woher auch? Sie stach die Nadel durch Calebs Haut und nähte Stück für Stück irgendwie die Wunde zu und mit jedem Stich durchzuckte sie selbst ein Schmerz, der ihr den ganzen Rücken hinab wanderte. Überall war sein Blut. Caleb war nicht mehr so cool, wie er eben noch vorgegeben hatte, er atmete schwer und hatte die Augen geschlossen.
„Ich hätte dir vielleicht eine Stricknadel besorgen sollen, wäre auch nicht unangenehmer gewesen.“ Er lächelte gequält.
Sie kämpfte mit den Tränen. „Hör auf damit, es ist auch so schon schwierig genug für mich.“ Irgendwann war sie fertig. Kleine Blutstropfen sickerten noch aus der Wunde, aber sie hatte aufgehört so stark zu bluten. Natascha ging davon aus, dass der Heilungsprozess bei Cale im vollen Gange war. Sie war erledigt, völlig fertig und lehnte sich vorsichtig an Calebs Schulter.
„Bist du eigentlich gar nicht totzukriegen?“
Er hatte die Augen noch immer geschlossen, aber sein Atem war wieder gleichmäßig und ruhig. „Wir sterben, wenn wir getötet werden, aber uns zu töten ist schwer. Du musst mir schon den Kopf abschlagen oder so etwas oder meinen Körper zerstören, dann bist du mich los oder du lässt mich eben verbluten. Weil wir Schmerz nicht so empfinden wie ihr ist das eigentlich oft die größte Gefahr, wir merken nicht, wie schwer wir verletzt sind.“
Sie nahm ihren Kopf von seiner Schulter.
„Dann könntest du ewig leben, wenn du auf dich aufpasst? Alterst du nicht?“
Er schüttelte den Kopf. „Das Alter ist nicht wichtig für uns.“
Tom kam zurück zum Wagen und öffnete die Tür auf ihrer Seite. Er blickte ungläubig zu Caleb, dann schloss er die Tür wieder und ging ein paar Schritte zur Seite. Natascha schaute besorgt zu ihm.
„Er ist so ruhig, er müsste doch völlig ausflippen nach dem, was er eben erlebt hat.“
„Er steht unter Schock. Glaub mir, er wird sich noch dessen bewusst werden, was geschehen ist und dann wird er fragen.“
„Wie lange brauchst du, bis du dich einigermaßen erholt hast?“
„Ein paar Minuten dann geht es schon.“
Sie stieg aus dem Auto aus, ohne noch etwas zu sagen und lief langsam, sehr langsam zu Tom herüber und nahm ihn in die Arme.
Sie entschieden zum Tempelhofer Damm zu fahren und erst einmal niemandem etwas zu erzählen, wo sollten sie sonst hin? Tom hatte Caleb seine Jacke gegeben, damit er seinen Oberkörper verdecken konnte, als sie das Gebäude betraten. Dann verschwand er kurz und kam mit einem Pullover zurück, den er Cale zuwarf. Der ging auf die Herrentoilette um sich das Blut abzuwaschen, das noch an ihm klebte und sich umzuziehen.
Sie zogen sich in den leeren Besprechungsraum zurück, an dessen Wänden Magnettafeln angebracht waren, auf denen die Ermittlungsergebnisse, Notizen und Fotos der Mordserie geheftet waren, und schlossen die Jalousie.
„Bevor ich mich vergesse und ausraste, möchte ich Ihnen danken, dass Sie Natascha und mir das Leben gerettet haben.“ An Natascha gewandt sprach er weiter: „Was ist eigentlich los mit dir? Unsere Wohnung ist total verwüstet und du verschwindest einfach, ohne irgendjemandem Bescheid zu sagen. Kannst du dir vorstellen, was das für ein Schock war, als ich heute Vormittag nach Hause gekommen bin? Nein? Kannst du nicht, oder?“ Er wurde lauter. „Und dann rufst du einfach an. Wir sind hier beinahe verrückt geworden. Ich habe gedacht du bist die nächste Leiche, die ich finden werde, aber stattdessen bist du mit diesem Typen unterwegs!“ Er deutete auf Caleb. „Verdammt noch mal, ich will eine Erklärung für dein Verhalten! Ich hatte so eine Angst um dich, ich will wissen, was geschehen ist und ich will wissen, was du in dieser verfluchten Fabrik verloren hast und was da passiert ist!“
Tom bebte vor Zorn, es fiel ihm schwer nicht noch lauter zu brüllen, aber er wollte nicht unnötig die Aufmerksamkeit seiner Kollegen auf diese absurde Situation lenken. Offiziell war die Verwüstung der Wohnung als Einbruch verbucht worden, mit anschließendem Vandalismus aber er wusste, dass das nicht die Wahrheit war.
„Tom, ich-“
„Und komm mir nicht mit irgendwelchem Scheiß, ich will die Wahrheit und ich will wissen was ich da vorhin gesehen habe!“
Natascha wusste nicht, was sie sagen sollte. Wie sollte sie ihm das erklären. Sie wusste ja nicht einmal selbst eine Antwort darauf und vor allem wie sollte sie ihm erklären, dass sie es für wichtiger und spannender gehalten hatte, mit Cale zu gehen, als sich bei der Polizei zu melden und sich um ihr Zuhause zu kümmern?
„Es waren Obdachlose die die Fabrik als ihren Unterschlupf-“
„Quatsch, so ein verdammter Quatsch, die Wahrheit, ich will die Wahrheit! Das, was uns vorhin aufgelauert hat, war irgendetwas Unheimliches, dieser verfluchte Ort! Irgendetwas geschieht dort und ich will wissen was.“
Ehrlich gesagt hatte Natascha bisher nicht zugelassen sich viele Gedanken darüber zu machen, denn sie wusste durch Caleb, dass es mehr gab, als sie sich vorstellen konnte und darüber nachzudenken würde ihr nur Angst machen. Bisher hatte sie die aufkommende Panik verdrängen können, aber auch sie wollte wissen, was sie dort überfallen hatte, nur war sie sich nicht sicher, ob auch Tom die Wahrheit erfahren sollte.
„Lykantrophen“ Cale hatte bisher geschwiegen, nun warf er dieses Wort einfach so in den Raum. „Wie bitte?“ Tom schaute ihn voll Unverständnis an.
„Es waren Lykantrophen.“
„O.K., und was soll das sein?“
„Wolfsmenschen“, murmelte Natascha.
Tom schaute nun sie mit offenem Mund an. „Was? Moment mal, ihr spinnt doch, das sollen Werwölfe gewesen sein?“
„So nennt ihr sie im Allgemeinen, aber es sind Menschen, die sich zum Teil in Wölfe verwandeln.“ „Alles klar“, Tom wirkte verärgert, „wenn ihr mich verarschen wollt, dann sucht euch einen anderen Zeitpunkt dafür aus, ich habe auf so etwas wirklich keine Lust!“
„Es ist kein Spaß.“
Natascha schluckte, Cale meinte es wirklich ernst, oh Gott!
Tom lief hin und her.
„Na super von Lahn, ich habe keinen Bock auf Ihren Mist!“
Das ging ihm zu weit, er konnte diesen Kerl auf den Tod nicht ausstehen. Er hatte ihn noch nie gemocht. Er war ein arrogantes Arschloch, aber irgendetwas in seinem Inneren sagte ihm, dass das, was er da vorhin erlebt hatte, nicht mit rechten Dingen zugegangen war.
Als diese „Dinger“ plötzlich aufgetaucht waren, wie aus dem Nichts, hatte er ein ungutes Gefühl gehabt. Sie waren unheimlich gewesen, sie waren nicht menschlich gewesen. Sie hatten sich wie Tiere bewegt, geschmeidig, lauernd, schleichend und dann hatten sie sich auf Natascha und ihn gestürzt. Er hatte funkelnde Augen gesehen, scharfe Zähne, spitze Schnauzen und dann hatte ihn eines mit solch einer Wucht gepackt und unglaubliche Kraft mit sich gezogen. Er hatte Angst gehabt, wahnsinnige Angst und geglaubt da nicht mehr lebend raus zu kommen. Aber er wollte es nicht wahr haben. Tom setzte sich, er strich sich mit den Händen durch die Haare, eine Angewohnheit, wenn er nervös war.
„Und was ist mit Ihnen von Lahn? Mit Ihnen stimmt auch etwas nicht! Auch bei Ihnen habe ich etwas gesehen und das, was ich gesehen habe, das habe ich schon einmal gesehen und es gefällt mir nicht. Wir sind uns schon einmal unter ähnlichen Umständen begegnet, habe ich recht? Nur, dass wir auf unterschiedlichen Seiten gestanden haben.“
Natascha hielt den Atem an. Sie schaute von Tom zu Caleb der fast unmerklich nickte und kein Wort sagte.
„Sie sind einer der „Kunstmörder!“
Plötzlich herrschte eine bedrückende Stille im Raum, nur das Ticken der Uhr an der Wand war zu hören und Natascha fürchtete die Reaktion von Cale.
„Ja“, sagte der, mehr nicht und alle Farbe wich aus Toms Gesicht.
„Ich werde jetzt hier raus gehen und Sie festnehmen lassen“, sagte Tom ganz ruhig und gelassen. „Ich glaube nicht, dass ich das zulassen werde.“
„Was wollen Sie dagegen tun?“
„Ich habe Mittel!“
„Wollen Sie mir drohen?“
„Nein, mir wäre lieber, Sie würden mir zuhören.“
Mann konnte die Spannung zwischen den beiden förmlich greifen.
„Sie sind ein Polizistenmörder!“
„Geben Sie mir die Möglichkeit es zu erklären, bitte!“
Und Tom blieb sitzen und hörte Caleb zu.
„Ich weiß nicht was ich dazu sagen soll, ich weiß nicht …“ Tom sprang auf und schrie Natascha an: „Du hast es gewusst! Du hast es gewusst und dich mit ihm abgegeben! Wie kannst du nur? Er hat dich bedroht, er hat meine Freunde getötet, er hat unschuldige Menschen getötet! Was treibt dich in die Arme von solch einem Monster? Ich denke, unsere Wege sollten sich hier trennen!“
Er ging zur Tür und riss sie auf. Er trat in den Flur. In diesem Moment kam eine dunkle Gestalt auf ihn zu und nahm sich seiner an. Niemand sonst hatte von dem Mann Notiz genommen.
Minuten verstrichen bis Natascha ihre Sprache wiedergefunden hatte.
„Warum hast du es ihm gesagt? Er wird etwas gegen dich unternehmen.“
Caleb schloss kurz die Augen, dann schaute sie in zwei leuchtend grüne unendliche Abgründe.
„Das wird er nicht, wir werden dafür sorgen, wir haben Mittel und Wege.“
Ihr wurde schlecht. „Du wirst ihn doch nicht …“ Sie konnte es nicht aussprechen.
„Ihn töten?“, vollendete Caleb ihren Satz. „Nein, er kann uns noch von Nutzen sein. Er ist tapfer und mutig. Es gibt andere Wege, sie sind nicht ganz so effektiv, bergen Risiken, aber da es nicht zu verhindern war, dass er das heute miterlebt hat, habe ich dafür gesorgt, dass sich jemand um sein Erinnerungsvermögen kümmert.“
„Wie bitte?“ Natascha verstand nicht.
„Seine Erinnerungen werden manipuliert. Er wird sich nur noch daran erinnern, dass ihr angegriffen worden seid und wir uns verteidigt haben. Die wahren Erinnerungen werden so tief in seinem Kopf versteckt sein, dass er sie nicht mehr greifen kann.“
„Wieso tötet ihr dann, wenn ihr die Erinnerungen von Menschen manipulieren könnt?“
„Weil sie eben nur manipuliert sind, aber nicht gelöscht. Irgendwann wird er sich wieder erinnern, vor allem, wenn er weiterhin mit dir oder mir zusammen ist.“
„Und dann?“
„Dann werden wir weitersehen.“ Caleb atmete tief ein und fasste vorsichtig an seine Schulter. Tascha hatte fast vergessen, dass er schwer verletzt worden war, nun schloss er die Augen und lehnte den Kopf zurück.
„Werwölfe?“, fragte sie, er nickte. „Alles klar und was gibt es noch?“
„Mehr, als du dir vorstellen kannst“, antwortete er.
„Was machen wir jetzt?“
„Wir warten, bis er zurückkommt.“
Tausend Gedanken überschlugen sich in ihrem Kopf. Warum folgte sie Caleb so bedingungslos? Er hatte sie damals auch manipuliert, ihre Gefühle, bis es nicht mehr ging und nun wieder? Sie starrte an die Wand mit den Fotos der Mordopfer. Ein weiteres war dazu gekommen, Nathan der Priester, oder was noch von ihm übrig war, versehen mit einem großen Fragezeichen. Es hing am Rand. Klar, es passte nicht so recht in die Serie, alle anderen Opfer waren brutal ermordet, entstellt und dann grotesk zur Schau gestellt worden, aber sie wusste, dass es derselbe Mörder war. Und es hing dort, weil es wieder ein Opfer war, das in Verbindung mit der Kirche stand.
Caleb brauchte Ruhe damit die Wunde gut und schnell heilen konnte, aber diese Ruhe würde er wohl nicht finden. Er hatte gehofft, dass sie schneller hier sein würden, nachdem er Doc von der Toilette aus abgerufen hatte, damit sich jemand um diesen Tom kümmern konnte. Er hatte dieses ganze Gespräch eigentlich vermeiden wollen. Er öffnete die Augen und schaute zu Natascha, die mit einem Stift vor den Fotos stand und auf ihnen rum malte, was tat sie da?
„Was machst du?“
Sie drehte sich zu ihm um. „Schau her.“
Er stand auf und ging zu ihr herüber, sie war aufgeregt.
„Ich habe auf die Bilder gestarrt, die ganze Zeit und mir ist etwas aufgefallen, siehst du hier diese ganzen Blutspritzer? Sie sind überall, auf allen Fotos, aber sie sind nicht willkürlich.“
Nervös sprach sie weiter: „Kennst du diese Kinderrätsel, bei denen man die Punkte verbinden muss?“
Sie malte mit dem Stift auf einem der Bilder herum.
„Überall ist ein Teil der Spritzer gleich, auf jedem Foto, man sieht es nur auf den Bildern, die aus einer erhöhten Position gemacht wurden.“
Sie sprach schnell, ihre Bewegungen waren fahrig.
„Siehst du es? Sie ergeben ein Muster, wenn man sie miteinander verbindet und im Zentrum liegt die Leiche.“
Natascha nahm ein Stück Papier, das auf dem Tisch lag und zeichnete das, was sie entdeckt hatte, noch einmal darauf, um es Caleb zu reichen.
Seine Nackenhaare stellten sich auf und eine Welle der Übelkeit brach über ihn herein. Er gab es ihr zurück und das unangenehme Gefühl verschwand. Es war ein Pentagramm. Cale betrachtete erst die Zeichnung auf dem Papier in Nataschas Hand, dann die Punkte auf den Fotos. Dann nahm er ihr den Stift aus der Hand und ergänzte die Zeichnung auf dem Zettel. Ein stechender Schmerz in seinem Kopf, er ließ den Stift fallen.
Natascha sah nun, dass da noch mehr war. Es war nicht nur ein Pentagramm, dieses Pentagramm wurde noch von einer Spirale durchzogen, ohne Anfang und ohne Ende, integrierte sie sich. Beide starrten auf die Abbildungen.
„Es ist nicht auf dem Tatortfoto von der Frau, was hat das zu bedeuten?“
„Ich weiß es nicht, aber ich weiß, wer uns vielleicht etwas zu dem Zeichen sagen kann und vielleicht auch zu denen die deine Wohnung verwüstet haben.“
In diesem Moment ging die Tür auf und Tom kam zurück.
„So, ich habe mit Schmidt gesprochen und ihm von dem Überfall auf uns erzähl. Er wird die Fahndung nach den flüchtigen Gangmitgliedern einleiten.“
Natascha schaute erstaunt erst zu Tom und dann zu Caleb, unglaublich, wie ausgewechselt.
Ihnen war ein ziviler Dienstwagen zur Verfügung gestellt worden, um Calebs Auto würde man sich kümmern. Natascha war auf dem Beifahrersitz eingenickt und wurde erst wach, als sie auf der Einfahrt zum Stehen kamen. Sie rieb sich die Augen und erkannte, wohin Caleb mit ihr gefahren war.
„Das ist nicht dein Ernst!“ Sie konnte es nicht fassen.
„Doch!“
„Sie wird mich nicht rein lassen. Sie hat jeden Besuch von mir, jeden Anruf und jeden Brief ignoriert. Sie hat mir sagen lassen, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben will.“
Caleb schaute zu der Eingangstür. „Ich werde mit ihr reden.“
Tascha war entrüstete. „Du bist der Grund, warum Mia mir die Freundschaft gekündigt hat.“
„Sie weiß, dass du mich hast gehen lassen.“
„Ach woher?“
„Von mir.“
Wehmut ergriff sie. „Und trotzdem …? “
„Sie versucht nur ihre Familie und sich zu schützen, komm!“
Caleb stieg aus und ging die Stufen zur Tür des Hauses seines Bruders und seiner Schwägerin hinauf, Natascha folgte ihm langsam.
Als Mia die Tür öffnete, starrte sie ihn eine ganze Weile fassungslos an. Caleb hatte schon Sorge, sie würde die Tür einfach wieder zuknallen, schließlich hatte er sich mehr als ein Jahr nicht bei ihnen sehen lassen, aber das hatte seine Gründe.
„Großer Gott! Es ist schön dich zu sehen und das es dir gut geht.“ Sie lächelte. „Komm rein, Josh ist hinten im Arbeitszimmer, ich hole ihn, die Kinder spielen im Garten. Leni ist so groß geworden, du wirst sie kaum noch erkennen und Lisa, komm, komm rein.“
Er zögerte. „Mia ich bin nicht alleine.“
Er ging ein Stück zur Seite und machte so die Sicht auf Natascha frei. Auch wenn es ihm schwer fiel Mias Gefühle zu spüren, jetzt hätte er seine Fähigkeiten nicht besitzen müssen. Das Lachen auf ihrem Gesicht gefror und sie kniff ärgerlich die Augen zusammen.
„Die kann gleich wieder gehen!“ Sie deutete mit dem Finger auf ihre ehemals beste Freundin.
„Bitte lass uns rein, es ist wichtig und ihr beide habt auch etwas zu klären.“
„Das haben wir nicht. Sie hat alles durcheinandergebracht und mehr Schaden angerichtet als notwendig war. Hätte sie sich raus gehalten-“
„-hat sie aber nicht.“ Er berührte Mia an der Schulter, doch sie schüttelte seine Hand ab.
„Lass das!“, zischte sie. „Also gut.“
Sie ließ Caleb und Natascha herein.
„Ihr solltet alleine miteinander reden, aber vorher, Mia, auf ein Wort.“
Caleb zog Mia am Arm ein Stück zur Seite und sprach leise zu ihr.
Natascha sah, wie sie ein wenig zurückwich, ganz blass wurde, dann aber die Fassung zurück erlangte und nickte.
„Tascha geh doch schon mal in die Küche. Ich sage Josh Bescheid.“ Und dann war sie verschwunden.
Caleb ging zu den Mädchen in den Garten. Leni war wirklich groß geworden, hatte sich prächtig entwickelt, war zauberhaft keck, plapperte vor sich hin und sauste wie eine Biene durch die Gegend. Lisa war bedächtiger und wunderhübsch, sehr zu seinem Erstaunen erkannten ihn die beiden und hatten keine Scheu vor ihm.
Josh kam zu ihm heraus und beobachtete ebenfalls die Mädchen. Dann unterhielten sie sich ein wenig. Die Firma seines Bruders lief nun wirklich gut. Er hatte vier Angestellte, die ihn entlasteten und so konnte er sich mehr um seine Familie kümmern.
Natascha saß in der Küche. Mia stand mit verschränkten Armen an die Arbeitsplatte gelehnt, ihre Wut war deutlich zu spüren.
„Was habe ich dir getan?“, brach Tascha endlich das Schweigen. „Warum hast du mich so vor den Kopf gestoßen? Warum hast du mich aus deinem Haus geworfen ohne mich anzuhören? Und warum hast du es mir nie erklärt? Ich habe so oft versucht mit dir in Kontakt zu treten? Cale hat mir gesagt, dass du wusstest, dass ich ihn nicht verpfiffen habe, sondern meine Klappe gehalten und alle belogen habe.“
Mia lachte verächtlich auf: „Du hast ja keine Ahnung.“
„Dann erkläre es mir doch, und ob du es glaubst oder nicht, vielleicht habe ich mehr eine Ahnung, als du denkst.“
Ihre Freundin kam zu ihr an den Tisch und setzte sich, sie sah plötzlich müde und erschöpft aus. „Ich hatte Angst um meine Familie, um das was ich mir aufgebaut habe.“
„Aber euch wäre doch nichts passiert, ich wollte euch schützen. Ich wollte nicht, dass ihr mit einem Mörder unter einem Dach lebt, ich hatte Angst um die Kinder. Ich wollte, dass ihr über ihn Bescheid wisst, dass du weißt, wen du als deinen Freund bezeichnest.“
Mia lachte auf. „Aber das wusste ich bereits und er ist nicht mein Freund.“
Dieser Satz schwebte in der Luft und Natascha versuchte die Worte einzufangen, um sie zu verstehen.
„Wir sind vielmehr so etwas wie eine Zweckgemeinschaft. Er behält mein Geheimnis für sich und dafür lass ich ihn in Ruhe und er beschützt uns.“
Ihr Geheimnis?
„Bist du wie er?“
Mia schüttelte den Kopf: „Nein ich bin ein Mensch, aber ich bin anders.“
„Alles klar, erkläre es mir, ich weiß nämlich nicht, was du meinst.“ Tascha schaute herausfordernd zu ihr herüber.
„Auch unter uns Menschen gibt es welche, die anders sind. Ich stamme von einer sehr alten Linie von Priestern ab, Priester des alten Glaubens, die Kirche hat uns später den Namen „Hexen“ gegeben. Wir wurden dazu benutzt ihnen im Kampf gegen die Anderen Wesen zu helfen, denn wir haben die Macht ihre Fähigkeiten zu bannen. Wir waren mit Schuld daran, dass so viele von ihnen ermordet wurden, denn sie haben uns vertraut. Zum Dank dafür wurden auch wir von der Kirche gleich mit getötet. Und trotzdem unser Leidensweg ein ähnlicher ist, sind die Anderen Wesen und wir Feinden geblieben.“
Mia machte eine kurze Pause und Natascha starrte sie ungläubig an, dann fuhr sie fort: „Nur meine Oma hat in unserer Familie die alten Riten noch praktiziert. Manchmal habe ich ihr zugesehen oder habe mir was zeigen lassen, aber das war eher Kinderkram. Als ich Caleb kennengelernt habe, spürte ich, dass er ein Anderer ist. Da habe ich mich bemüht vor ihm geheim zu halten, was mein Ursprung ist. Es hat nicht funktioniert, aber er hat nichts gesagt. Oma hat ihn kennengelernt und mich vor ihm gewarnt, aber ich fand, dass er gar nicht so schlimm ist, und habe nicht auf sie gehört. Es hat mich gereizt, mit jemandem wie ihn zusammen zu sein. Dann jedoch bin ich Zeuge davon geworden wie brutal und kalt er sein kann. Wie selbstverständlich er tötet und das war schockierend. Unser Verhältnis hatte sich dadurch geändert. Und dann bin ich Joshua begegnet. Ich habe mich in ihn verliebt und ich habe mitbekommen, wie sehr er alles hasst, was anders ist, es verabscheut. Ich bekam Angst, wenn er herausfinden würde, was ich bin, dann würde er mich genauso hassen, also habe ich es vor ihm versteckt. Aber da war noch Caleb. Er wusste über mich Bescheid und ich über ihn. Wir hätten einander großen Schaden zufügen können. Wir sind übereingekommen, dass er über mich schweigt und ich niemandem von ihm erzähle.“
Natascha saß da und hatte einfach nur zu gehört. Super, alle um sie herum waren irgendwie Freaks. Als sie Caleb gefragt hatte, was es noch so alles gebe, hatte er geantwortet, mehr als sie sich vorstellen könne, oh ja, es gab also auch „Hexen“.
„Also du hast mir gerade erzählt, dass du und deine Mutter und deine Oma und wer auch immer sonst noch Hexen sind, habe ich das richtig verstanden?“
„Priesterinnen, wir sind eine weibliche Linie.“
Tascha dachte nach. „Und die Mädchen?“
Mia nickte. „Die auch.“
„O.K., ich verstehe und was hätte ich kaputtgemacht, wenn wir damals geredet hätten?“
„Caleb und ich haben einander geschworen uns gegenseitig zu schützen und ich brauche ihn mehr, als er mich. Er ist so viel mächtiger, als ich anfangs geglaubt habe und ich bin viel gefährdeter und schwächer, als ich gedacht habe und mit mir unsere Mädchen. Wir und die Anderen Wesen versuchen immer noch uns gegenseitig zu schaden oder zu töten. Ohne ihn würde es uns wahrscheinlich nicht mehr geben. Dich habe ich als Bedrohung empfunden von dem Moment an, als du mir erzählt hattest, dass du dich in ihn verliebt hast. Ich habe gesehen, dass du die Schuld an seinem Tod tragen wirst, aber er muss auf uns aufpassen und er trägt Verantwortung.“
Natascha stand auf und ging aus der Küche ins Wohnzimmer, sie stellte sich vor die Terrassentür und starrte in den dunklen Garten, sie atmete tief ein und wieder aus. Ihre einstmals beste Freundin empfand sie also als Bedrohung. Sie erschrak, als sein Gesicht als Spiegelung in der Fensterscheibe auftauchte, und drehte sich schnell um.
„Sie hat es dir erzählt!“
Natascha nickte, er senkte seinen Blick.
„War Mia je eine Gefahr für dich?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, sie hat nie richtig gelernt ihre Fähigkeiten zu benutzen, aber die Dinge, die sie über mich wusste, über uns, die waren eine Bedrohung.“
„Wieso hast du sie nicht ausgelöscht? So wird es doch verlangt bei euch, so sieht es euch doch ähnlich?“ Natascha war verbittert.
„Weil sie sich in Josh verliebt hat und er sich in sie. Er ist mein Bruder und ich hätte sie ihm nicht nehmen können.“
Er sprach sehr leise und seine Stimme hatte einen warmen Ton.
„Stattdessen erzählst du ihr noch mehr über dich und machst sie zu deiner Vertrauten?“
„Vielleicht war ich einfach zu unerfahren, zu unvorsichtig und auch zu sehr von mir überzeugt.“ „Und wer könnte ihr was antun wollen?“
„Oh es gibt genug von meiner Sorte, die sich nur allzu gerne an diesen Hexen rächen wollen.“ Natascha nickte, nun glaubte sie zu verstehen. „Und du passt auf sie auf und auf die Mädchen.“ „Ja.“
„Und weil sie auf dich angewiesen ist und ich deinem Geheimnis zu nahe gekommen war, wollte sie mich hier weg haben?“
Natascha lachte auf. „Und ich habe gedacht ihr hättet was miteinander.“
Wieder schüttelte er den Kopf. „Nein, haben wir nicht.“
„Würde Josh sich auch heute noch von ihr trennen, wenn er es erfahren würde?“
Caleb zögerte, dann sagte er: „Er hasst das, was ich bin, er hasst alles, was anders ist.“
Das hatte auch Mia gesagt.
„Ich weiß nicht, ob er es akzeptieren würde. Wir können mittlerweile ziemlich vernünftig miteinander umgehen, aber auf jeden Fall würde er es nicht verstehen.“ Er deute in Richtung Küche. „Wir sollten zu ihr und das erledigen, weshalb wir hergekommen sind.“
Auf dem Weg zurück zu Mia kam Natascha ein Gedanke. „Du hast gesagt, dass du dich fernhalten wolltest von deiner Familie, um sie nicht zu gefährden, jetzt sind wir aber hier?“
„Ein bisschen von dem Zauberkram kann sie, sie hat einen Bann auf das Haus gelegt, heute Nacht sind sie und wir hier sicher.“
„Wenn ihr Feinde seid, Hexen und Andere Wesen, könnte dann der Mörder nicht einer von ihnen sein der euch auslöschen will?“
„Um das zu klären sind wir hier.“