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Eine unglaubliche Welt

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Als Gerrit wieder zu sich kommt, glaubt er, dass er tot sein muss. Doch als er sich bewegt, schmerzen ihm sämtliche Knochen und das ist etwas, was doch eigentlich ein Toter nicht mehr fühlen sollte.

Tiefste Schwärze umgibt ihn. Nicht mal ein winziger Lichtstrahl dringt zu ihm hinunter, obwohl über ihm ein Loch sein müsste, durch das er hier hinuntergefallen war. Aber nichts dergleichen kann er erkennen. Vielleicht ist er doch tot?

Langsam setzt er sich auf und ihm wird klar, dass ihm zwar alles wehtut, er aber sonst keinen Schaden genommen hat. Er war tief gefallen, muss also recht weit unter der Erde sein.

Entsetzliches Grauen beschleicht ihn.

„Hilfe!“, ruft er, was allerdings mehr wie ein Krächzen aus seinem Mund dringt. Sein Hals schmerzt, und auch die ihn überkommende Hoffnungslosigkeit lässt seine Stimme schon im Keim ersticken, weiß er doch, dass ihn hier niemand hören wird. Wen soll es schon zu dieser dummen Alkenkuhle verschlagen? Außer …, wo ist die Katze geblieben?

Ihm stockt der Atem bei dem Gedanken, wie grimmig das Vieh sein Seil durchgebissen hatte. Ein Schauer überkommt ihn bei der Erinnerung daran, wie bösartig sie ihn anfunkelte, als sie bemerkte, dass er sich mit einem Seil gesichert hatte. Doch niemals hätte Gerrit gedacht, dass eine Katze so viel Verstand an den Tag legt, ein Seil durchzubeißen, damit ein Mensch abstürzt. So etwas macht doch keine normale Katze!

Das Grauen beschleicht Gerrit nun so sehr, dass er zu zittern beginnt. Schnell greift er hinter sich und bemerkt seinen tief in weiches, trockenes Laub gepressten Rucksack.

Laub! Ein Berg Laub hat seinen Sturz abgefangen. Es gibt immer etwas an den Stellen nach, zu denen er sein Gewicht verlagert. Weich und muffig liegt es unter ihm und er ist dankbar dafür. Damit hatte die Katze wohl nicht gerechnet.

Oder doch? Ist es vielleicht gar kein Zufall, dass so viel Laub hier auf einem Haufen liegt? Ist er vielleicht nicht der Erste, dessen Sturz es abgemildert hat?

Nina und all die anderen verschwundenen Kinder kommen ihm in den Sinn.

Voller Entsetzen daran denkend, das andere vor ihm diesen Sturz vielleicht nicht überlebt haben, reißt er die Schnur seines Rucksacks auf und lässt seine Finger hineingleiten, um nach der Taschenlampe zu suchen.

„Lieber Gott, lass sie nicht kaputt sein“, hofft er und knipst sie an. Ein Lichtschein fällt auf ihn und seinen riesigen Laubhaufen.

Gerrit richtet den Schein der Lampe auf seine Umgebung. Er trifft vermoderte Bretter und alte Dachschindeln in einem Wirrwarr vermoderten Laubs.

Er leuchtet den Haufen aus und sieht erst jetzt, wie groß der ist und dass er mitten darauf sitzt. Aber nichts lässt darauf schließen, dass hier schon jemand anderes hineingestürzt war.

Er leuchtet weiter ins Innere der unendlichen Dunkelheit und sieht … nichts. Die Luft hier unten ist feucht und stickig.

Gerrit steht auf, lässt den Lichtstrahl nach oben gleiten und sucht nach dem Loch, durch das er hinabgestürzt war. Doch auch da scheint das wenige Licht seiner Taschenlampe auf nichts Erreichbares zu stoßen.

Ängstlich und verstört überlegt er, was er tun soll. Um ihn herum ist es bitterkalt. Er fragt sich, ob die vermoderten Bretterreste und Dachschindeln wohl noch Überreste des angeblich früher hier versunkenen Alkenkrugs sind. Alles scheint darauf hin zu deuten. Also so viel zu dem Thema „Sage“ und dass die wohl alle nur erfunden sind.

Wieder überkommt Gerrit ein grauenvoller Schauer bei dem Gedanken.

„Hilfe!“, schreit er nun lauter und dennoch ohne Hoffnung, dass ihn jemand hören wird.

Hilfe … Hilfe … Hilfe, schallt es vielfach von allen Seiten wieder und der Junge sieht sich gehetzt um. Wieder lässt er den Lichtstrahl umherirren und wieder trifft er auf kein Ziel, außer auf tiefste Dunkelheit. Zittrig nimmt er seinen Rucksack und steigt von dem Hügel. Alles ist feucht und glitschig. Er rutscht ein paar Mal fast aus und hält krampfhaft die Lampe fest. Die darf er auf gar keinen Fall verlieren.

Unschlüssig beleuchtet er nochmals die Umgebung und der Schein seiner Lampe stößt an eine Wand. Vorsichtig tritt Gerrit einige Schritte darauf zu und erfühlt die feuchte, schleimige Oberfläche. Er zuckt zurück. Wo ist er hier nur gelandet und wie soll er hier jemals wieder herauskommen? Vielleicht, wenn die Suchtrupps hier in die Nähe kommen?

Sein Fahrrad steht am Waldrand und das Seilende muss noch am Baum hängen. Sie müssen ihn einfach finden!

Wieder lässt er den Lichtstrahl nach oben gleiten und versucht einen Ausweg zu finden. Doch die Decke ist sehr hoch und für ihn unerreichbar.

Er beleuchtet den Boden, weil ihm mit einem mal wieder in den Sinn kommt, dass auch die anderen verschwundenen Kinder hier in dieser Höhle festgesessen haben könnten. Er sieht schon die Skelette vor sich, die zusammengesunken an einer der glitschigen Wände kauern. Vielleicht wird er an den Stofffetzen, die um die bleichen Knochen hängen, erkennen können, welches von ihnen seine Schwester gewesen ist.

Das blanke Entsetzen bei diesem Gedanken krampft seinen Magen zusammen.

„Wieso bin ich nur hinter dieser saublöden Katze hergerannt?“, flucht er mehr zu sich selbst. Jemand anderes ist ja nicht da und er … er ist jetzt auch ein „verschwundenes“ Kind.

Er mag gar nicht daran denken, wie es seinen Eltern heute Abend ergehen wird, wenn er nicht nach Hause kommt. Wieso hat er nur niemandem erzählt, dass er zur Alkenkuhle fahren will?

Er lässt ängstlich das Licht seiner Taschenlampe an der Wand entlanggleiten. Bereit, jeden Moment auf einen Knochenfund zu stoßen, folgt er dem Lichtschein und geht weiter die Wand entlang. Die Höhle erscheint ihm riesengroß.

Plötzlich spürt er eine Bewegung hinter sich und will sich gerade erschrocken umdrehen, als er auch schon ein Fauchen hört. Er spürt, wie ihm die Krallen der Katze durch das Haar reißen, als sie über ihn hinwegspringt. Alles geht so schnell, dass er noch nicht einmal seinen Lichtstrahl auf das Vieh richten kann. Für einen Moment glaubt er noch das grüne Funkeln ihrer Augen auszumachen, dann ist sie verschwunden.

Gerrit leuchtet in die Richtung, in der er die Katzenaugen gesehen hat. Tatsächlich durchbricht an dieser Stelle das Licht die Dunkelheit und richtet sich in die Unendlichkeit. Gerrit sieht, dass sich dort die Wand zu einem Tunnel öffnet.

Vor seinen Füßen kringelt sich etwas, dass die Katze bei dem gewagten Sprung über seinen Kopf hinweg verloren hatte. Er bückt sich und starrt entsetzt auf das kurze Ende des Seiles, dass er oben um den Baum gebunden glaubt. Es ist sogar noch der grüne Kleber dran, damit das Ende nicht aufribbelt.

„Verdammtes Vieh!“, heult er entsetzt auf. Ein Hoffnungsschimmer ist dahin. Nun bleibt ihm nur noch übrig, zu warten und zu hoffen, oder der Katze in die Dunkelheit zu folgen.

Erneut beleuchtet er den Weg vor sich und findet das Loch in der Wand.

„Ein Durchgang!“, schießt es ihm durch den Kopf und Hoffnung durchflutet ihn.

Doch gleichzeitig hat er Angst, diese Höhle zu verlassen. Schließlich ist sie das Einzige, was ihn mit der Außenwelt verbindet. Aber wenn er der Katze nicht sofort folgt, dann wird er vielleicht niemals einen anderen Weg hier herausfinden und das ist dringend nötig. Denn man hatte auch die anderen Kinder hier unten nicht gefunden. Also ahnt wohl keiner, dass es hier tatsächlich eine Höhle gibt.

Noch einmal den Schein der Lampe auf den Laubhaufen zurückwerfend, und seinen Rucksack schulternd, geht er los. Wenn er sich den Weg gut merkt, kann er jederzeit umkehren.

So geht er vorsichtig in den Gang, einen Fuß vor den anderen setzend und leuchtet mit klopfendem Herz die Wände ab.

Doch mit jedem Schritt in die unbekannte Welt vergrößert sich seine Angst und Gerrit versucht sich dagegen zu wehren, indem er leise vor sich hin summt. Ihm fällt nichts Besseres ein als „Hänschen klein, ging allein …“ Außerdem kämpft er verbissen darum, seine Gedanken in den Griff zu bekommen, die ihm immer mehr Schreckensvisionen von aufgespießten Skeletten an den Wänden und monsterartigen Wesen, die ihn verspeisen wollen, vorgaukeln.

Seltsame Geräusche lassen ihn ständig zusammenfahren und treiben ihm den Schweiß auf die Stirn, obwohl es hier unten empfindlich kalt ist.

So schiebt er sich vorsichtig voran, immer darauf bedacht, nicht über irgendetwas Schreckliches zu stolpern oder sich an einem tiefhängenden Stein den Kopf zu stoßen. Die Katze vor ihm bleibt verschwunden. Er hofft so sehr, noch einmal ihre leuchtenden Augen zu sehen, doch vor ihm scheint nichts zu sein.

Langsam schleicht er weiter. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe erhellt die dumpfe Dunkelheit um ihn herum nur unzureichend. Bald weiß er nicht mehr, wie lange und wie weit er schon so dahingeschlichen ist. Aber es müssen Stunden vergangen sein. Die Feuchtigkeit und Kälte lässt ihn trotz seiner Jacke zittern und er fühlt sich müde und erschöpft. Mitunter klappern seine Zähne so laut aufeinander, dass er sie fest zusammenbeißen muss, weil er Angst hat, dass etwas auf ihn aufmerksam wird, was besser nichts von ihm weiß.

So schleppt er sich voran, bald nur noch das Licht der Lampe starr vor sich haltend. Sind die anderen Kinder vor ihm hier auch schon so entlanggeschlichen?

Nein, denn eines ist sicher: Sie hatten keine Taschenlampe wie er. Ein Vorteil, den er nicht missen möchte. Der Gedanke, hier unten ohne Licht zu sein, erschreckt ihn dermaßen, dass seine Finger sich um das Blech der Lampe verkrampfen, wie um eine begehrte Fußballkarte für ein Weltmeisterschaftsspiel mit Deutschland im Finale.

Während er weiterschleicht und den Lichtkegel mal hierhin und mal dorthin wirft, sieht er in Gedanken seine Schwester, wie sie sich weinend auf allen Vieren den Gang entlang geschoben haben mag. Ein schreckliches Bild, das ihm die Tränen in die Augen treibt. Wie weit ist sie gekommen und was ist mit ihr dann geschehen? Oder ist sie nie hier unten gewesen?

So läuft Gerrit gefühlte Stunden weiter, als plötzlich ein entferntes Schnaufen an sein Ohr dringt.

Gerrit bleibt mit ängstlich aufgerissenen Augen und klopfendem Herzen wie erstarrt stehen.

Bisher hatte sich an dem schmalen Höhlengang nicht viel geändert und nur wenige, undefinierbare Geräusche hatten seine gedanklichen Schreckensvisionen zu verstärken versucht.

Das ständige Tröpfeln und Rauschen von Wasser, das entweder von der Decke trieft, an den Wänden herabfließt oder das als plätschernde, winzige Rinnsale über den Boden läuft, hatte sich im Laufe der Stunden zu einem beruhigenden Freund entwickelt, der ihm keine Angst mehr macht. Aber dieses Geräusch, das sich so unvermutet plötzlich an sein linkes Ohr herangemacht hatte, lässt ihn vor Furcht erzittern.

Da, da ist es wieder! Es scheint in unregelmäßigen Abständen aus der Wand neben ihm zu kommen. Er ist also hier unten nicht allein. Doch dieses Schnaufen klingt so unheimlich, dass er lieber nicht wissen will, was das sein kann. So lässt er auch ganz vorsichtig den Strahl seiner Lampe in die Richtung gleiten, aus der es zu kommen scheint und hält den Atem an. Doch vor ihm tut sich nur ein weiterer dunkler Gang auf und daraus dringt nun ein lautes Schmatzen.

Gerrit beeilte sich, das Licht auszuschalten und steht wie versteinert da. Doch nichts bewegt sich auf ihn zu. Die Geräusche bleiben immer am gleichen Platz.

Unschlüssig steht er da, von seinen Gefühlen hin und hergerissen. Einerseits schreit alles in ihm nach Flucht, aber andererseits hat er Angst, dann etwas zu verpassen, dass ihm hier unten weiterhelfen kann.

Schreckensstarr wartet er ab, die eine zittrige Hand um die Taschenlampe geschlossen und die andere um den Rucksackgriff. Langsam gewöhnen sich seine Augen an die Finsternis und mit Erstaunen bemerkt er, dass es den Gang entlang zu dem schnarchenden Etwas tatsächlich heller wird. Vielleicht ist dort schon ein Ausgang und was er da hört, ist nur ein schlafendes Pferd, dem ein Bauer den Höhleneingang als Pferch hergerichtet hatte.

Doch selbst an diesem Gedanken scheint etwas nicht zu stimmen, und alles in Gerrit mahnt ihn zur Vorsicht.

Vielleicht ist es dieses seltsame Schnaufen und Schnarchen, das irgendwie nicht zu einem Pferd passt. Es ist so schrecklich laut und durchdringend.

Vielleicht ist es aber auch der Gedanke, dass er nie von Höhlen in Ankum und der Umgebung gehört hatte und Nina und die anderen Kinder dann doch wohl gefunden worden wären.

Er blinzelt ein paar Mal. Doch noch immer scheint von dort Licht zu kommen und Gerrit will trotz der Einwände, die in seinem Bauch rumoren, die Hoffnung an einen Ausgang nicht aufgeben. Langsam, ohne sich weitere schreckliche Gedanken zu erlauben, schleicht er dem Licht entgegen.

Der Gang macht nach dreißig Schritten eine Kurve nach rechts. Nun sieht er, dass es dort noch viel heller sein muss, als er anfangs glaubte. Sein Herz macht förmlich einen Luftsprung.

So geht er mit schneller werdenden Schritten und sich dicht an der äußeren Wand haltend, um die Ecke und sieht nun in einiger Entfernung tatsächlich zwei Lichtpunkte. Auch die Schnarch- und Schmatzgeräusche werden lauter.

Gerrit erzittert bei dem Gedanken daran, was ihn dort erwarten könnte. Ein Pferd kann das unmöglich sein. Doch was gibt es hier unter der Erde, von dem man über der Erde nicht die leiseste Ahnung hat, und das solche gewaltigen Geräusche von sich gibt? Um ein Kaninchen handelte es sich dabei bestimmt nicht!

Er kommt dem Licht immer näher und steht bald vor zwei leuchtenden Gefäßen, die an beiden Seiten des Tunnels in etwa zwei Metern Höhe angebracht sind.

Gerrit besieht sich das erstaunt.

Wer hat hier solche Gefäße an dem grauen Gemäuer befestigt? Und was ist darin, was so hell leuchtet? Er sieht keine offene Flamme und keinen Rauch.

Vorsichtig geht er weiter und findet in dem Gang noch ein Dutzend solcher Lichtgefäße. Das Schnarchen und Schmatzen wird immer lauter, und Gerrit kriecht die Angst vor dem vor ihm hausenden Etwas immer quälender durch die Knochen. Er ist kein Held, wollte auch nie einer sein. Er mag noch nicht einmal Filme im Fernsehen, die zu aufregend sind. Und das hier, das übersteigt ganz klar die Grenzen des für ihn Erträglichen. Aber nun kann er nicht, wie beim Fernsehen, so tun, als hätte er Durst und müsse eben etwas trinken gehen oder mal eben aufs Klo oder so etwas. Nein, hier muss er all seinen Mut zusammennehmen, und hier ist er in diesem Albtraum auch noch die Hauptfigur.

Zitternd bleibt er stehen. Nein, er kann nicht weitergehen. Mag da auch ein Ausgang sein, er kann nicht weiter. Dieses Schnaufen und Ächzen lassen ihn dermaßen vor Angst erbeben, dass er glaubt, nie wieder einen Schritt tun zu können.

„Verdammt, ich muss aber!“, schreit er sich in Gedanken zu und gibt sich einen Ruck. Alles in ihm sperrt sich dagegen und doch weiß er, dass er keine Wahl hat. Er sitzt hier schließlich nicht vor seinen Hausarbeiten und kämpft mit dem „Ich muss …“ und „Ich will aber nicht.“ Hier geht es darum, einen Ausgang zu finden, der ihm das Leben retten kann.

Der Gedanke, dass er nun sein eigenes Leben retten muss, vielleicht sogar richtig darum kämpfen muss, trifft ihn wie ein Schlag mit einem Vorschlaghammer. Keiner wird ihm die Arbeit hier abnehmen. Er muss also weiter.

Schließlich lässt ihn die Gewissheit, dass dieses seltsame Wesen vor ihm hoffentlich fest schläft, weiterschleichen.

So setzt er Fuß vor Fuß und schleicht, dicht an die feuchte Wand gepresst, voran, jederzeit zur Umkehr bereit. Als er ein weiteres Paar leuchtender Schalen hinter sich lässt, breitet sich der Gang zu einer riesigen Höhle aus. Gerrit sieht erstaunt, dass sie rund herum von leuchtenden Schalen erhellt wird.

Mitten in dieser Höhle ragen riesengroße Felsen bis zur Decke hinauf. Wassertropfen glänzen an den Wänden, die das Licht der seltsamen Schalen wiederspiegeln und sie gelb und grün schimmern lassen.

Das laute Schnarchen und Röcheln hört plötzlich auf und Gerrit erstarrt. Leises Schnüffeln wird hörbar und er weicht, direkt neben dem Eingang, durch den er gekommen ist, an die Wand zurück. Seine Augen gleiten durch die Höhle und versuchen auszumachen, von woher die Geräusche kommen. Doch alles scheint hier seltsam widerzuhallen und den wirklichen Ursprung zu verzerren.

Gerrits Gedanken überschlagen sich, je lauter das Schnüffeln wird.

„Ich muss hier weg!“, schreit es in ihm und dennoch ist er nicht in der Lage, sich zu bewegen. Was kann das sein, das hier unten wohnt und von irgendjemandem versorgt wird? Es muss doch jemand diese Schalen aufgehängt haben und dieses Etwas füttern! Also gibt es hier jemanden, der ihn hier herausführen kann.

Ja, so muss es sein. Also darf er nicht weglaufen! Es wird ihm bestimmt nichts tun. Es kennt vermutlich Menschen.

„… Und hat sie zum Fressen gern, vor allem junge Menschen“, schießt es ihm durch den Kopf und er spürt den kalten Schweiß zwischen seinen Schulterblättern herabrinnen.

Plötzlich poltert es in der Höhle und etwas Großes schießt auf ihn zu. Es kommt direkt hinter dem Felsen hervor und bewegt sich schnell auf vier kurzen Beinen voran. Es ist groß wie ein ausgewachsener Elefant und hat gelbe, durchdringende Augen und eine lange Schnauze mit riesigen Zähnen. Ein dicker Schwanz mit riesigen Zacken wedelt kampflustig hin und her und lässt Wassertropfen durch die Luft peitschen.

Gerrit glaubt seinen Augen nicht zu trauen. Das Vieh sieht aus wie ein Drachen mit Krokodilschnauze aus einem Horrorfilm. Aber solche Viecher gibt es doch gar nicht in der Wirklichkeit!

„Ich muss weglaufen!“, ruft er sich in Gedanken zu und ist doch beim besten Willen nicht in der Lage dazu. Seine Beine sind wie festgewachsen und hören nicht auf das, was sein Kopf ihnen so verzweifelt zuruft.

Mit stampfenden Füßen und speichelspritzendem, weit aufgerissenem Maul rennt die Bestie auf ihn zu, als wolle sie ihn packen und zerfleischen.

Plötzlich kracht es an einer der hinteren Wände, als wolle ein Bulldozer sie durchbrechen und mit verdrehten Augen und hängender Zunge bleibt das Tier plötzlich stehen. Nur noch der Schwanz peitscht umher und schlägt größere Brocken des Felsens aus der Höhlenmitte ab.

Gerrit steht starr an die Wand gepresst da, unfähig zu jeglichen Bewegungen, und stiert entsetzt auf die fauchende und zischende Gestalt, die sich ihm immer wieder verzweifelt zu nähern versucht. Doch eine starke Kette ist fest um den Hals des Tieres geschlungen und scheinbar an der hinteren Wand verankert. Es braucht einige Momente, bis Gerrit begreift, dass dieses drachenähnliche Geschöpf angekettet ist wie ein Hund.

Das Fauchen wird zorniger und Spuke spritzt durch die Zähne hindurch in Gerrits Gesicht.

Angewidert reißt er die Arme hoch und putzt sich mit dem Ärmel sauber. Der schleimige Speichel riecht übel nach vergammeltem Fleisch und Kot.

Nun packt ihn erst recht das Grauen. Angeekelt starrt er auf das riesige Maul vor sich, das weiter fauchend seine Spuke verspritzt. Deutlich sieht er zwischen zwei Zähnen ein Stück Stoff herabhängen und abermals packt ihn ein kalter Schauer.

Ein erneuter Angriff mit grünem widerlichem Sabber aus dem riesigen Maul reißt Gerrit ganz aus seiner Erstarrung. Er dreht sich um und rennt in den Gang zurück. Er läuft und läuft und lässt das Licht hinter sich.

Das wütende Fauchen und Toben aus der Höhle verfolgt ihn. Er bleibt keine Sekunde stehen, um zu verschnaufen. Die Angst, dieses seltsame Geschöpf könne sich doch noch losreißen und ihm hinterherhechten, treibt ihn voran. So rennt er in den dunklen Gang zurück, den er gekommen ist. Keine Sekunde kommt ihm der Gedanke, dass er die falsche Richtung eingeschlagen hat und doch eigentlich diesen Gang geradeaus weiterverfolgen wollte - hinter der Katze her.

Voller Panik stolpert er den Weg zurück.

Ein gutes Stück entfernt drückt er endlich die Taschenlampe an, deren Schein in seinen zittrigen Händen mal hier, mal dorthin schießt und er läuft in dem Lichtschein weiter. Die Geräusche des tobenden Ungeheuers sind längst verstummt, als Gerrit sich endlich etwas beruhigt und langsamer wird. Bald gönnt er sich sogar eine kleine Verschnaufpause.

Ihm schmerzen die Beine, und der Rest seines Körpers ist mit blauen Flecken übersät. Er hatte ein paar Mal unsanfte Bekanntschaft mit den Wänden gemacht, als er so kopflos geflohen war und seine körperliche Verfassung, nach seinem Sturz durch das Loch in der Alkenkuhle, war dadurch nicht besser geworden. Aber nichts hat ihn gefressen und das erscheint ihm fast wie ein Wunder.

Kurz setzt er sich auf einen Stein, um sich die Knie zu reiben und um zu Atem zu kommen. Dann rappelt er sich wieder auf und läuft weiter.

Musste er nicht schon längst wieder bei der Höhle ankommen, durch deren Decke er eingebrochen war? Er weiß es nicht. Bis zu diesem Augenblick hatte er alle Gedanken an den richtigen Weg wegen dieses seltsamen Tieres verdrängt. Es hatte ihn nur kopflos vorangetrieben. Wie lange, kann er kaum einschätzen. So geht er nun schwer atmend weiter und nimmt langsam wieder mehr von dem Weg wahr, den er geht.

Der Gang ist schmal und glitschig.

Ihm kommt es so vor, als wäre das nicht der Weg, den er gekommen ist. Hat er sich vielleicht verlaufen? Findet er noch nicht einmal den Weg in die Höhle zurück, durch deren Decke er in diese seltsame Welt gestürzt war?

Völlig erschöpft und von Hoffnungslosigkeit und Angst gequält, schleicht er voran. Wer hält sich hier unten solche Ungeheuer und zu welchem Zweck?

Dieser Gedanke lässt ihn nicht wieder los. Was für ein Geheimnis verbirgt sich unter der Erde von Osnabrück? Hat das hier etwas mit dem Verschwinden seiner Schwester und den anderen Kindern zu tun? Sind sie zu Futter für dieses Ungetüm geworden?

„Oh, Nina! Was ist dir nur passiert?“, jammert er flüsternd und mit den aufsteigenden Tränen kämpfend. Doch dann schüttelt er den Kopf und reckt seine müden Knochen. Er darf sich jetzt nicht in Selbstmitleid oder Traurigkeit verlieren. Er muss kämpfen!

Gerrit lässt den Strahl der Taschenlampe von dem Weg vor seinen Füßen hochschnellen und sieht, dass der Gang allmählich breiter geworden ist. Er scheint wieder in einer kleinen Höhle angekommen zu sein. Müde und durstig sucht er sich neben dem Eingang einen einigermaßen trockenen Platz, um sich erschöpft auf den Boden gleiten zu lassen. Langsam lässt er den Lichtstrahl über die Wände wandern und sucht alles nach einer Gefahrenquelle ab. Doch es gibt nur nasse Wände und eine tropfende Decke. Außerdem braucht er die Pause, wenn er nicht bald vor Erschöpfung umfallen will.

Im Schein der Taschenlampe holt er aus dem Rucksack die Fleischwurst und die Milch. Er nimmt einen Schluck und isst ein Stück Wurst. Sein Hunger ist noch nicht gestillt, aber er will mit dem Wenigen noch etwas länger auskommen. Milch trinkt er etwas mehr. Wasser gibt es hier schließlich im Überfluss, auch wenn es ihm wenig behagt, aus einer der Pfützen trinken zu müssen wie ein Hund.

Als er alles wieder in seinem Rucksack verstaut hat, will er seinen Weg weitersuchen. Doch er ist so müde und ihm schmerzt jeder Muskel, dass er sich noch einen Moment der Ruhe gestatten will. Es ist so still um ihn herum und nur das Plätschern des Wassers ist zu hören. Gerrit merkt gar nicht, wie er langsam zur Seite sackt und einfach vor Erschöpfung einschläft.

Als er wieder die Augen öffnet, starrt er in eine starre Dunkelheit und weiß im ersten Moment nicht, ob er wirklich schon die Augen geöffnet hält oder nicht. Sein Zimmer ist doch niemals so dunkel!

Langsam wird ihm bewusst, dass er auf einem kalten, feuchten Boden liegt und nicht in seinem Bett. Wie ein Hammerschlag trifft ihn die Erinnerung an die schreckliche Falle, in der er sich befindet. Schnell setzt er sich auf und starrt in die grauenhafte Dunkelheit um sich herum.

Er ruft sich seine Situation ins Gedächtnis. Er ist in einer kleinen Höhle. Seine Hände fühlen die feuchten, schlierigen Wände neben sich. Durch den Gang, durch den er in diese Höhle gekommen war, wischt ein Zug kalter, muffiger Luft an seiner Wange entlang und lässt ihn erzittern.

Gerrit rückt schnell etwas zur Seite, daran denkend, was ihn durch diesen dunklen Gang getrieben hatte. Oder ist das doch alles nur ein schrecklicher Albtraum gewesen?

Er wünscht sich nichts sehnlicher, als in seinem Bett aufzuwachen und alles nur geträumt zu haben. Doch es hilft kein Kneifen und kein Wange reiben. Er ist wach und das hier ist nicht nur ein Albtraum. Auch riecht sein Ärmel immer noch nach der schleimigen Spuke dieses Ungeheuers, die nun festgetrocknet und bretthart ist.

Langsam steht er auf und greift nach seinem Rucksack.

Etwas fällt laut krachend zu Boden und entsetzt verfolgt Gerrit das Echo. Dann ist es um ihn herum wieder still.

Er lauscht angespannt und wilde Fantasiebilder von aufgeweckten, sich das Maul leckenden Drachen oder anderen Ungeheuern spuken ihm sofort im Kopf herum und lassen ihn erneut erzittern. Doch nichts rührt sich um ihn herum. Kein Geräusch dringt zu ihm durch, nur das leise Plätschern des Wassers, das ständig durch kleine Rinnsale fließt.

Was hatte er nur heruntergeworfen?

„Meine Taschenlampe!“, schießt es ihm durch den Kopf, als ihm bewusstwird, was so laut scheppernd zu Boden gefallen war.

Sofort lässt er sich auf die Knie sinken und tastet alles nach ihr ab. Aber der Boden unter ihm ist schwarz wie die tiefste Nacht und er kann noch nicht einmal seine suchenden Hände auf dem kalten Stein sehen. Dennoch sucht er fieberhaft weiter, findet aber außer ein paar Steinen und seltsam schlierigen Pflanzenwucherungen nichts.

Er setzt sich enttäuscht und mutlos auf den kalten Boden. Tränen der Verzweiflung und Angst verschleiern ihm den Blick und er versucht sie niederzukämpfen. Er will nicht weinen. Er darf auch gar nicht weinen. Er muss seine Taschenlampe wiederfinden. Irgendwo muss sie doch sein!

Erneut rafft er sich auf und kriecht tastend den ganzen Boden ab. Seine Hose trieft vor Nässe und an seinen Handflächen fühlt er matschigen Schleim, der in den winzigen Rissen, die er sich durch spitze Steine zugezogen hat, brennt. Die Höhle scheint etwas zu einer Seite abzufallen. Wahrscheinlich ist die verdammte Lampe irgendwohin gerollt.

Gerrit kriecht auf allen Vieren weiter und sucht mit seinen Händen erneut den dunklen Grund ab.

Er ist schon bis auf der anderen Seite der Höhle angekommen, als ein Geräusch ihn zusammenfahren lässt. Schnell reißt er den Kopf hoch und spürt einen kalten Luftzug, der ihm, mit einem seltsamen Geruch vermischt, ins Gesicht bläst. Gerrit streckt vorsichtig tastend eine Hand aus und fühlt über den kalten Stein der Wand. Plötzlich reißt er erschrocken seine Hand zurück, die einen Moment ins Leere griff und erstarrt. Vor ihm muss ein weiterer Gang sein, zu klein für ihn, aber groß genug, dass sich dort etwas anderes verbergen kann.

Er horcht angestrengt. Irgendwie meint er, Geräusche zu vernehmen, kaum hörbar und vielleicht auch nur seiner Fantasie entsprungen.

Gerrits ganzer Körper zittert vor Anspannung und seine Handgelenke und Knie schmerzen von dem Gewicht, weil er sich die ganze Zeit auf allen Vieren vorwärtsbewegt hatte.

Plötzlich hört er ganz deutlich ein Knurren und zwei große, grüne Augen blitzen ihn eine Sekunde lang an.

Einen Augenblick denkt er, das kann nur die verdammte Katze sein. Aber er hat gar keine Lust, es drauf ankommen zu lassen. Zumal er auf allen Vieren kniend sein Gesicht direkt in der Höhe des Loches hat.

Er springt auf die Füße, was ihn fast über seinen Rucksack stolpern lässt, dessen Riemen er um einen seiner Füße geschlungen hatte und sucht gehetzt nach etwas, wohin er sich wenden kann. Er glaubt, dass jeden Moment die Katze oder ein anderes schreckliches Vieh über ihn herfällt.

Er packt seinen Rucksack und taumelt durch die Dunkelheit, die Augen vor Angst weit aufgerissen. Dennoch kann er vor sich nichts weiter ausmachen als einen erneuten Luftzug, der kräftiger ist als alles Vorherige.

Gerrit tastet die Wand ab und findet ein Loch. Es scheint ein weiterer Gang zu sein, der auch irgendwie nicht ganz so schwarz scheint, wie das Loch mit den grünen Augen.

Ohne weiter zu überlegen, rennt Gerrit los, gefolgt von dem bösartigen Knurren. Die Angst treibt ihn vorwärts und er stolpert, die Arme weit vor sich gestreckt, durch die Dunkelheit. Seltsame grünliche und gelbe Ablagerungen leuchten von den Wänden wieder, und lassen seine Umgebung nicht ganz so tiefschwarz und undurchdringlich wirken. Wo mehr von diesen seltsamen Punkten die Wände bedecken, ist es sogar so grau um ihn herum, dass er den Grund vor seinen Füßen sehen kann. Durch die seicht schimmernden Wände kann er den Weg erahnen und schneller laufen.

Ein kurzes Jaulen echot durch den Gang und er wagt nicht zurückzusehen. Aber immer deutlicher vernimmt er, außer seinen eigenen polternden Schritten, das Stampfen vieler kleiner Füße, die nur so über den Boden fliegen. Sie kommen so unheilvoll schnell näher, dass Gerrit schon die Reißzähne im Genick zu spüren glaubt. Der Gang scheint endlos und Gerrit strauchelt voran. Mittlerweile quält ihn heftiges Seitenstechen und er keucht laut vor Anstrengung. Die Füße hinter ihm sind schon so dicht, dass sie ihm fast auf die Hacken treten müssen. Gerrit wagt aber nicht sich umzudrehen, aus Angst, dann ins Stolpern zu geraten. Aber die Füße sind so dicht hinter ihm, dass er bestimmt jeden Augenblick von der Wucht des sich auf ihn stürzenden Tieres zu Boden geschleudert wird.

„Jetzt hat es mich!“, denkt er noch und schließt einen Moment entsetzt die Augen.

Seine Ohren hören längst, was sein Kopf nicht so recht wahrhaben will. Als Gerrit schnell die Augen aufreißt, hört er, wie etwas an ihm vorbeischießt. Kurz blicken ihn die grünen Augen an und er hört das Keuchen und Hecheln wie bei einem Hund und sieht dessen schemenhafte Gestalt. Dann läuft das komische Tier weiter den Gang entlang.

Gerrit wird sofort langsamer und sieht kurz noch in der Finsternis einen wild wedelnden buschigen Schwanz, der aber sofort darauf von der Dunkelheit verschluckt wird.

Er bleibt stehen, beugt sich keuchend vornüber und stützt seine Hände auf die Knie ab.

„Das gibt es doch gar nicht“, murmelt er kopfschüttelnd. „Da renn ich wie ein Bekloppter weg und das Vieh tut mir gar nichts.“

Der Junge erhebt sich stöhnend und reibt sich die Seite, in der es bei jedem Atemzug höllisch zieht. Er lehnt sich an die Wand und schließt erleichtert einen Moment die Augen.

Ihm ist nichts passiert und er hatte so eine Angst!

Plötzlich hört er erneut ein beunruhigendes Geräusch, das ihn zusammenfahren lässt. Es scheint ihm, als hätte jemand einen Stein auf dem kalten Boden verschoben.

Gerrit sieht den Gang zurück. Doch in der grauen Dunkelheit kann er noch nicht einmal in zwei Meter Entfernung einen Bären erkennen. Aber irgendetwas scheint sich ihm schnell zu nähern und sofort springt sein Adrenalinspiegel erneut in die Höhe und lässt ihm den Schweiß auf die Stirn treten.

Sein Herz beginnt zu rasen und er weiß nicht, ob er abwarten oder gleich davonrennen soll.

Plötzlich nimmt er eine Bewegung, oder ist es nur ein Geräusch, in dem Höhlengang wahr. Etwas Großes, dicht am Boden kriechendes, kommt schnell näher. Nun ist es schon so nah, dass Gerrit wirklich in der Dunkelheit eine Bewegung ausmachen kann.

Er überlegt nicht mehr länger und rennt los, weiter den Gang entlang, dem schon vorher dieses seltsame Tier genommen hatte, das in so panischer Angst an ihm vorbeigerannt war. Nun wird Gerrit klar, wieso.

Er hört ein Zischeln hinter sich und versucht, sein Tempo noch zu steigern. Kurz wirft er einen Blick zurück und glaubt, einen riesigen Schlangenkopf dicht hinter sich ausmachen zu können. Das Tier zischt mit seiner gespaltenen Zunge hinter ihm her und Gerrit sieht sich schon von dem Tier gebissen und vergiftet. Völlig verzweifelt rennt er um sein Leben.

Auf einmal scheint der Gang zu Ende zu sein. Vor ihm prangt etwas Riesiges, Graues empor. Noch bevor er abbremsen kann, prallt er aus vollem Lauf vor eine Mauer. Ihm wird schwarz vor Augen und er sinkt ohnmächtig zu Boden.

Ein seltsamer Schmerz durchfährt seine Glieder, als er sein Bewusstsein langsam wiedererlangt. Er braucht einige Sekunden, um zu erkennen, was eigentlich los ist. Doch länger auch nicht, da spürt er schon den dicken, ledrigen Leib einer Schlange um seinen Hals. Ein Teil dieses scheußlichen Tieres kann er wie einen grauen Schatten um seinen Bauch und um sein rechtes Bein sich winden sehen. Voller Entsetzen will er schreien, doch sein Körper ist wie gelähmt. Seine Knochen drohen der Kraft des Tieres nachzugeben und ihm bleibt die Luft weg. Der Schlangenkörper hat sich um ihn geschlungen wie ein Schraubstock und versucht ihn zu zerquetschen.

Gerrit schnappt nach Luft und schreit heiser keuchend auf. Da sieht er plötzlich einen Schatten aus einer Ecke preschen und sich auf die Schlange stürzen. Dem Jungen schwinden schon wieder die Sinne, als er noch wahrnimmt, wie dieses haarige Etwas seine langen Zähne direkt hinter dem Kopf der Schlange vergräbt und heftig zu schütteln beginnt. Etwas Feuchtes spritzt Gerrit ins Gesicht, doch er kann wieder besser atmen. Gierig zieht er die Luft in seine Lunge und spürt, wie der ganze Druck von seinem Körper abfällt.

Benommen und nach Luft japsend gleitet er zur Seite und wird wieder ohnmächtig.

Ein schrecklicher Geruch schlägt ihm entgegen und etwas Nasses berührt sein Gesicht, als er die Augen wieder aufschlägt. Schnell schließt er sie wieder und kneift den Mund zusammen.

Über ihm steht dieses seltsame Wesen und leckt ihm das Gesicht ab.

Angeekelt setzt sich Gerrit schnell auf, um dem zu entgehen. Dabei purzelt das Etwas von ihm herunter und steht hechelnd und schwanzwedelnd wie ein dunkler Schatten vor ihm.

Der Junge blinzelt benommen. Sein Gefängnis scheint nicht mehr so dunkel zu sein. Etwas um ihn herum lässt seine Welt heller wirken.

Gerrit starrt das Tier vor sich widerwillig an. Das ist kein Hund! Das ist auch ganz sicher keine Katze! Dem seltsamen Schwanz nach zu urteilen, den das Tier auf den Rücken legt, wenn es gerade nicht damit herumwedelt, könnte es ein riesiges Eichhörnchen sein. Doch der Kopf ähnelt einem Fuchs mit einer ausgesprochen langen Schnauze und die seltsamen hellen Streifen auf dem dunklen Fell gleichen einem Dachs.

Nun steht dieses seltsame Tier vor Gerrit und hält in seiner Bewegung inne. Es scheint abzuwarten. Der Junge war ihm nicht besonders freundlich begegnet, obwohl es ihm das Leben gerettet hatte.

Gerrit ist sich dennoch nicht sicher, ob dieses haarige Etwas Freund oder Feind ist.

Als das Tier vor ihm wie ein Hund zu hecheln beginnt, entblößt es große, spitze Zähne in dem langen Maul, die selbst in dieser grauen Düsternis mächtig gefährlich aufblitzen.

Gerrit erschauert. Doch mit einem Mal senkt das Tier den Kopf und leckt über seine Hand. Erwartungsvoll sieht es ihn wieder an und wedelt mit dem buschigen Haarstrang am hinteren Ende des kleinen Körpers.

Das Tier ist viel zu sehr Hund, als dass es Gerrit noch länger Angst einjagen kann. Außerdem hat es ihn gerettet und hätte ihn schon längst beißen können. Aber bisher war es ihm nur freundlich begegnet.

So streckt er vorsichtig eine Hand aus, um den neuen Freund zu streicheln. Doch bevor Gerrit das drahtige Fell berühren kann, geht das Tier ein paar Schritte zurück und verschwindet dadurch fast gänzlich in der Dunkelheit, die die seichten Punkte an der Wand nicht zu erhellen vermag.

Gerrit hört ein leises Knurren.

Sofort zieht er die Hand wieder zurück.

Das Tier kommt erneut näher und setzt sich auf die Hinterbeine. Dabei wirkt es wirklich in dieser dämmrigen Dunkelheit wie ein großes Eichhörnchen.

Gerrit wünscht sich nichts mehr, als besser sehen zu können. Nun, da das Wesen nicht mehr so dicht vor ihm steht, ist es nur wieder ein Schemen … einem Schatten gleich. Somit ist er sich auch nicht mehr sicher, ob es ihm noch freundlich gesinnt ist.

„Nah, du Kleiner! Du bist doch bestimmt ein ganz Lieber?“, flüstert er mit zittriger Stimme, worauf das Tier aufspringt, mit der langen Schnauze seinen Rucksack packt und ihn hinter sich herzieht.

Gerrit sieht ihm erschrocken hinterher, einen Moment unfähig, sich zu rühren. Sein Rucksack verschwindet so schnell in der Dunkelheit, dass er kaum Zeit zum Reagieren hat.

„Halt!“, schreit er und rappelt sich, mit beiden Händen den dicken Schlangenlaib von sich schiebend, hoch.

Dieses seltsame Tier zieht den Rucksack durch eine kleine Öffnung in der Wand und ist verschwunden.

Gerrit steht hilflos vor dem kleinen Loch. Er sieht sich um und erkennt, dass er an einem dicken Stein abgeprallt war, der den gesamten Gang versperrt. Aber an einigen Stellen füllt die Masse des Steins den Gang nicht ganz aus und durch diese mehr oder weniger großen Öffnungen sieht er eine graue Helligkeit auf der anderen Seite des Ganges, die auch seinen Gang immer mehr erhellt.

„Da geht es nach draußen!“, denkt er überrascht und versucht den Stein wegzudrücken. Aber der rührt sich keinen Millimeter.

Es gibt nur den einen Weg, und zwar den, den dieses seltsame Tier auch genommen hatte.

Gerrit legt sich flach auf den Boden und streckt erst einen Arm und dann den Kopf durch die schmale Öffnung. Er quetscht sich durch das Loch, bis er endlich nur noch die Beine nachziehen muss. Dabei geht ihm die ganze Zeit die Hoffnung nicht aus dem Kopf, dass er bald in Freiheit sein wird, auch wenn er damit rechnet, dass dieses seltsame Tier Zeit genug hatte, um mit seinem Rucksack auf nimmer wiedersehen zu verschwinden. Aber das wäre ihm natürlich seine Rettung wert.

Umso überraschter ist er, als er sich endlich erschöpft aufrappelt, dass er ein Winseln hört und vor sich seinen Rucksack und dieses komische Tier sieht. Wieder wedelt der buschige Schwanz hin und her und wirbelt etwas Staub auf.

Gerrit sieht sich um. Es ist zwar alles um ihn herum viel heller, aber dennoch befindet er sich in einem weiteren Gang. Noch immer sieht er nur Steinwände und mit feuchtem, grün und gelb schimmerndem Moos bedeckte Felsen.

Die Enttäuschung drückt auf sein Gemüt, dass eben noch so voller Hoffnung war. Niedergeschlagen sieht er sich weiter nach einem Ausgang um.

Wenigstens ist es in diesem breiten Gang so hell, dass er etwas mehr erkennen kann. Es gibt nach wenigen Metern riesengroße Felsen, die mitten im Raum stehen.

Gerrit sieht nach oben und erwartet hoch über sich wenigstens etwas blauen Himmel. Doch dort ist nur, in etwa vier bis fünf Metern Höhe, ein seltsames Wurzelwerk zu sehen, das hier und da etwas Licht in die Höhle lässt.

In Gerrit steigt erneut Hoffnung auf. Er scheint ganz dicht an einem Ausweg nach draußen zu sein.

Seinen Blick auf das seltsame Wurzelwerk richtend, sucht er sich einen Weg. Um weiter in die Höhle vordringen zu können, muss er über einen uralten, schon fast vollständig vermoderten Baumstamm klettern, der scheinbar vor Urzeiten einmal mit samt seinem Wurzelwerk eingebrochen war. Doch die anderen Bäume haben mit ihren Wurzeln das große Loch wieder verschlossen und Laub und abgebrochene Zweige verdichten die kleineren Zwischenräume.

„Nur eine Frage der Zeit, wann der nächste hinunterkracht“, murmelt Gerrit vor sich hin und geht vorsichtig weiter. Leider kann er darauf nicht warten.

Tatsächlich besteht diese Höhle aus lauter großen, glatten, bis zur Decke reichenden Steinen auf denen mit ihrem verworrenen Wurzelballen, Erd- und Laubschichten große Bäume stehen. Hier und da fällt Tageslicht in die Höhle und spiegelt sich in den Wassertropfen an den Wänden und auf dem Boden tausendfach wider. Wie schön das hier unten ist, sieht Gerrit aber nicht. Er starrt nur auf das ihm so wundervoll erscheinende Licht, das von oben hereindringt und das er so gerne über der Erde erleben möchte.

Wo er sich wohl gerade befindet? Wenn er laut genug ruft, vielleicht hört ihn jemand?

„Hilfe!“, schreit er aus Leibeskräften.

Schon purzeln ihm einige Steinchen entgegen.

Der seltsame Vierbeiner, der die ganze Zeit bei dem Rucksack gehockt hatte, springt auf und verzieht sich winselnd unter einer steinernen Ausbuchtung in der Wand.

„Hallo, hört mich denn keiner? Ich bin hier u…“

Über Gerrit knackt es laut und eindringlich. Der Boden scheint leicht zu erbeben. Er sieht sich gehetzt um und findet den kleinen Vierbeiner unter dem Steinversatz geduckt hocken und ihn ängstlich anstarren.

„Ich soll besser nicht so schreien, meinst du?“, flüstert Gerrit ihm zu und erntet dafür ein kurzes Schwanzwedeln. Er sieht zur Decke hoch und blickt sich voller Tatendrang um.

„Ich muss da aber hoch! Das muss doch irgendwie gehen!“

Er schaut an einem großen Felsen hoch und versucht ihn zu erklimmen. Aber das jahrhundertelange Rinnen von Regenwasser hatte die Steine glattgeschliffen und rutschig gemacht und keine Wurzel reicht tief genug hinab, um sich daran hochzuziehen. Er hat keine Chance. Außerdem wird er es nicht schaffen, durch das dichte Wurzelwerk, das sich wie ein dichter Teppich verwoben hat, an die Oberfläche zu kriechen.

Ein Schleifen lässt ihn aufschrecken und er sieht sich um. Das fellige Etwas hat sich wieder den Rucksack geschnappt und zieht ihn hinter sich her, um einen der dicken Felsen herum und aus Gerrits Blickfeld.

„Ey, verdammt. Wo willst du denn damit hin?“, ruft er und läuft hinter dem Tier her. Er braucht seinen Rucksack. Schließlich ist das Brummen kein Bär, sondern sein bei der vielen Aufregung total unbeachteter, hungriger Magen. Und durstig ist er mittlerweile wie ein Dromedar auf wochenlanger Wüstentour. Doch als er um den Felsblock herumläuft, verschwindet das Tier schon um den nächsten.

Gerrit folgt ihm, aber er bleibt dabei bedächtig und vorsichtig. Schließlich weiß er nicht, was ihm hinter dem nächsten Felsen begegnet.

Langsam wird es wieder nachtschwarz um ihn herum und er ist sich nicht sicher, ob er wirklich weiter seinem Rucksack nachlaufen soll. Das Licht in der hinter ihm liegenden Höhle zieht ihn magisch an. Aber Licht gibt nur Hoffnung, macht aber nicht satt.

Ein paar Mal spürt er Wasser durch seine Turnschuhe dringen, wo er wohl in einen etwas größeren Rinnsal mit Quellwasser tritt. Mittlerweile ist es wieder so dunkel um ihn herum, dass er sich fast nur noch auf das schleifende Geräusch vor sich verlassen kann. Immer wieder blickt er sich um, damit er den Weg in die helle Höhle zurückfinden kann. Doch er ist sich gar nicht mehr sicher, ob ihm das noch möglich ist. So folgt er dem seltsamen Geschöpf vor sich, dem scheinbar langsam die Kräfte ausgehen, denn er hört es bald schon dicht vor sich angestrengt Schnauben.

Mittlerweile ist es wieder so dunkel, dass er kaum seine Hände vor Augen sieht. Er tastet sich mehr voran, als dass er schnell dem Tier folgen kann. Als seine ganzen Sinne nur noch aufs Vorwärtskommen ausgerichtet sind, stolpert er plötzlich und hört ein klagendes Jaulen unter sich.

Gerrit versucht sich noch abzufangen, aber er kann nicht verhindern, dass er lang hinschlägt.

Wieder spürt er den schrecklichen Geruch in der Nase und wieder gleitet etwas Nasses durch sein Gesicht.

„Bäh, geh weg!“, ruft er aufgebracht und setzt sich schnell auf. Sein rechtes Knie schmerzt höllisch und Gerrit reibt es einige Zeit mit den Händen. Diesmal versucht er nicht, die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. „Du blödes Vieh!“, schluchzt er auf und fühlt sich von einer tiefen Niedergeschlagenheit übermannt. Die Dunkelheit hat ihn wieder fest im Griff und er kommt sich dumm vor, wegen dem Rucksack diesem Tier gefolgt zu sein. Hat das denn alles noch einen Sinn? Hier unten wird ihn ja doch niemand finden. Die anderen Kinder sind auch nie wieder aufgetaucht.

Gerrit wird erneut bewusst, dass vielleicht seine Schwester Nina genau wie er hier durch die Gänge gestolpert war, nach Hilfe rufend, allein, frierend und verängstigt. Doch niemand von den Suchtrupps hatte ihre Rufe gehört … und er? Er hat in seinem Zimmer gesessen und nicht geahnt, welche Qualen sie durchmachte. Nun ist er auch hier gefangen. Er ist durch seine eigene Dummheit selbst in die Falle getappt, und dass nur wegen dieser elenden Katze.

„Die Katze!“, schießt es ihm. Er hat sie auch hier unten gesehen. Sie hat ihn doch hierhergelockt. Wo ist sie wohl abgeblieben?

Gerrit wischt sich mit dem Ärmel seiner Jacke die nassen Wangen trocken.

„Warum lockt das Vieh Kinder hier herunter? Das muss doch einen Grund dafür geben! Vielleicht gehört sie ja sogar jemandem. Dieses angekettete Ungeheuer muss ja auch jemandem gehören“, raunt er leise vor sich hin, was das zottige Tier vor ihm dazu veranlasst, sich vor seine Füße zu setzen.

Gerrit sieht in die grünen Augen. „Ich weiß nicht, was du von mir willst“, flüstert er der in der Dunkelheit kaum auszumachenden Gestalt vor sich zu.

„Wuff!“, macht er, und Gerrit blinzelt überrascht.

„Du kannst ja sogar bellen wie ein Hund. Das ist ja seltsam. Denn eines weiß ich. Du bist keiner! Oder zumindest habe ich in meinem Leben noch keinen wie dich gesehen.“

Gerrit hätte gerne die Hand ausgestreckt und den kleinen Kerl vor sich gestreichelt. Doch er wagt es nicht. Das böse Knurren beim letzten Mal sitzt ihm noch in den Knochen und wer weiß? Vielleicht verschwindet das seltsame Tier dann doch noch. So scheint es bei ihm bleiben zu wollen. Dafür ist Gerrit sehr dankbar. Er will hier auf gar keinen Fall allein sein und weiß nicht, was sonst noch alles in diesen dunklen Gängen haust. Aber irgendjemand muss doch diese Höhlen kennen, sonst gäbe es nicht diesen angebundenen Drachenverschnitt. Und der seltsame Hund scheint ihm auch irgendwie zu zutraulich, als dass ihm Menschen ganz fremd sein können. Vielleicht gehört er dem gleichen Wesen, dem auch die Katze und das Ungeheuer gehören?

Das ist wiederum ein Gedanke, der Gerrit nicht gerade erfreut. Aber ihm ist mittlerweile alles recht, wenn er nur auf einen Menschen stößt. Danach wird man schon weitersehen.

Seinen Rucksack zu sich heranziehend, entnimmt er ihm die restliche Milch und das letzte Stückchen Wurst. Er schiebt sie sich in den Mund und trinkt die Milch aus. Das beruhigt seinen Magen, der aber unaufhörlich mehr fordert. Die Milchpackung stellt Gerrit mitten in den Gang für den Fall, dass er auf seiner Suche nach einem Ausgang, oder anderen Menschen, hier wieder vorbeikommt. Dann wird er sich wenigstens etwas orientieren können.

„Wuff!“, gibt der seltsame Hund aus der Dunkelheit laut.

Gerrit kann eine Bewegung ausmachen und ahnt, dass das Wesen vor ihm aufgestanden ist und einige Schritte weiter in die Dunkelheit geht.

Wieder hört er ein: „Wuff!“ und ist sich nicht sicher, was das soll.

Ihm fällt die Katze ein, die ihn hierhergelockt hatte. Vielleicht ist dieser seltsame Hund ihre Ablösung und soll ihn nun weiterbringen.

Gerrit überlegt einige Augenblicke. Soll er ihm folgen? Wird er ihn genauso ins Verderben locken wie die Katze?

Er steht stöhnend auf. Was hat er für eine Wahl? Immerhin lockte dieser seltsame Hund ihn in eine andere Richtung, als die Katze lief. Als er ihr folgte, wäre er beinahe als Drachenfutter geendet. Ist das vielleicht sogar die Aufgabe der Katze? Soll sie junges, frisches Drachenfutter heranschaffen?

Gerrit erschaudert. Doch sein Verstand sagt ihm, dass dieses angekettete Tier kein Drachen gewesen sein kann. Drachen gibt es nicht. Das sind Fabelwesen. Geschöpfe, die sich irgendwann irgendjemand ausgedacht hatte, um seine Kinder zu erschrecken.

Aber er hat es gesehen, und es sah aus wie ein Drachen mit Riesenschnauze oder wie ein Krokodil mit längeren Beinen. Wer weiß schon, was das wirklich für eine Kreuzung war. Und wer hält es hier unten in Ketten? Und wozu?

Er hat noch nie von jemanden gehört, der statt einer Garage hinter dem Haus einen Höhleneingang sein Eigen nennt, in dem er seine Autos parkt und seine „Haustiere“ hält. Aber wer weiß! Vielleicht wird er hier unten tatsächlich auf Menschen stoßen, die ihm den Ausgang zeigen können.

„Wuff … Wuff, Wuff!“, hört Gerrit vor sich und glaubt, es klingt drängender.

Er nimmt seinen Rucksack und versucht aufzutreten. Sein Knie schmerzt, aber er kann einigermaßen darauf stehen.

„Wuff!“, hört er wieder aus der Dunkelheit und Gerrit macht einen Schritt darauf zu. „Was ist denn, Hund, ich komme ja schon. Aber wehe dir, wenn du mich auch in eine Falle lockst.“

„Wuff, Wuff!“

Gerrit humpelt in die Dunkelheit, den Geräuschen hinter her, die die Krallen an den weichen Pfoten vor ihm machen. Manchmal erklingt das „Wuff“ wie ein geflüsterter Ruf aus der Dunkelheit, wenn er nicht schnell genug folgt.

So tastet Gerrit sich voran, stolpert über Steine, stößt sich den Kopf an, tritt in Wasserlachen und spürt Wassertropfen, die von der Decke auf seinen Kopf fallen und ihm in den Nacken laufen. So schleicht er lange Zeit voran und er fühlt sich erschöpft und unendlich müde. Er hat keinerlei Orientierung mehr und weiß noch nicht einmal, ob er sich in einem Gang befindet oder in einer Höhle. Manchmal klingen seine Schritte dumpf und manchmal hallen sie wider, als stünde er in einem riesigen Saal. Sehen kann er nichts und das ist etwas, was ihn immer mehr zermürbt. Wenn er doch nur ausmachen könnte, was um ihn herum ist. So durch die Dunkelheit zu irren, macht ihn schier verrückt.

„Ich kann nicht mehr. Ich bin müde und will schlafen“, murmelt er in Gedanken vor sich hin, als plötzlich von allen Seiten eine Stimme zu ihm dringt und ruft: Bin müde … und will schlafen … bin müde … und … will schlafen.

Da weiß er, dass er mittlerweile seine Gedanken laut ausspricht.

„Hund, ich kann nicht mehr!“, ruft er in die Dunkelheit, was auch von den Wänden zurückgeworfen wird.

Gerrit sinkt in die Knie. Ihm ist plötzlich alles egal. So erschöpft und niedergeschlagen glaubt er noch nie in seinem Leben gewesen zu sein. Er will nur noch schlafen. Wie viele Stunden er nach seinem kurzen Schläfchen schon wieder unterwegs ist, weiß er nicht. Nur, dass er völlig am Ende ist. Sogar die Furcht vor noch so einer riesigen Schlange oder anderem Getier kann ihn nicht mehr zum Weitergehen bewegen. Er wirft seinen Rucksack auf den kalten, glitschigen Boden und legt sich mit dem Kopf darauf.

„Nur kurz … nur ganz kurz ausruhen“, murmelt er und schläft sofort ein. Dass direkt vor seinem Gesicht die grünen Augen auftauchten und die lange Zunge ihm über die Wange wischt, bemerkt er schon nicht mehr. Er ist in eine tröstende Traumwelt versunken, die ihm Bilder von seinem Zuhause vorgaukelt.

Eine unglaubliche Welt

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