Читать книгу Die Vergessenen 02 - Kitsune - Sabina S. Schneider - Страница 4
PROLOG
ОглавлениеTôkyô, Januar 2011
Sein nackter Oberkörper glänzte vor Schweiß, sein langes, weißes Haar schwang im Rhythmus der Musik. Seine eisblauen Augen flogen über die Menge, als seine Stimme durch die Halle vibrierte. Voller Leidenschaft und Sehnsucht suchte er nach ihr. War auf die Bühne der Welt getreten, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Sein fehlendes Stück, seine neunte Flamme. Sie musste irgendwo dort draußen sein und ihn vermissen, so wie er sie vermisste.
Die Menge tobte, die Männer grölten, die Frauen schrien und die Mädchen kreischten. Die Musik verstummte. Der Moment war gekommen, jetzt würde er wissen, ob sie unter ihnen war. Alle Lichter im Saal verloschen, alles wurde schwarz. Dann erschien eine blaue Flamme auf der Bühne, tauchte alles in die Farbe des Meeres. Ein weiteres Feuer leuchtete auf, bis acht Flammen ihn umtanzten. Er hatte die Lieder geschlossen, sein Herz raste vor Aufregung. Wäre sie da, wenn er die Augen öffnete?
Immer noch die Schwärze vor Augen, erhob sich seine Stimme und erreichte jedes Herz in dem ausverkauften Saal. Tastete suchend alle ab. Panik stieg in ihm auf und Hoffnungslosigkeit lähmte seine Brust. Sie war nicht da. Er riss die Augen auf und sah nur eine schwarze Wand vor sich. Kein Licht, das auf seine Flammen antwortete. Als die Verzweiflung seine Stimme brach, nur damit sie stärker und wütend zurückkehren konnte, füllte sich der Saal mit Energie.
Er gab ihnen einen Traum und ihre Energie, der Euphorie entsprungen, wurde zu einem Teil von ihm. Im Rausch der Musik verloren, tankte er neue Lebenskraft. Wurde eins mit dem Moment und genoss ihn aus vollen Zügen, denn er wusste, dass er sich unvollkommen und leer fühlen würde, wenn das Konzert vorbei war.
Im Höhepunkt seines Liedes kam sie auf die Bühne. Wunderschön, zerbrechlich und doch voller Kraft stimmte Mika in sein Lied mit ein. Seit ihrer Geburt blind, blickten ihre Augen in die Ferne, nahmen niemanden wahr. Er sah sie an, suchte wie schon so oft in ihren Augen nach dem Feuer, das ihm fehlte. Doch in ihr war nur Musik. Wieso konnte sie es nicht sein, nach der er sich sehnte?
Er erinnerte sich noch an die erste Nacht mit ihr. Erinnerte sich an ihren Geruch, ihren Geschmack und ihr Stöhnen. Trotz seines weißen Haares und ihrer Blindheit, war sie es gewesen, die ihn im Schnee gefunden hatte. Die ihn aufgepäppelt und ihm seine Menschlichkeit gegeben, ihn zu einem Menschen und einem Mann gemacht hatte.
„Mika!“, schrie seine Seele voller Wut in das Liebeslied, in dem sich ihre Stimmen vereinten. Ihr Kopf drehte sich zu ihm und sie runzelte die Stirn. Sie hatte ihn gehört. Sie hörte immer, wenn er lautlos schrie.
Von verzweifelter Liebe und Leid sangen sie. Einer alles verzehrenden Liebe, die doch nicht erfüllen konnte. Mika sang von blinder Liebe und von gebender. Er von einseitiger Liebe und Sehnsucht. Sie war nicht das, wonach er suchte. Konnte ihm nicht das geben, was er brauchte. Und doch war sie alles, was er hatte. Im Schnee, als er kurz vor dem Verlöschen gewesen war, hatte sie ihn gefunden und mitgenommen. Ein armes, kleines Tier ohne Zuhause. Mika hatte ihm einen Namen gegeben: Yuki – wie der Schnee.
Wäre jene Nacht doch nie passiert! Hätte er doch nie von Mika gekostet! Yuki wünschte sich, er könnte sie lieben. Sie daran hindern, an ihrer Liebe zu ihm zu zerbrechen. Und doch musste er Tag für Tag mit ansehen, wie Mika ihn anlächelte, während sie auf Scherben ging. Wie ihr Herz jedes Mal zerfiel, wenn er mit ihr im Duett nach einer anderen rief.
Doch er konnte nicht anders. Spürte, dass die Person, die seine Flamme in sich trug, in Gefahr war. Yuki sah ihren Schatten im Licht seiner Flamme tanzen, wenn er in die Welt der Träume abglitt. Flackernd rief sie nach ihm. Er konnte ihren Schmerz fühlen und ihre Angst. Sie brauchte ihn, noch mehr als er sie brauchte. Gefangen in einem unstabilen Körper, weder Tier noch Mann, hatte er vergessen, wer er war. Was er war.
Während jedem Konzert rief er nach ihr - seiner neunten Flamme. Doch sie antwortete nicht. Nur Mika reagierte auf seine verzweifelten Schreie.
Warum nur konnte sie nicht seine Flamme sein?