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Ein neuer Plan

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Die notarielle Beglaubigung von Björns Einverständniserklärung allein braucht zwei Tage, weitere drei Tage dauert der Versand quer über den Atlantik bis nach Vancouver. Doch noch vor dem Frühstück des fünften Tages ist der Brief endlich da. Als ich die Treppe hinab zum Speisesaal laufe, entdecke ich den FedEx-Boten am Tresen der Rezeption. Wenig später halte ich die Dokumente in der Hand, vollständig und mit einer lustigen Grußkarte von Björn. Endlich geht es weiter.

Wie sich herausstellt, ist British Columbia oder BC, wie die Einheimischen es liebevoll nennen, die westlichste Provinz von Kanada und somit gar kein schlechter Ausgangspunkt für einen Flug nach Australien. Außerdem regnet es nicht immer. Zumindest nicht im Sommer.

„Sagen wir, es hätte uns schlimmer treffen können“, stelle ich fest und nehme Tim die Cornflakes ab.

„So gefällst du mir schon besser.“ Bea mustert mich über den Rand ihrer Kaffeetasse. „Die letzten Tage habe ich mir wirklich Sorgen um dich gemacht.“

Dabei habe ich mich so bemüht, meinen Frust hinter meinem Lächeln zu verbergen und statt zu murren, brav hinter meinen Kindern und Bea her zu trotten, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, innerhalb der kürzesten Zeit alle Highlights von Vancouver abzugrasen. Einen halben Tag habe ich artig im Museum of Anthropology die Totempfähle der Haida People bewundert, bin nun bestens bewandert in ihrer Mythologie und kenne die Geschichte des schlauen Raben fast auswendig, der einst die Menschen aus ihrer engen Muschel hinaus in die weite Welt lockte. Zugegeben, beim Anblick des großen Holzbären mit den freundlichen Grinse-Lippen und den dicken schwarzen Brauen verflüchtigte sich meine Anspannung tatsächlich vorübergehend, meldete sich jedoch noch am selben Nachmittag zurück, als ich Tim und Jana über wackelige Hängebrücken durch die Baumwipfel des Botanischen Gartens folgen musste. Ich hätte nichts dagegen gehabt, mit Bea zu tauschen, die mit Stina am Boden warten durfte.

Anderentags waren wir im Space Center und Planetarium, dessen Eingang, der Himmel weiß warum, eine futuristische Krabbe in Kampfstellung bewacht. Wir sind in China Town durch wunderliche chinesische Apotheken gestreift, vorbei an Regalen mit Dingen, von denen ich nicht einmal sagen könnte, ob es sich um verdorbene Früchte oder getrocknete Lebewesen handelt, und ich habe in der folgenden Nacht Stina getröstet, die ihre Eindrücke zu fürchterlichen Albträumen verarbeitet hat. Wir haben moderne Kreuzfahrtschiffe gesehen und die alte St. Roch bewundert, die als erstes Schiff die eisige Nord-West-Passage durchsegelte. Hinter Bea, meinen Kindern und Horden von Touristen bin ich durch Gastown geschlendert, Vancouvers gerade mal hundert Jahre alte Altstadt, habe in English Bay Eis gegessen und die Robson Street erkundet.

Okay, ich gebe es zu, Vancouver ist schön, besonders wenn die Sonne hinter den Wolken hervorlugt. Aber jetzt reicht es mir.

„Willst du nach dem Frühstück mit den Kindern zum Strand gehen, während ich mich um die Flugtickets kümmere?“, schlage ich nun vor.

Bea sieht mich entrüstet an. „Nein, Jule, da helfe ich dir natürlich. Wo ist denn das nächste Reisebüro?“ Sie schaut mich an, als würde sie tatsächlich erwarten, dass ich die Antwort wüsste.

„Das Hostel hat freies WLAN.“ Ich deute in Janas Richtung, die, seitdem sie ihren Muffin in aller Eile verputzt hat, mit ihrem Handy verschmolzen ist und vermutlich gerade die neuesten Fotos unseres ungeplanten Umwegs mit ihren Freundinnen teilt. „Ich versuche es erst mal übers Internet. Ich werde mir gleich einen zweiten Kaffee holen, mich mit meinem Tablet in eines der Sofas da drüben kuscheln und mit der Fluggesellschaft chatten. Vielleicht können wir die Flüge irgendwie umbuchen oder so. Immerhin sind wir den letzten Teil der Reise bis nach Victoria gar nicht angetreten.“

„Bist du dir sicher, dass ich dir nicht dabei helfen soll? Wir sind in einem fremden Land. Da weiß man nie.“ Bevor ich antworten kann, winkt Bea einer Kellnerin. „Please, mehr Kaffee, here!“

„Ganz sicher“, seufze ich und hoffe, dass sie sich auf dem Weg zum Strand nicht verläuft. Sonst ist sie auf Jana angewiesen, deren Englisch hoffentlich ausreicht, um nach dem Weg zurück zu fragen.

Während Bea und die Kinder zum Strand aufbrechen, versinke ich in einem der tiefen Polster und versuche mein Glück bei der Airline. Leider ohne Erfolg. Eine Chat-Option gibt es nicht, also greife ich zum Telefon. Nachdem ich mich per Tastendruck durch das Menü navigiert und volle dreizehn Minuten in der Warteschleife fürchterliches Gedudel ertragen habe, spreche ich endlich mit einem echten Menschen. Leider kann mir dieser nicht helfen. Dass wir den Weiterflug von Vancouver nach Victoria verpasst hätten, findet er zwar bedauerlich, will uns deswegen jedoch noch lange nicht die ungenutzten Tickets nach Victoria BC gegen neue Flugscheine nach Australien eintauschen. Er wünscht mir dennoch einen schönen Tag und legt einfach auf.

Etwas benommen starre ich auf den Hörer und weiß im ersten Moment nicht, was ich tun soll. So etwas wäre mir früher nie passiert.

Dreizehn Jahre Mutter-Sein haben mein altes Ich einfach zernagt. Früher war ich anders. Selbstbewusst und voller Tatendrang. Aber dann kamen die Kinder. Und plötzlich drehte sich mein ganzes Leben nur noch um die Familie. Wie selbstverständlich wurden Rucksacktouren durch Asien durch Familienurlaube an der Nordsee ersetzt. Ausgehen zu zweit durch eine ganze Agenda von Kinderprogramm und Spielverabredungen. Freiheit durch Liebe. Irgendwann blickte mir aus dem Spiegel eine andere Frau entgegen, eine mit Flecken auf dem T-Shirt und Knete in den Haaren. Die Spiegelfrau wusste gute Mittel gegen Windeldermatitis, kaufte nur noch Bio-Milch, bastelte Marienkäferkostüme zu Karneval und Lebkuchenhäuser in der Weihnachtszeit. Sie aß Ravioli, weil die Kinder es mochten, statt SWR3 hörte sie Radio Teddy, und der Vater ihrer Kinder wurde ihr bester Freund.

Nicht, dass alles schlimm gewesen wäre. Es macht nicht unglücklich, bedingungslos geliebt zu werden. Bestimmt nicht. Und umgekehrt liebe ich meine Kinder über alles und natürlich auch meinen Mann. Es ist nur anders. Denn ich habe mich darüber selbst verloren.

Als von einem ehemaligen Kollegen das Angebot kam, ein Praktikum in Australien zu machen, war es wie ein Weckruf. Vier Monate ab September. Ich konnte gar nicht anders als annehmen und hängte sogar noch zwei Monate Urlaub vorne an. Ganz sicher ist mein alter Job nie mein Traumberuf gewesen, und auf das Geld sind wir nicht angewiesen. Aber ich brauche die Aufgabe. Ich will wieder für etwas anerkannt werden, etwas das unabhängig von geputzten Fensterscheiben ist oder mit jedem Mittagessen, das nicht den Ansprüchen meiner Kritikerschar entspricht, entzogen werden kann. Ich will morgens sauber und gekämmt das Haus verlassen, in fleckenfreier Kleidung. Ich möchte über Erwachsenenthemen sprechen und am Monatsende mit Stolz den Stand meines eigenen Kontos abrufen. Deswegen bin ich hier. Oder besser gesagt, deswegen bin ich auf dem Weg. Denn noch bin ich in Kanada.

Ich halte immer noch das Telefon in der Hand. Nicht aufgeben! Aus einer Laune heraus wähle ich erneut, dieses Mal die Nummer der englischen Hotline.

Hier ist die Musik besser, und auch die Mitarbeiter sind deutlich freundlicher. Eine Jen verspricht, ihr Möglichstes zu tun, doch dann werden wir irgendwie unterbrochen. Ich drücke die Wahlwiederholung. Als nächstes spreche ich mit Ana, neben deren Akzent sogar Beas Gekrächze verblasst. Nachdem ich mich ein paar Minuten mit ihr abgemüht habe, bedanke ich mich, lege meinerseits auf und versuche erneut, Jen zu erreichen. Diese scheint jedoch verschwunden zu sein, stattdessen hilft mir nun Alice. Alice ist gut zu verstehen und sehr bemüht. Nach kurzer Rücksprache mit ihrem Vorgesetzten verkündet sie, dass er ihr gestattet habe, uns kurzfristig neue Tickets nach Victoria auszustellen, dafür würde natürlich eine geringe Service-Gebühr anfallen, plus die Differenz zum ursprünglichen Ticketpreis. Das ist mir recht. Erleichtert stimme ich zu und freue mich schon auf Janas glückliches Gesicht, wenn ich ihr verkünde, dass wir morgen nach Australien weiterreisen. Erst als Alice davon schwärmt, wie traumhaft schön der 30-minütige Flug von Vancouver über die Strait of Georgia nach Victoria sei, wird mir klar, dass wir aneinander vorbeigeredet haben.

Für einen winzigen, den vergangenen dreizehn Jahren geschuldeten Moment überlege ich tatsächlich, das Praktikum abzusagen und einfach zurück nach Deutschland zu fliegen. Doch dann habe ich mich gefangen. Mir bleibt keine andere Wahl, als komplett neue Tickets zu kaufen. Also verbringe ich die nächste Stunde auf diversen Seiten kanadischer Reiseagenturen. Doch egal, wie ich es anstelle, unter 6800 Dollar ist nichts zu finden. Nur ein Reisebüro, das sich auf den Großraum Asien/Australien spezialisiert hat, wirbt auf seiner Webseite mit supergünstigen Angeboten, für die man jedoch persönlich in der Filiale erscheinen müsse. Obwohl sie neben dem Verkauf von Flugtickets auch anbieten, bei der Säuberung des Vorstrafenregisters behilflich zu sein, und sogar einen eigenen Link zum Thema Reisen mit Drogen haben, besorge ich mir an der Rezeption einen Stadtplan, werfe eine Jacke über und mache mich mit dem Bus auf den Weg zur Filiale am Commercial Drive.

Schon im Bus wird mir klar, warum Reisen nach Asien ein großes Geschäft sein müssen. Um mich herum entdecke ich kaum ein europäisches Gesicht, dafür mehr oder weniger schmale Mandelaugen und kurze Stupsnasen. Keiner meiner Mitfahrer ist älter als 25. Überhaupt sind hier in Vancouver alle ziemlich jung. Jung, sportlich und irgendwie total entspannt. Nicht nur im Vergleich zu mir. Yoga-Hosen sind angesagt, dazu schlichte T-Shirts und Sonnenbrillen. Der Kaffee in der Hand ein absolutes Must-have. So schlendern sie allein oder zu zweit durch die Straßen und spielen Sommer bei gefühlten 15 Grad Ende Juni.

Auch die junge Mitarbeiterin in meinem Reisebüro hat eindeutig asiatische Züge. Sie lächelt freundlich und nippt an ihrem Milchkaffee. Flüge nach Australien würde sie mir gerne anbieten. Doch günstig wird es im Moment leider nicht.

„Ferienzeit“, entschuldigt sie sich und zeigt auf ein paar Angebote auf ihrem Rechner, die noch weit jenseits meiner schlimmsten Albträume liegen. „Da wollen alle ihre Familien besuchen.“

„Aber wir müssen hier weg. Bitte. Können Sie nicht noch einmal nachschauen?“, flehe ich. „Vielleicht gibt es einen Flug, den niemand will. Eine Airline kurz vor dem Konkurs, eine schlechte Verbindung, ganz egal, wir nehmen alles.“

Das Mädchen dreht ihren Bildschirm von mir weg, tippt auf ihrer Tastatur, bewegt die Maus. Zwischendurch trinkt sie immer wieder einen Schluck Kaffee. Ob sie wirklich Flüge sucht oder ihre E-Mails checkt, kann ich leider nicht erkennen. Nach einer ganzen Weile richtet sie sich wieder an mich.

„Sorry.“ Sie schüttelt bedauernd den Kopf. „Aber wenn Sie bis September warten, sieht es besser aus. Ab Mitte August bekommen wir fast täglich neue Angebote. Und wenn Sie sich für unseren Newsletter anmelden, zahlen Sie bei der ersten Buchung pro Flug sogar zehn Dollar weniger.“

„Wow.“

„Ja, toll, nicht wahr?“, wischt sie meine Ironie einfach beiseite.

„Nur was soll ich in der Zwischenzeit machen?“

Ich weiß selbst nicht, warum ich diese Frage überhaupt stelle. Aber mein Gegenüber lächelt. „Vancouver ist herrlich, besonders im Sommer. Wussten Sie, dass Vancouver eine der schönsten Städte der Welt mit der höchsten Lebensqualität ist?“

„Nein, das wusste ich nicht“, erwidere ich höflich, denn um ehrlich zu sein, interessiert es mich auch nicht.

„Nummer drei auf dem Mercer Index.“

„Tja, nur leider habe ich keine Wohnung in der dritt-lebenswertesten Stadt der Welt gemietet, sondern in Australien.“

Das Mädchen nickt verständnisvoll. „Ja, es ist nicht leicht, hier etwas zu finden. Seit den Olympischen Spielen sind die Mietpreise explodiert. Aber mit etwas Glück finden Sie über den Sommer ein Sublet. Manche Studenten sind froh, wenn sie ihr Apartment untervermieten können. Und es ist ja nur für kurze Zeit.“

Irgendwie bin ich zu verwirrt, um zu protestieren. „Wo soll ich so jemanden finden?“, frage ich stattdessen.

„Oh, die University of British Columbia hat eine Miet-Hotline. Da können Sie anrufen. Aber besser ist es natürlich, die Angebote online zu checken, wegen der Fotos.“

Sie schreibt etwas auf einen Zettel und schiebt ihn mir zu.

Langsam tickert die Botschaft zu mir durch. Entweder ich kaufe die Flugtickets zu den derzeit verfügbaren Konditionen und verschulde mich für die nächsten zehn Jahre, oder ich brauche einen Plan B.

Mein Praktikum beginnt erst zum ersten September. Eigentlich wollte ich solange mit den Kindern in Melbourne ausspannen, durch das australische Victoria tingeln, die Sonne genießen und Urlaub machen. Aber vielleicht hat Bea recht. Ich sollte mein Schicksal entspannter nehmen, mich in meine Sweatpants werfen und einen Coffee to go trinken. Dann werden wir uns eben eine nette Wohnung in Vancouver mieten und die Zeit in Kanada überbrücken. Bis September sind es noch zwei Monate. Ich werde die vorausbezahlte Miete für unser Apartment in Melbourne zurückfordern und die ersten Leasingraten für das Auto. Damit müssten wir gut über die Runden kommen, bis die günstigen Flugangebote für den Herbst herauskommen. Es gibt wirklich schlimmere Orte auf dieser Welt als Beautiful British Columbia.

„Beautiful British Columbia, Beautiful BC.“ Ich bete mein neues Mantra auf dem gesamten Rückweg, und als ich endlich wieder im Hostel ankomme, habe ich mich selbst von meinem Plan überzeugt. Fast zumindest. Weil ich weder Bea noch meine Kinder irgendwo entdecken kann, kuschle ich mich wieder auf mein Sofa in der Lobby und schreibe eine E-Mail an die Wohnungsverwaltung in Australien, in der ich unsere Situation erkläre, vorschlage, das Apartment für Juli und August anderweitig zu vermieten und mir die bereits gezahlte Miete für die beiden Monate zurückzuerstatten. Dann tippe ich den Namen der Webseite ein, den mir die Asiatin aus dem Reisebüro notiert hat, und durchforste das Angebot nach einer geeigneten Bleibe in Beautiful Vancouver.

Zwei Stunden später ist tatsächlich alles gut. Oder fast. Zumindest habe ich den Karren wieder auf den rechten Pfad geschoben. Lässig bummle ich in meiner Yoga-Hose und mit einem im Hostel geborgten Kaffeebecher in der Hand zum Strand von Jericho Beach. Meine Familie zu finden, ist nicht sehr schwierig. Als erstes erkenne ich Tim, der mit dickem Pulli aber nackten Füßen in der niedrigen Brandung steht und Steine ins Wasser wirft. Auf dem Sandstrand hinter ihm, mit dem Rücken an einen großen Baumstamm gelehnt, sitzen Bea, Stina und Jana. Bea hebt ihre Sonnenbrille leicht an, um mich zu mustern.

„Warum trägst du bei dieser Wolkendecke eine Sonnenbrille?“, erkundige ich mich.

„Es ist Sommer!“

„Aber doch nicht hier.“

Stina zieht Jana die Kopfhörer aus dem Ohr, weicht geschickt dem Ellbogen ihrer Schwester aus und zeigt auf mich. „Mami ist wieder da!“

„Und sie hat ein Apartment für uns gefunden“, ergänze ich.

„Wieso ein Apartment? Ich dachte, du besorgst Flugtickets“, kreischt Jana.

„Wir müssen unsere Pläne ein wenig anpassen“, erkläre ich vorsichtig. „Im Moment sind die Flüge viel zu teuer.“

„Du hast es versprochen!“ Schieres Entsetzen knistert in ihrer Stimme. „Strand und Sonne. Ein cooles Apartment mit Pool. In Australien.“

„Lass uns doch erst mal hören, was deine Mam gefunden hat“, beschwichtigt Bea. „Apartments mit Pool gibt es bestimmt auch in Vancouver.“

Aber Jana ist bereits wieder in ihre Handywelt versunken. Ihre Daumen zucken wild über die Tastatur. Vielleicht ist es besser so. Denn was den Coolnessfaktor unserer neuen Wohnung angeht, bin ich mir nicht hundertprozentig sicher. Von einem Pool stand in der Anzeige jedenfalls nichts.

Bea klopft einladend neben sich auf den Sand. „Lass hören.“

Mittlerweile hat auch Tim mich entdeckt und rennt auf uns zu.

„Was haltet ihr davon, wenn wir den Sommer hier verbringen und uns Kanada angucken, bevor wir nach Melbourne weiterfliegen?“, frage ich meine Jüngsten. „Wusstet ihr, dass Vancouver regelmäßig zur drittschönsten Stadt der Welt gewählt wird?“

„Wer, wir?“, hakt Stina nach, und ihr Blick wandert von mir zu Bea.

„Wir alle“, seufze ich. „Bea und die Kuckucks.“

Stina nickt und verdreht die Augen hinter ihren Brillengläsern wie immer, wenn sie nachdenkt.

„Bea und die Kuckucks?“ Meine Freundin kichert. „Das klingt wie eine dieser grellen Rock ’n’ Roll Bands aus den 50ern.“

„Gibt es in Kanada auch Haie?“ Tim lässt sich in meinen Schoß fallen. „Ich habe den ganzen Tag noch keinen einzigen gesehen.“

„Was ist mit Papa?“, will Stina wissen.

„Wir treffen ihn wie geplant in Australien. Nur dass wir eben nicht schon vorher dort sind.“

„Versprochen?“

„Ganz bestimmt!“, verspreche ich. „Und Haie sehen wir spätestens in zwei Monaten. Meinst du, du kannst so lange noch warten?“

„Wie lange sind zwei Monate?“ Tim braucht grundsätzlich verlässliche Fakten.

„60 mal schlafen“, erklärt Stina.

Er runzelt seine kleine Stirn. „Soweit kann ich nicht zählen.“

„Ich bastle dir einen Bilder-Kalender. Dann kannst du jeden Tag ein Bild abhaken.“

Ich umarme Stina und Tim. Bei Jana bin ich im Moment lieber vorsichtig.

Bea nickt zufrieden, lehnt sich zurück und dreht ihr Gesicht wieder in die Richtung der Wolke, hinter der sie die Sonne vermutet. „Wann ziehen wir ein?“, fragt sie und gähnt.

„Morgen. Wir könnten es uns jetzt schon anschauen. Oder morgen direkt die Schlüssel übernehmen. Allerdings fliegt Candis, so heißt unsere Vermieterin, glaube ich, bereits um 11 Uhr ab. Das bedeutet, wir müssen vorher den Schlüssel bei ihr abholen. Wir könnten also heute bereits …“

Bea schüttelt den Kopf. „Vergiss es. Wegen der blöden Zeitverschiebung bin ich seit zwei Uhr wach und viel zu müde, jetzt durch die halbe Stadt zu gondeln, nur um eine Wohnung anzugucken, die wir morgen so oder so mieten.“ Damit mummelt sie sich in ihren bunten Schal.

„Besser wäre es trotzdem.“

„Gibt es denn eine Alternative?“

„Nein.“ Alternativen habe ich natürlich keine. Die Auswahl an möblierten Apartments mit fünf Betten war eher übersichtlich. Es gab genau eines. Und auch das verfügt streng genommen nur über zwei Schlafzimmer mit jeweils einem Doppelbett, ein schmales Queensize Bed für Bea und mich und ein extra breites Kingsize für die Kinder. Es wird also gemütlich werden.

„Ach, Jule. Dann ist doch alles klar. Wenn wir morgen wieder um zwei Uhr wach sind, haben wir endlos Zeit zum Aufstehen und Packen und Frühstücken und Umziehen.“ Bea gähnt. „Schau mal ein bisschen aufs Meer. Du wirst sehen, das wirkt enorm entspannend.“

Obwohl ich das Gefühl nicht loswerde, irgendein wichtiges Argument vergessen zu haben, lasse ich brav meine Augen über die Bucht gleiten.

Die Sonne hat sich einen Weg durch die Wolken gebahnt. Der Himmel über uns klart auf. Ein paar weiße Segelboote ziehen durch die dunkelblauen Wellen. Und weiter hinten, auf der anderen Seite der Bucht, erheben sich die Berge der Coast Mountains. Beautiful British Columbia.

Ich trinke den letzten Schluck Kaffee aus meinem Becher und lehne mich an das warme Holz des von Wind und Wasser glatt geschliffenen Baumstamms. Ja, alles wird gut.

Familie Kuckuck wandert aus

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