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Tim

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Langsam begreife ich, dass ich in dieser Welt gefangen bin. Ich war in meinem Auto gestorben und hier gelandet. Carolin hatte mir ins Lenkrad gegriffen und mein Auto von der Straße gezogen, um mich von dem Planeten zu tilgen. Sie wollte, dass ich sterbe und ihr nie wieder zu nahekomme.

Und jetzt?

Um mich herum liegt grauer Nebel, der sich kalt und wie Kleber an mich hängt und in diese schwarze Masse drückt. Aber zumindest umfängt sie mich wie ein schützendes Tuch und lässt meine immer wieder aufpeitschenden Emotionen nicht zu qualvoll werden. Aber ich bin tief erschüttert von dem, was Carolin mir antat. Wie konnte sie so weit gehen? Hasste sie mich so sehr, dass sie mir mein Leben nehmen musste?

Mich durchzuckt so etwas wie Schmerz. Aber er ist anders als körperlicher Schmerz. Es ist wie in einem Traum. Ich fühle alles, sehe alles, weiß alles und doch scheint es mich nicht wirklich zu betreffen, weil es keinerlei Auswirkungen auf meinen körperlichen Zustand hat.

Körperlicher Zustand. Ich habe keinen Körper mehr. Ich bin nur noch eine Erinnerung an diesen Körper, der mich neunzehn Jahre lang durch mein Leben getragen hatte, bis Carolin ihn auslöschte.

Kurt Gräbler hat recht. Es ist alles ihre Schuld!

Diese Einsicht schmerzt mich tief in meinem Inneren und paart sich mit Wut.

Warum hasste sie mich, statt mich zu lieben? Warum tat sie mir das an?

In mir beginnt es zu brodeln. Die Wut verstärkt sich, wenn sich der Unfall und seine Folgen in meinem Inneren hochspulen. Und das tut er immer wieder, als wolle er mich etwas erkennen lassen.

Aber da ist auch immer noch die Liebe, die sich genauso hochfährt und sich mit dieser Sehnsucht paart, bei Carolin sein zu wollen. Und alles scheint sich hier hundertfach zu verstärkt und mich zu erdrücken.

„Kein schönes Gefühl, was?“, fühle ich erneut diese Stimme in mir vibrieren und mich überkommt Erleichterung. Fast bin ich froh, dass Kurt Gräbler wieder da ist. Er muss mir sagen, was ich jetzt tun soll.

„Nichts muss ich, du Trottel“, zischt es mir entgegen. „Du solltest zurückgehen, als du noch konntest. Jetzt ist alles zu spät.“

„Was?“ Ich weiß mittlerweile, dass ich nicht sprechen kann, sondern nur meine Gefühle hier verstanden werden. Mein Unverständnis schlägt ihm entgegen und er reagiert resigniert. „Ach Tim, dein Leben sollte noch nicht enden. Du solltest mir, mit Carolin und Julian zusammen, eine Möglichkeit geben, wieder meine Seele und meinen Geist zu heilen, damit ich endlich wieder meinen Weg antreten kann. Ich will doch nur wieder in unserem System leben können.“

Ich spüre eine Sehnsucht über mich hinwegrauschen, die in Resignation umschlägt. „Das hier ist nicht, was man sich wünscht. Das ist die Hölle! Ich will hier nicht mehr sein. Ich will zurückkehren können, und ich würde dafür auch hundert brave, neue Leben auf mich nehmen. Alles! Aber das ist mir so verwehrt. Ihr wart meine einzige Chance, mich zu heilen und endlich zurückkehren zu können. Aber was macht ihr?“ Seine Wut schlägt mir entgegen und seine Missbilligung wegen dem, was ihm passiert ist. Mir wird voller Resignation entgegengeschleudert: „Carolin ist genauso mit mir verbunden, wie ihr alle es wart und dennoch hat sie sich immer gegen mich gesperrt.“ Seine Resignation wird wieder von seiner Wut weggewischt. „Sie hat sich gegen uns gesperrt! Immer wieder! Sie ist das Böse!“ Nun gesellt sich zu seiner Wut Frust und erneute Niedergeschlagenheit.

Ich werde von diesen Emotionen beschossen, wie aus einem Schrotgewehr. Verwirrt krümme ich mich zusammen, als könne mich das schützen. Aber es gibt keinen Schutz. Meine Deckung ist nur das Gefühl, diesen Emotionen, die Kurt Gräbler über mich ausschüttet, entkommen zu wollen. Aber es gibt keine Fluchtmöglichkeit für mich. Ich muss mich dem stellen.

Diese Einsicht lässt etwas in mir aufwallen. Es ist wie ein Hintergrundrauschen und drängt an meine Oberfläche. Es vermittelt mir, dass ich versuchen muss zu verstehen, was passierte. Ich muss erkennen, was ich jetzt noch nicht definieren kann. Das wird mir seltsamerweise klar, ohne dass ich verstehe, warum ich das weiß. Ist das das Wissen, von dem Kurt sprach, das sich langsam einstellen wird, je länger man hier verweilt?

Ich weiß, dass Carolin mich nicht wollte und mich sogar tötete. Aber auch Kurts Anteil drängt sich mir nun auf. Er und seine Manipulationen hatten Carolin immer verunsichert und sie hatte sich deshalb niemals wirklich auf mich einlassen wollen. Während mir egal war, was mich zu ihr trieb, glaubte sie, dass unsere Gefühle unaufrichtig waren.

Aber für mich waren sie echt. Kurt hatte sie mir meine ganze Kindheit über eingetrichtert und als echt und unabwendbar hingestellt. Für mich sollte es niemals eine andere Liebe geben als die zu Carolin. Und Kurt hatte sich in unser Leben geschmuggelt, um uns auch wirklich zusammentreffen zu lassen. Er wusste, wo seine Teile zu finden sind und in wem. Er war mit allen verbunden.

In mir baut sich ein Bild auf. Ich sehe mich umringt von hellen Gestalten, die mich führen. Sie schweben mit mir durch diese Welt, die aber nicht halb so dunkel und trostlos war, wie jetzt. Ich sehe schöne Farben, die sich mit uns bewegen. Die dicht bei uns sind gelb, hinter uns werden sie zu einem Schweif von Rottönen und vor uns blau bis ins Indigo reichend. Sie umringen uns wie ein Wellentunnel und ich spüre die freudige Erregung, die uns begleitet.

Ich verspüre keine Angst und bin nur aufgeregt und voller Zuversicht und Freude.

Aber plötzlich springt etwas durch die Farbenwellen hindurch und in mich hinein. Ich bin erschrocken und torkele voran, in eine warme Feuchtigkeit hinein, die mich einbettet.

Damit begann mein Leben als Tim und ich begann zu vergessen, wer ich bin und woher ich komme. Mein Geist reinigte sich von allem, was er an Wissen in sich trug, um aufgeschlossen und befreit dieses neue Leben meistern zu können. Nur meine Resonanzen und schweren Fehltritte vergangener Leben blieben in meinem Unterbewusstsein verankert, um aufgearbeitet werden zu können. Aber da war diesmal auch etwas in mir, das mich schwächte und ich war mir nicht sicher, ob ich bleiben konnte oder diesen Körper wieder verlassen musste, weil er es nicht schaffte in dieser Welt zu bestehen.

Aber ich wurde geboren und bald schon erkannte ich, was mit mir nicht stimmte. Ich beherbergte diesen Körper nicht allein.

Ich wuchs heran und war oft unglücklich und einsam. Aber es gab etwas in mir, das mich trösten konnte. Mal kam er in meinen Träumen zu mir und mal war er einfach da, wenn ich einsam und allein in einem Hotelzimmer zubrachte und auf meine Mutter wartete. Es war Kurt und sein Seelenanteil, der sich an mich gehängt hatte. Das erkenne ich jetzt und ich sehe Bilder von ihm, wie er mir mit Geschichten die Zeit vertrieb und mir die Einsamkeit nahm, als meine Mutter mich in den Hotelzimmern ständig allein ließ, und wie er sich immer wieder so präsentierte, als wenn er mein Freund wäre. Ich sehe vor mir, wie er mein Leben durch Träume manipulierte und mich in diese kranke Sehnsucht nach etwas, das ich lange nicht benennen konnte, drängte, bis er mir Carolin in meine Träume schickte und mich mit der Liebe zu ihr fesselte. Einer Liebe, die mich letztendlich schlimme Dinge tun ließ.

Die Bilder ändern sich. Ich sehe mich in diesem weißen Zimmer mit den weißen Möbeln und roten Kissen, in dem das Kaminfeuer alles erwärmt. Vor mir liegt dieser nackte Körper, gefesselt und mir ausgeliefert.

Carolin!

Und ich sehe ihre Tränen, die sich auf dem Kissen mit ihrem Blut vermischen und spüre ihren Schmerz, ihre Betroffenheit und ihr Unverständnis, weil ich ihr das antue. Sie ist so sehr davon erschüttert, dass es fast nicht auszuhalten ist.

Das trifft mich tief und bestürzt mich, weil ich diese Gefühle plötzlich spüren kann, die sich mir in der materiellen Welt nicht offenbart hatten.

Ich bin entsetzt. Hätte ich das auch gefühlt, als ich sie an das Bett gefesselt hatte und ihr meine Liebe aufzwang, sie demütigte und misshandelte, dann hätte ich es nicht mehr über mich gebracht. Mir wird schmerzhaft klar, was ich ihr damit antat, als ich ihr meinen Willen aufzwang und sie sogar verletzte. Und ich glaubte das alles im Namen meiner großen Liebe zu ihr zu tun.

Von den vielen Bildern, die sich vor mir abspielten, tief betroffen, zische ich Kurt entgegen: „Du warst es. Du hast uns das alles angetan. Du hast uns manipuliert. Geh weg! Du bist das eigentliche Böse!“

Es ist wie ein Aufschrei in meinem Inneren, der schnell nur noch zu einem Widerhall wird und dann ganz verschwindet. Und mit diesem abflauenden Aufschrei von Kurt Gräbler, den ich damit offenbar wirklich aus meiner Dimension kicke, erscheint ein heller Punkt. Ich spüre eine seichte Wärme den Nebel durchdringen und wie sie mich erfüllt. Und dann ist da wieder diese Lichtgestalt, die mir ihre große Hand reicht und mit dieser sanften Stimme bittet: „Komm Tim!

Ich weiß, sie will mich in das Licht ziehen. Aber Kurt hatte mir gesagt, wenn ich mitgehe, werde ich Carolin für immer verlieren. Und ich kann ohne sie nicht existieren. Darum wende ich mich von der Gestalt ab und lasse mich betrübt und niedergeschlagen in die dunkle Masse sinken, die mich tröstlich umfängt.

Doch irgendetwas will mich nicht zur Ruhe kommen lassen.

Mit den Bildern, die mir Kurts Anteil in meinem Leben zeigten, wollen andere an die Oberfläche drängen. Immer wieder drängt sich mir das Bild von Carolin auf, gefesselt und weinend und ich spüre eine Verzweiflung. Ich weiß nicht, ob es meine oder ihre ist. Es wird stärker und scheint mich ausfüllen zu wollen. Ich versuche dem zu entgehen, weiß aber nicht wie. Ich fühle mich selbst wie gefesselt und diesen Gefühlen ausgeliefert, die sich immer stärker und niederdrückender auf mich legen. Und dann ist da die pure Verzweiflung und tiefer Kummer, der mich trifft. Und ich spüre, es ist nicht meine Verzweiflung, sondern ihre.

„Carolin?“, versuche ich sie aufzuspüren. Ich will versuchen sie zu erreichen. Ich will ihr sagen, was ich fühle. Aber ich erhalte keine Antwort, sondern spüre nur diese blinde Verzweiflung, die mir zusetzt. Dennoch weiß ich, dass ich damit zu tun habe und dass ich sie deshalb erspüren kann. Doch der Schmerz und die Verzweiflung gilt nicht mir. Ich bin nur der Auslöser und ich fühle, wem dieser Schmerz und diese Verzweiflung wirklich gilt.

Erik!

Sie glaubt, ihn wegen mir verloren zu haben.

Ihr Schmerz deswegen trifft mich tief und ich versuche sie aus meinem Kopf zu bekommen und verzweifelt etwas Nettes von ihr zu fühlen, das mich betrifft. Aber da ist nur diese Wut und Fassungslosigkeit.

Völlig verzweifelt suche ich nach einem Ausweg.

Stell dich dem, was du fühlst.“

Ich bin einen Augenblick irritiert und suche nach der sanften Stimme. Sie gehört zu der Gestalt mit der Hand und dem Licht. Aber diesmal scheint sie mir nicht ihre Hand reichen zu wollen. Dabei hätte ich sie wahrscheinlich ergriffen, nur um diesen Gefühlen zu entkommen.

Stell dich den Emotionen, die dich hier festhalten. Nur dann wirst du erlöst.“

Ich kann mich dazu nicht durchringen. Doch diese Gefühle, die sich mir aufdrängen, sind gnadenlos und ich lasse sie mich vorsichtig durchdringen, immer wieder verängstigt auf dem Sprung, mich erneut vor ihnen zu verkriechen.

Und dann bin ich bei ihr. Ich stehe an dem Bett mit den Schläuchen und Apparaturen und sehe auf die Szene, die mir nicht klarwerden will. Da sind viele Gestalten um Carolin herum, die eine Unzahl Gefühle ausspuken. Erst Hoffnung und dann unsagbare Angst. Doch am Schlimmsten treffen mich die von Carolin selbst, die mich an ihr Bett brachten. Erst verstehe ich nichts. Doch dann wird mir klar, dass dort etwas Gravierendes geschieht. Ich spüre die Angst und Panik der Menschen in dem Raum, aber auch Versagensängste, die wie Wellen den Raum beherrschen. Und dann ist da Carolins eigene Angst und Resignation. Ich sehe die Szene und begreife allmählich, dass Carolin an der Schwelle in meine Welt steht und die Menschen um sie herum Angst haben, sie zu verlieren.

In mir peitscht eine Hoffnung auf, dass sie endlich zu mir kommen wird und ich starre auf das zarte Wesen, das sich aus ihrem Körper erhebt.

„Komm zu mir, bitte!“, flehe ich und halte ihr meine Hand hin.

Blankes Entsetzen schlägt mir entgegen und im selben Moment treten die Gestalten von ihrem Körper zurück, der sich auf dem Krankenhausbett aufbäumt, von einer gewaltigen Energie durchdrungen, die den Energiebogen um sie herum erhellt.

Ich spüre ihren Schmerz, der sie durchdringt, wie meinen eigenen. Ihr entsetzter Blick ist auf mich gerichtet und dann lässt sie sich in ihren Körper zurückfallen.

In mir steigt Verzweiflung auf.

Die Gestalten um Carolin herum überwältigt Erleichterung und Hoffnung, gefolgt von Freude. Ich weiß, sie reden miteinander. Aber ihre Sprache ist für mich nicht mehr verständlich. Ich kann nur fühlen, was sie fühlen … und die Erleichterung wahrnehmen. Aber ich spüre, dass Carolin erneut für mich verloren ist und eine unglaubliche Traurigkeit und Resignation packt mich.

„Nein Schatz, komm mit mir mit! Bitte! Ich liebe dich doch! Und ich verzeihe dir alles, wenn du zu mir kommst“, heule ich untröstlich auf, meiner letzten Hoffnung beraubt.

Aber sie bleibt für mich verloren. Ich spüre, dass sie sich gegen den Weg sperrt, der sie zu mir bringen würde. Ich spüre ihre Angst davor, mich erneut ertragen zu müssen und ich fühle ihre Abneigung gegen mich, die mir klar entgegenschlägt. Das alles trifft mich tief und ich muss erkennen, dass ich ihr das niemals antun durfte, was ich ihr in dem weißen Hotelzimmer antat. Ich wollte sie zwingen, mich zu lieben und ich wollte, dass sie Erik verliert. Ich wollte ihr alles nehmen. Und ich habe sie verletzt, körperlich wie seelisch. So sehr, dass sie mich nie wieder in ihrer Nähe haben will.

Tief erschüttert von dieser Einsicht, die durch mein Innerstes tobt, flehe ich: „Bitte verzeih mir, was ich dir antat. Es geschah nur, weil du mich nicht lieben wolltest. Aber ich weiß, ich hätte dich niemals dazu zwingen dürfen.“

Tim!“, spüre ich ein warmes Säuseln in meinem Inneren und da ist wieder das Licht und aus dem sanften Dunst schält sich die große Gestalt und hält mir ihre Hand hin.

Aber ich nehme sie nicht. Ich will bei Carolin bleiben.

Ich wende mich um. Aber das Bett ist weg und auch alle Menschen um sie herum. Vor mir liegt nur der graue Nebel.

Niedergeschlagen sinke ich nieder und lasse mich von meiner Traurigkeit niederdrücken.


Die Hoffnung aus dem Jenseits

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