Читать книгу Gesundheit – ein Gut und sein Preis - Sabine Predehl - Страница 7
1. Moderne Krankheitsbilder
ОглавлениеDen seit Jahrzehnten ungeschlagenen Spitzenplatz der beliebtesten Todesursachen halten die Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Obwohl die Medizin hier viel im Griff hat, das Legen von Herzkathetern heutzutage zu den Routineuntersuchungen der Kardiologen zählt, Bypässe, Stents und Shunts haufenweise verlegt werden und – laut einschlägigen Studien – schon so manche salzarme Diät einen Bluthochdruck verhindert haben soll, sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen nach wie vor „in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamts aktuell für 41 Prozent aller Todesfälle verantwortlich – und damit die mit Abstand häufigste Todesursache“ (H. Greten; Innere Medizin, 2010, S. 253).
Grundlage ist eine höchst unbekömmliche Beanspruchung von Herz und Kreislauf: Anstrengung, unmittelbar physischer oder psychischer Art, verlangt eine erhöhte Pumpleistung des Kreislaufs, die durch schnellere Herzfrequenz und kräftigere Kontraktion des Herzmuskels auch prompt realisiert wird. Resultat von alldem ist ein erhöhter Blutdruck, der für sich kein Malheur ist, insofern er durch eine ausreichende Entspannung wieder sinkt. Ist die Erregung und die daraus folgende Blutdruckerhöhung aber von dauerhafter Natur, dann reagieren die Gefäße in der Kreislaufperipherie selbst mit einer Engstellung sowie Gefäßverdickung und „fixieren“ schließlich so den hohen Blutdruck, machen ihn also irreversibel, unabhängig von der tatsächlichen Belastung. Die Entstehung eines Bluthochdrucks ist daher Ausweis dessen, dass eine Anstrengung so lange ausgehalten wurde, bis sie in eine Überlastung übergegangen ist und sich die Anspannung deswegen physisch als Krankheit manifestiert. Dieser Umstand wird in medizinischen Standardwerken so ausgedrückt:
„Ein Hochdruck entsteht demnach durch Erhöhung von HZV (Herzzeitvolumen) oder TPR (totaler peripherer Widerstand) oder beidem… Die HZV-Vergrößerung beim hyperdynamischen Hochdruck beruht entweder auf einer gesteigerten Herzfrequenz oder ... einem erhöhten Schlagvolumen... Auch eine zentralnervös verursachte Erhöhung der Sympatikusaktivität ... [kann] das HZV ansteigen lassen... Zur Vasokonstriktion kommt es bei einer erhöhten Sympatikusaktivität... Auch autoregulatorische Vorgänge beinhalten Vasokonstriktion. Steigt z.B. der Blutdruck durch Erhöhung des HZV, so ‚schützen‘ sich viele Organe (z.B. Niere, Magen-Darm-Trakt) vor diesem hohen Druck. Dies ist für die häufige vasokonstriktorische Komponente des hyperdynamischen Hochdrucks mitverantwortlich, der dadurch in einen Widerstandshochdruck übergeht. Dazu trägt auch eine Hypertrophie der vasokonstriktorischen Muskulatur bei. Schließlich stellen sich als Folge des Hochdrucks Gefäßschäden ein, die den TPR erhöhen (Fixierung des Hochdrucks).“ (W. Siegenthaler; Klinische Pathophysiologie, 2006, S. 222)
Dann und dadurch wird der Betroffene zum Hochdruckpatienten, bei dem infolge einer dauerhaften Blutdruckerhöhung im ganzen Körper „klinische Folgeerscheinungen wie koronare Herzkrankheit (KHK, angina pectoris, Herzinfarkt, akuter Herztod), zerebrovaskuläre Insuffizienz (Schlaganfall) und periphere arterielle Verschlusskrankheit“ auftreten (H. Greten; a.a.O., S. 40).
„Nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind bösartige Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache in der westlichen Welt... Fast jeder Zweite erkrankt inzwischen an Krebs und jeder 4. bis 5. Bürger stirbt an dieser Erkrankung.“ (W. Siegenthaler; a.a.O., S. 1101)
So verschieden Krebserkrankungen je nach Typus des „bösartigen“ Gewebes sich darstellen, gemeinsam ist den meisten ihr Ursprung: Kanzerogene schädigen die Erbinformation der Zelle, am Ende irreversibel. Und die Liste der bekannten Kanzerogene, mit denen die Massen in einer blühenden Industrienation wie der unsrigen jahrein jahraus konfrontiert werden, wird von Jahr zu Jahr eher länger als kürzer. Krebs entsteht, wenn eine durch Mutation der DNA verursachte irreversible Regulationsstörung des Zellzyklus dazu führt, dass eine Zelle entartet, sich also unentwegt teilt. „Dabei spielen sowohl die Intensität als auch die Dauer der zur malignen Entartung führenden Schädigung eine Rolle.“ (H. Greten; a.a.O., S. 953 f.) Da die Zelle in ihrer Erbinformation über vielerlei Regulations- und Reparaturmechanismen verfügt, so dass auch und gerade bei deren Schädigung die Mutation nicht auf die Tochterzellen übertragen wird, müssen sich zur Entartung eines Gewebes in der Regel mehrere Mutationen akkumulieren; dann kann der Schaden selbst durch den regulierten Exitus der einzelnen Zelle nicht mehr behoben werden. 2)
„Bis zu 20 % der bundesdeutschen Bevölkerung (mit steigender Tendenz) leiden an Allergien... Damit gehören Allergien zu den häufigsten Erkrankungen in Ländern mit hohem Lebensstandard.“ (Dieses und die folgenden Zitate aus: H. Greten; a.a.O., S. 1082 ff.)
Eine Allergie entsteht, wenn ein Organismus auf einen einzelnen oder eine ganze Reihe von Stoffen aus der Natur oder der zivilisierten Welt, die sogenannten Allergene, mit einer überschießenden Immunantwort reagiert, weil er der Belastung durch sie nicht oder nicht mehr standhält und sich deswegen seine „immunologische Reaktionsbereitschaft“ verändert:
„Allergie: individuelle Änderung der immunologischen Reaktionsbereitschaft im Sinne einer übersteigerten, krankmachenden Immunantwort (Hyperreaktivität) gegen körperfremde Antigene (Allergene).“
Dass die Allergene „bei physiologischer Immunitätslage apathogen sind, also von sich aus keine Schädigung hervorrufen würden“, ändert nichts an der Tatsache, dass es diese „körperfremden“, also externen Stoffe selber sind, die, bei dem einen oder anderen Organismus früher oder später, das Immunsystem derart „sensibilisieren“, also belasten, dass es mit Überlastung, also einer Allergie reagiert. Die Häufigkeit von Allergien in Industrienationen erklärt sich durch die „ubiquitäre Verbreitung der Soforttypallergene... Allein Latexprodukte haben durch ihren Einsatz in der Medizin ... bereits bei über 10 % des Personals ... eine Sensibilisierung hervorgerufen.“ Weshalb es sich umgekehrt auch so verhält: „Bei Meidung des ursächlichen Allergens bessern sich die Symptome oder verschwinden gänzlich.“ Wird das „ursächliche Allergen“ aus welchen Gründen auch immer nicht gemieden, verselbständigt sich die Immunreaktion, die Entzündungsprozesse werden chronisch und heilen „selbst bei absoluter Allergenkarenz“ so ohne Weiteres gar nicht mehr aus.
„Bedingt durch chronische Entzündungsprozesse, vor allem infolge rezidivierender Allergenbelastung, entwickelt sich eventuell eine unspezifische Überempfindlichkeit der Schleimhäute ... die sich selbst bei absoluter Allergenkarenz erst nach Monaten zurückbildet. Die Identifikation des ursächlichen Allergens ist in diesen Fällen erschwert.“
Der Typ-II-Diabetes „gehört mit rund sechs Millionen Patienten und mit vermutlich ebenso vielen Menschen mit unerkanntem Diabetes oder hohem Risiko für diese Stoffwechselerkrankung zu den größten Volkskrankheiten in Deutschland“ (www.dzd-ev.de).
Er entsteht durch dauerhaft erhöhte Blutzucker- und Blutfettspiegel, denen in der Regel Überernährung zugrunde liegt, aber auch Stress lässt die Spiegel steigen. „Das Missverhältnis von Energiezufuhr und -verbrauch steigert die Konzentration an Fettsäuren im Blut, was wiederum die Glucoseverwertung in Muskel- und Fettzellen senkt.“ (S. Silbernagl; a.a.O., S. 308)
Das Hormon Insulin wird bei Blutzuckererhöhung nach der Nahrungsaufnahme ausgeschüttet, dockt normalerweise an die Zellmembran – vornehmlich der Muskeln – an und führt dazu, dass der Zucker aus dem Blut in die Zellen aufgenommen und so für die Energiegewinnung bereitgestellt wird. Bei dauerhaft erhöhter Energiezufuhr werden die Zellen zunehmend gegen Insulin resistent und reagieren nicht mehr hinreichend durch Aufnahme des Zuckers auf das Hormon; der Blutzuckerspiegel bleibt erhöht. Dieser Effekt wird durch einen geringen Energieverbrauch der Muskelzellen verstärkt. In der Folge reagiert der Hormon-Regelkreis mit einer erhöhten Insulinausschüttung, was den Blutzuckerspiegel in der Regel hinreichend senkt, zugleich aber die Unempfindlichkeit der Zellen gegen das Insulin verstärkt. Einen qualitativen und problematischen Umschlag gibt es dann, wenn der Stoffwechsel dauerhaft mit einem Überangebot an Glukose konfrontiert wird – und/oder unter Stress mit einer permanenten Mobilisierung von Zucker aus seinen Speichern reagiert –, so dass die verminderte Insulinwirkung nicht mehr durch die vermehrte Ausschüttung kompensiert werden kann. Dann bleibt die Konzentration der Glukose im Blut dauerhaft hoch, worüber der Organismus an verschiedensten Stellen geschädigt wird. Schlimmstenfalls versagt die Insulinproduktion in der Bauchspeicheldrüse gänzlich.
„Alle Formen von Diabetes mellitus sind nach Manifestation der Erkrankung sowohl mit einer Sekretionsstörung als auch einer Insulinresistenz verbunden. Die resultierende Hyperglykämie verstärkt diese Störung und führt unbehandelt zur Glucosetoxizität, die einen Circulus vitiosus auslöst... Erste Hinweise für eine Insulinresistenz sind bereits viele Jahre vor der Diabetesmanifestation zu finden. Solange aber die Insulinresistenz durch eine gesteigerte Insulinsekretion kompensiert werden kann, ist sie wahrscheinlich ohne klinische Signifikanz. Erst wenn die Hyperinsulinämie aufgrund einer begrenzten Synthese- und Sekretionskapazität nicht mehr aufrechterhalten werden kann, kommt es zum Anstieg der Blutglucosespiegel und damit zum Ausbruch des Typ-2-Diabetes.“ (W. Siegenthaler; a.a.O., S. 83)
Der führt dann – wenn es nicht gelingt, ihn mit Medikamenten erfolgreich „einzustellen“ – zu Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, schwere Durchblutungs- und Wundheilungsstörungen, Erblinden und Nierenversagen.
Ein altbekannter, aber dafür nicht weniger verbreiteter Schlager der modernen Volkskrankheiten sind Muskel- und Skeletterkrankungen.
„Jeder Dritte, der zum Orthopäden geht ... tut dies wegen Rückenschmerzen... Viele von unspezifischen Rückenschmerzen Geplagte gehören der vergleichsweise jungen, jedenfalls mitten im Berufsleben stehenden Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigen an.“ (Dieses wie das folgende Zitat aus: www.apotheken-umschau.de)
Dass das Volk so flächendeckend „Rücken hat“, ist „meist eine Folge ständiger Überstrapazierung oder Vernachlässigung des Rückens. Das erklärt sich durch ein wichtiges Prinzip der Muskelarbeit: das Zusammenwirken eines Spielers und Gegenspielers beziehungsweise entsprechender Muskelgruppen. Wenn Kraftakte bestimmte Spieler- oder Gegenspieler-Muskeln überfordern oder Inaktivität sie verkümmern lässt, kommt es zu Verspannungen, Überdehnungen, Verkürzungen und schließlich Schmerzen.“
Je nach individueller Robustheit der Gelenke und betriebenem Ausgleich kommt es deshalb auch früher oder später zu Gelenkschäden.
Chronische Atemwegserkrankungen sind ebenso weit verbreitet. Wer eine chronische Reizung seiner Atemwege lange genug aushält – „die Beschwerden entwickeln sich langsam über Monate bis Jahre“ –, hat gute Chancen auf eine nicht mehr ausheilbare Bronchitis. Werden die Bronchialschleimhäute durch Stäube, Schad- und Reizstoffe dauerhaft belastet, werden diese irreversibel geschädigt; bei fortdauernder Belastung kommt es zu einer chronifizierten Entzündung der Bronchien, in deren Folge Lungengewebe zerstört wird, so dass in der Lunge kein Gasaustausch, also keine regelrechte Atmung mehr stattfinden kann:
„Bei chronischer Reizung der Atemwege kommt es zu Umbauvorgängen mit Vermehrung seröser und muköser Drüsen und Zerstörung der normalen Schleimhautarchitektur. Die oralwärts schlagenden Zilien werden zunehmend zerstört und sind dann nicht mehr in der Lage, den Schleim aktiv zu transportieren. Dem Patienten mit schwerer chronischer Bronchitis dient dann nur noch der Hustenstoß als effektiver Clearencemechanismus. Kontraktion der Bronchialmuskulatur, entzündliche Infiltration der Bronchialschleimhaut ... führen zur chronischen Bronchialverengung, Bronchiektasenbildung und Instabilität der Atemwege. Durch die chronische Entzündung kommt es weiterhin zu einem Ungleichgewicht zwischen Proteasen ... und Antiproteasen … mit konsekutiver Zerstörung der terminalen Atemwege und Alveolarsepten. Folge ist ein Lungenemphysem.“ (H. Greten; a.a.O., S. 428 f.)
Immer mehr Menschen leiden an psychischen und psychosomatischen Störungen:
„Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) hat ... ermittelt, dass die Zahl der Krankschreibungen wegen der Zusatzkategorie Burn-out (Z73 im ICD-10-GM) seit 2004 um fast 700 Prozent gestiegen ist. In 85 Prozent dieser Fälle diagnostizierte der Arzt zusätzlich eine psychische oder körperliche Erkrankung.“ (Deutsches Ärzteblatt 2012; 109(24))
Woher die kommen, ist der Medizin nicht nur beim Burn-out – da steckt die Sache schon in der Bezeichnung – durchaus bekannt:
„So führten chronische Überforderung und Stress ... zu psychischen und psychosomatischen Krankheiten wie Depressionen, Angststörungen, Rückenschmerzen, Tinnitus oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“ (Deutsches Ärzteblatt; a.a.O) 3)
Psychische Belastungen, Überforderung, Angst, Stress, Aufregung, warum auch immer ungelöste Konflikte können Menschen fertigmachen, auch ohne körperliche Schäden anzurichten: Sie werden unfähig, mit sich und der Welt etwas Brauchbares anzufangen – womöglich, in dieser Gesellschaft der GAU, arbeitsunfähig. Ganz häufig wirkt sich das „gestörte“ Seelenleben aber auch auf ihre Physis aus: Belastungen und die andauernden Versuche, damit fertigzuwerden, führen zu einer Aktivierung des vegetativen Nervensystems, was in die Regulation der meisten Organe eingreift. Ist das von Dauer und können die physiologischen Folgen vom Organismus nicht kompensiert werden, schlägt sich die chronische Aktivierung des vegetativen Nervensystems in unterschiedlichen Krankheiten nieder, wobei sowohl ein bereits bestehender Organdefekt angeheizt werden als auch eine völlig eigenständige Krankheit entstehen kann.
„Zu diesen Krankheiten gehören: Koronare Herzkrankheiten und ihre Folgeerkrankungen, essenzielle Hypertonie, Asthma bronchiale, Ulcus ventriculi und duodeni, chronisch entzündliche Darmerkrankungen (Colitis ulcerosa, Morbus Crohn), rheumatische Arthritis, Fybromyalgiesyndrom, atopisches Ekzem und zahlreiche andere Erkrankungen.“ (P.L. Janssen; Leitfaden psychosomatische Medizin und Psychotherapie, 2012, S. 39)
Dabei ist an den physiologischen Folgen natürlich gar nicht zu unterscheiden, ob der Mensch an Einbildungen leidet oder an wirklichen Belastungen, deren Grund und Gegenstand er nicht ausräumen kann; sei es, weil er tatsächlich gar nicht Herr darüber ist, sei es, weil er seine Unzufriedenheit von vornherein gar nicht auf die Dinge und Verhältnisse richtet, die ihn stören, sondern gegen sich selbst. Die Medizin diagnostiziert hier „durch chronischen Stress bedingte Dysbalance“:
„In psychopathologischer Perspektive sind mit Organdestruktion einhergehende körperliche Erkrankungen, bei denen psychosoziale Faktoren mit verursachend sind, keine einheitliche Gruppe. Allerdings gibt es eine Reihe klinischer und empirischer Evidenzen für die Annahme, dass krankheitsübergreifend eine durch chronischen Stress bedingte Dysbalance in der vegetativen Organinnervation besteht, begleitet von entsprechenden neuroendokrinologischen und neuroimmunologischen Abweichungen...“ (P.L. Janssen; a.a.O., S. 39)
Trotzt der Mensch den beliebtesten Todesursachen, indem er mit den modernen Volksseuchen jahrzehntelang überlebt, hat er im Alter beste Chancen, an einer der vielfältigen Formen von Demenz zu erkranken:
„Risikofaktoren für eine Demenz: Alter, weibliches Geschlecht, niedriges Körpergewicht bei weiblichen Patienten, Demenz bei Verwandten, vorangegangene Kopfverletzung, niedriges Bildungsniveau, Demenz im Anfangsstadium, bestimmte neurologische oder genetisch bedingte Erkrankungen, vorangegangener Schlaganfall, riskanter Alkoholkonsum und Alkoholabhängigkeit, vaskuläres Risikoprofil (z.B. arterielle Hypertonie, Hypercholesterinämie, Nikotinabusus, Diabetes mellitus etc.).“ (DEGAM-Leitlinie Demenz; 2008, S. 21)
Die professionelle Abstraktionsleistung, die das Disparateste unter dem Obertitel „Risikofaktoren“ versammelt, einstweilen dahingestellt (dazu später): Auch Demenz, so viel geht aus den „Leitlinien“ allemal hervor, ist weniger die Folge natürlicher Alterungsprozesse, vielmehr in der Regel die Auswirkung von Abstumpfung und Belastungen, die bis ins hohe Rentenalter ausgehalten werden, gegebenenfalls einschließlich schon manifest gewordener ruinöser Konsequenzen.
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Alle genannten Leistungen und Belastungen des Organismus und der Psyche machen sich in aller Regel nicht als akute Überanstrengung geltend, sondern zeigen erst nach längerer Zeit ihre Wirkung – pathologische Wirkungen, die dann, verselbständigt gegen ihren Entstehungsgrund, Folgeschäden verursachen. Zu eigentlichen Krankheiten werden die allmählich auftretenden Beschwerden dadurch, dass man die Belastungen aushält und mit ihnen umgeht; und zwar so lange, bis sie nicht mehr ausheilbar sind.
Den chronischen Erkrankungen, an denen in dieser modernen Gesellschaft so stereotyp laboriert wird, ist also eines wesentlich: Sie sind die Folgen von Belastungen, die darüber zu Krankheiten werden, dass die Betroffenen sich dauerhaft abverlangen, sie auszuhalten.