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Krankheitsursache Rentabilität des deutschen Wirtschaftsstandorts

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Dem instrumentellen Umgang von Lohnarbeitern mit ihrer Physis liegt eine glücklich aufgehende Kalkulation der anderen Seite zugrunde. Die Unternehmer ordnen sämtliche gesundheitsschädlichen Folgen ihrer Produktion als externe Effekte ein, die sie nichts angehen und die vor allem keinen Einwand gegen ihr Hauptinteresse an Rentabilität hergeben. Das rechnen sie zu ihrer bürgerlichen Handlungsfreiheit. Und darin gibt der moderne Sozialstaat ihnen Recht, und zwar so gründlich, dass er anschließend auch noch selbst darauf achten muss, dass die angerichteten Gesundheitsschäden den Charakter von Nebenwirkungen behalten oder bekommen, die vom Standpunkt des ökonomischen Hauptzwecks aus wirklich unvermeidlich sind. Die Kriterien dafür sind notwendigerweise immer strittig.

– Für die Arbeitswelt macht der Sozialstaat mit Arbeits- und Gesundheitsschutzvorschriften, mit seiner Gewerbeaufsicht usw. den Standpunkt geltend, dass der Durchschnitt aller Schädigungen im Durchschnitt auszuhalten sein muss. Ihm liegt daran, schädliche Arbeitsverhältnisse so zu entschärfen, dass ihre schädigende Wirkung im Einzelfall als bloße Möglichkeit angesehen werden kann: als Gesundheitsgefahr, die unter öffentlicher Kontrolle steht. Ob das reicht, ermittelt der Streit der Interessengruppen, die selbstverständlich alle auf demselben sozialpolitischen Grundsatz stehen müssen.

– Wo das Dienstverhältnis endet und „die Umwelt“ anfängt, kümmert sich die Staatsgewalt um die Begrenzung von Gesundheitsschäden infolge produktiver Nutzung des Eigentums durch einen umfangreichen Katalog von Umweltschutz-Vorschriften – seit 1974 in dem seitdem vielfach erweiterten Bundes-Immissionsschutzgesetz aufgelistet – sowie im Abfallbeseitigungsgesetz und diversen weiteren Einzelvorschriften. So sind die Grenzen abgesteckt, bis zu denen Atemluft, Wasser und Boden erst einmal gebührenfrei und dann zweitens darüber hinaus gebührenpflichtig als Müllkippe benutzt werden dürfen – logischerweise im Interesse eines allseitig munter voranschreitenden Geschäftslebens, denn um dessen Rechte und Pflichten geht es ja dabei. Die Unternehmer bleiben konsequent: Der Vergleich lohnt sich für sie allemal, ob die Einhaltung der Gesetze oder ihre Übertretung sie mehr kostet. Darüber hinaus bahnt der Staat seiner Industrie den Weg, „Risiken“ zu exportieren: Besonders gesundheitsschädliche Arbeitsplätze und die Entsorgung von Giftmüll werden in die Dritte Welt verlagert und damit Krankheitsursachen exportiert, für die dem „entwickelten“ Staat sein eigenes Volk und sein eigenes Territorium zu schade sind.

– Was für die betriebsexternen „Nebenwirkungen“ des Produktionsprozesses gilt, das trifft auch auf die hergestellten Produkte zu. Sie müssen als Geschäftsartikel taugen; das ist das erste Interesse einer Produktion für den Markt und der oberste Sachzwang, den der Staat mit der Inszenierung einer Konkurrenz produzierender Kapitaleigentümer in Kraft setzt. Rücksichtnahme auf die Bekömmlichkeit der Produkte ist da, sofern nicht ein teures Luxusangebot, ein sachfremder Gesichtspunkt; allergene bis krebserregende Chemikalien in Lebensmitteln und „verbrauchernahen Produkten“ wie Spielzeug, Textilien, Kosmetika, Möbeln, ferner Antibiotika einschließlich multirestistenter Keime im Fleisch und ähnliche Schönheiten sind deswegen an der Tagesordnung. Die Staatsgewalt kommt daher um die eine oder andere Beschränkung der unternehmerischen Freiheit nicht herum. Sie handelt da aber wieder nach dem systemgemäßen Grundsatz, dass ein Durchschnittsverbraucher gewisse Beimischungen und Begleiterscheinungen muss aushalten können, wenn er nicht stur immer nur dasselbe kauft. Dass die entsprechenden Verbote nur so wirksam sind wie ihre Überwachung gründlich und wie die angedrohte Buße bedrohlich; dass deswegen manche Strafe und manches Bestechungsgeld leichten Herzens bezahlt und nichts verhindert wird; dass staatliche Verbote im Gegenteil den Erfindungsgeist dazu anstacheln, das Verbotene durch Zeug zu ersetzen, das schwerer zu entdecken ist: dieser Dauerzirkus um Ekelerregendes bis Giftiges ist die notwendige Errungenschaft eines Systems, in dem die Staatsgewalt das Geschäftsinteresse, für das sich außer seinem Erfolg nichts von selbst versteht, zum Prinzip erhebt und sich um die unausbleiblichen Folgen auch gleich kümmert.

Mediziner bekommen so in ihren Praxen und Krankenhäusern die Ergebnisse eines alltäglichen biologischen Massenexperiments geboten. Die Versuchsanordnung lautet – klassenneutral, aber mit berufs-, wohnort- und einkommensspezifischen „Expositionsbedingungen“ –: Bis zu welcher Grenze ist die Spezies Mensch gegen Gift und gentechnisch veränderte Organismen durchschnittlich immun und als Müllverarbeiter tauglich? Und siehe da: Die Spezies reagiert mit Herz-Kreislauf- und Lungenerkrankungen, Krebs und Allergien, ist aber im Ganzen, nicht zuletzt dank einer fortschrittlichen Medizin, härter im Nehmen als die meiste sonstige Fauna und Flora. 4)

Gesundheit – ein Gut und sein Preis

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