Читать книгу Verfassungs- und Verwaltungsrecht für die Soziale Arbeit - Sabahat Gürbüz - Страница 9

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2 Gesellschaftliche Grundprinzipien nach dem deutschen Rechtssystem (Staatsprinzipien)

Die Grundlagen des Zusammenlebens sind in der Verfassung eines Staates geregelt. Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland heißt Grundgesetz (GG).

Grundgesetz

Das Grundgesetz verankert Grundrechte der Bürger (z. B. Meinungsfreiheit), legt Staatsprinzipien fest (z. B. Demokratie), beschreibt die Staatsgewalten und ihr Verhältnis zueinander (Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung), regelt Bestellung, Aufgabe und Funktionsweise wichtiger Staatsorgane, einschließlich der Teilhabe der Bürger (z. B. Bundestag, Bundesregierung, Bundespräsident) und beschreibt das Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern. Die Ausgestaltung und Konkretisierung des Verfassungsrechts erfolgen u. a. durch Gesetze, Verordnungen und weitere abstrakt-generelle Regelungen. Diese und ihre Anwendung müssen daher mit der Verfassung vereinbar sein. Die wesentlichen Strukturmerkmale der Bundesrepublik Deutschland und die grundlegenden politischen Wertentscheidungen des Zusammenlebens in Deutschland finden ihren Ausdruck in bestimmten Staatsprinzipien (Katz 2010).

Staatsprinzipien

Die wesentlichen Staatsprinzipien sind in Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verankert:


Art. 20 Abs. 1 GG

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“

Die Struktur der Länder muss dieser Vorgabe entsprechen (Art. 28 GG). Daraus ergeben sich die nachfolgend beschriebenen Einzelmerkmale oder eben Staatsprinzipien.

2.1 Bundesstaat (Art. 20 Abs. 1, 28, 30, 31, 70 GG) (Föderalismus)

Der Begriff Bundesrepublik beschreibt einen föderalen Staat, der aus einem Gesamtstaat (Bund) und 16 Gliedstaaten (Länder) besteht (Schmidt 2015a).

Bund und Länder

Das Wesensmerkmal der bundesstaatlichen Ordnung liegt darin, dass sowohl der Bund als auch die Länder eigene Staatsgewalten für ihren Zuständigkeitsbereich besitzen und damit u. a. Gesetze erlassen können (Katz 2010; Ipsen 2014a). Man spricht dann von Bundes- beziehungsweise Landesrecht. Die Ausübung staatlicher Befugnisse und die Erfüllung staatlicher Aufgaben sind grundsätzlich Sache der Länder (Art. 30 GG). Auch das Recht der Gesetzgebung haben grundsätzlich die Länder (Art. 70 GG) (Ipsen 2014a). Ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes, die notwendigerweise einheitlich zu regeln sind, sind z. B. die Staatsangehörigkeitsrecht, das Waffen- und Sprengstoffrecht oder die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken (Art. 73 GG).

Das Grundgesetz geht also von einer starken Position der Länder aus (Katz 2010; Badura 2015).

2.1.1 Selbstverwaltungsgarantie der Länder

Länderhoheiten

Die Absicherung dieser starken Stellung der Länder erfolgt durch die Garantie bestimmter Hoheiten:

Gebietshoheit: Die Befugnis, Anordnungen gegenüber allen in einem Gebiet befindlichen Personen und Sachen zu treffen.

Organisationshoheit: Die Befugnis eines Verwaltungsträgers zur Bildung, Einrichtung und Aufhebung von Organen, zur Festlegung ihrer inneren Ordnung sowie ihrer personellen und sachlichen Ausstattung.

Personalhoheit: Das Recht auf freie Auswahl, Anstellung, Beförderung und Entlassung von Mitarbeitern, allerdings durch arbeits- und beamtenrechtliche Gesetze eingeschränkt (Badura 2015).

Finanzhoheit: Die Kompetenz zur Gestaltung der eigenen Finanzwirtschaft (z. B. Steuern).

Planungshoheit: Das Recht gemäß Art. 28 Abs. 2 GG, in eigener Verantwortung die städtebauliche Entwicklung durch Bauleitpläne (Flächennutzungspläne, Bebauungspläne) zu ordnen.

Rechtsetzungshoheit im eigenen Wirkungskreis: Das Recht zur Regelung aller örtlichen Angelegenheiten, die nicht kraft Gesetzes anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind.

2.1.2 Verwirklichung der Selbstverwaltung der Länder

Rechte der Gemeinden

Zur Verwirklichung der Selbstverwaltung haben die Gemeinden das Recht, Satzungen (= eigene Rechtsnormen) zur Regelung ihrer Angelegenheiten zu erlassen. Die gemeindliche Selbstverwaltung wird daneben durch folgende Rechte gewährleistet:

das Recht der Gemeinden, einen Anteil am Steueraufkommen zu erhalten (Art. 106 Abs. 58 GG),

das Recht der Gemeinden zur Einrichtung einer Volksvertretung (Art. 28 Abs. 1 GG) und

das Recht der Gemeinden zur Erhebung einer Kommunalverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG).

2.1.3 Aufgaben der Gemeinden

Gemeinden nehmen eigene Aufgaben wahr, aber auch solche, die eigentlich dem Bund oder Land zugewiesen sind. Eine Konsequenz der Selbstständigkeit der Länder ist es, dass es in den Bundesländern unterschiedliche Organisationsstrukturen bei der Aufgabenwahrnehmung gibt, denen verschiedene Aufgabentypen entsprechen (Badura 2015). Im Ergebnis muss daher bei inhaltlich identischer Aufgabenstellung in jedem Bundesland zunächst geprüft werden, ob und welche Besonderheiten bei der Aufgabenerfüllung gelten. Dies macht es für den Anwender erforderlich, sich mit den Regelungen des jeweiligen Landes vertraut zu machen und nicht voreilig von der Rechtslage des einen Bundeslandes auf die eines anderen zu schließen. Grundsätzlich kann dabei danach unterschieden werden, ob es sich um eine Selbstverwaltungsaufgabe oder um eine Auftragsangelegenheit bzw. Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung handelt.

Selbstverwaltung der Aufgaben

Bei der Selbstverwaltungsaufgabe nimmt die Kommune eine eigene Aufgabe wahr, bei der sie selbst entscheidet, ob, wann und wie sie sie erfüllt. Es handelt sich dann um eine freiwillige Selbstverwaltungsaufgabe (z. B. Errichtung von Schwimmbädern, Museen, Wirtschafts- und Wohnungsbauförderung). Ist die Gemeinde zur Erfüllung kraft Gesetzes verpflichtet (ob) und kann sie daher nur über das Wann und Wie entscheiden, spricht man von einer pflichtigen Selbstverwaltungsaufgabe (z. B. Katastrophenschutz, Errichtung von Kindergärten).

übernommene Aufgaben

Ob eine Auftragsangelegenheit oder eine Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung vorliegt, richtet sich nach der Organisationsstruktur der Aufgabenzuordnung in dem jeweiligen Bundesland. In einigen Bundesländern sind diese Aufgaben nach dem Landesrecht dem Staat zugeordnet, der sich zu ihrer Erfüllung lediglich der Kommune bedient. Man spricht von einer Auftragsangelegenheit (Kommune im Auftrag des Staates). In anderen Bundesländern ist die Aufgabe nach dem Landesrecht der Kommune als eigene zugewiesen. Sie heißt dann Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung (Erfüllung einer eigenen Aufgabe der Kommune). Die Kommunen unterliegen jeweils den Weisungen (wann und wie) des Staates (z. B. Flüchtlingsgesetz).

2.1.4 Verhältnis Bund/Länder

Bundesrepublik

Die Selbstverwaltung der Kommunen ist Ergebnis und konsequente Umsetzung der von der Verfassung vorgegebenen Struktur des Staates. Deutschland ist eine Bundesrepublik (Badura 2015; Wabnitz 2014), d. h., der Bund darf nur staatliche Befugnisse übernehmen, Aufgaben erfüllen oder Gesetze erlassen, wenn dies das Grundgesetz ausdrücklich zulässt (Badura 2015). Ansonsten liegt die Zuständigkeit bei den Ländern und deren Kommunen.

2.2 Demokratie (Art. 20 Abs. 1 und 2, 28 GG)

Das Demokratieprinzip (Katz 2010) ist als tragende Säule des gesellschaftlichen Zusammenlebens im Grundgesetz selbst definiert (siehe zum Begriff auch Schmidt, 2015a; Wabnitz 2014):


Art. 20 Abs. 2 GG

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

Volk und Staatsgewalt

Das Volk ist der Träger der Staatsgewalt. Es übt die Staatsgewalt mittels von ihm gewählter Repräsentanten aus (Bethge/von Coelln 2011; Badura 2015). Dabei gilt das Mehrheitsprinzip.

Alles staatliche Handeln muss durch das Volk legitimiert sein, insbesondere muss es sich auf Gesetze zurückführen lassen. Ein wesentliches Mitwirkungsrecht ist daher die regelmäßige Wahl der Gesetzgebungsorgane auf Bundes- und Landes- sowie auch auf kommunaler Ebene. Damit verbunden, wenn auch nur mittelbar über die Stimmverhältnisse im Bundestag bzw. Landtag, ist der Einfluss auf die Bildung der Regierung als Exekutive. Die Regierungsmehrheit beruht auf der Anzahl der Abgeordneten der eigenen Fraktion im Parlament und damit auf dem Abstimmungsverhalten des Volkes bei den Wahlen zur Legislative. Die dritte Staatsgewalt, die Rechtsprechung, verkündet ihre Urteile schließlich im Namen des Volkes.

Mehrheitsprinzip und Minderheiten

Wer Strukturen und Regelungen ändern will, muss überzeugen und braucht demokratische Mehrheiten. Ein Diktat eines Einzelnen oder einer Minderheit ist nicht gewünscht und ausgeschlossen. Umgekehrt benötigt die Minderheit Schutz vor der Mehrheit, denn auch die Minderheit soll gehört werden und muss die Möglichkeit haben, sich zu entfalten. Denn nur so hat wirklich das gesamte Volk ein Mitspracherecht, das notwendig ist, damit Demokratie lebendig bleibt (Bethge/von Coelln 2011; Badura 2015; zum Begriff: Schmidt 2015a).

2.3 Sozialstaat (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG)

Deutschland ist ein Sozialstaat. Das Grundgesetz legt dies als Staatszielbestimmung fest (Bethge/von Coelln 2011).

Zielsetzung

Der Sozialstaat ist darauf gerichtet, soziale Sicherheit und Gerechtigkeit herzustellen und zu erhalten. Der Staat ist mitverantwortlich für den Ausgleich sozialer Unterschiede zwischen den Bürgern und verpflichtet, in sozialen Notlagen Hilfe zu leisten (Katz 2010). Gemeint ist damit allerdings keine entwürdigende Totalversorgung, sondern Hilfe zur Selbsthilfe (Katz 2010; Badura 2015).

Soziale Sicherheit und soziale Gerechtigkeit (hierzu ausführlicher: Degenhart 2014) sind also nicht nur politische Schlagworte. Sie sind zentrale Vorgaben des Grundgesetzes. Was dies im Einzelnen bedeutet, ergibt sich aus der Auslegung des Grundgesetzes. Zuständig dafür ist das Bundesverfassungsgericht (Ipsen 2014a). Will man also den Inhalt des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzips näher erfassen, ist es notwendig, die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinzuzuziehen.

2.3.1 Grundprinzipien der sozialen Sicherung nach dem Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat bestimmte Prinzipien des Sozialstaats herausgearbeitet, die die Vorgaben des Grundgesetzes näher ausgestalten (Ipsen 2014a; Wabnitz 2014).

Ziele des Sozialstaates

Der Sozialstaat verfolgt die Ziele des Ausgleichs sozialer Gegensätze und die Schaffung einer gerechten Sozialordnung. Er begründet das Gebot der sozialen Gerechtigkeit und Chancengleichheit.


Entscheidung „Ausgleich der Sozialen Gegensätze“ (BVerfGE 22, 180, Urteil vom 18.07.1967):

„Wenn Art. 20 Abs. 1 GG ausspricht, daß die Bundesrepublik ein sozialer Bundesstaat ist, so folgt daraus nur, daß der Staat die Pflicht hat, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen; dieses Ziel wird er in erster Linie im Wege der Gesetzgebung zu erreichen suchen.“

Entscheidung „Verbot der KPD“ (BVerfGE 5, 85, Urteil vom 17.08.1956):

„Eine Partei ist nicht schon dann verfassungswidrig, wenn sie die obersten Prinzipien einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. BVerfGE 2, 1 [12 f.]) nicht anerkennt; es muß vielmehr eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen. Eine Partei ist schon dann verfassungswidrig, wenn sie eine andere soziale und politische Ausprägung der freiheitlichen Demokratie als die heutige in der Bundesrepublik deshalb erstrebt, um sie als Durchgangsstadium zur leichteren Beseitigung jeder freiheitlichen demokratischen Grundordnung überhaupt zu benutzen, mag diese Beseitigung auch erst im Zusammenhang mit oder nach der Wiedervereinigung stattfinden sollen.“

Entscheidung „Numerus Clausus Entscheidung“ (BVerfGE 33, 303, Urteil vom 03.05.1972):

Anm. d. Autorin: Das BVerfG stellte zunächst fest, dass aus dem Sozialstaatsprinzip kein Anspruch auf eine Ausbildungsstätte erwächst. Wenn der Staat aber Ausbildungseinrichtungen schafft, dann hat jeder einen Anspruch auf chancengleiche Zulassung. Dies folge aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) i. V. m. dem Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) und dem Sozialstaatsprinzip.

Aus den Gründen: „Aus dem in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Recht auf freie Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip folgt ein Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium. Dieses Recht ist durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes einschränkbar. Absolute Zulassungsbeschränkungen für Studienanfänger einer bestimmten Fachrichtung sind nur verfassungsmäßig, a) wenn sie in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten angeordnet werden und b) wenn die Auswahl und Verteilung der Bewerber nach sachgerechten Kriterien mit einer Chance für jeden an sich hochschulreifen Bewerber und unter möglichster Berücksichtigung der individuellen Wahl des Ausbildungsortes erfolgen.“

Das Sozialstaatsprinzip gebietet eine gleichmäßige Verteilung der öffentlichen Lasten (Lastenausgleichsgebot).


Entscheidung „Entschädigung von Kriegsfolgeschäden“ (BVerfGE 27, 253, Beschluss vom 03.12.1969):

„Ergibt sich aus der dargestellten katastrophalen Situation nach dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches schon allgemein, daß dem Gesetzgeber für die Regelung der Kriegs- und Kriegsfolgelasten ein sehr weites Gestaltungsermessen zugestanden werden muß (vgl. BVerfGE 15, 167 [201]; 23, 153 [168]), so gilt dies auch für die Ausgestaltung der in den Teilregelungen gewährten Ausgleichsoder Entschädigungsansprüche nach ihrer Art und Höhe. Der Krieg und seine Folgen haben in Millionen verschiedenartiger Fälle zu materiellen und immateriellen Schäden geführt. Es ist nicht möglich, für diesen Gesamtbereich gesetzliche Regelungen zu finden, die im Ergebnis jeden Bürger gleichstellen und Schicksalsschläge in jedem Einzelfall gerecht ausgleichen. Vielmehr muß es genügen, wenn die gesetzliche Regelung in großen Zügen dem Gerechtigkeitsgebot entspricht. Namentlich durfte sich der Gesetzgeber angesichts des Ausmaßes des ,Staatsbankrotts‘ (Herv. i. Orig.) beim Ausgleich von Schäden an Eigentum oder Vermögen darauf beschränken, gewisse äußerste Folgen auszugleichen, um die unbedingt erforderliche Grundlage für die wirtschaftliche Existenz der Betroffenen zu gewährleisten oder wiederherzustellen, er durfte also sozialen Erwägungen den Vorrang geben.“

Das Sozialstaatsprinzip fordert die Sicherung des Existenzminimums.


Entscheidung „Einkommensbesteuerung“ (BVerfGE 82, 60, Beschluss vom 29.05.1990):

„Bei der Einkommensbesteuerung muß ein Betrag in Höhe des Existenzminimums der Familie steuerfrei bleiben; nur das darüber hinausgehende Einkommen darf der Besteuerung unterworfen werden.“

Das Sozialstaatsprinzip fordert eine Hilfestellung für Menschen mit materiellen, gesundheitlichen oder psychologischen Problemen (vgl. BVerfG, NJW 1977, 1489). Amtsinhaber sind (daher) nicht nur Vollstrecker staatlichen Willens und nicht nur Diener des Staates, sondern auch Helfer des Bürgers (vgl. BVerfG, NJW 1965, 1227).


Entscheidung „Der Soldatenmord von Lebach – Resozialisierungsentscheidung“ (BVerfGE 35, 202, Urteil vom 06.06.1973):

Anm. d. Autorin: Ein wegen Mordes verurteilter Straftäter, dessen Tat in der Öffentlichkeit erhebliches Aufsehen erregt hatte, klagte kurz vor seiner Entlassung gegen eine Fernsehanstalt, die einen Spielfilm über seine Verbrechen ausstrahlen wollte. Das BVerfG untersagte die Ausstrahlung, weil dadurch der Resozialisierungsanspruch des Strafgefangenen verletzt werde. Der Resozialisierungsanspruch folge aus dem Grundsatz der Menschenwürde und dem Sozialstaatsprinzip. Aus dem Sozialstaatsprinzip folge die Pflicht zur Vor- und Fürsorge für Personen, die in ihrer sozialen Entfaltung behindert seien, auch wenn dies auf persönlicher Schuld beruhe. Zu diesen Personen gehörten auch Strafgefangene und -entlassene.

Leitsätze u. a.: „Für die aktuelle Berichterstattung über schwere Straftaten verdient das Informationsinteresse der Öffentlichkeit im allgemeinen den Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz des Straftäters. Jedoch ist neben der Rücksicht auf den unantastbaren innersten Lebensbereich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten; danach ist eine Namensnennung, Abbildung oder sonstige Identifikation des Täters nicht immer zulässig. Der verfassungsrechtliche Schutz der Persönlichkeit läßt es jedoch nicht zu, daß das Fernsehen sich über die aktuelle Berichterstattung hinaus etwa in Form eines Dokumentarspiels zeitlich unbeschränkt mit der Person eines Straftäters und seiner Privatsphäre befaßt. Eine spätere Berichterstattung ist jedenfalls unzulässig, wenn sie geeignet ist, gegenüber der aktuellen Information eine erheblich neue oder zusätzliche Beeinträchtigung des Täters zu bewirken, insbesondere seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft (Resozialisierung) zu gefährden. Eine Gefährdung der Resozialisierung ist regelmäßig anzunehmen, wenn eine den Täter identifizierende Sendung über eine schwere Straftat nach seiner Entlassung oder in zeitlicher Nähe zu der bevorstehenden Entlassung ausgestrahlt wird.“

Entscheidung „Pflichtarbeit beim Strafvollzug“ (BVerfG, Urteil vom 01.07.1998, 2 BvR 441/90):

Leitsätze u. a.: „Das Grundgesetz verpflichtet den Gesetzgeber, ein wirksames Konzept der Resozialisierung zu entwickeln und den Strafvollzug darauf aufzubauen. Dabei ist ihm ein weiter Gestaltungsraum eröffnet. Arbeit im Strafvollzug, die dem Gefangenen als Pflichtarbeit zugewiesen wird, ist nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung findet. Diese Anerkennung muß nicht notwendig finanzieller Art sein. Sie muß aber geeignet sein, dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortetes und straffreies Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen zu führen. Ein gesetzliches Konzept der Resozialisierung durch Pflichtarbeit, die nur oder hauptsächlich finanziell entgolten wird, kann zur verfassungsrechtlich gebotenen Resozialisierung nur beitragen, wenn dem Gefangenen durch die Höhe des ihm zukommenden Entgelts in einem Mindestmaß bewußt gemacht werden kann, daß Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll ist. Art. 12 Abs. 3 GG beschränkt die zulässige Zwangsarbeit auf Einrichtungen oder Verrichtungen, bei denen die Vollzugsbehörden die öffentlich-rechtliche Verantwortung für die ihnen anvertrauten Gefangenen behalten.“

2.3.2 Kernprinzipien der Umsetzung der sozialen Sicherung

Umsetzung durch den Staat durch Prinzipien

Somit verpflichtet das Grundgesetz den Staat zur Herstellung und zum Erhalt sozialer Sicherheit (soziale Sicherung). Die Umsetzung der sozialen Sicherung durch den Staat folgt wiederum bestimmten Prinzipien:

Vorsorge/Versicherungsprinzip: Die Verwirklichung eines Risikos wird durch die Verteilung der Folgen auf die Gesellschaft für den Einzelnen beherrschbar, z. B. gesetzliche Krankenversicherung (SGB V), gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI), soziale Pflegeversicherung (SGB XI) oder Arbeitsförderung (SGB III).

Versorgungsprinzip/Entschädigung: Für Sonderopfer erfolgt ein voller Ausgleich (kein bloßer Gegenwert von Beitragszahlungen), wenn besondere Leistungen, insbesondere für den Staat erbracht wurden, z. B. Beamte (Treupflicht), Opferentschädigungsgesetz, Kriegsopferentschädigungsgesetz.

Förderungsprinzip: Soziale Ungleichheiten und Gegensätze werden ausgeglichen. Dies ist eine Folge des Gebots der sozialen Gerechtigkeit und Chancengleichheit, z. B. Wohngeld, Ausbildungsförderung, Kindergeld.

Hilfsprinzip: Bei Bedürftigkeit werden öffentliche Sach- oder/und Geldleistungen unabhängig davon gewährt, ob Beiträge gezahlt wurden oder nicht, z. B. Recht der Jugendhilfe, Sozialhilfe.

2.4 Rechtsstaat (Art. 20 Abs. 3 GG)

Deutschland ist ein Rechtsstaat (Maurer 2014). Art. 20 Abs. 3 GG beschreibt das Rechtsstaatsprinzip:


Art. 20 Abs. 3 GG

„Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.“

Alles staatliche Handeln ist danach an Gesetz und Recht gebunden. Struktur und Zuständigkeit folgen diesem Grundsatz (Katz 2010).

2.4.1 Materieller und formeller Rechtsstaat

Rechtsstaatsbegriffe

Man unterscheidet zwischen materiellem und formellem Rechtsstaatsbegriff. Der materielle Rechtsstaatsbegriff beschreibt einen Staat, dessen Ziel die Freiheit und Gerechtigkeit im staatlichen bzw. staatlich beeinflussbaren Bereich ist. Demgegenüber meint der formelle Rechtsstaatsbegriff, dass die Machtausübung des Staates durch Gesetz und Recht geregelt und begrenzt ist (Maurer 2014).

2.4.2 Wichtige Einzelausprägungen des Rechtsstaatsprinzips

Der Rechtsstaat basiert auf verschiedenen Grundsätzen, deren wichtigste nachfolgend genannt seien:

Verteilung der Macht im Staat: Der Grundsatz der Gewaltenteilung regelt die Verteilung der Macht im Staat (Degenhart 2014) und bildet damit das tragende Organisationsprinzip des Rechtsstaates der Neuzeit für die Ausübung der Macht im Inneren (Bethge/von Coelln 2011; Badura 2015).

Art. 20 Abs. 2 GG beinhaltet die Prinzipien der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung:


Art. 20 Abs. 2 GG

„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“

einzelne Gewalten

Danach sind drei Gewalten zu unterscheiden, die untereinander weisungsunabhängig sind (Maurer 2014; Schmidt 2015a):

gesetzgebende Gewalt (Legislative): Organe, die Gesetze verabschieden können, wie zum Beispiel der Bundestag (zum Teil im Zusammenwirken mit dem Bundesrat als Ländervertretung) und die Landtage,

vollziehende Gewalt (Exekutive): verwaltende Organe, wie zum Beispiel Bundesregierung, die Ministerien, die Bundesverwaltung und damit alle Bundesanstalten, aber auch Landesregierungen, Landes-, Kreis- und Gemeindeverwaltungen und

rechtsprechende Gewalt (Judikative) (ausführlich dazu Badura 2015): Gerichte, insbesondere die obersten Gerichte mit ihren Unterbauten (Instanzenzug), wie zum Beispiel:

Gerichtsinstanzen

Bundesverfassungsgericht (Bundesebene), Verfassungsgerichtshöfe der Länder (Länderebene),

Bundesgerichtshof, Oberlandesgerichte, Landgerichte, Amtsgerichte (Zivil- und Strafrecht = sog. ordentliche Gerichte),

Bundessozialgericht, Landessozialgerichte, Sozialgerichte,

Bundesverwaltungsgericht, Verwaltungsgerichtshöfe/Oberverwaltungsgerichte, Verwaltungs gericht sowie

Bundesarbeitsgericht, Landesarbeitsgerichte, Arbeitsgerichte.

Bindung an Recht und Gesetz: Alle staatlichen Maßnahmen müssen mit dem höherrangigen Gesetz vereinbar sein. Die öffentliche Verwaltung darf bei ihrem Handeln nicht gegen geltendes Recht, insbesondere gegen die Verfassung und die Gesetze verstoßen (Ipsen 2014a). Funktion und Rolle des Gesetzes kommen in zwei wichtigen Grundsätzen zum Ausdruck, die für den Rechtsstaat prägend sind (Badura 2015):

Vorrang/Vorbehalt des Gesetzes

Gesetzesvorrang: Kein Handeln gegen Gesetz! Das Handeln aller drei Staatsgewalten (Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung) ist an das vorrangige Recht gebunden (Degenhart 2014; Schmidt 2015a).

Gesetzesvorbehalt (Art. 103 Abs. 2 GG): Kein Handeln ohne Gesetz (Maurer 2014). Die Ausübung von staatlicher Macht (Zwang) darf nur auf Grundlage eines Gesetzes erfolgen (Degenhart 2014).

Berechenbarkeit staatlichen Handelns: Der Rechtsstaat fordert Rechtssicherheit und Vertrauensschutz für die BürgerInnen (Maurer 2014). Er muss berechenbar sein und darf nicht willkürlich handeln. Die Adressaten von Normen oder staatlichen Vorgaben müssen die Rechtslage erkennen und sich auf sie verlassen können. Um dies zu erreichen, haben sich Prinzipien herausgebildet, die bei der Anwendung des Rechts zu beachten sind:

Maßstäbe staatlichen Handelns

Bestimmtheitsgebot: BürgerInnen müssen die Rechtslage klar erkennen können und die ausführende Gewalt muss daraus Handlungsmaßstäbe herleiten und diese steuern und begrenzen (Manssen 2015). So müssen z. B. Verwaltungsakte gem. § 33 Abs. 1 SGB X inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das Erfordernis der Bestimmtheit dient vor allem der Rechtsklarheit und -sicherheit (Schmidt 2015a). Betroffene müssen klar, vollständig und eindeutig wissen, was von ihnen verlangt wird (welche Behörde, wer, von wem, was, wann, woraus = Rechtsgrundlage).

Rückwirkungsverbot: Für belastende Maßnahmen des Staates, insbesondere belastende Gesetze und Verwaltungsakte, gilt ein Rückwirkungsverbot (Degenhart 2014), weil der Bürger sich auch zeitlich auf die Regelungen einrichten können muss. Eine solche Rückwirkung liegt vor, wenn eine Regelung in einen Sachverhalt eingreift, der bereits begonnen hat und entweder noch andauert (unechte Rückwirkung) oder schon abgeschlossen ist (echte Rückwirkung) (Bethge/von Coelln 2011). Nur zwingende Gründe des Gemeinwohls oder ein nicht mehr vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen können eine Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot der Rückwirkung von Regelungen rechtfertigen (Katz 2010; Schmidt 2015a). An einem schutzwürdigen Vertrauen kann es u. a. dann fehlen, wenn

der Betroffene zu dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolgen des Gesetzes bezogen wird, mit der Regelung rechnen musste,

das geltende Recht unklar und verworren ist,

eine nichtige Vorschrift durch eine gültige ersetzt wird,

die Änderung eine Besserstellung des Betroffenen herbeiführt.

Bedeutung

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stellt eine der wichtigsten Handlungsmaximen für die Verwaltung dar (Maurer 2014). Maßnahmen dürfen nur getroffen, Handlungen nur gefordert werden etc., wenn dies verhältnismäßig ist (Degenhart 2014). Jedes staatliche Handeln muss danach im Hinblick auf den bei der Anordnung verfolgten gesetzlichen Zweck (legitimer Zweck) erfolgsversprechend sein (Eignung). Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Erreichung des verfolgten Zwecks erforderlich sein; das ist nicht der Fall, wenn andere, weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen (Erforderlichkeit). Schließlich muss der jeweilige Eingriff in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen (Manssen 2015; Badura 2015; Reinhardt 2014; vgl. zum Strafrecht BVerfGE 96, 44, 51).

Prüfungsschritte

Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit erfolgt in vier Schritten (Schmidt 2015a):

1 Legitimer Zweck: Der vom Gesetzgeber verfolgte Zweck darf nicht rechtswidrig sein.

2 Geeignetheit: Geeignet ist die staatliche Maßnahme, wenn mit ihrer Hilfe der angestrebte Zweck zumindest gefördert werden kann.

3 Erforderlichkeit: Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn der Staat zu keinem anderen Mittel greifen könnte, das bei gleicher Effektivität weniger belastend wirkt.

4 Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit i. e. S.): Die staatliche Maßnahme ist angemessen, wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.

Inhalt

Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 GG: BürgerInnen sind nicht Untertanen, d. h., der Rechtsweg steht bei allen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt offen (Ipsen 2014a). Dies umfasst Rechtsschutz innerhalb angemessener Fristen, einstweiligen Rechtsschutz, die Gewährleistung vollständiger rechtlicher u. tatsächlicher Prüfung und insbesondere

das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 GG),

den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) und

das Verbot der Mehrfachbestrafung (Art. 103 Abs. 3 GG).

weitere Grundsätze

Aus dem Rechtsstaatsprinzip werden weitere Grundsätze für den effektiven Rechtsschutz und insbesondere auch den Schutz vor ungerechtfertigter Verfolgung hergeleitet:

Keine Strafe ohne Schuld/Gesetz (lat.: nulla poena sine culpa/lege),

Unschuldsvermutung bis zur Verurteilung,

Verbot überlanger Strafverfahren und

Recht auf ein faires Verfahren.

Abbildung 1 zeigt die Staatsprinzipien als Übersicht. In Abbildung 2 sind die Einzelausprägungen des Rechtsstaatsprinzips zusammengefasst.


Abb. 1: Staatsprinzipien der Bundesrepublik


Abb. 2: Normenhierarchie

2.5 Vertiefungen zum Thema Rechtsstaat

In den folgenden Kapiteln befinden sich drei Vertiefungen. Sie sollen das Verständnis des Staates, seiner Struktur und Grundidee erleichtern und ein Gefühl und eine Orientierung für das Verhältnis von Staat und Gesellschaft und die Teilhabe der Bürger vermitteln. Wesentliche Grundlage des Rechtsstaats ist eine funktionierende und effektive Gerichtsbarkeit zur Absicherung und Durchsetzung bestehender Rechte, damit befasst sich Vertiefung 1 mit einem Blick auf die Sozial- und die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Wie anzuwendende Regeln (Gesetze) überhaupt entstehen, zeigt am Beispiel des Bundesrechts Vertiefung 2. In Vertiefung 3 schließlich werden die im Grundgesetz normierten Organe (Bestellung, Aufgabe, Befugnisse) als Grundlage und Beispiel des Zusammenwirkens von Bürgerbeteiligung und Macht skizziert. Die angegebenen Normen ermöglichen jeweils eine Vertiefung der angesprochenen Themen.

2.5.1 Vertiefung 1: Allgemeiner Rechtsschutz, Gerichtsaufbau

Sozialgerichtlicher Rechtschutz (SGG): Der Zugang zu Gerichten ist als Ausdruck des Rechtsstaats im Grundgesetz abgesichert (Art. 20 Abs. 2 S. 2, 92, 95 Abs. 1, 97 Abs. 1 GG).

Sozialgerichtsbarkeit

Zuständigkeit der Sozialgerichte: Die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit (Reinhardt 2014) regelt § 51 Sozialgerichtsgesetz (SGG).


§ 51 Abs. 1, 2 und 3 SGG

„(1) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten

1. in Angelegenheiten der gesetzlichen Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte,

2. in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung und der privaten Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch), auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden; dies gilt nicht für Streitigkeiten in Angelegenheiten nach § 110 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch aufgrund einer Kündigung von Versorgungsverträgen, die für Hochschulkliniken oder Plankrankenhäuser (§ 108 Nr. 1 und 2 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch) gelten,

3. in Angelegenheiten der gesetzlichen Unfallversicherung mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der Überwachung der Maßnahmen zur Prävention durch die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung,

4. in Angelegenheiten der Arbeitsförderung einschließlich der übrigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit,

4a. in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende,

5. in sonstigen Angelegenheiten der Sozialversicherung,

6. in Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts mit Ausnahme der Streitigkeiten aufgrund der §§ 25 bis 27j des Bundesversorgungsgesetzes (Kriegsopferfürsorge), auch soweit andere Gesetze die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften vorsehen,

6a. in Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes,

7. bei der Feststellung von Behinderungen und ihrem Grad sowie weiterer gesundheitlicher Merkmale, ferner der Ausstellung, Verlängerung, Berichtigung und Einziehung von Ausweisen nach § 69 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch,

8. die aufgrund des Aufwendungsausgleichsgesetzes entstehen,

9. (weggefallen)

10. für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet wird.

(2) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. Satz 1 gilt für die soziale Pflegeversicherung und die private Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetzbuch) entsprechend.

(3) Von der Zuständigkeit der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach den Absätzen 1 und 2 ausgenommen sind Streitigkeiten in Verfahren nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die Rechtsbeziehungen nach § 69 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen.“

Eine Rechtswegeröffnung i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 10 SGG enthält z. B. § 15 BKGG (Bundeskindergeldgesetz) oder § 13 BEEG (Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit).

Instanzen

Sozialgerichtlicher Instanzenzug: Die Sozialgerichtsbarkeit ist dreistufig ausgestaltet (drei Instanzen). Daneben gibt es die Möglichkeit der Beschwerde und der Anhörungsrüge:

Erste Instanz (Sozialgericht): Sozialgerichte (SG)entscheiden (soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist) im ersten Rechtszug über alle Streitigkeiten, für die der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesen ist (§ 8 SGG). Örtlich zuständig ist das Sozialgericht am Wohnsitz des Klägers (§ 57 SGG). Dabei sind Klagefristen zu beachten. Die Fristen für ein Rechtsmittel beginnen jedoch nur bei zutreffender Rechtsbehelfsbelehrung zu laufen (§ 66 Abs. 1 SGG). Bei unterbliebener oder unrichtiger Belehrung verlängert sich die jeweilige Frist auf ein Jahr (§ 66 Abs. 2 SGG). Bei unverschuldeter Fristversäumung kommt unter den Voraussetzungen des § 67 SGG eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht mit der Folge, dass die Klage trotz Verspätung ausnahmsweise doch noch zulässig ist.

Berufung (Landesssozialgericht): Landessozialgerichte (LSG)entscheiden im zweiten Rechtszug über die Berufungen gegen Urteile und über Beschwerden gegen andere Entscheidungen der Sozialgerichte (§ 29 SGG). Gegen die Urteile der Sozialgerichte ist die Berufung statthaft, soweit die Beschwerdesumme erreicht oder aber das Rechtsmittel ausdrücklich vom Gericht zugelassen wird (vgl. §§ 143, 144 SGG). Die Einlegung der Berufung erfolgt schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle beim Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils. Die Einlegung beim Sozialgericht genügt allerdings zur Fristwahrung (§ 151 SGG). Das LSG ist eine volle Tatsacheninstanz, das heißt, es wird nicht nur die Rechtsfrage und Rechtsanwendung durch das Sozialgericht geprüft, sondern auch der Sachverhalt ggf. neu festgestellt z. B. auch mittels einer neuen Beweisaufnahme.

Revision (Bundessozialgericht): Das Bundessozialgericht (BSG)mit Sitz in Kassel (§ 38 Abs. 1 SGG) entscheidet über das Rechtsmittel der Revision sowie im ersten und letzten Rechtszug über Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zwischen dem Bund und den Ländern sowie zwischen den Ländern (§ 39 SGG). Voraussetzung ist, dass die Revision von dem Gericht, dessen Entscheidung überprüft werden soll, ausdrücklich zugelassen worden ist (vgl. § 160 SGG). Ausnahmsweise ist auch eine sog. Sprungrevision gegen Urteile des Sozialgerichts, also ohne Berufung vor dem Landessozialgericht, statthaft, jedoch u. a. nur, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder das Urteil des Sozialgerichts von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Die Sprungrevision muss vom Sozialgericht im Urteil oder auf Antrag durch Beschluss zugelassen worden sein und der Gegner muss zugestimmt haben (vgl. § 161 SGG). Die Revision muss schriftlich beim BSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision eingelegt werden (§ 164 Abs. 1 S. 1 SGG). Sie ist grundsätzlich eine reine Rechtsinstanz (vgl. § 162, 163 SGG).

Beschwerde: Gegen Entscheidungen der Sozialgerichte, bei denen es sich nicht um Urteile handelt, und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden der Sozialgerichte ist die Beschwerde statthaft (§ 172 Abs. 1 SGG).Sie ist schriftlich innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 173 SGG) einzulegen. Über die Beschwerde entscheidet das LSG durch Beschluss (§ 176 SGG). Eine (weitere) Beschwerde gegen Entscheidungen des LSG ist nicht zulässig (§ 177 SGG).

Anhörungsrüge gem. § 178a SGG: Einen Sonderfall bildet die Anhörungsrüge. Sie ist statthaft, wenn kein Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelf mehr gegeben sind und der Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist (§ 178a Abs. 1 SGG). Sie ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs schriftlich oder zur Niederschrift bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird (§ 178a Abs. 2 SGG). Ist die Rüge begründet, wird das Verfahren fortgeführt und in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden konnten. (§ 178a Abs. 5 SGG).

Verwaltungsrechtsweg

Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz (§ 40 Abs. 1 VwGO): Der Verwaltungsrechtsweg vor die Verwaltungsgerichte ist gemäß § 40 VwGO eröffnet, wenn es sich um eine Streitigkeit auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts handelt, die nicht verfassungsrechtlicher Art ist (sonst Verfassungsgerichte der Länder und BVerfG) und für die keine andere Gerichtszuweisung ersichtlich ist (z. B. Sozialgericht). Gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ist somit auch in allen sonstigen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten auf dem Gebiet des Sozialrechts der Verwaltungsrechtsweg gegeben (Hufen 2013), z. B. Ausbildungsförderung, § 54 BAföG (Bundesausbildungsförderungsgesetz), Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfe), Wohngeld gemäß WoGG (Wohngeldgesetz), Kriegsopferfürsorge (§§ 51 Abs. 1 Nr. 6 SGG i. V. m. 25 ff. BVG Gesetz über die Versorgung der Opfer des Krieges – Bundesversorgungsgesetz), Unterhaltsvorschuss gemäß UnterhVG (Unterhaltsvorschussgesetz).

Der Instanzenzug ist ebenfalls dreistufig aufgebaut: Dem Verwaltungsgericht als erster Instanz folgen das Oberverwaltungsgericht in zweiter und schließlich das Bundesverwaltungsgericht als dritte und letzte Instanz.

Widerspruchsverfahren

Vorverfahren (§§ 68 ff. VwGO, §§ 83 ff. SGG): Grundsätzlich ist Klagen gegen Verwaltungsakte ein förmliches verwaltungsinternes Widerspruchsverfahren (§§ 68 ff. VwGO, §§ 83 ff. SGG) vorgeschaltet, bei dem es sich noch nicht um ein Gerichtsverfahren handelt und das von dem eigentlichen Klageverfahren zu unterscheiden ist. Die Durchführung dieses Widerspruchsverfahrens ist dann aber Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage vor dem Sozial- oder Verwaltungsgericht.

2.5.2 Vertiefung 2: Gesetzgebungsverfahren

Grundlage allen staatlichen Handelns sind die Gesetze. Wie sie zustande kommen, zeigt Abbildung 3 am Beispiel des Gesetzgebungsverfahrens auf Bundesebene. Aus ihr wird auch die unterschiedlich starke Einbindung der Länder durch die Mitwirkung des Bundesrats, also der Ländervertretung, deutlich. Wirksam werden Gesetze erst mit ihrer Verkündung.

Gesetzesinitiative, Art. 76 Abs. 1 GG

Initiativrecht der Bundesregierung: Kollegialorgan, bestehend aus Bundeskanzlerin und Bundesministern, Art. 62 GG

Initiativrecht „aus der Mitte des Bundestags“: § 76 GOBT: Fraktion (§ 10 GOBT) oder 5 % der Mitglieder des Bundestags

Initiativrecht des Bundesrats: Mehrheitsbeschluss, Art. 52 Abs. 3 oder Abs. 1 GG


Vorverfahren, Art. 76 Abs. 2, 3 GG

Vorlagen der Bundesregierung, Art. 76 Abs. 2 GG: Vorlage an Bundesrat, Art. 76 Asbs. 2 S. 1 GG; nicht bindende Stellungnahme innerhalb von sechs Wochen, Art. 76 Abs. 2 S. 2 GG; Fristverlängerung, Art. 76 Abs. 2 S. 3 GG; Eilbedürftigkeit, Art. 76 Abs. 2 S. 4 GG

Vorlagen „aus der Mitte des Bundestags“: kein Vorverfahren erforderlich

Vorlagen des Bundesrats, Art. 76 Abs. 3 GG: an Bundesregierung, die den Entwurf innerhalb von sechs Wochen an Bundestag vorlegen muss, Art. 76 Abs. 3 S. 1 GG; Bundesregierung gibt eine eigene Stellungnahme ab, Art. 76 Abs. 3 S. 2 GG


Hauptverfahren, Art. 77 Abs. 1 GG, §§ 78–86 GOBT

Beratung des Entwurfs im Bundestag und in dessen Ausschüssen Ablauf: grundsätzlich Beratung in drei Lesungen, §§ 78–86 GOBT Annahme des Entwurfs durch Beschluss des Bundestages durch Mehrheit der abgegebenen Stimmen, Art. 77 Abs. 1 S. 1, 42 Abs. 2, S. 1 GG (einfache Mehrheit)


Beteiligung des Bundesrates, Art. 77 Abs. 24 GG Bundesrat kann:

• Einspruch einlegen: Gesetz wird verzögert, aber nicht verhindert („aufschiebendes Veto“)

• Zustimmen: nur, wenn im GG ausdrücklich angeordnet (Enumerationsprinzip), z.B. Art. 74 Abs. 2, 84 Abs. 1 S. 6 GG

Verfahren bei Einspruchsgesetzen:

• Bundesrat kann Vermittlungsausschuss anrufen, Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG und Einspruch einlegen, Art. 77 Abs. 3 S. 1 GG

• Bundestag kann den Einspruch durch Beschluss der Mehrheit seiner Mitglieder (absolute Mehrheit, Art. 77 Abs. 4 S. 1, 121 GG) zurückweisen

• bei Vorschlagsänderung durch den Vermittlungsausschuss muss der Bundestag erneut Beschluss fassen, Art. 77 Abs. 2 S. 5 GG

Verfahren bei Zustimmungsgesetzen:

• Bundesrat kann Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangen, Art. 77 Abs. 2 S. 1 GG (für Bundestag und Bundesregierung, Art. 77 Abs. 2 S. 4 GG)

• bei Vorschlagsänderung durch Ausschuss muss Bundestag erneut Beschluss fassen, Art. 77 Abs. 2 S. 5 GG

• wenn keine Anrufung des Vermittlungsausschusses oder dortiges Verfahren erfolglos, muss Bundesrat in angemessener Frist Beschluss über Zustimmung fassen, Art. 77 Abs. 2a GG

• Nichtzustimmung kann nicht durch Bundestag ersetzt werden, Art. 78 GG, Gesetz ist dann endgültig gescheitert


Gegenzeichnung, Ausfertigung und Verkündung, Art. 82 GG

Gegenzeichnung: erfolgt durch Unterschrift des Bundeskanzlers oder/und zuständigen Bundesministers, Art. 58 S. 1 GG, § 29 I GOBReg; Verpflichtung zur Gegenzeichnung mit formellem und materiellem Prüfungsrecht

Ausfertigung: Herstellung der Urschrift durch Unterschrift des Bundespräsidenten auf der Originalurkunde, Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG

Verkündung: Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt durch den Bundesjustizminister, Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG; Voraussetzung für seine Wirksamkeit und damit rechtliche Verbindlichkeit ab Inkrafttreten (zeitlicher Geltungsbereich); Art. 82 Abs. 2 S. 1 GG; im Übrigen gilt Art. 82 Abs. 2 S. 2 GG

Abb. 3: Übersicht über Gesetzgebungsverfahren nach Art. 76 ff. GG (Übersicht)

2.5.3 Vertiefung 3: Die Bundesorgane der BRD

Ein Gemeinwesen wird handlungsfähig, indem es sich verschiedene Organe gibt und diese mit den für das Funktionieren der Gemeinschaft notwendigen Aufgaben, z. B. der Gesetzgebung und Regierung, betraut. Aufgrund der föderalen Struktur der Bundesrepublik bedarf es zudem der Berücksichtigung möglicher Interessen der Länder. Sie erfolgt im Bundesrat. Der oberste Repräsentant der Gemeinschaft, der Bundespräsident, und dessen Stellung und Funktion sind ebenfalls zu bestimmen. Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland kennt daher verschiedene Organe mit unterschiedlichen Zuständigkeiten. Welche dies sind und welche Aufgaben genau sie haben, zeigt Abbildung 4.

Bundestag

• Er ist die höchste Vertretung des Volkes, wird als einziges Organ direkt vom Volk gewählt.

• Seine Aufgaben sind: Gesetzentwürfe beraten, Gesetze beschließen, Bundeskanzler wählen, Regierungskontrolle.


Bundesregierung + Bundeskanzler

• Bundeskanzler und Bundesregierung teilen sich die Macht und kontrollieren sich gegenseitig

Bundeskanzler

• Der Bundeskanzler wird vom Bundestag gewählt und vom Bundespräsidenten ernannt.

• Die Amtszeit oder Wahlperiode beträgt vier Jahre.

• Er ist Vorsitzender der Bundesregierung.

• Er schlägt den Kandidaten für den Bundespräsidenten vor.

• Er bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt die volle Richtlinienkompetenz.

• Er zeichnet sich verantwortlich für die Politik der Regierung.

• Der Bundeskanzler schlägt die Bundesminister vor, die ebenfalls vom Bundespräsidenten ernannt werden.


Bundesminister / Kabinett = Bundesregierung

• Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und den Bundesministern.

• Die Anzahl der Bundesministerien liegt im Ermessen des Bundeskanzlers.

• Sie werden vom Bundespräsidenten auf Kanzlervorschlag ernannt oder abberufen.

• Sie sind für ein bestimmtes Ministerium zuständig.

• Innerhalb der Richtlinien leitet jeder Minister sein Ministerium / Ressort selbstständig in eigener Verantwortung.

• Die Regierung berät und beschließt u.a. über alle Gesetzentwürfe und bei Streitfragen zwischen den Ministern.


Der Bundesrat

• Er besteht aus Mitgliedern der 16 Bundesländer: Bundesländer haben eigene Regierungen, Verfassungen, Gesetzgebungen.

• Er ist als Ländervertretung föderatives Organ (Bündnis, Vertrag).

• Er bildet das Gegengewicht zum Bundestag und zur Bundesregierung.

• Er ist das Bindeglied zwischen den Ländern und dem Bund.

• Er ist an der Gesetzgebung beteiligt.

• Er macht Lösungsvorschläge, sucht Kompromisse.

• Länder entsenden je nach Einwohnerzahl drei bis sechs Vertreter in den Bundesrat.

• Die Vertreter der einzelnen Länder werden aus der Landesregierung bestellt und abberufen.

• Jeweils für ein Jahr ist der Ministerpräsident eines Bundeslandes Präsident des Bundesrates, er beruft den Bundesrat ein oder er vertritt den Bundespräsidenten, falls dieser verhindert ist.


Der Bundespräsident

• Er gilt als eigenständiges Verfassungsorgan mit Sonderstellung.

• Er bekleidet das höchste Staatsamt und vertritt den Bund völkerrechtlich nach innen und außen, schließt im Namen des Bundes mit anderen Staaten Verträge ab.

• Der Bundespräsident wirkt unabhängig, überparteilich und ausgleichend zwischen unterschiedlichen Interessen.

• Er lässt seine Parteizugehörigkeit im Verlauf seiner Amtszeit ruhen.

• Er ruft auf Beschluss des Bundestages den Verteidigungsfall aus.

• Er überprüft, unterzeichnet und verkündet die Bundesgesetze.

• Er trägt im Falle des Gesetzgebungsnotstandes zur Konfliktlösung zwischen Bundesregierung und Bundestag bei.

• Er kann auf Vorschlag den Kanzler ernennen oder entlassen.

• Er ernennt oder entlässt die Bundesminister auf Vorschlag des Kanzlers.

• Er ernennt und entlässt Bundesbeamte, und -offiziere.

• Er hat das Begnadigungsrecht.

• Der Bundespräsident wird von der Bundesversammlung auf fünf Jahre gewählt, nur einmalige Wiederwahl ist möglich.


Das Bundesverfassungsgericht

Aufgaben, Befugnisse und Aufbau des BVerfG sind in den Art. 92, 93, 94, 99 und 100 des Grundgesetzes festgelegt:

• Es ist das oberste Gericht der BRD und zentrales Verfassungsorgan.

• Es wacht über die Einhaltung des Grundgesetzes der BRD.

• Seine Entscheidungen sind unanfechtbar; alle Staatsorgane sind an diese Rechtsprechung gebunden.

• Das Gericht ist aufgeteilt in zwei Senate mit je acht Richtern; Senate sind nochmal in sieben Kammern eingeteilt, Mitglieder des BVerfG dürfen keinem Organ der Legislative und Exekutive des Bundes oder der Länder angehören.

• Die Richter werden von Parteien (Bundestagsfraktionen, Bundesregierung, Länderregierungen) vorgeschlagen zur Hälfte von B-Tag und B-Rat mit Zweidrittelmehrheit (Art. 94 Abs. 1 Satz 2 GG) gewählt. Die Wahl erfolgt immer unmittelbar in einen der beiden Senate (je Senat acht Richter). Jeweils drei der acht Richter kommen aus den obersten Gerichtshöfen des Bundes, sie müssen mindestens 40 Jahre alt sein und benötigen eine volle juristische Ausbildung für eine Amtszeit von zwölf Jahren (maximal bis zum 68. Lebensjahr) (§ 5 BVerfGG).

• Bundestag und Bundesrat wählen Präsident und Vizepräsident (§ 9 BVerfGG).

• Es gibt abstrakte (hier wird die Vereinbarkeit einer Rechtsnorm mit höherrangigem Verfassungsrecht überprüft) und konkrete (Überprüfung auf Vorlage eines deutschen Gerichtes, ob bestimmte Norm im konkreten sachlichen Fall mit Verfassung vereinbar ist) Normenkontrollen.

• Es entscheidet über Verfassungsbeschwerdeverfahren, die sich schwerpunktmäßig u.a. auf die Auslegung der Art. 1 bis 17, 19 GG (Grundrechte) und 101, 103 und 104 GG (justizielle Grundrechte) beziehen.

• Weiter beschäftigt es sich mit Organstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern, Parteiverboten und Wahlrechtsbeschwerden.

Abb. 4: Übersicht über die Bundesorgane der BRD

Verfassungs- und Verwaltungsrecht für die Soziale Arbeit

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