Читать книгу Koalamond - Sabine Korsukéwitz - Страница 4

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2.

Am nächsten Morgen hatte ich lange vom Bett aus in den Himmel gestarrt, durch den schmalen Ausschnitt der hohen, offenen Tür zur Veranda, auf dem ersten Drittel horizontal zur unteren Begrenzung des Bildausschnitts - muss man sich vorstellen - die Verandabrüstung und vertikal die Gitterstäbe, abgegriffenes silbriges Holz, durch das hindurch rankende Pflanzen ihre Finger ins Haus schoben - im Zimmer herrschte kühles Halbdunkel, draußen begann schon die Sonne die Luft aufzuheizen und zum Flimmern zu bringen. Da hörte ich Janet und Greg von ihrer morgendlichen Arbeit in der Molkerei zurückkommen.

Aus irgendeinem Grund hatten sie beide Wagen genommen. Erst röhrte Janets klappriger Toyota die Einfahrt hoch - außen sah dieses Auto aus wie die Sorte, die verarmte amerikanische Privatdetektive fahren: verrostet, zerbeult, hängende Türen; der Lack bis auf eine dünne, raue, matte Schicht von Wetter und schlechter Behandlung abgetragen; innen war es in ähnlichem Zustand wie die Küche - dann hörte ich den etwas tieferen und gesünderen Ton des Kleinlasters, von dessen Ladefläche ein Hund herunter kläffte.

Während Greg und Janet ins Haus gingen und in der Küche rumorten, schwang ich mich, in der Hoffnung auf ein Frühstück, in aller Eile in meine Kleidung.

Als ich in das düstere Speisezimmer kam, war mein Platz schon gedeckt. Ich setzte mich gegenüber von Greg, der nach einem gebrummten “g’day son” schweigend sein Porridge löffelte, eine graue, schleimige Pampe mit Rosinen und einem Haufen Zucker drauf. Porridge lehnte ich dankend ab und stieg erst beim zweiten Gang ein: Spiegeleier mit Speck. Dazu gab es die üblichen lappigen Toastscheiben, allerdings mit einigen dunkleren Körnchen durchsetzt; Vollkorntoast, wie mir Janet erklärte, die mitbekommen hatte, dass ich mich nach Vollwertnahrung sehnte. Das sei doch sicher das richtige. Ja, sicher, danke, natürlich - (kotz!).

Wo die girls seien? Wo die kleine Cindy war, konnte mir herzlich egal sein, aber Rhonda hatte ich weder gestern Abend noch heute morgen gesehen. Cindy sei in der Schule und Rhonda schon vor Stunden abgeholt worden. (Abgeholt? Von wem?)

Wir Männer schwiegen und widmeten uns der Nahrungsaufnahme, während Janet in der Küche greensleeves trällerte und anschließend ein Elton-John-Medley.

Schließlich schob Greg seinen Teller mit einem zufriedenen Seufzer von sich.

“Findest du, dass ich viel esse?” fragte er mich grinsend. Gregory Stephens war ein kleiner Mann, sie waren beide viel kleiner als Rhonda; sie klein und rund, er so etwa Eins siebzig, aber zäh und drahtig. Er konnte nicht älter als Mitte oder Ende Vierzig gewesen sein, sein Alter war schwer zu schätzen. Die Arbeit auf dem Land, körperliche Arbeit und das ständige Draußensein, ich nehme auch an, der tägliche Kampf um essentielle Dinge, die gesamte Lebensorganisation, zehrt nicht nur an den Muskeln, sie verändert auch die Gesichter.

Schon immer fand ich die Gesichter von Menschen auf dem Land ausgeprägter, interessanter als Gesichter in der Stadt, von Ausnahmen abgesehen.

Gregs Gesicht war ledrig, ein bisschen eingefallen. Gemessen an dem Hochzeitsfoto, das auf der Anrichte stand, waren nur seine Ohren gewachsen und hatten sich nach vorn aufgestellt, wie von ständigem, konzentriertem Lauschen, während der Rest seines Gesichtsfleisches verdampft zu sein schien, die Haut zusammengezogen und irgendwie an der spitzen Nase fixiert.

Von der Linie an aufwärts, wo er draußen den ganzen Tag seinen Hut in die Stirn gedrückt trug, war die Kopfhaut weiß, darunter sonnenverbrannt.

Ein gutaussehender Mann war er niemals gewesen, aber jetzt musste ich an einen Gnom aus einem meiner alten Märchenbücher denken. Trotzdem war es ein gutes Gesicht; ein Gesicht, dem man instinktiv vertraute.

“Ich Muss nach Birds Nest”, sagte er, ”you comin’? Kommst Du mit? Ich Muss mit dem Sergeant reden. Auf dem Rückweg kann ich dir vielleicht ein paar Tiere zeigen.”

“Gern, danke.”

Außer meinen ersten drei Kängurus im Barossa Valley hatte ich hauptsächlich überfahrene Tiere am Rand der Highways gesehen und ein paar Raubvögel, die sich von dort ihre Mahlzeiten aufklaubten.

Greg ging sich von Miss Frühling verabschieden. Und da wurde mir bewusst, dass Liebe keine Sache von Jungsein oder gutem Aussehen ist, so wie es einem im Fernsehen immer suggeriert wird. Ich meine, ich hatte gesehen wie meine Eltern sich küssten, aber die sind außer Konkurrenz. Nein, die Art, wie Gregory Stephens seine dicke, kleine Frau mit der teigigen Haut und dem spärlichen, dauergewellten, rötlichen Haar in den Arm nahm, das bewirkte, dass ich mich wegdrehte. Das war nicht die gut eingespielte Zweckgemeinschaft, ein staatlich sanktioniertes Häuslebau- und Rentenbeschaffungsunternehmen, das war weder Gewohnheit noch Romantik; das war etwas, von dem ich nicht sicher sein konnte, dass ich es je erreichen würde oder wollte oder konnte.

“Lets go!”

Wir gingen durch die Fliegengittertür und durch den offenen langen Gang nach draußen. Mein Motorrad stand unter dem Vordach, und Greg strich bewundernd mit den Händen über den schwarzen Sattel.

“Tolle Maschine,” sagte er, ”hab’ noch nie in meinem Leben eine echte Harley gesehen, nur im Film! - Muss ein Vermögen gekostet haben...”

“Ja”, sagte ich, und es war mir ein wenig unangenehm, so viel Geld gehabt zu haben: ”Ich habe unerwartet was geerbt und beschlossen, es nicht auf die Kante zu legen, sondern mir diesen Wunsch zu erfüllen ...”

Aber er grinste ohne eine Spur von Neid:

”Der Teufel soll morgen holen? Na ja - solange du keine Kinder hast...”

Er machte nicht den Eindruck, als würde er mit mir tauschen wollen, selbst wenn er die Wahl gehabt hätte. Wäre ihm eine gute Fee erschienen und hätte ihm diese drei Wünsche freigestellt - so, wie ich ihn jetzt kenne, ich weiß, er hätte gesagt: ”Einen erstklassigen Droughtmaster-Zuchtbullen, einen neuen Pickup, und hex‘ mal schnell das Finanzamt auf den Mond!”

Wir stiegen in den alten klapprigen Kleinlaster; ich verbrannte mir fast den Hintern auf den von der Sonne durchgeglühten Polstern. Greg zuckte nicht einmal, als er sich niederließ; sein Hintern war vermutlich bis zur totalen Empfindungslosigkeit hartgeritten.

Auf der kurzen Fahrt nach Birds Nest wurde nicht geredet, dafür war der Motor zu laut. Nur einmal erschreckte mich der Alte, als er urplötzlich einen mörderisch schrillen, langgezogenen Schrei ausstieß, abgehackt, ein irres Gelächter. Ich dachte einen Moment: Jetzt dreht er durch. Dann zeigte er aus dem Fenster. ”Hörst du? Kookaburra!”

Jetzt hörte ich ihn auch, den Kookaburra, einen Vogel; die australische Entsprechung zu unserem Kuckuck - die sogenannte Spottdrossel. Wenn man ihn das erste Mal hört, glaubt man, da sitzt einer im Baum und macht sich ‘n Spaß. Das Geräusch ähnelt mehr einem Affen-Kriegsgeheul oder menschlichem Gelächter als einem Vogelschrei.

Greg freute sich über den Schrecken, den er mir eingejagt hatte. Kichernd brachte er den Laster am Straßenrand zum Halten.

“Da drüben sitzt er, siehst du? Auf dem einzelnen Baum dort, zweiter Ast von unten!”

Ein unscheinbarer Bursche; weißer Bauch, gräulich-bräunlicher Rücken mit schwarz, nicht viel größer als ein Specht, aber mit einer weit schallenden Stimme. Sie nennen ihn auch Froschmaul, und das stimmt: der breite, unverhältnismäßig große Schnabel sieht beinahe unecht aus, eine Faschingsmaske. Das gibt dem Vogelgesicht etwas Froschartiges.

Birds Nest, wie gesagt, ist ein winziges Kaff, die wenigen Häuser und Lagerhäuser um einen parkartigen Platz angeordnet; eine Reißbrettstadt, wie viele in Australien. In der Mitte stand ein uralter, riesiger Baum, ein Zwischending zwischen einer Korkeiche und einem gestrandeten Wal, das Maul weit aufgerissen und mit Hilfe einer Eisenstange offen gehalten.

“Da hat Jimmy Bird drin gewohnt, als er zuerst hier ankam”, erzählte Greg.

“1838 bis 44. Sechs Jahre hat er in dem Baum gelebt. Drei davon sogar mit Frau und Kind. Zum Hausbau hatten sie einfach keine Zeit. Erst musste Essen rangeschafft werden, gerodet, der Boden bestellt werden, und danach erst kam das Haus. Viele Pioniere haben das so gemacht. Jimmy Bird war hier der Erste - darum Birds Nest.”

“He, Ben! Wo ist der Sergeant?” brüllte er über die Straße einem Mann zu.

“Wo er immer ist um die Zeit!” war die Antwort.

Greg parkte den Wagen im Schatten einer Casuarina. Wir stiegen aus, und ich setzte meinen lächerlich makellos aussehenden Akubra auf. Mein Begleiter grinste spöttisch, sagt aber nichts.

Er zog mich in die einzige Kneipe am Ort, wo Frauen zwar seit ein paar Jahren zugelassen sind, aber außer Touristinnen trifft man hier v o r der Theke so gut wie nie welche.

Buschkneipen sind dunkel, aber nicht verräuchert, weil sie nach dem alten System gebaut werden, das eine ständige Durchlüftung ermöglicht. Sie riechen sogar meist recht angenehm .

Meist sind sie voller mehr oder weniger patriotischer Andenken.

Es gibt ein paar Standards, wie die flachen braunen Haufen, die an die Wand genagelt sind mit einem Zettel darunter - “genuine Northern Territory bullshit”, Staatsnamen austauschbar; entlang der großen Verbindungsadern hängen auch zerdonnerte Autofelgen an den Kneipenwänden, dazu die mit dem Platten gefahrene Kilometerzahl und die Kommentare der ehemaligen Besitzer, wenn sie endlich gemerkt hatten, was los war:

“Ich hatte das Radio so laut ”, oder: “Ich dachte, die Straße sei ziemlich holprig”.

Und dann sammeln die meisten Barbesitzer auch noch irgendwas Spezielles, das gelangweilte Reisende sich anschauen können, das Gespräche in Gang bringt und Geschmack und Interessen des Besitzers zur Schau stellt: Flugzeugpropeller, Motoren, verrostete Maschinenteile; die eisernen Skelette des Fortschritts, der das Innere des australischen Kontinents niemals hat erobern können; einer hatte vorm Eingang Hunderte von alten Medizin-, Schnaps- und Sodaflaschen aufgehängt, dicke, schlanke, runde und rechteckige, alle mit der Seifenblasenpatina der vielen Jahre, die sie irgendwo im Sand gelegen hatten. Der Barkeeper erzählte mir, dass er sie alle aus einem trockenen Bachbett ausgegraben hatte; in der Nähe musste einmal eine Glasfabrik gewesen sein. Vielleicht hatte man hier aber auch nur den Wagen eines Quacksalbers angehalten, den Mann aufgehängt für irgendeine vermeintliche oder tatsächliche Schandtat, und die Ladung von seinem Wagen in den Fluss gekippt, all die Mittel gegen Husten, für Haarwuchs und leichte Geburten.

Dieser Pub hier war mit Geldscheinen tapeziert, mit Geldscheinen aus England, Frankreich, Schweden, Holland, vielen aus Japan, amerikanischen Dollars und Deutschen Mark (Ost und West, wobei das Ostgeld als interessanter empfunden wurde)),außerdem hübsch buntes Papiergeld von den Philippinen, aus dem Königreich Tonga und von einigen Orten, von denen ich noch nie was gehört hatte.

“Hallo Jungs! Das ist Gabriel. Er kommt aus Deutschland und studiert Literatur!” rief Greg beim Eintreten.

“No problem - macht nichts”, war die prompte Antwort.

“Ah! Das da, son, ist unser Polizeichef. Wie ich sehe, hat er schon ein paar Drinks verhaftet. Mike Stark - das ist Gabriel aus Deutschland, wohnt bei uns; Gabriel - das ist Mike, und das hier ist sein Assistent, heißt Snakes. Den kannst du alles über Reptilien fragen, stimmt’s Snakes?!”

Sergeant “Snakes” bestellte mir ein Bier und begann sofort freundlich Konversation zu machen; mein Kindermädchen, während die Männer ernste Sachen zu besprechen hatten.

Er war ein komischer Kauz, Anfang Zwanzig, schlaksig, und sein Gesicht war ständig in Bewegung, alles darin war ständig in Bewegung: Ohren, Nase, Mund und Augen und auch alles dazwischen. Er gestikulierte beim Sprechen mit dem Gesicht, so wie es andere Leute mit Händen und Füßen tun. Ich war fasziniert.

Er nahm das als Interesse für sein besonderes Fachgebiet und stürzte sich nun ernstlich in den Vortrag:

“Du kommst doch gerade aus dem Norden, stimmt’s? Da ist doch gerade Regenzeit, stimmt’s? Jede Menge Wasser, oben, unten, überall, stimmt’s? Und hast du diese Frösche gesehen, die großen, giftgrünen? Ja? Weißt du, die tauchen gern in Klos auf, in den Häusern. Wirklich wahr, ich bin da oben aufgewachsen, in den Kimberleys. Und eine Regenzeit lang hatten wir mal viel Spaß mit den Fröschen.

Wir haben sie rausgeangelt und markiert - so, weißt du, das geht ohne sie zu verletzen. Wir haben ihnen Buchstaben auf die Rücken gemalt um zu sehen wo sie wieder auftauchen, und sie dann runtergespült.

Hey, zwei Monate lang wenn sich die Leute auf der Straße getroffen haben, hieß es nur: Wen hast du heute gesehen? A? Ich hatte D oder F und K. Oder: tut mir leid, meine Katze hat heute B gefressen.”

In der Zwischenzeit hatten Greg und Sergeant Stark ihre geschäftliche Besprechung beendet und gesellten sich zu uns. Greg zwinkerte mir zu und sagte:

”Wisst ihr Jungs eigentlich, dass Gabriel hier ein Goldgräber ist?”

So war Greg, redete nicht viel, sah aber eine ganze Menge. Er hatte bei meinem Gepäck wohl auch die Pfanne zum Goldwaschen entdeckt. Ich dachte eben, ich versuche es mal.

Man kann immer noch Gold finden in Australien, nicht viel, nicht wie beim großen Goldrausch; aber man hört immer wieder, dass einer Glück gehabt und für ein paar tausend Dollar Nuggets gefunden hat.

Die Geschichte vom Goldrausch in Australien ist auch eine Geschichte von technischem Fortschritt und Umweltzerstörung.

Anfangs hat man mit einfachsten mechanischen Hilfsmitteln, mit Picke, Schaufel und Sieb oder Pfanne die gröberen Stücke aus der Erde geklaubt. Wenn man keine Nuggets mehr fand, wurden die Minen und Schächte aufgegeben, und die Natur hatte Zeit, sich zu regenerieren.

Aber dann kamen die großen Minengesellschaften, die rechnen in Gramm per Tonne Erde, durchwühlen ganze Berge mit ihren Bulldozern und filtern noch das kleinste Stäubchen chemisch heraus.

Was sie hinterlassen sind Mondlandschaften, in denen für 10 oder vielleicht sogar hundert Jahre nichts mehr wächst. Ich habe Bilder von Boulder und Calgoorlie gesehen, im Gold-Tagebauzentrum von Australien, da habe ich mich wirklich gefragt - eine naive Frage, aber naive Fragen sind manchmal die einzigen die zu stellen sich lohnt - ist es das wert? So viele Arbeitsplätze bringt das nicht. Und soviel zerstörtes, verletztes, zerrissenes Land, nur damit ein paar Barren Metall in irgendeinem Banksafe lagern und einen Fettsack im Armani-Anzug ruhig schlafen lassen?

Was Leute wie ich machen, hinterlässt kaum Spuren. Man wäscht Pfanne für Pfanne den Flusssand durch, und wenn man irgendwo ein Loch gräbt, buddelt man es hinterher wieder zu.

Der Buckel, den Australien in die Sonne hält, ist schon sehr alt, erdgeschichtlich gesehen. Es hat kaum geologische Aktivitäten gegeben, z.B. die Macdonnell Ranges im Northern Territory sind seit 400 Millionen Jahren nur von Wind und Regen bearbeitet worden.

Deshalb findet man in Australien besonders viel sogenanntes alluviales Gold, ausgewaschen, bereits vom umgebenden Gestein getrennt und je nach Länge des zurückgelegten Wegs zu Nuggets, Flocken oder Staub zermahlen. Die großen Fundorte gehören alle den großen Minengesellschaften oder sind so ausgequetscht, dass es sich für die Profis schon lange nicht mehr lohnt; aber ein Freizeit-digger kann sich hier immer noch ein paar Dollars und ein bisschen Spaß verschaffen.

Gegen eine geringe Gebühr kriegt jeder im örtlichen Mining-Department eine Schürfgenehmigung, und damit darf man überall auf staatlichem Land buddeln, vorausgesetzt man arbeitet nur mit einfachen mechanischen Hilfsmitteln, reißt keine Bäume aus oder ruiniert die Landschaft übermäßig. Das darf man nur im großen Stil.

Gold- und Edelsteinsuche ist immer ein gutes Gesprächsthema in Oz, und ich habe kaum einen getroffen, der es noch nicht wenigstens einmal versucht hätte.

So war es hier auch. Kaum hatte Greg mein kleines Hobby erwähnt, da waren wir auch schon mitten im fachsimpeln über die besten Geräte, die Technik des Schwenkens und Siebens, die vielversprechendsten Fundorte und woran man sie erkennt.

“Ich habe zwar noch nie Gold gefunden, aber wenn ich losziehe, fange ich jedes Mal mindestens eine interessante Schlange, einen neuen Frosch oder einen Goanna,” sagte Snakes, ”für mich lohnt es sich also immer.”

“He Greg! Erzähl ihm doch mal von deinem Wahnsinns-Fund!” dröhnte Stark, und alles brach in wieherndes Gelächter aus. Greg wand sich ein bisschen for show, aber dann rückte er auch schon mit seiner Goldgeschichte heraus:

“Okay Jungs, ihr wisst ja, dass wir nicht gerade reich sind. Es kommt gerade so hin, um die Bankzinsen und die Steuern zahlen zu können, und ich beklag’ mich nicht, aber manchmal hängt mir die Schufterei schon zum Hals raus!”

Zustimmendes Grunzen rundum.

“Scheißbanken!”, ”Bloody G’vment”, ”God damn the taxman!” - Scheißregierung, der Herr verdamme den Steuereintreiber ... darauf eine neue Runde.

“Gut - und eines Tages”, machte Greg weiter, “da kommt meine missest zu mir auf die Weide gerannt - wir sind grade beim Mustern - und schreit und schreit schon von weitem. Ich hör immer bloß: Reiiich, Greg, wir sind reich, reich, reich! Und sie schwenkt etwas in ihrer Schürze. Die trägt sie so vor sich her, zu einem Sack zusammengehalten. Wir steigen ab, sie kniet sich hin und öffnet die Schürze. Ein Windstoß und die Luft flimmert und glitzert von goldenem Staub. Na - ich muss zugeben, dass es mich ganz schön gepackt hat, in dem Moment, wir springen in den Wagen, ab in die Stadt zur Bank, und Mike: hättest du versucht mich zu stoppen, ich hätte dich über den Haufen gefahren. Völlig verrückt waren wir! Wir legen die Schürze in der Bank auf den Tresen und strahlen und plappern beide wie zwei Idioten. Bob kommt angerannt, der Bankdirektor, und er beugt sich über das Zeug. Er krümelt so ein bisschen davon in den Fingern herum. Er zerdrückt ein Bröckchen davon mit dem Taschenmesser auf dem Tisch und sagt ... ” hier legte Greg seine Kunstpause ein, um einen langen Zug Bier zu nehmen. Ich schaute in die Runde, und es war mir klar, dass die anderen die Geschichte schon auswendig kannten und sie genossen - einschließlich der Pause - wie einen liebgewonnenen alten Film.

“Tja, Jungs - und dann sagt Bob: ‘Tut mir leid, ich hätt’s euch gegönnt, Leute, aber das hier ist kein Gold. Das ist Katzengold, gelber Glimmer. Macht euch nichts draus. Darauf sind schon viele reingefallen. Was glaubst du, wie viele Kilo von dem Dreckszeug wir schon auf dem Tresen hatten. Tut mir ehrlich leid.‘ Und wie wir dann nach Hause geschlichen sind, wisst ihr, was meine Janet zu mir sagt?”

Wussten sie, aber den Gesichtern nach zu schließen, schätzten sie diesen Teil der Geschichte besonders.

“Janet, nachdem sie ihr Taschentuch vollgeheult hat, sagt zu mir: Ach weißt du, Greg, was soll’s - unser Reichtum sind unsere Kinder.”

Alles mächtig gerührt, Greg rutschte vom Hocker, klebte sich seinen Speckhut auf den Gnomenkopf und latschte zur Tür. Fabelhaft! Welch ein Abgang!

Als wir aus dem kühlen dunklen Pub auf die Straße traten, traf mich die volle Mittagshitze wie ein Faustschlag in den Magen. Ich bedauerte augenblicklich, Bier getrunken zu haben und tastete halbblind nach meiner Sonnenbrille.

Greg legte Kopf in den Nacken und kneistete in den Himmel: “Wir könnten ein bisschen Regen gebrauchen, aber es sieht nicht danach aus. Oben in Townsville schüttet es seit Tagen.”

Wir kletterten wieder in den Laster. Am Ortsausgang hielt Greg vor einem kleinen rosa gestrichenen Haus, das neben dem Eingang ein Schaufenster hatte. In der Auslage entdeckte ich Fossilien, Gesteinsbrocken und polierte Kiesel.

Vor dem Haus stand ein großer, hagerer Mann unter einem schattenspendenden

Unterstand, nichts weiter als vier Pfosten mit einem Dach aus Palmenwedeln, und bearbeitete einen Stein mit einer Fußpedal-betriebenen Schleifmaschine.

Greg musste mehrmals hupen, bis der Alte uns wahrnahm und von seiner Arbeit hochschaute. Greg winkte ihm zu, und er kam zum Wagen, tippte sich an den Hut - wieder so ein ausstellungsreifes zeitgegerbtes Stück - nickte.

“Heathrow, sieh mal, das ist unser Gast. Gabriel - kommt aus Deutschland.”

Ich sagte brav Guten Tag Sir, und wie geht es Ihnen.

“Er interessiert sich für Gold!”

Ein kurzes hustendes Lachen.

“Heathrow ist der letzte echte Goldsucher hier in der Gegend. Du kannst ihn jederzeit besuchen. Er kann Dir ein paar gute Tipps geben!”

Kann er sprechen, war ich versucht zu fragen. Da gab er Laut, brummte, nickte und ließ uns stehen.

Greg ließ den Motor wieder an, winkte noch einmal und fuhr weiter.

”Geh ruhig mal hin. Er freut sich über Besuch.”

Ach ja? Aber immerhin, ich nahm mir vor, es in den nächsten Tagen mal zu versuchen. Vielleicht gab es ein Zauberwort, um ihn zum Sprechen zu bringen. Ich hatte genug Zeit, das herauszufinden.

Zeit: Ich war zwar noch nicht im Karrierestress, aber Zeit war doch bereits etwas gewesen, das ich mir einteilen musste, eine Sache von Aufteilen und Wegschieben oder sogar Streichen; etwas, vom dem nie genug da war.

Hier leistete ich mir den großen Ausbruch aus der Tretmühle der Effektivität, und das freute mich. Ja, ich hatte in den letzten Wochen die Zeit als Planungsgrundlage meines Lebens fast vergessen. Die Faktoren hießen jetzt Lust und Interesse, Intuition - der totale Luxus.

Greg fuhr ein Stück Hauptstraße, nein: Straße entlang und bog dann ab auf einen Sandweg, der über die Weiden führte. Nach ein paar Metern kam ein Gatter und Greg zeigte mir, wie es zu öffnen war.

Es hatte statt Schloss oder Angel Aufhängungen aus Drahtschlingen und einen raffinierten Öffnungsmechanismus, der ebenfalls nur aus den einfachsten Mitteln bestand, Draht und Holzstangen, aber so angelegt, dass er für einen Fremden nicht ohne weiteres zu durchschauen war. Ich klemmte mir den Daumen, ließ mir einen schweren Balken auf den Fuß fallen, aber dann hatte ich es kapiert.

Das, erklärte Greg, war eine Sache, auf die australische Farmer stolz sind: aus nichts etwas machen, auskommen mit dem was da ist, früher eine Notwendigkeit bei den Wegen die zurückzulegen gewesen wären, um ein fehlendes Teil zu besorgen; heute gibt es zwar alles, aber es ist eine Tradition, auf die man stolz ist und die man deshalb weiter pflegt: make do.

Von da an, wenn ich mit Janet oder Greg fuhr, war es meine Aufgabe auszusteigen, die Tore zu öffnen und zu schließen und auf den anfahrenden Wagen aufzuspringen, und es gab mir ein wenig das Gefühl dazuzugehören.

So lächerlich gering der Dienst auch war, aber wortlos etwas von der Routine zu übernehmen, das machte mich auch zu einem Teil des Ganzen, und ich mochte dieses Gefühl.

Während wir über die Weiden fuhren, erklärte er mir ausführlich die unterschiedlichen Rinderrassen, die da herumstanden, aber ich hörte nicht so recht zu.

Für mich ist eine Kuh eine Kuh ist eine Kuh - sie gibt Milch. Und ich hasse Milch.

Noch ein Gatter und wir kamen in einen Wald, einen hellen duftenden Eukalyptuswald, in dem das Licht ungehindert durch die beinahe senkrecht hängenden lanzettförmigen Blätter fällt, ein Wasserfall aus Licht und Schatten, der auf dem Boden Tropfen und Lachen von silber, hellblau, und sanften Brauntönen macht.

An manchen Stellen war der Boden mit abgefallenen Blättern und Rindenschalen bedeckt, aber dann kam ein Stück, das sah ganz anders aus: die Rinde der Bäume vom Boden bis zu einem Drittel Höhe schwarz verkohlt, das Unterholz sauber weggebrannt. Statt dessen hob sich gegen die geschwärzten Stämme frisches junges Gras ab, ein hellgrüner Teppich.

“Buschbrand?” fragte ich, der ich die wildesten Geschichten über mordsgefährliche Buschbrände und explodierende Baumkronen gelesen hatte.

“Nein”, lachte Greg, “das war ich. Wir haben das von den Aboriginals gelernt: an einem Tag, wo der Wind richtig steht, ein Streichholz hinein geworfen, fsssst! Das ganze trockene alte Zeug geht hoch und frisches Grün kann wachsen. Wenn man das zur richtigen Zeit und beim richtigen Wetter macht, dann hilft es, richtig böse Brände zu verhindern.”

“Und die Tiere?”

“Oh - die meisten kommen weg bei einem kleinen kontrollierten Brand. Sogar die Frösche. Du müsstest sie mal hüpfen sehen! Die klettern einfach ein Stück in die Bäume hoch und warten ab. Und hinterher kommen die Emus und die Kängurus und fressen sich an dem frischen Gras satt.”

Er hielt den Wagen an und stellte den Motor aus.

“Das ist die Stelle. Da drüben, bei den Felsen, da sind sie immer um die Zeit, dösen, solange es heiß ist.”

Wir stiegen aus und schlichen langsam und geduckt auf eine Gruppe von Riesen-Findlingen zu, die am Fuß eines glatzenhaft abgerundeten Felsens lagen.

Als ich auf einen trockenen Ast trat, zischte mein Guide mich an. Vorsichtiger kletterte ich hinter ihm her die glatten Steine hinauf. Oben, auf gleicher Höhe mit den Baumkronen , legten wir uns flach auf den Bauch.

Die harten Eukalyptusblätter rieben trocken gegeneinander, und von weitem war wieder das irrsinnige Gelächter eines Kookaburra zu hören. Lichtflecken tanzten vor meinen Augen und ich sog tief und genüsslich den würzigen Geruch der Myrrhensträucher ein.

Und dann sah ich sie: eine ganze Gruppe, fünf oder sechs von ihnen, graubraun, aber viel kleiner als die Kängurus, die ich bisher gesehen hatte. Es waren Felsenkängurus, rockwallabies, die ich dann eigentlich noch hübscher fand als ihre großen Verwandten. Sie stinken nicht so und haben große feuchte Rehaugen - Bambi auf australisch. Eines kaute träge und mit halbgeschlossenen Augen, eines verlagerte sein Gewicht auf seinen muskulösen Schwanz, richtete sich auf und schnupperte prüfend, konnte uns aber nicht wahrnehmen.

Als wir uns aufrichteten, hopsten sie zwar los, schienen uns aber nicht recht ernst zu nehmen: nach zwanzig Metern hielten sie an und sahen sich nach uns um. Als sie sich vergewissert hatten, dass wir keine Anstalten machten, hinterherzukommen, kauerten sie sich wieder hin und setzten ihren Mittagsschlaf fort.

“Too bloody hot to run.” Greg kicherte.

Er setzte mich am Farmhaus ab. Es gab ein schnelles Lunch aus kaltem Fleisch, Brot und Wassermelone. Rhonda war nirgends zu sehen.

So vertrödelte ich den Nachmittag teils im Schwimmbad von Birds Nest, aß noch einen Hamburger im Pub (the lot - mit Spiegelei, Speck und Grünzeug), und verbrachte den Rest des Tages damit, meine Harley zu warten - eine Sache, die ich ungern andern überlasse, wenn’s nicht sein Muss, und schon gar nicht irgendeinem Dorfmechaniker, der seine Wurstfinger normalerweise nur in Traktoren steckt; ach, und die Stadtmechaniker sind auch nicht besser: die schreiben dir nur tausend Sachen auf, die angeblich gemacht worden sind und hinterher dauert es keine hundert Kilometer und irgendwas wirklich wesentliches kackt dir ab..

Ich mache mir lieber selber die Finger dreckig, dann weiß ich wenigstens was Sache ist. Ich kann nicht behaupten, dass mir die Fummelei Spaß macht, aber es ist ein gutes Gefühl, in jeder Hinsicht unabhängig zu sein. Auf langen, einsamen Strecken wie hier ist es sowieso ratsam, sein eigener Mechaniker zu sein und außer den üblichen Werkzeugen auch noch Reifenmontiereisen, Schlosserhammer, Kaltmeißel, Kontaktfeile, Fühlerlehre und Prüflampe mit dabei zu haben - eine transportable Miniaturwerkstatt eben. Die Maschine war gut eingefahren, mit Gefühl. Es war nicht viel dran zu machen, nur ein bisschen putzen, durchpusten und schmieren und sie lief wieder wie eine Eins.

Koalamond

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