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2010, Der Fund
ОглавлениеDas Gelände war großräumig abgesperrt worden, nachdem hier am Harzhorn Funde einer römisch-germanischen Schlacht aus dem 3. Jahrhundert nach Christus aufgetaucht waren. Seit zwei Jahren wimmelte es von zahlreichen Sondengängern und Archäologen, die sich abmühten, dem Boden die Geheimnisse längst vergangener Zeiten zu entlocken.
Severin Bergmann war als Professor für antike Schlachten der Ausgrabungsleiter der Uni Berlin auf diesem Areal. Er hatte ein Dutzend eifrige Helfer, die alle Funde kartografierten und erfassten. Akribisch versuchten sie, die antike Schlacht zu rekonstruieren, für die es keine schriftlichen Belege gab.
Es war ein sonniger Aprilmorgen und sie waren schon seit ein paar Stunden an der Arbeit. Vertieft in seine Aufzeichnungen, saß Severin an seinem kleinen Klapptisch als aus dem Wäldchen hinter dem Feld aufgeregt rufend, eine Gruppe seiner Leute herbeieilte. Robert Sachs, ein Kollege und guter Freund lief auf ihn zu.
»Severin, das musst du dir ansehen! Wir sind auf ein Grab oder eine Grotte, oder was auch immer für Überreste eines verschütteten Gebäudes gestoßen.«
Er zog ihn am Ärmel seiner Jacke mit sich und sie liefen zu dem Fundort zurück, an dem schon eine kleine Gruppe von Kollegen auf sie wartete. Robert deutete auf einen Haufen Steine, die aus dem Erdreich ragten, inmitten einer Baumgruppe.
Severin ging in die Hocke und kratzte vorsichtig mit den Fingern die Erde von den Steinen.
Es hatte in den letzten Tagen geregnet und anscheinend hatte das Wasser die Steine freigeschwemmt. Bei näherer Betrachtung erkannte Severin, dass es sich dabei um die Überreste eines Gemäuers handeln musste, da die Steine schwach als kleine Quader erkennbar waren. Susanne Fuchs, eine Kollegin, kam angelaufen mit einer Schaufel in der Hand.
Severin nahm sie ihr ab und grub behutsam Zentimeter um den Steinhaufen herum die Erde auf. Er legte weitere Steinquader frei und einige seiner Leute, hatten sich Werkzeug besorgt und taten es ihm gleich.
Innerhalb der Baumgruppe legten sie mehrere Zentimeter hoher steinerner Überreste frei, die kreisförmig angeordnet waren. Severin befürchtete schon, dass es sich um einen simplen Brunnen handeln würde, doch der Kreis wurde immer größer.
Was war das bloß?
Mit zäher Verbissenheit arbeiteten sie sich weiter vor. Am späten Nachmittag hatten sie Teile der Steinmauer einen Meter tief ausgegraben und stießen auf Steinstufen. Als sie begannen sie freizulegen, machten sie den ersten Kleinfund.
Es handelte sich um einen dicken goldenen Armreif, was sie erkannten als sie den Dreck von ihm gewaschen hatten.
Es wurde langsam dunkel. Sie sicherten die Fundstelle, die während des Tages von allen Anwesenden ungläubig bestaunt worden war, mit Absperrbändern und gingen auf das Feld zurück.
Dort hatten sie ein Lager mit Zelten und Schlafsäcken errichtet, sodass sie sich den Weg zum Hotel in das 15 km entfernte Ebershalde, sparen konnten.
Severin putzte und spülte weiter an dem goldenen Armreif, den sie gefunden hatten. Er hatte Gravuren entdeckt und brannte nun darauf sie völlig freizulegen, um sie zu entschlüsseln.
Als es so weit war, stutzte er. Er nahm an, der Goldreif würde von einem hochgestellten Germanen stammen und vermutete in den steinernen Überresten, die sie gefunden hatten, ein unterirdisches Grab.
Doch die Symbole auf dem Armreif, waren nicht die verschlungenen Knoten der germanischen Kultur.
Es waren Schlangen darauf, Sonne und Mond und seltsame Zeichen, die an ein Y des Alphabets erinnerten. Im inneren des Reifens waren Schriftzeichen einer Keilschrift eingraviert, die sich von germanischen Runen völlig unterschieden.
Er hielt den Goldreif nun für ein ägyptisches Artefakt und hatte keine Erklärung dafür, wie es hierher kam. Vielleicht handelte es sich dabei um das Beutestück eines Römers, der ihn aus Ägypten mitgebracht hatte.
Robert und Susanne gesellten sich zu ihm.
»Hast du eine Ahnung, was die Gravuren bedeuten?«, fragte Robert ihn.
Severin zuckte die Achseln. »Es ergibt keinen Sinn. Der Armreif scheint weder römisch noch germanisch zu sein. Ich tippe darauf, dass er aus Ägypten stammt.«
Susanne sah ihn überrascht an. »Ägypten? Was sucht er dann hier?«
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete Severin. Nachdenklich betrachteten sie das Schmuckstück.
»Zeit, schlafen zu gehen. Wir werden morgen sein Geheimnis lüften«, sagte Robert schließlich und gähnte.
Severin wickelte den Armreif in ein weiches Tuch und verstaute ihn in einer kleinen Holzkiste. Sie wünschten einander eine gute Nacht und gingen in ihre Zelte.
In seinen Schlafsack gerollt, lag Severin noch eine Weile wach und dachte an den eigenartigen Fund dieses Tages.
Ein steinernes Grab, ja eine Gruft und ein Armreif, der offenbar aus Ägypten stammte?
Die Germanen hatten ihre Toten in Hügelgräbern bestattet.
Es konnte sich nur um das Grab eines Römers handeln. Doch so weit von Rom entfernt?
Severin kam zu keiner befriedigenden Erklärung. Schließlich rollte er sich zur Seite und schlief ein.
Am nächsten Morgen war er früh auf den Beinen. Er hatte eine unruhige Nacht hinter sich und war gespannt darauf, welche Geheimnisse, die steinerne Gruft noch lüften würde.
Seine Kollegen erwachten gerade, als er schon mit Werkzeug bepackt auf dem Weg zu dem Grab war.
Behutsam grub er Stufe um Stufe aus. Die anderen gesellten sich zu ihm und gemeinsam legten sie mit schweißtreibender Plackerei große Teile des unterirdischen Bauwerkes frei.
Es führte viel tiefer in die Erde, als er angenommen hatte. Am Ende der letzten Stufe stießen sie auf eine Tür aus Stein. Zumindest nahmen sie an, dass es eine Tür war, denn ein Schloss, oder einen Riegel konnten sie darauf nicht entdecken.
Nun machten sie sich daran diese vom Erdreich zu befreien, unter dem sie jahrhundertelang verborgen war.
Nachdem der gröbste Dreck entfernt war, wurden seltsame Symbole an dem Steintor sichtbar. Sie waren jenen des goldenen Armreifes ähnlich, den sie am Tag zuvor gefunden hatten.
»Was ist das denn?«, fragte Susanne erstaunt und deutete auf die Symbole an der Tür.
Ein junger Mitarbeiter, namens Klaus kam näher ran und betrachtete die Zeichen an der Tür interessiert. »Ich habe letztes Jahr einen Lehrgang für altsumerische Keilschrift, bei Professor Frederik Ahrens belegt. Die Schriftzeichen sahen denen da sehr ähnlich.«
Severin und die anderen sahen ihn erstaunt an. »Sumerisch? Bist du sicher? Was macht ein sumerisches Grab hier mitten in Niedersachsen?«, fragte Robert ungläubig.
Severin musterte das Tor skeptisch. Dann kramte er sein Handy aus der Hosentasche.
»Wen rufst du an?«, fragte Susanne verwundert.
»Wir brauchen Unterstützung. Ich rufe einen Freund von der Uni Berlin an, der ein Experte für die Kultur des alten Sumer ist.«
Schon meldete sich am anderen Ende Jemand und Severin erzählte in groben Zügen von ihrem merkwürdigen Fund. Das Gespräch währte nur kurz und Severin legte mit einem Lächeln auf. »Tobias kommt zu uns. Schon morgen wird er hier sein.«
»Wer ist Tobias?«, fragte Susanne genervt. Ihr gefiel es gar nicht, dass ein Fremder sich eventuell die Lorbeeren verdienen würde, die ihnen gebührten.
Severin lächelte sie beschwichtigend an. »Tobias ist ein netter Kerl und hat ein Menge Ahnung von alten Kulturen«.
Zu Klaus gewandt, fuhr er fort: »Er ist übrigens ein guter Freund von Professor Ahrens«. Der schnitt eine Grimasse.
Jeder von ihnen wusste dass Frederik Ahrens, ein komischer Kauz war, der seine Besessenheit für die sumerische Götterwelt voll auslebte.
»Keiner fasst hier was an, wir warten auf Tobias«, rief Severin und ging zum Lager zurück. Murrend folgten ihm die anderen.
Tobias war erfreut, als ihn sein alter Freund Severin anrief.
Als er ihm von dem außergewöhnlichen Fund am Harzhorn berichtete, war Mona bei ihm, mit der er seit ein paar Monaten zusammen war. Neugierig fragte sie ihn sofort über das Gespräch aus.
Mona war wie er an der Uni Berlin beschäftigt. Sie arbeiteten an der Erforschung antiker Kulturen.
Während er dank seiner Freundschaft zu Frederik Ahrens schon an Ausgrabungen im Irak, dem ehemaligen Sumer teilnehmen durfte, war Mona bisher an keiner Ausgrabungsstätte gewesen.
Sofort fing sie an, Tobias zu überreden, ihn zum Harzhorn begleiten zu dürfen.
Ihre Beziehung war noch ziemlich frisch und er war sehr verliebt in sie, sodass er ihr kaum etwas abschlagen konnte.
Er konnte sein Glück noch gar nicht recht fassen, dass gerade die begehrte Mona mit ihren dunklen Mandelaugen und dem schwarzen Pagenkopf, ihn unter all den Männern, die sie anhimmelten, zum Freund gewählt hatte.
Er war zwar nicht hässlich, doch eher ein Durchschnittstyp, mittelgroß schlaksig, mit einer zu langen Nase unter den braunen Augen, mit der Brille davor, die ihm ein so biederes Aussehen gab, trotz der wilden rotbraunen Locken auf seinem Kopf.
Natürlich überredete sie ihn, sie mitzunehmen.
Ein kleiner Koffer war schnell gepackt und sie zwängten sich in Monas Ford Fiesta, da sie Tobias klapprigem Jeep nicht zutraute, die dreieinhalbstündige Fahrt zum Harzhorn, problemlos zurückzulegen.
Ein wenig steif kamen sie bei der Ausgrabungsstätte an.
Severin begrüßte Tobias mit einer Umarmung, sie hatten sich lange nicht gesehen. Wenn er darüber verwundert war, dass Tobias in Begleitung erschienen war, so ließ er sich das nicht anmerken.
Nachdem sie eine Cola getrunken und ein wenig Small Talk gemacht hatten, brachte Severin Tobias zu der Gruft. Dass Mona sich ihnen ungefragt anschloss, gefiel Severin nicht, doch er sagte nichts.
Die Leute der Gruppe, die das Steingrab entdeckt hatten, begrüßten ihn und Mona nur verhalten. Sie schlossen sich ihnen ebenfalls ungefragt an, und so marschierten sie alle gemeinsam zu dem Fundort.
Tobias betrachtete die Steinquader des Gemäuers und der Stufen. Dann ging er zu dem steinernen Tor und berührte es mit den Fingern. Mona war fasziniert und verschlang jedes Detail mit ihren Augen.
Tobias bat um einen Pinsel mit dem er über die Zeichen strich. Einige der Symbole waren verwittert und kaum noch sichtbar. Das Tor musste uralt sein.
»Es sind eindeutig Symbole aus der altsumerischen Zeit, ca. 2000 vor Christus«, murmelte Tobias, während er konzentriert das Tor untersuchte.
»Genauer gesagt, handelt es sich um Schriftzeichen und Symbole aus der vor-babylonischen Zeit«, ließ sich eine schrille Stimme hinter ihnen vernehmen. Sie fuhren herum und da stand er. Das Genie der antiken Kulturen, der verrückte Professor, Frederik Ahrens.
»Was machen sie denn hier«, entfuhr es Severin.
Der kleine dünne Professor mit dem spärlichen Haupthaar und dem Frettchengesicht, lächelte pikiert und nestelte an seiner Brille.
»Ich dachte, ich hole den besten Experten, als irgendeinen Experten«, meinte Klaus sarkastisch aus dem Hintergrund.
Severin warf ihm einen mörderischen Blick zu und beschloss, dass Klaus nie wieder an einer seiner Ausgrabungen teilnehmen würde.
»Darf ich mal sehen«, drängte Frederik mit affektierter Stimme und schob Tobias ein Stück zur Seite.
Der war an die Art des genialen Professors gewöhnt und machte bereitwillig Platz.
Die Leute aus der Gruppe fingen an, unwillig zu murmeln, doch der Professor brachte sie mit erhobener Hand zum Schweigen.
Er wandte sich mit hochmütigem Gesicht in seinem näselnden Tonfall an Severin. »Würden sie so freundlich sein und all die Menschen hier entfernen. Ich brauche absolute Ruhe bei meiner Arbeit. Danke.«
Severin lag eine saftige Erwiderung auf der Zunge, doch ein Blick auf seinen Freund Tobias der den Kopf schüttelte, ließ ihn stumm bleiben. »Ihr habt es gehört Leute, das Genie braucht Ruhe«, tönte Severin und klatschte in die Hände, während er die Stufen hochstieg.
Murrend schloss sich ihm die Gruppe an und sie kehrten zurück ins Zeltlager. Severin stapfte zu seinem Zelt und kramte eine Flasche Wodka aus seiner Tasche. Er schüttete einen tüchtigen Schluck in einen Pappbecher und kippte ihn in einem Zug runter.
Robert und Susanne waren ihm gefolgt und starrten ihn nun vorwurfsvoll an. »Was? Ich habe nicht Professor Neunmalklug hierherbestellt«, fuhr Severin die beiden an.
Er sah Klaus mit selbstgefälligem Grinsen näher kommen und packte ihn am Arm.
»Du mein Freund machst dich besser unsichtbar, bevor mir dein Gesicht in meine Faust rennt«, zischte er wütend. Klaus befreite sich ängstlich aus Severins Griff und sah zu, dass er aus seinem Blickfeld kam. Das Grinsen war ihm vergangen.
Susanne schenkte sich und Robert etwas von dem Wodka ein. »Und jetzt? Was machen wir jetzt?«, fragte sie zu Severin gewandt.
»Gar nichts machen wir. Der geniale Professor Ahrens ist hier, der bestimmt, wie es weiter geht«, antwortete Severin verärgert.
Tobias und Mona standen noch bei dem Steingrab.
»Du solltest jetzt auch gehen Tobias und nimm deine hübsche Freundin gleich mit«, sagte Professor Ahrens ohne den Blick von dem Tor zu wenden.
»Wenn du mich brauchst, weißt du, wo du mich findest«, meinte Tobias und stieg die Stufen hinauf.
Mona jedoch lief die Treppe in Windeseile hinunter und stellte sich neben den Professor. »Ich bin eine solch glühende Bewunderin ihrer Arbeit, darf ich ihnen zusehen, wenn ich ganz still bin«, säuselte sie verführerisch, hob ihm ihren vollen Busen unter die Nase und sah ihn schmachtend an.
Der Professor sah auf ihre Brüste, dann in ihre Augen und schließlich wieder auf das Tor. »Sie werden ganz gewiss still sein, weil sie nicht hier sein werden und …. Ich hab schon Hübschere gesehen. Tobias, bitte, bring sie weg«, sein Ton war bissig und ungerührt, wie immer.
Mona fauchte wütend und stürmte die Stufen wieder hoch. Während sie in Richtung Lager stapfte, tobte sie lautstark. »Was denkt sich dieses eingebildete Rattengesicht eigentlich?«
»Das hab ich gehört! Schon ist sie in mich verliebt«, tönte die näselnde Stimme des Professors zu ihnen herüber.
»Mona, bitte beruhige dich, er ist nun mal so«, versuchte Tobias, sie zu beschwichtigen. Sie schnaubte zornig und entzog ihm ihren Arm, nach dem er gegriffen hatte. Mona war es gewöhnt, ihren Willen zu bekommen.
Als sie im Lager ankamen, goss ihnen Severin wortlos Wodka ein, nachdem er ihre Gesichter gesehen hatte.
»Es tut mir leid, ich wusste nicht, dass er kommt«, entschuldigte sich Tobias.
»Wussten wir alle nicht, nur Klaus, der wusste es«, gab Severin seufzend zurück. Er hatte sich beruhigt. Sollte sich doch der verrückte Professor mit dem steinernen Grab herumschlagen. So konnte er sich ungestört seiner eigentlichen Aufgabe widmen. Sein Fachgebiet waren schließlich antike Schlachtfelder und nicht sumerische Gräber.
Er lud Tobias und Mona ein, mit ihm und seinen Leuten am Lagerfeuer zu grillen und die Nacht bei ihnen im Zeltlager zu verbringen.