Читать книгу Kind der Drachen – Traum oder Wirklichkeit? - Sabine Hentschel - Страница 13

Tassi

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Ich verbrachte den restlichen Tag in meinem Zimmer – allein. Der Regen hörte nicht auf. Mrs. Daniels hatte sich geirrt. Das Wetter wurde immer grauer und dunkler. Genauso wie meine Gedanken. Ich fuhr mit dem Finger die Regentropfen an der Scheibe nach. Was mache ich bloß? Wenn das Leben nur so einfach wäre wie der Lauf eines Wassertropfens, sich einfach treiben lassen. Ich ließ mich zurück aufs Bett fallen. Marces? Wo bist du nur? Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf ihn. Sein Gesicht. Den Klang seiner Stimme. Den Geruch seiner Haut. Marces, hörst du mich? Nichts. Ich versuchte ein wenig zu schlafen und hoffte darauf, dass er mich in meinen Träumen besuchen kam. Aber es funktionierte nicht. Es war als wäre auf einmal eine riesige Kluft zwischen uns. Ich seufzte leise.

»Na, na, na, Liebes. Was liegt dir denn so schwer auf dem Herzen?«, sagte Mrs. Daniels. Ich erschrak, weil ich sie gar nicht reinkommen gehört hatte.

»Nichts.«, antwortete ich. Mrs. Daniels warf mir einen zweifelnden Blick zu. Als wollte sie sagen, dass glaube ich dir nicht.

»Ok. Ist ja schon gut! Ich vermisse Marces!«, fügte ich an. Mrs. Daniels setzte sich zu mir: »Ich weiß, dass das nicht einfach für dich ist. Aber eine große Liebe verkraftet alles. Du wirst sehen, alles kommt wieder ins Lot. Auch wenn ihr im Moment meilenweit voneinander entfernt seid, werdet ihr in Gedanken immer beieinander sein. Das Band der Liebe kann nichts trennen. Sieh uns an.

Selbst der heftigste Sturm bringt uns nicht auseinander.«

»Was für ein Sturm?«, hakte ich nach.

Mrs. Daniels seufzte tief: »Mr. Daniels wollte euch eigentlich nicht aufnehmen. Er will nichts mehr mit den anderen zu tun haben. Es gibt einfach viel zu viele Lügen in unserer Welt. Keiner erinnert sich mehr an die Wahrheiten der Vergangenheit. Ich habe lange mit ihm geredet und ihn schließlich überzeugen können. Das wir euch helfen müssen. Anderenfalls werden die Lügner auf dem Thron der Unsterblichen gewinnen.« Ich wusste zunächst nicht, was ich sagen sollte. Die ganze Sache zog immer weitere Kreise. Das hatte ich alles nicht gewollt.

»Es tut mir leid. Ich wollte keinem Ärger bereiten!«, antwortete ich schließlich.

»Daran bist du nicht schuld, Liebes!«, erwiderte sie: »Den Ärger gab es schon vorher. Das geht jetzt schon viele, viele Jahre so.«

Mrs. Daniels schien sichtlich gedrückter. Sie blickte auf ihr Armband. Es war ein ledernes Band, an dem kleine Glücksbringer und vier Buchstaben hingen. Ein A und drei Bs.

»Was bedeuten die Buchstaben?«, fragte ich sie.

Mrs. Daniels schmunzelte: »Das sind unsere Vornamen. A für Alannah, das ist mein Name, Liebes. Und die drei Bs stehen für meine Männer. Branden, Barry, Bairre.«

Ich verzog die Augenbraue: »Drei Männer?«

Sie seufzte leise: »Ja. Vor ein paar Jahren waren wir noch zu viert hier. Mr. Daniels oder besser gesagt Mr. Bairre Daniels und ich sowie unsere zwei Söhne Branden und Barry. Meine Jungs. Ich hoffe, es geht ihnen gut.«

»Wo sind die beiden?«, hakte ich nach.

Mrs. Daniels zögerte kurz: »Im Gefängnis auf der Insel Gough. Der Konzilstadt.«

Ich zuckte zusammen: »Im Gefängnis? Was ist passiert?«

Daraufhin schüttelte sie den Kopf: »Eigentlich gar nichts. Aber das Gericht war der Meinung, meine beiden Jungs haben Unrecht getan. Das ist jetzt schon drei Jahre her. Ich darf sie nicht mal besuchen!«

»Was für ein Unrecht?«, fügte ich an.

»Sie haben nur die Wahrheit gesagt. Sie haben in der Öffentlichkeit behauptet, dass sie von den Trollen abstammen.«, antwortete Mrs. Daniels seufzend.

Ich runzelte die Stirn: »Von den Trollen? Stimmt das denn?«

Mrs. Daniels nickte: »Ja. Das vergisst leider nur jeder. Wir Kobolde stammen von den Erdtrollen ab. Vor vielen, vielen Jahrhunderten traf ein Erdtrollmann eine kleinwüchsige Frau. Sie verliebten sich ineinander und gründeten eine Familie. Aus dieser Linie stammen wir Kobolde. Meine Jungs haben nur versucht die anderen Unsterblichen an unsere Herkunft zu erinnern um ihre Ansichten, dass jede Rasse unter sich zu bleiben hat, zu ändern. Aber keiner hat ihnen zugehört. Es denken halt immer nur alle an sich selbst!«

Ich überlegte, was Marces wohl dazu gesagt hatte? War er Schuld an der Verhaftung ihrer Söhne?

»Wollte Mr. Daniels uns nicht hier haben, weil Marces für die Inhaftierung gestimmt hat?«, fragte ich sie daraufhin.

Mrs. Daniels nahm meine Hand und nickte. Mehr sagte sie nicht.

Ich bemerkte eine kleine Träne auf ihrem Gesicht. Sie wischte sie beiseite und rappelte sich auf.

»Ich mache dann mal das Abendessen!«, sagte sie und verließ das Zimmer. Oh, Marces, was hast du getan. Ich versteh das nicht.

Ich blickte nach draußen. Es regnete immer noch. Marces, wenn du mich hören kannst, bitte erklär es mir. Aber er reagierte nicht. Es blieb abermals still in meinen Träumen.

Die Sonne weckte mich am nächsten Morgen aus dem Schlaf. Ich drehte mich ein paar Mal im Bett hin und her. Wirklich gut hatte ich nicht geschlafen. Die letzte Nacht verlief in stundenlangem im Bett umher wälzen. Die Gedanken an Mrs. Daniels Söhne und Marces ließen mich nicht los. Wieso unternahm er nichts? Wieso folgte er mir nicht in meine Träume? Diese Leere machte mir Angst. Ich rappelte mich auf und lief hinunter in die Küche. Mrs. Daniels hatte sich gerade eine Jacke übergezogen, als ich unten ankam.

»Wo wollen Sie denn hin?«, fragte ich.

Mrs. Daniels sah mich an: »Ich gehe eine alte Freundin besuchen. Möchtest du mich nicht begleiten?«

Ich überlegte kurz. Folgte ihr aber schließlich, da mir für den Moment keine bessere Idee kam. Wir liefen über die angrenzende Wiese und dann quer durch den Wald. Einen richtigen Pfad gab es nicht, aber Mrs. Daniels schien genau zu wissen an welchem Baum man abbiegen musste. Ich hatte zunehmend Schwierigkeiten ihr durch das Gestrüpp der kleinen Bäume zu folgen.

»Wie heißt denn ihre Freundin?«, fragte ich sie.

Mrs. Daniels hüpfte über einen umgefallenen Baum: »Tassi. Sie wohnt zusammen mit ihrer kleineren Schwester Nemie am Dagesh-See. Das sagt dir vermutlich nichts, die Menschen hier haben ihn vor Jahrhunderten einfach in den Großen See umbenannt.«

»Sind die beiden auch Kobolde?«, fragte ich weiter.

Mrs. Daniels blieb kurz stehen und blickte mich an: »Nein. Aber keine Sorge, sie sind gute Wesen. Ich erkläre dir alles, wenn wir da sind.«

Ich schaute sie verwundert an. Was sollte das denn schon wieder heißen? Wir liefen noch eine gute Viertelstunde geradeaus mitten durch das immer dichter werdende Geäst. Bevor wir an einem großen, fast runden See ankamen, der inmitten des Waldes lag. An einer Seite des Ufers türmten sich mehrere Steine auf. Die anderen Seiten fielen sanft in den See hinab. Mrs. Daniels lief direkt auf die Steine zu und kletterte bis ganz nach oben. Dort blieb sie stehen und rief nach ihrer Freundin: »Tassi! Tassi!«

Ich folgte ihr und setzte mich auf die Steine. Ein paar Minuten lang passierte gar nichts. Dann fing das Wasser vor uns an zu brodeln. Im gleichen Moment erhob sich eine Gestalt aus dem Wasser. Durchsichtig wie das Wasser selbst, aber in ihrer Erscheinung wie eine Frau.

»Hallo, liebe Freundin!«, antwortete die Gestalt.

Mrs. Daniels lächelte sie an: »Schön dich zu sehen, Tassi. Ich habe noch jemanden mitgebracht. Das ist Cara, das Drachenkind.«

Tassi blickte mich an und musterte mich dabei von oben bis unten: »Guten Tag! Ich habe schon einiges von dir gehört, Cara. Meine Schwestern aus den Seen in Deutschland reden über dich und deine Geschwister.«

Ich schmunzelte verlegen: »Hallo. Ich hoffe nur Gutes!«

Tassi schüttelte den Kopf: »Ihr habt für ziemlichen Wirbel gesorgt. Da gibt es einige, die nach euch suchen!«

Mrs. Daniels unterbrach sie: »Bitte, verrate sie nicht. Sie wollen nur eine faire Verhandlung.«

Tassi schüttelte abermals den Kopf: »Das werde ich nicht! Aber ihr solltet gewarnt sein.«

Mrs. Daniels nickte zustimmend. Ich zögerte. Was sollte ich auch sagen? Sollte ich uns verteidigen? Tassi fing schließlich an zu lachen. Ich blickte sie verwundert an.

»Ich wollte dich nicht zum Grübeln bringen. Der Tag ist viel zu schön dazu. Ein bisschen Entspannung kann jeder gebrauchen.«, fügte sie an. Ich schmunzelte schließlich.

»Ich nehme an, meine lieben Freunde haben unterlassen euch über gewisse Dinge aufzuklären.«, erzählte sie weiter. Mrs. Daniels zuckte mit den Schultern, als wollte sie sagen, wieso sollte ich.

»Über was aufklären?«, hakte ich nach.

»Über uns. Über alles. Über den Ursprung!«, antwortete Tassi.

Ich verzog die Miene: »Nein. Wieso?« Tassi bewegte sich ein wenig nach hinten, dann nahm sie etwas an Lauf und saß schließlich neben mir auf dem Felsen.

»Gib mir deine Hand.«, sagte sie und ich tat wie sie befahl. Ihre Hand war kalt und nass, aber irgendwie auch fest.

»Ich bestehe zu 100 % aus Wasser. Ich habe keine Haut und keine Organe. Meine innere unsterbliche Kraft ermöglicht es mir eine menschliche Gestalt anzunehmen. Allerdings nur die Eine. So ist das mit allen Wassertrollen. Wenn man einmal seine Gestalt gefunden hat, behält man diese für immer. Mein Vater Kelpie kann sich sogar so gut manifestieren, dass er als weißer Hengst über die Wiesen läuft und das tagelang. Nur anhand seines nassen Haares kann man ihn von den anderen Pferden unterscheiden. Meine Kraft ist nicht so stark, ich brauche meinen See oder das Meer, um zu überleben. Ich muss spätestens jeden Abend ins Wasser zurückkehren. Du verstehst hoffentlich, dass es für uns nicht einfach wird an einem Konzil teilzunehmen. Nur die stärkeren von uns werden die Kraft haben die lange Reise nach Gough anzutreten.«, erklärte sie mir, während sie meine Hand wieder losließ.

Ich nickte: »Verstehe!«

Mrs. Daniels sah Tassi mit einem durchdringenden Blick an: »Aber versuchen werdet ihr es doch, oder?!«

Tassi lachte: »Natürlich. Dir kann ich eh keinen Wunsch abschlagen. Aber umso mehr Zeit ihr uns und euch verschafft, desto mehr werden zum Konzil kommen können. Ihr solltet es also noch ein wenig herauszögern!«

Mrs. Daniels schmunzelte: »Das kriegen wir schon hin! Informierst du bitte auch die anderen Trolle?«

Tassi nickte zustimmend.

»Was gibt es denn noch für Trolle?«, fragte ich die beiden daraufhin.

Tassi antwortete mir lächelnd: »Insgesamt gibt es fünf verschiedene Trollarten. Neben uns Wassertrollen gibt es noch die Lufttrolle, Baumtrolle, Feuertrolle und Erdtrolle. Die Lufttrolle fliegen wie die Vögel mit den Winden. Sie manifestieren sich nur sehr selten. Es wird nicht einfach sein ihnen Bescheid zu geben. Die Baumtrolle sehen eigentlich aus wie Bäume. Sind aber eher so groß wie du, Cara. Die Baumtrolle stehen mitten unter den Bäumen und beschützen sie. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob die Baumtrolle jemals ihren Heimatwald verlassen haben. Die Erdtrolle bestehen aus Felsen und Geröll. Sie sind etwas jähzornig, wenn du mich fragst. Ich halte mich sonst eigentlich immer von den Bergen fern. Aber ich werde sie informieren.«

»Und die Feuertrolle?«, hakte ich nach.

Tassi schüttelte den Kopf: »Die überlasse ich euch! Diese kleinen Biester lasse ich nicht in meine Nähe!«

Mrs. Daniels lachte laut: »Gut, das erledigen wir!«

Kind der Drachen – Traum oder Wirklichkeit?

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