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1768, Dorian

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Die Schen­ke war gut be­sucht und vol­ler Rauch. Es roch nach ran­zi­gem Fett, un­ge­wasch­enen Körpern und säu­er­li­chem Wein. Als Do­ri­an ein­trat, wur­de er von den An­we­sen­den ver­stoh­len ge­mus­tert, denn er trug fei­ne Klei­der, die ihn als Ed­len kenn­zeich­ne­ten, wäh­rend die üb­ri­gen Be­su­cher eher ein­fa­che Leu­te waren. Es war kein Ort, an dem Do­ri­an sich sonst auf­hielt, er be­vor­zug­te die fei­nen Salons sei­ner Freun­de. Doch er war aus ei­nem be­stimm­ten Grund in die­se Spe­lun­ke ge­kom­men.

Die 24 Jah­re sei­nes Da­seins, waren von Lang­ewei­le und Lebens­über­druss ge­kenn­zeich­net, wo­zu es ab­so­lut kei­nen Grund gab. Do­ri­an sah blen­dend aus mit sei­nen dunk­len Haaren und den hel­len grü­nen Augen, war hoch­ge­wach­sen, von schlan­ker Sta­tur, ge­sund und stark. Er war pri­vi­le­giert ge­bo­ren, der ein­zi­ge über­le­ben­de Sohn ei­nes rei­chen Guts­be­sitz­ers und so­mit sein Er­be. Doch sein Vater, der kalt und dis­tan­ziert war, wei­ger­te sich stand­haft, ihn in die Ge­schäf­te ein­zu­be­zie­hen, oder zu ster­ben, so­mit hat­te Do­ri­an nichts zu tun, als ta­gaus ta­gein sein Le­ben mit Sinn­lo­sig­keit zu fül­len.

Der ein­zi­ge Mensch, an dem ihm et­was lag, sei­ne Schwes­ter Cor­de­lia, hat­te vor sechs Mo­na­ten ih­re gro­ße Lie­be ge­hei­ra­tet. Sieg­bert Swann, ei­nen be­nach­bar­ten Guts­be­sit­zer. So oft wie mög­lich, be­such­te er die bei­den, um der trost­lo­sen Öde des gro­ßen Hau­ses und der Ge­sell­schaft sei­nes Vaters zu ent­ge­hen. Sein Schwa­ger Sieg­bert, der ei­ne Schwäche hat­te für Zau­be­rei und Über­na­tür­li­ches, nahm ihn bei sei­nem letz­ten Be­such auf des­sen Land­gut, zur Sei­te und er­zähl­te ihm von der He­xe, die in der Schen­ke Quar­tier be­zo­gen hat­te und den Leu­ten die Zu­kunft vor­aus­sag­te.

Un­gläu­big lä­chelnd hat­te er ihm zu­ge­hört und alles mit ei­nem Kopf­schüt­teln ab­ge­tan. Doch sei­ne Frus­tra­tion hat­te ihn wie­der ein­ge­holt, als er allei­ne auf sei­nem Land­sitz war und so ent­schied er sich doch da­zu, die He­xe auf­zu­su­chen.


Der Wirt kam katz­bu­ckelnd auf ihn zu, pries ihm sei­ne ver­schie­de­nen Ge­rich­te an und ver­such­te ihn zu ei­nem der Ti­sche zu bugs­ie­ren.

Zwei Dir­nen waren auf ihn auf­merk­sam ge­wor­den. Sie ka­men mit tän­zeln­den Hüf­ten und ver­füh­re­ri­schem Lä­cheln nä­her.

Do­ri­an stopp­te den eif­ri­gen Gast­wirt mit ei­ner ab­weh­ren­den Hand­be­we­gung und frag­te nach der weis­sa­gen­den He­xe. Die­ser ver­barg sei­ne Ent­täu­schung nur man­gel­haft, doch er ver­beug­te sich eh­rer­bie­tig und ge­lei­te­te ihn in ein stil­les Hin­ter­zim­mer, in dem es stark nach Kräu­tern duf­te­te.

Der schma­le Raum war nur schwach von ei­ni­gen Ker­zen er­leuch­tet und Do­ri­an sah vor sich ei­nen klei­nen run­den Tisch mit zwei Stüh­len.

Der Wirt be­deu­te­te ihm, Platz zu neh­men. Als sich die Tür hin­ter ihm schloss, waren die Ge­räu­sche aus der Schen­ke nur noch ge­dämpft zu ver­neh­men.

Do­ri­an setz­te sich und maß mit ge­lang­weil­tem Blick, den spär­lich ein­ge­rich­te­ten Raum, wäh­rend er war­te­te.

»Ihr seid gar nicht neu­gie­rig, mein Freund«, ver­nahm er ei­ne dunk­le Stim­me, die aus dem hin­te­ren Teil des Zim­mers nä­her kam. Ei­ne Frau mit schwar­zen Haaren und schwar­zen Augen, trat zu dem er­leuch­te­ten Tisch. Sie nahm ihm ge­gen­über Platz und mus­ter­te ihn.

»Kommt da­rauf an, was ihr mir zu sa­gen habt«, ant­wort­ete er ihr ru­hig und er­wi­der­te ih­ren Blick.

»Den Hauch des Schick­sals wer­det ihr spü­ren bei mei­nen Wor­ten und wenn ihr die­sen Raum wie­der ver­lasst, wird nichts mehr so sein, wie es war. Wollt ihr das?«

Do­ri­an mus­ter­te sie ver­wun­dert, doch er muss­te sich ein­ge­ste­hen, dass sie nun sei­ne Neu­gier ge­weckt hat­te. Er nick­te.

»Zu­erst das Ge­schäft­li­che. Ihr habt das Geld doch da­bei?«, sag­te sie kühl. Wort­los griff er in sei­ne Ta­sche und hol­te ei­nen Beu­tel mit Mün­zen her­vor, den er ihr gab.

Sie wog ihn kurz in der Hand, warf ei­nen Blick hin­ein und nick­te lä­chelnd. »Ihr wisst nicht, wa­rum ihr hier seid und da­mit mei­ne ich nicht die­se Schen­ke, son­dern eu­er ge­sam­tes Le­ben. Nichts macht euch wirk­lich Freu­de oder er­scheint euch von Wert, so­dass es sich zu le­ben lohnt«, be­gann sie und ih­re Augen hiel­ten sei­nen Blick fest.

Es er­staun­te ihn, dass sie sei­nen Ge­müts­zu­stand so deut­lich er­kann­te, doch er ließ es sich nicht an­mer­ken und be­hielt sei­ne un­durch­dring­li­che Mie­ne bei.

Sie schenk­te ihm ein spar­sa­mes Lä­cheln, denn sie konn­te sei­ne An­span­nung füh­len. »Der Grund eu­res Des­in­ter­es­ses liegt da­rin, dass ihr nicht wisst, wo­nach ihr sucht.«

»Wisst ihr es denn?«, frag­te er knapp.

»Viel­leicht ja. Doch fin­det ihr es nicht selt­sam, die­se Fra­ge ei­ner Frem­den zu stel­len?«

»Nicht, wenn sie ei­ne He­xe ist, oder vor­gibt ei­ne zu sein.« Ein An­flug von Spott schwang in sei­ner Stim­me.

Ihr Lä­cheln war ver­schwun­den. Stolz hob sie das Kinn an und sprach weiter, wäh­rend ih­re schwar­zen Augen sich in sei­nen Kopf bohr­ten. »Du suchst die, die du vor un­denk­li­chen Zeiten ver­lo­ren hast, dei­ne ein­zig wah­re Lie­be. Dies ist der ein­zi­ge Grund, wa­rum du hier bist, und weil es den Göt­tern ge­fällt, Schi­cksal zu spie­len.«

Do­ri­an woll­te la­chen, auf­ste­hen und das Ge­re­de der He­xe spöt­tisch ab­tun. Doch er blieb wie an­ge­wur­zelt auf sei­nem Stuhl sit­zen, wäh­rend sich ein pri­ckeln­des Ge­fühl in ihm aus­brei­te­te. Er fühl­te in sei­nem tief­sten In­ne­ren ei­nen selt­sa­men Wi­de­rhall ih­rer Wor­te, so als hät­ten sie den Grund sei­ner See­le be­rührt. Er muss­te sich räu­spern, be­vor er spre­chen konn­te. »Wenn dem so ist, dann er­zähl mir mehr da­von.«

Vol­ler Ge­nug­tu­ung lach­te sie auf. »Du hast die­ses Wis­sen in dei­ner See­le. Die Er­in­ne­rung an die Lie­be zu der ei­nen Frau, die du nie­mals hät­test lie­ben dür­fen und wo­für du mit dei­nem Le­ben be­zahlt hast. Nie­mals soll­test du sie wie­der­se­hen, doch die Göt­ter ha­ben ei­ne Schwäche für aus­sichts­lo­se Fäl­le. Wenn du dir klar ge­wor­den bist, ob du sie wie­der­fin­den willst, dann komm er­neut zu mir und ich wer­de dir den Weg da­zu zei­gen. Doch sei ge­warnt! Es wird ein bit­te­rer Weg sein, von dem es kein zurück gibt.«

Sie war auf­ge­stan­den und an ihn her­an­ge­tre­ten. Sanft nahm sie sei­ne Hän­de, zog ihn von sei­nem Stuhl und schob ihn zur Tür hin­aus.

Be­vor er sich ver­sah, stand er wie­der in der lau­ten muf­fi­gen Schän­ke. Die Tür zu dem Hin­ter­zim­mer war ge­schlos­sen. Kurz über­leg­te er, noch ein­mal hin­ein­zu­ge­hen um ihr weite­re Fra­gen zu stel­len, doch er fühl­te sich selt­sam auf­ge­wühlt, woll­te allei­ne sein und über ih­re Wor­te nach­den­ken.

Er ließ den Wirt ei­ne Kut­sche ho­len und wäh­rend er in ihr da­hin schau­kel­te, dach­te er über die selt­sa­men Wor­te der He­xe nach.

Nie wä­re es ihm in den Sinn ge­kom­men, dass er auf der Su­che war, nach der Lie­be ei­ner Frau, die er vor lan­ger Zeit ver­lo­ren hat­te. Er konn­te sich nicht über man­geln­des In­te­res­se des weib­li­chen Ge­schlechts an sei­ner Per­son be­schwe­ren. Zu­wei­len waren ihm die An­nä­her­ungs­ver­su­che der Frau­en und Mäd­chen, de­nen er be­geg­ne­te ge­ra­de­zu läs­tig. Konn­te es wirk­lich sein, dass er in ei­nem an­de­ren Le­ben ei­ne Frau so sehr ge­liebt hat­te, dass er für sie ge­stor­ben war?

Er fand die­sen Ge­dan­ken ab­surd, doch sein Ge­fühl ließ ihn ah­nen, dass es so war. Die Fahrt aus dem Dorf zu dem Gut wo er zu­hau­se war, dau­er­te lan­ge und er dös­te ein, ein­ge­lullt durch das Schau­keln der Kut­sche.

Bil­der stie­gen vor sei­nem in­ne­ren Au­ge auf. Er sah ei­ne gro­ße stein­er­ne Hal­le mit Koh­le­be­cken und Fa­ckeln an den Wän­den. Vor sich er­blick­te er ei­ne Frau in ei­nem wei­ßen Kleid. Sie trug gold­ene Span­gen um Hals und Ar­me. Auch ihr Gür­tel war aus Gold. Sie hat­te lan­ges schwar­zes Haar und stand mit dem Rü­cken zu ihm. Er sah, dass sie ein Ge­fäß mit bei­den Hän­den in die Hö­he hielt und hör­te sie selt­sa­me Wor­te in ei­ner un­be­kann­ten Spra­che mur­meln. In sei­nem Traum ging er auf sie zu und fass­te nach ih­rer Schul­ter um sie um­zu­dre­hen, denn er woll­te ihr Ge­sicht se­hen. In dem Mo­ment da er sie be­rühr­te, sah er ei­nen grel­len Blitz auf­zu­cken, der ihn zu Boden schleu­der­te.

Er­schro­cken fuhr er hoch und er­wach­te aus sei­nem Traum.

Die Kut­sche hat­te mit ei­nem Ru­ckeln vor sei­nem Zu­hau­se ge­hal­ten. Nach­denk­lich und noch be­nom­men von sei­nem kur­zen Schlaf ging er in sei­ne Räu­me. Er leg­te sei­ne Klei­der ab und warf sich nackt auf sein Bett. Der Traum hat­te die­ses eigen­ar­ti­ge Ge­fühl in ihm ver­stärkt.

Was hat­te die He­xe ge­sagt? Die Er­in­ne­rung und das Wis­sen wä­ren in ihm.

Do­ri­an schloss die Augen und rief sich das Bild der Frau, die er nur von hin­ten ge­se­hen hat­te, ins Ge­dächt­nis. Was war da noch ge­we­sen? Er konn­te sich an ei­nen schwa­chen Duft von Rosen­blät­tern und Weih­rauch er­in­nern. Der Ge­ruch war für ihn ver­bun­den mit ei­nem tie­fen Schmerz, der ihm das Herz zer­riss.

Doch er kann­te die Ur­sa­che die­ses Schmer­zes nicht. Wie­der schlief er ein über sei­nen Grü­be­lei­en.

Er fühl­te die küh­len La­ken auf sei­ner nack­ten Haut. Je­mand saß bei ihm, es war die Frau aus sei­nem Traum, doch ihr Ge­sicht lag im Dun­keln ver­bor­gen. Er ver­such­te, sich zu be­we­gen, doch er konn­te sich nicht rüh­ren. Bleisch­wer lag sein Körper auf dem Bett. Er fühl­te die Be­rüh­rung ih­rer Hand, als sie ihm sanft über das Ge­sicht strich und hör­te sie zärt­li­che Wor­te mur­meln, doch er ver­stand die Spra­che nicht.

Er wur­de von sei­nen Ge­füh­len über­wäl­tigt. Plötz­lich emp­fand er Lie­be, wie er sie noch nie ver­spürt hat­te, die wie ei­ne Wo­ge über ihn her­ein­brach und ihn mit­riss und gleich­zei­tig ei­nen so schar­fen Schmerz der Trau­er, in sei­nem In­ne­ren, dass er das Ge­fühl hat­te da­ran zu ster­ben.

Er rang nach Atem, die Luft wur­de ihm knapp und Pa­nik über­fiel ihn, als er mein­te er wür­de er­sti­cken.

Ent­setzt er­wach­te er aus sei­nem Traum. Sein Herz schlug wie wild in sei­ner Brust und er lag schwer at­mend da mit weit auf­ge­ris­se­nen Augen.

War das die Er­in­ne­rung ge­we­sen, wel­che die He­xe ge­meint hat­te?

Es muss­te so sein, denn er hat­te noch nie so emp­fun­den.

Ru­he­los stand er auf, wi­ckel­te sich in ei­nen Mor­gen­rock und öff­ne­te ein Fens­ter. Die küh­le Nacht­luft trock­ne­te den Schweiß auf sei­nem Körper und sein Atem wur­de ru­hi­ger. Er frag­te sich, ob ihn die He­xe mit ei­nem Fluch be­legt hat­te, doch er konn­te kei­nen Grund da­für fin­den.

Tief in sei­nem In­ne­ren wuss­te er be­reits, das sie die Wahr­heit ge­spro­chen hat­te, und er sich in sei­nen Träu­men an ein ver­gan­ge­nes Le­ben, er­in­nert hat­te.

Er konn­te noch immer die In­ten­si­tät, die­ser über­wäl­ti­gen­den Lie­be füh­len und ihm war be­wusst, er woll­te wie­der so füh­len, so lie­ben. Er woll­te die­se ei­ne Frau wie­der­ha­ben, für die er so emp­fun­den hat­te. Die He­xe hat­te ihm ge­sagt, wenn er das woll­te, so wür­de sie ihm den Weg da­zu zei­gen.

Am Ho­ri­zont sah er die Son­ne auf­ge­hen.

Er schloss das Fens­ter und schlüpf­te in sei­ne Klei­der vom Vor­tag. Im Stall ließ er sich ein Pferd sat­teln und ritt in schar­fem Ga­lopp den lan­gen Weg zum Dorf hin­un­ter.

An der Schen­ke an­ge­kom­men, sah er ei­ne Grup­pe von Leu­ten, in de­ren Mit­te der Pas­tor stand. Sie dis­ku­tier­ten auf­ge­regt. Do­ri­an trat zu ih­nen und der Pas­tor rich­te­te das Wort an ihn. »Ah, gut dass ihr hier seid jun­ger Herr, wir ha­ben vor, ei­ne He­xe der Ge­richts­bar­keit aus­zu­lie­fern«.

Do­ri­an er­schrak bei sei­nen Wor­ten, doch er ließ sich nichts an­mer­ken und lä­chel­te den Pas­tor freund­lich an.

»Ei­ne He­xe sagt ihr Hoch­wür­den, wer glaubt denn an so et­was.« Das Ge­sicht des Pas­tors war ernst. »Lei­der ja, es gibt sie und mei­ne Auf­ga­be ist es harm­lo­se Men­schen vor Krea­tu­ren der Dun­kel­heit zu be­wah­ren.«

Do­ri­an hob be­schwich­ti­gend die Hän­de. »He­xe­rei ist ei­ne schwer­wie­gen­de An­schul­di­gung, das muss sorg­fäl­tig ge­prüft wer­den. Wo ist denn die­se ver­meint­li­che He­xe?«

»Sie hat sich hier in der Schän­ke ein­ge­nis­tet«, ant­wort­ete der Geist­li­che.

»Nun dann wer­de ich sie mit­neh­men auf Gut Ho­hen­berg, wäh­rend ihr nach Be­wei­sen für ih­re Schuld sucht.« Do­ri­an lä­chel­te über­he­blich. Sei­nem Vater stand als Guts­herr die ober­ste Ge­richts­bar­keit im Dorf zu.

Der Pas­tor zeig­te sich we­nig er­freut über die Aus­sicht, die He­xe nicht selbst in Ge­wahr­sam neh­men zu kön­nen und sie, wie er vor­ge­habt hat­te, in den feuch­ten Ker­ker bei den Ge­wöl­ben un­ter sei­ner Kir­che zu wer­fen, der noch aus der Zeit der In­qui­si­tion stamm­te. »Das ist zu ge­fähr­lich jun­ger Herr«, wand­te er schwach ein.

Do­ri­ans Lä­cheln wur­de brei­ter. »Aber nicht doch. Es gibt ge­wiss ein paar kräf­ti­ge Bur­schen hier im Dorf, die mich und die Ge­fan­ge­ne be­glei­ten wer­den, auf mei­nem Weg zum Guts­hof.«

Der Pas­tor ver­beug­te sich knapp mit sicht­li­cher Ver­är­ge­rung.

Ge­mein­sam be­tra­ten sie das Hin­ter­zim­mer der Schen­ke, wo die Frau sie ru­hig er­war­te­te. Der Pas­tor woll­te sie grob von ih­rem Stuhl zer­ren, doch Do­ri­an wehr­te ihn ab und sah ihn war­nend an. »Wir be­han­deln sie zu­vor­kom­mend, bis wir Be­wei­se für ih­re Schuld ha­ben«, sag­te er kühl zu dem Geist­li­chen. Sanft nahm er ih­ren Arm und sie folg­te ihm zu der war­ten­den Kut­sche vor der Schen­ke. Er war ihr beim Ein­stei­gen be­hilf­lich und setz­te sich ihr ge­gen­über in den Wagen. Die zwei kräf­ti­gen jun­gen Bur­schen aus dem Dorf ver­wies er, auf dem Kutsch­bock Platz zu neh­men.

Do­ri­an klopf­te ge­gen die Tür der Kut­sche und gab dem Fah­rer das Sig­nal los­zu­fah­ren. Der Pas­tor blieb mit wü­ten­der Mie­ne zurück und Do­ri­an wink­te ihm grin­send zu.

Als sie aus dem Dorf her­aus fuh­ren, sah er die Frau mit ern­stem Ge­sicht an. »Ich ha­be dich ge­ret­tet, das ist dir doch be­wusst, nicht wahr?«

Die Frau lä­chel­te ihm über­le­gen zu. »Ja, wa­rum wohl, habt ihr das ge­tan?« Ih­re Stim­me troff vor Sar­kas­mus.

»Das weißt du be­reits«, gab er knapp zurück.

Sie lehn­te sich ent­spannt in die weichen Pol­ster der Kut­sche. »Ich will ei­nen Beu­tel Gold und das schnell­ste Pferd, das ihr im Stall habt«, merk­te sie an.

»Und eu­re Frei­heit, wie ich an­neh­me«, er­gänz­te Do­ri­an lä­chelnd.

Sie er­wi­der­te sein Lä­cheln und nick­te. »Und mei­ne Frei­heit.«

Do­ri­an sah aus dem Fens­ter auf die Land­schaft, die an ih­nen vor­über­zog.

»Du hast dich er­in­nert, nicht wahr«, frag­te sie ihn mit lei­ser Stim­me.

Er nick­te, oh­ne sie an­zu­se­hen.

»Ich kann die Lie­be und den Schmerz in dei­nen Augen se­hen. Ich neh­me an, du willst sie wie­der­ha­ben?«

Do­ri­an wen­de­te ihr sein Ge­sicht zu und sah sie an. »Du hast ge­sagt, es gibt ei­nen Weg.«

»Den gibt es. Doch ich sag­te auch, dass es ein bit­te­rer Weg ist, oh­ne Wie­der­kehr.«

»Muss ich da­für ster­ben, um sie in ei­ner an­de­ren Welt wie­der­zu­se­hen?« Er sah sie fra­gend an.

Die He­xe ge­noss die Über­le­gen­heit ih­res Wis­sens of­fen­sicht­lich. »In ge­wis­ser Wei­se wirst du ster­ben, doch du wirst sie in die­ser Welt wie­der­se­hen.«

Do­ri­an wur­de nicht schlau aus ih­ren Wor­ten. »Das ver­ste­he ich nicht«, ant­wort­ete er ihr.

»Ich wer­de es dir er­klä­ren, nach­dem ich mein Gold und das Pferd ha­be.«

Do­ri­an waren Gold und Pfer­de gleich­gül­tig, er be­saß ge­nug von Bei­den.

Er zü­gel­te sei­ne Un­ge­duld und sah wie­der aus dem Fens­ter. Den Rest der Fahrt ver­brach­ten sie schwei­gend.

Als sie beim Guts­hof an­ka­men, lud Do­ri­an die Bur­schen und den Kut­scher ein, sich in der Ge­sin­de­kü­che ver­kös­ti­gen zu las­sen, und sie stimm­ten er­freut zu.

Er stell­te mit Er­leich­te­rung fest, dass sein Vater auf die Jagd ge­gan­gen war. So konn­te er, oh­ne läs­ti­ge Fra­gen be­ant­wor­ten zu müs­sen, die He­xe in sei­ne Räum­lich­kei­ten brin­gen. Er schick­te ei­ne Magd um Es­sen und Ge­trän­ke.

Die Frau setz­te sich, trank ei­nen Be­cher Wein auf ei­nen Zug und knab­ber­te an dem kal­ten Wild­bret. Do­ri­an hol­te aus ei­nem Se­kre­tär ei­nen Beu­tel mit Gold­mün­zen und gab ihn ihr.

Sie wisch­te sich die fet­ti­gen Hän­de an ih­rem Rock ab, warf ei­nen Blick in den Beu­tel und sah ihn mit zu­frie­de­nem Lä­cheln an.

Do­ri­an klin­gel­te nach ei­nem Die­ner und trug ihm auf, ein Pferd sat­teln zu las­sen. Dann lehn­te er sich be­quem in ei­nen ge­pol­ster­ten Stuhl.

Die Frau hat­te ihn nicht aus den Augen ge­las­sen.

»Du bist dran, ich ha­be mei­nen Teil er­füllt. Er­zäh­le mir nun, was ich wis­sen muss.«

Die He­xe stand auf schritt zum Fens­ter, sah kurz hin­aus und wand­te sich dann zu ihm um. »Ei­ni­ges hast du schon her­aus­ge­fun­den. Ihr habt euch ge­liebt und du bist für sie ge­stor­ben. Die Wäch­ter des Schick­sals waren ge­gen eu­re Ver­bin­dung. Doch die Göt­ter woll­ten, dass ihr ei­ne zwei­te Chan­ce be­kommt, da­rum wur­dest du wie­der­ge­bo­ren.« Sie hielt kurz in­ne, schenk­te sich Wein ein und trank ei­nen Schluck.

»Heißt das, dass auch sie wie­der­ge­bo­ren wur­de?« Do­ri­an sah sie ge­spannt an.

Sie lä­chel­te und stell­te ih­ren Be­cher ab. »Nicht ganz. Sie ist noch nicht wie­der auf die­ser Welt. Die Wäch­ter woll­ten euch end­gül­tig ent­zwei­en, und ha­ben ei­ne Zeit­ver­zö­ge­rung ein­ge­fügt, um eu­re er­neu­te Zu­sam­men­kunft zu ver­hin­dern.«

Ver­blüfft sah Do­ri­an sie an. »Wie soll ich sie dann wie­der­be­kom­men? Wie lan­ge wird es dau­ern, bis sie wie­der­ge­bo­ren wird?«

Sie sah ihn ernst an. »Ein paar Jahr­zehn­te, ein paar Jahr­hun­der­te, wer weiß das schon.«

Do­ri­an lehn­te sich zurück. Er schüt­tel­te un­gläu­big den Kopf. »Dann bin ich längst tot«, sag­te er hoff­nungs­los.

»Es gibt ei­nen Weg, wie ich schon sag­te, doch du musst dir da­rüber klar sein, ob du ihn wirk­lich ge­hen willst.« Ernst sah sie ihn an.

»Er­klä­re mir wie, dann kann ich ent­schei­den, ob es mir das wert ist«, flüs­ter­te er mit ei­nem schie­fen Lä­cheln.

»Du wirst zu ei­nem We­sen der Nacht wer­den, zu ei­nem Vam­pir, der sich vom Blut sei­ner Mit­men­schen er­nährt.«

Er sah sie fas­sungs­los an.

»Du wirst so lan­ge le­ben, so­lan­ge du Men­schen­blut trinkst. Das ein­zi­ge das dich tö­ten kann, wird ein höl­zer­ner Pfahl sein, den man dir ins Herz stößt.«

Do­ri­an starr­te sie mit of­fe­nem Mund an. Schließ­lich schluck­te er und frag­te: »Wie soll ich zu ei­nem sol­chen We­sen wer­den?«

»Du wirst ein Eli­xier trin­ken. Dann wirst du ster­ben müs­sen. Denn dein mensch­li­cher Tod ist die Vor­aus­set­zung da­für, dass du zu ei­nem Vam­pir wirst.«

Do­ri­an lehn­te sich zurück und blick­te in die Ferne. Er wuss­te nicht, was er ihr sa­gen soll­te, sei­ne Ge­dan­ken wir­bel­ten in sei­nem Kopf.

Die He­xe be­ob­ach­te­te ihn. Schließ­lich kram­te sie aus dem klei­nen Beu­tel, der an ih­rem Gür­tel hing, ei­ne Phio­le her­vor. Sie trat vor ihn und lä­chel­te wis­send. »Hier, für dich, das Eli­xier. Wäh­le mit Be­dacht. Ich muss ge­hen, be­vor die Scher­gen des Kle­rus ei­nen Grund fin­den, mich doch noch in den Ker­ker zu wer­fen.«

Er woll­te nicht, dass sie ging, denn in ihm brann­ten so viele Fra­gen.

Do­ri­an er­griff ih­re Hand mit dem Eli­xier und hielt sie fest. »Wo kann ich dich fin­den, wenn ich Fra­gen ha­be?«

Sie zuck­te die Ach­seln, ließ die Phio­le in sei­ne Hand glei­ten und be­frei­te sich aus sei­nem Griff. »Ant­wor­ten auf dei­ne Fra­gen, wer­den dir dei­ne Ent­schei­dung nicht ab­neh­men.«

Sie nahm den Beu­tel mit dem Gold und be­fes­tig­te ihn am Gür­tel. Dann nick­te sie zum Ab­schied und ver­ließ ihn. Er saß lan­ge da und starr­te wie be­täubt auf die klei­ne Phio­le in sei­ner Hand.

Sie hat­te recht be­hal­ten, nichts war mehr so wie am Tag zu­vor.

Götterfunken

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