Читать книгу Mafia Band 1: Thriller - S. Picollo - Страница 4

2. Kapitel

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Waltraud Junker stand im Wohnzimmer und bügelte die Wäsche. Vor fünf Minuten war sie von der Arbeit zurückgekommen und ihr stand der Schweiß auf der Stirn. Ihr junges Gesicht und die langen braunen Haare, wirkten blass und farblos an jenem Tag, da man ihr ansah, dass sie acht stunden gearbeitet hatte. Sie war Kassiererin in einem Supermarkt und musste heute ausnahmsweise Regale bepacken.

Waltraud war fertig mit den Nerven und die Trennung von Maximilian steckte ihr immer noch in den Knochen. Ihr einziges Glück, das sie vor der Arbeitslosigkeit bewahrt hatte, war ihre Arbeit an sich, da die bekannte Supermarktkette natürlich auch in Hannover vertreten war und sie problemlos die Arbeitsstelle wechseln konnte.

Doch dass sie in eine neue Stadt und somit in ein neues Umfeld kam, merkte man ihr und den Kindern an. Sie selber hatte keine Kontakte in der Zeit knüpfen können und die Kinder wurden in der Schule gehänselt und gemobbt, da sie vom Land kamen, ››Dorfkinder‹‹, wie die anderen Kinder sie beschimpften. Peter und Jochen waren in ihrer schulischen Leistung so abgefallen, dass Waltraud sie gar nicht mehr wiedererkannte. Verzweifelt versuchten sie sich dem asozialen Jargon anzupassen, nur um dazuzugehören, doch häufig machte der Versuch noch mehr Probleme. Peter war in der ersten Klasse und Jochen in der zweiten, aber auch schon dort war die Disziplinlosigkeit eingekehrt. Sie hatte auch keine Hoffnung mehr, dass die beiden es auf die Realschule, geschweige denn auf das Gymnasium schafften, wo der Umgangston und die soziale Kompetenz der Schüler und Lehrer etwas höher war. Aber so wie es aussah, mussten beide auf der Hauptschule bleiben und sich entweder versuchen anzupassen, oder in der Gewalt unter den Schülern untergehen, vielleicht früher oder später wegen der Verzweiflung Drogen nehmen, kriminell werden, und schließlich in einer Entzugsklinik landen, oder sich gar umbringen.

Waltraud bekam ein unbeschreiblich schreckliches Gefühl, wenn sie nur daran dachte. Sie wollte nie etwas so Schlimmes für ihre Kinder, doch sie hatte auch nicht die finanziellen Mittel, um sie aus diesem verkorksten Umfeld herauszunehmen. Die Schulpflicht bestand und Peter und Jochen waren körperlich und geistig gesund. Sie litten ausschließlich an dem neuen Umfeld.

Waltraud ärgerte sich, dass sie kein Abitur gemacht hatte, um beiden Kindern den nötigen Antrieb zum Lernen zu geben. Sie hatte damals einfach keine Lust gehabt, das Abitur zu machen und fing gleich nach Abschluss der zehnten Klasse eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau an. Heute bereute sie es, dass sie damals so faul war.

Nun musste sie in einer kleinen Vier-Zimmer-Wohnung mit sechzig Quadratmetern, in einem halbwegs vernünftigen Altbau-Mehrfamilienhaus in der Hannoveraner Südstadt leben. Sie lag im dritten und obersten Stock eines Dreißiger-Jahre-Baus, hatte eine Zentralheizung, Parkettfußboden, ein Bad mit Dusche und WC, in dem man problemlos eine Waschmaschine platzieren konnte und eine Küche, in der sie zu dritt essen konnten. Überall waren die Wände mit einer weißen Tapete verziert, bis auf Jochens Zimmer, das auf seinen Wunsch und viel Hin und Her mit Waltraud, in blau gestrichen wurde. Die Wohnung war mit ihrer knapp siebenhundert Euro teuren Warmmiete relativ günstig und Waltraud musste nicht auf jeden Cent schauen, da sie durch den Kinderzuschlag und der niedrigen Lohnsteuerklasse, knapp zweitausend Euro für die Miete und zum Leben hatte. Sie war nicht besonders glücklich damit, aber für ein Leben als alleinerziehende Mutter war es ausreichend.

Waltraud war zudem stolz auf ihre Wohnungseinrichtung, denn sie bot eine Mischung zwischen Alt und Neu. Sie hatte sie bei einem Online-Möbelhaus gekauft, des knappen Geldes halber auf Raten in achtundvierzig Monaten. Sie konnte aufgrund ihrer Flucht von Maximilian so gut wie nichts mitnehmen, da sie es mit ihm nicht mehr aushielt. Eine einzige Ausnahme bildete der große Kleiderschrank in ihrem Schlafzimmer, den sie heimlich auseinandergebaut hatte und in die neue Wohnung nach Hannover geschickt hatte. Er hatte vorher ihrer Mutter gehört. Dort waren alte Erinnerungsstücke und Fotos von Waltrauds Kindheit drinnen, die sie auf keinen Fall hergab, wenn dann nur über ihre Leiche.

Waltraud hatte eine ganz gute Kindheit gehabt, aber sie war die jüngste unter vier Schwestern. Sie war in Buxtehude aufgewachsen und hatte es immer schwer gehabt, sich gegen ihre Schwestern durchzusetzen. Sie führte einen ständigen Kampf. Sie lernte aber dadurch, sich durchzusetzen und das half ihr in ihrem späteren Berufsweg. Trotzdem genoss sie die Zeit, als sie mit ihrer Mutter allein war. Eigentlich hatte sie nichts von ihr gehabt, als ihre Schwestern noch zu Hause waren. Dann war sie aber die Nummer Eins. Sie hatte so eine enge Bindung zu ihrer Mutter, dass es ihr wehtat, als sie das erste Mal allein wohnte. Sie wollte immer in ihrer Nähe sein. Nun war sie aber schon seit über einem halben Jahr nicht mehr bei ihr gewesen. Der Stress mit der Trennung hatte ihr sehr stark zugesetzt und sie hatte den Kopf voll. Sie nahm sich aber ganz stark von Herzen vor, irgendwann in der nächsten Zeit mal mit den Kindern dort hinzufahren. Ihre Mutter würde bestimmt nach Maximilian fragen, und versuchen, die beiden wieder zusammenzubringen, mit gutem Zureden. Waltraud wollte es aber nicht, da sie ihm das mit dem Geld nicht verzeihen konnte und auch seinen Anblick und das heruntergekommene Haus nicht ertragen konnte. Erst wenn Maximilian einen Alkoholentzug machte, würde sie ihn wiedersehen wollen. Vorher war daran nicht zu denken. Sie konnte es nicht ertragen wenn er trank und war immer noch sauer auf ihn, wegen dem ganzen verlorenen Geld. Außerdem sollten Peter und Jochen ihren Vater nicht so sehen. Es hatte ja schon genügt, dass sie das damals alles mitbekommen hatten. Ein zweites Mal wollte sie es ihren Kindern nicht antun. Zwar war das Leben grundsätzlich angenehmer, da Waltraud ihren Arbeitsplatz hatte, bei dem sie alle kannte, und auch Peter und Jochen hatten ihre Freunde und die Schule, aber das Elend um Maximilian war zu groß. Er war ein schlechter Einfluss für die Kinder, denn vielleicht hätten sie dann eines Tages auch mit dem Trinken angefangen. Er kümmerte sich kurz vor der Trennung auch nicht mehr um sie, sondern saß nur auf dem Sofa und trank eine Flasche Bier nach der anderen. Das ging nicht mehr!

Waltraud bügelte weiter und vernahm ein Klingeln an der Tür. Das mussten Peter und Jochen sein, die von der Schule kamen. Sie lief aus dem Wohnzimmer heraus, in Richtung der Wohnungstür und nahm den Hörer ab.

››Hallo.‹‹

››Wir sind es, Mama.‹‹

››Okay.‹‹

Waltraud drückte den Knopf und öffnete die Tür. Unten hörte sie die Schritte der Kinder auf den rauen Steinstufen und erwartete sie voller Freude. Diesmal kamen sie aber langsam die Treppe hoch und Waltraud lief aus der Tür raus, um nachzusehen. Sie erkannte Peter und Jochen schon und sah, dass Peter sein Gesicht völlig entstellt war. Auf dem Gesicht sah sie blaue Flecken und blutende Wunden. Seine Jacke war ganz zerrissen. Sie lief besorgt zu ihm.

››Um Gottes Willen, was ist passiert Peter?‹‹

››Ich wurde verprügelt von zwei Kindern, Jochen auch.‹‹

Waltraud nahm ihn besorgt in den Arm.

››Dann müssen wir eine Anzeige stellen und dich von dieser scheiß Schule nehmen.‹‹

››Sie haben aber gesagt, dass wenn wir etwas erzählen, sie uns nochmal verprügeln‹‹, sagte Peter.

››Das stimmt Mama, wir haben jetzt furchtbare Angst‹‹, sagte Jochen zu ihr.

››Das sollen sie mal versuchen‹‹, fluchte Waltraud, ››meine Kinder verprügelt niemand. Kommt rein, ich werde euch verarzten, wenn es nicht besser wird, müssen wir Montag zum Arzt.‹‹

Sie gingen in die Wohnung. Waltraud schloss die Tür und lief zur Abstellkammer neben dem Bad und holte Verbands-Zeug und Desinfektionsmittel heraus.

››Peter, gehe schon mal in dein Zimmer, ich komme gleich.‹‹

››Darf ich mit zusehen‹‹, fragte Jochen.

››Ich habe auch noch ein paar Fragen an euch, also ja.‹‹

››Ich gehe schon mal zu Peter.‹‹

Waltraud nahm die Sachen und lief in Peters Zimmer. Er saß schon auf dem Bett. Trotz des bunten Zimmers, das mit Postern von Actionfiguren verziert war und das nur so von Spielzeug wimmelte, war Peter genau der Gegensatz an diesem Tag. Er sah vollkommen fertig aus und sein Gesicht war übel zugerichtet. Er war erst sieben Jahre alt, doch hatte heute schon seine erste schlechte Erfahrung mit Gewalt gehabt. Er hatte Angst, das spürte er, furchtbare Angst.

››So dann lass mal sehen‹‹, sagte Waltraud und fuhr mit Einweghandschuhen über seine Wunden, ››aber deine Nase tut nicht weh, oder?‹‹

››Nein.‹‹

››Aber dein Gesicht sieht furchtbar aus. Was haben die nur mit dir gemacht?‹‹

››Sie mögen uns nicht Mama‹‹, sagte Jochen, ››wir sind vom Dorf, nicht so cool wie sie und Weicheier.‹‹

››Glaubt den Quatsch nicht, ihr seid zwei einzigartige Kinder, und wenn ich die erwische, dann können sie was erleben.‹‹

Waltraud nahm das Desinfektionsmittel in die Hand.

››Das könnte jetzt brennen.‹‹

Peter schrie auf und fing an zu weinen.

››Ich vermisse Papa so und in Erlendorf hätten sie uns nie geschlagen. Ich vermisse Papa und meine alten Freunde. Können wir nicht wieder zu Papa zurück.‹‹

››Ich weiß, wie sehr ihr es euch wünscht. Aber es geht nicht. Ihr wisst doch, dass Papa wahrscheinlich immer noch so viel trinkt. Und das geht nicht. Er hat unser ganzes Geld ausgegeben.‹‹

››Aber er tut doch niemanden etwas‹‹, sagte Jochen, ››lass ihn doch trinken, Mama. Ich würde alles geben, um wieder in Erlendorf wohnen zu können. Hier sind die Kinder so böse.‹‹

››Ich will sofort zurück, Mama‹‹, sagte Peter.

››Ich habe euch sehr lieb, das wisst ihr. Und ich werde auch heute noch in der Schule anrufen, oder auf den Anrufbeantworter sprechen und ein Gespräch mit diesen Kindern verlangen. Aber zurück zu Papa können wir nicht, nie mehr.‹‹

››Aber du vermisst ihn doch auch, Mama‹‹, sagte Peter.

››Ich vermisse ihn, aber er ist nicht mehr der, den ich damals kennengelernt habe. Er hat sich verändert. Erst wenn er nachweisen kann, dass er nicht mehr trinkt, dann können wir es uns überlegen.‹‹

››Vielleicht trinkt er gar nicht mehr‹‹, sagte Jochen.

››Oh doch, sonst hätte er sich schon gemeldet. Wir sind ihm egal, Peter und Jochen, das müsst ihr verstehen. Der Alkohol ist ihm wichtiger als wir. Vielleicht arbeitet er schon gar nicht mehr und hat das Haus schon verkauft.‹‹

››Ohne Papa werde ich aber nie mehr glücklich werden‹‹, sagte Peter.

››Das wirst du, gib nicht auf. Wenn das Gespräch nichts bringt, dann werde ich euch von dieser Schule nehmen und dann geht ihr auf eine Privatschule. Diese Kinder haben euch nicht verdient. Niemand schlägt meine Kinder.‹‹

››Dann schlag sie doch selber Mama‹‹, schimpfte Jochen.

Waltraud war erstaunt, dass Jochen solch einen Ton benutzte, aber am liebsten hätte sie es getan. In ihr stieg die Wut hoch und sie war wirklich kurz davor, die Kinder aufzusuchen. Aber sie musste sich beherrschen und die richtigen Worte für beide finden. Es reichte ja schon, dass beide so redeten.

››Ich werde das schon regeln und ja, eine Strafe für beide wäre nicht schlecht. Sie hätten es verdient.‹‹

Waltraud verarztete Peter und verband seine Wunden. Sie nahm sich vor, am Montag alles zu klären und dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder geschah. Peter war so entstellt und auf jeden Fall musste die Familie der Kinder eine Anzeige bekommen. Sie wollte es eigentlich vermeiden, denn so brachte sie ein weiteres Kind auf die kriminelle Bahn, doch eine Anzeige musste sein! Vielleicht würde sie heute noch zur Polizei gehen, ja das würde sie! Die Polizisten mussten die Kinder in dem Zustand sehen, sehen, was für ein Leid ihnen angetan wurde.

››Zieht euch an, wir gehen zur Polizei‹‹, sagte Waltraud.

››Du willst sie wirklich anzeigen, dann werden sie uns erst richtig fertig machen, Mama.‹‹

››Wie schon gesagt, das sollen sie versuchen.‹‹

››Ich habe Angst‹‹, sagte Peter.

››Ich bin bei euch, und nun zieht euch an.‹‹

Peter und Jochen liefen in den Flur und zogen ihre Schuhe an. Beide waren blass im Gesicht und sahen so aus, als ob sie nicht aus dem Haus wollten.

››Wir können keine Anzeige machen‹‹, sagte Jochen, ››wenn du eine Anzeige machst, dann werden sie uns auflauern und uns schlagen, auch dich Mama.‹‹

››Die kleinen Knirpse‹‹, fragte Waltraud.

››Sie holen ihre großen Brüder und werden uns alle grün und blau hauen‹‹, sagte Jochen.

››Das haben sie gesagt‹‹, fragte Waltraud mit tiefer Wut in der Stimme.

››Ja und ich glaube nicht, dass wir eine Chance gegen sie haben‹‹, antwortete Jochen, ››sie sagen das nicht nur so Mama, sie werden Ernst machen.‹‹

››Ich will nicht, dass du verletzt wirst, Mama‹‹, sagte Peter, ››du siehst ja, was sie mit mir gemacht haben.‹‹

››Ich werde euch beschützen und jetzt kommt‹‹, sagte Waltraud entschlossen und die drei liefen die Treppen herunter, verließen das Haus und steuerten die Bushaltestelle an. Waltraud hoffte, dass sie den Kindern nochmal über den Weg lief, aber sie ahnte, dass sie sich vielleicht nicht beherrschen konnte und am Ende selber eine Anzeige bekam. Für den Schutz ihrer Kinder tat sie aber alles. So etwas kam nicht noch mal vor, das wusste sie und dafür würde sie kämpfen. Sie merkte, wie die Wut in ihr hochstieg und bei jeder Kleinigkeit sofort heraus kommen würde.

››Der Bus kommt‹‹, sagte Peter.

››Habt ihr eure Fahrkarten bereit?‹‹

››Ja.‹‹

Der Bus hielt an und Waltraud stieg mit den Kindern ein. Sie liefen zu einer Sitzreihe mit vier Plätzen und Waltraud freute sich, dass der Bus um diese Uhrzeit so leer war. Normalerweise wimmelte es nur so von Menschen. Und sie hasste Busfahren. Viel lieber hätte sie ein Auto gehabt, so wie in der alten Zeit, als sie noch mit Maximilian in Erlendorf lebte. In solchen Momenten wünschte sie sich, dass sie mehr verdiente. Nur fünfhundert Euro mehr und schon wäre ein kleines Auto, auf Ratenzahlung oder mit Leasing drinnen. Dann könnte sie Unternehmungen mit den Kindern machen, sie zur Schule fahren oder viel einfacher einkaufen gehen. So musste sie aber wie eine Arme mit dem Linienbus durch die Stadt fahren. Sie ärgerte sich darüber, dass sie es ihren Kindern nicht bieten konnte. Was hätte sie dafür gegeben, wenigsten ein Auto zu haben?

Doch die Tatsache, dass die Kinder ohne ihren Vater aufwuchsen, war noch um einiges schlimmer. Ihnen fehlte die männliche Bezugsperson, die in solchen Konflikten wie mit den anderen Kindern, eine stärkere Hand gewesen wäre. So sahen Peter und Jochen nur ihre Mutter und orientierten sich an ihr. Vielleicht wurden sie deshalb langsam zu Mobbingopfern, die von der Schule ferngehalten mussten. Die Vorstellung machte ihr Angst. Wenn sie nicht gegen die anderen Kinder ansteuerte, dann würden sie es immer wieder tun. Man musste ihnen Grenzen zeigen. Peter und Jochen waren zwei normale Kinder. Sie hatten das gleiche Recht wie die anderen. Nur weil sie vom Dorf kamen und nicht so selbstbewusst waren, hieß es nicht, dass man mit ihnen machen konnte, was man wollte.

In Erlendorf wäre so etwas nicht passiert. Da hatte sie und die Kinder dutzende Freunde. Sie trafen sich fast jede Woche zu Kaffee und Kuchen, machten Unternehmungen, Ausflüge, zur Gokart-Bahn in Erlendorf, in den Heide-Park oder in den Zoo. Es war eine Zeit, die ihr immer in Erinnerung blieb und die ihr die Tränen in die Augen trieb, wenn sie daran dachte. Wenn sie die Zeit zurückdrehen könnte, dann würde sie alles wieder gutmachen, Maximilian zu einer Alkoholentwöhnung zwingen, um unter allen Umständen in Erlendorf zu bleiben.

Nun aber fristete sie ein Dasein zwischen Problemen, die, wie sie selber sagte, auch ihre Schuld waren. Sie hatte zu sehr auf ihre Gefühle geachtet, war zum impulsiv gewesen und hatte Maximilian verlassen. Vielleicht gab es sogar noch eine Chance und sie hatte sie einfach nur nicht erkannt. Wenn es so war, dann würde sie sich ein Leben lang Vorwürfe machen, vor allem wegen Peter und Jochen. Irgendetwas in ihr, eine Art Gefühl, verbot ihr auch eine neue Partnerschaft anzufangen. Dafür liebten die Kinder ihren Vater viel zu sehr und sie musste zugeben, dass sie Maximilian auch noch in ihrem Herzen hatte. Es brauchte Zeit, das alles zu verarbeiten und sacken zu lassen. Sie durfte sich nicht zu sehr von ihren Gefühlen leiten lassen, denn sie halfen einem häufig nicht im wahren Leben. Sie hatten die Kraft das zu zerstören, was man sich jahrelang aufgebaut hatte. Um zu überleben, musste man als abgeklärter Mensch auf so manche Gefühlsregung verzichten, damit das Gleichgewicht eines Systems aus Abläufen, wie eine Ehe, aufrecht erhalten blieb. Sie aber war nicht abgeklärt, sondern steckte voller Emotionen.

››Wir sind gleich da, Mama‹‹, sagte Peter.

››Ja, dann steht schon mal auf.‹‹

Waltraud erhob sich und lief mit den Kindern zur Tür. Der Bus hielt an und sie stiegen aus. Von hier aus war es nicht mehr weit bis zur Wache. Sie sah sie schon, etwa hundert Meter weiter.

››Ich habe immer noch Angst‹‹, sagte Jochen, ››die Kinder werden das nicht mögen.‹‹

››Na und. Sie sollen ruhig kommen, dann werden sie es nie wieder machen.‹‹

Peter und Jochen schwiegen. Waltraud war klar, dass sie schon wieder ihren Gefühlen freien Lauf ließ und das vor den Kindern. Sie musste sich auf jeden Fall in der Wache beherrschen, damit die Polizisten sie nicht gleich als hysterische Mutter abstempelten, die eine harmlose Prügelei mit ihren Kindern durch andere Kinder überzogen darstellte. Einfach nur beherrschen, dann war auf der sachlichen Ebene alles klar. Aber die Gefühle der menschlichen Ebene in ihr brodelten wie ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch stand.

››Ihr redet nur, wenn die Polizisten euch etwas fragen, klar?‹‹

››Ja‹‹, sagte Jochen.

››Okay‹‹, sagte Peter.

Waltraud öffnete die große alte Holztür der Wache und trat ein. Sie ging zum Empfang und klopfte auf den Tisch. Der Polizist, der hinter dem Empfang saß, sah nach oben.

››Bitte, die Dame.‹‹

››Ich möchte eine Anzeige erstatten, wegen Körperverletzung. Eines meiner Kinder wurde übelst verprügelt.‹‹

››Nehmen sie dort im Wartebereich Platz. Ein Kollege wird sie gleich in sein Büro rufen.‹‹

››Alles klar.‹‹

Waltraud nahm Peter und Jochen an die Hand und ging ein paar Schritte weiter, bis sie den großen Wartebereich mit den modernen Stühlen erreichte, die an der Wand festgeschraubt waren. Gott sein Dank war es leer und sie hatten ihre Ruhe. Sie setzten sich. Im hinteren Bereich ging eine Tür auf und ein breiter Polizist in Uniform, mit dunkelblonden Haaren und einem langen braunen Bart kam auf Waltraud und die Kinder zu.

››Kommen sie mit.‹‹

Sie standen auf und folgten dem Polizisten in das Büro. Es war sehr klein und hinter dem Schreibtisch sah man den Hinterhof, in dem ein großer Baum stand. Er spendete Schatten und sorgte dafür, dass es nicht ganz so heiß war. Der Polizist räusperte sich:

››Werte Dame, mein Name ist Wolfgang Groß. Ich werde mit ihnen alles klären. Dürfte ich ihren Ausweis und die Kinderausweise sehen?‹‹

››Aber natürlich.‹‹

Waltraud kramte in ihrer schwarzen Ledertasche und holte sie hervor. Sie gab sie Herrn Groß, der währenddessen schon ein paar Blätter und Formulare ausfüllte.

››Sie sind Waltraud Junker, fünfundvierzig Jahre alt, geboren in Buxtehude?‹‹

››Ja.‹‹

››Und ihre Kinder sind Peter Junker und Jochen Junker, sieben und acht Jahre alt, geboren in Erlendorf?‹‹

››Auch das ist richtig.‹‹

››Und sie wollen eine Anzeige stellen?‹‹

››Ja.‹‹

››Dann legen sie los.‹‹

Waltraud beruhigte sich, atmete tief durch und zeigte auf Peter und Jochen.

››Meine Kinder wurden verprügelt. Ich möchte gegen die Täter, die ebenfalls Kinder waren, eine Anzeige wegen Körperverletzung stellen.‹‹

››Kennen sie die Kinder?‹‹

Waltraud sah Peter und Jochen an.

››Kennt ihr sie?‹‹

››Ja sie gehen bei uns auf die Schule‹‹, sagte Peter.

››Welche Schule‹‹, fragte Herr Groß.

››Die Hundertwasser-Gesamtschule‹‹, antwortete Jochen.

››Schon wieder, da passiert so etwas öfters. Wie sahen denn die Kinder aus und kennt ihr sie vielleicht?‹‹

››Sie kommen aus Italien, jedenfalls sprechen sie so‹‹, antwortete Peter, ››alle haben schwarze Haare und tragen immer schöne Klamotten.‹‹

››Das hört sich an wie die Graciello-Familie.‹‹

››Ich glaube so heißen sie auch‹‹, sagte Peter, ››wir haben an der Schule zwölf Jungen, die diesen Nachnamen haben.‹‹

››Das werden sie sein. Und die haben euch verprügelt?‹‹

››Ja‹‹, antwortete Peter, ››sehen sie mich an, Herr Groß. Sie können uns nicht ausstehen, weil wir vom Dorf kommen und nicht so cool sind wie sie. Sie haben auch gesagt, dass wenn wir eine Anzeige stellen, es noch schlimmer wird und sie uns dann weiter verprügeln werden.‹‹

››Eine Anzeige zu stellen ist der richtige Weg‹‹, sagte Herr Groß, ››wir werden die Anzeige aufnehmen und sie auch so schnell wie möglich bearbeiten. Gehe vielleicht nochmal mit deiner Mutter zum Kinderarzt, wenn es mit deinem Gesicht nicht besser wird. Ihr seht ja ganz schön schlimm aus.‹‹

››Machen wir das, Mama‹‹, fragte Peter.

››Aber natürlich mein Schatz‹‹, antwortete Waltraud und streifte Peter durchs Haar.

››Ich muss sie aber nochmal alleine sprechen, Frau Junker. Eine Kollegin wird sich gleich um die Kinder kümmern.‹‹

Herr Groß rief über das Telefon seine Kollegin an und Waltraud begann nervös zu werden, da sie nicht wusste, was Herr Groß von ihr wollte. Sie zeigte es nicht, da sie Peter und Jochen nicht noch mehr verängstigen wollte.

Es klopfte an der Tür und eine große schwarzhaarige Polizistin in Uniform ging auf Peter und Jochen zu.

››Frau Herold, könnten sie sich kurz um die beiden Jungs kümmern.‹‹

››Na klar, kommt mit.‹‹

Sie verließ den Raum mit den beiden und Herr Groß sah Waltraud mit besorgtem Blick an.

››Frau Junker, es geht um die Graciello-Familie.‹‹

››Was ist mit ihr?‹‹

››Ich sage mal ganz vorsichtig, dass mit ihnen nicht zu spaßen ist, noch nicht mal mit ihren Kindern. Wir vermuten, dass sie zur Mafia gehören und sehr viel Dreck am Stecken haben. Leider können wir es ihnen nicht nachweisen, aber vermutlich würde man ihnen auch unzählige Morde anlasten können. Bisher haben wir sie nur wegen ihrer Kinder bestrafen können, die durch Gewalttaten aufgefallen sind. Sie sind nicht die einzige Mutter, die schon hier her gekommen ist.‹‹

››Dann müssen sie etwas tun. Es kann doch nicht sein, dass sie einfach alle terrorisieren können, schon gar nicht kleine Kinder.‹‹

››Die Familie kümmert das nicht. Sie sind skrupellos und das wird schon an ihre eigenen Kinder weitergegeben. Eigentlich darf ich es ihnen gar nicht sagen, aber da ich selber Vater von drei Kindern bin, ich habe zwei Söhne und eine Tochter, alle in dem Alter ihrer Kinder, möchte ich sie vorwarnen.‹‹

››Hatten sie auch schon mit dieser Graciello-Familie zu tun?‹‹

››Leider ja. Meine drei Kinder waren auch auf der Hundertwasser-Schule und ich musste sie von der Schule nehmen. Sie wurden auch jeden Tag von denen drangsaliert. Verprügelt wurden sie zum Glück nicht.‹‹

››Sie sprechen also aus eigener Erfahrung.‹‹

››Und ich möchte, dass sie meine Worte ernst nehmen, Frau Junker. Die Graciello-Kinder haben keinen Skrupel, sie auch zu Hause aufzusuchen, und das sogar mit Waffen. Nehmen sie sich in Acht.‹‹

››Können sie da als Polizei gar nichts machen. Ich meine das Leben meiner Kinder und auch meins ist in Gefahr.‹‹

››Vorher leider nicht, da die Situation mit ihren Kindern wahrscheinlich im Affekt war. Glauben sie mir, dass selbst wenn sie vor Gericht gehen, die hochbezahlten Anwälte der Familie das auch so hin drehen würden. Wenn sie natürlich vor ihrer Tür stehen und sie bedrohen ist es klar, dass sie die Polizei rufen müssen.‹‹

››Das ist ja furchtbar.‹‹

››Ich habe das alles durch Frau Junker. Passen sie auf jeden Fall auf ihre Kinder auf.‹‹

››Das werde ich machen, unter allen Umständen.‹‹

››Seien sie immer wachsam Frau Junker. Ein hoffentlich schönes Wochenende ihnen noch.‹‹

››Ihnen auch, Herr Groß. Und haben sie vielen Dank.‹‹

Waltraud verließ den Raum und sah Peter und Jochen im Spielzimmer neben dem Empfang spielen. Sie lief hinein.

››Kommt ihr, wir fahren nach Hause.‹‹

››Was hat der Polizist zu dir gesagt, Mama‹‹, fragte Peter.

Waltraud atmete tief ein und merkte, dass sie die Kinder nicht mit der Wahrheit belasten konnte.

››Wir haben nur noch Formalitäten geklärt.‹‹

Mafia Band 1: Thriller

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