Читать книгу Wer hält sich schon den Mann im Keller - Sabine Wassermann - Страница 8

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ICH PARKTE MEINEN WAGEN IM HOF, stieg aus und knallte die Tür zu. Achselzuckend betrachtete ich noch einmal den kaputten Scheinwerfer. Morgen hatte ich Zeit, da würde ich ihn auswechseln. Jetzt gab es Wichtigeres zu erledigen. Ein neuerlicher Blick auf die Uhr. Notker würde bald kommen, vielleicht schon in einer Viertelstunde. Keine Ahnung, wo seine Siggi wohnte. Keine Ahnung, was er noch mit ihr tun würde, wenn er bei ihr zu Hause war. Ich versuchte mir ein zerwühltes Bett vorzustellen: knisternde Satinbettwäsche, in deren Falten sich die endlos langen Beine von Siggi verloren; auf dem Nachttisch zwei Champagnergläser …

Ich lachte auf. Nein, ausgeschlossen, das paßte nicht zu Notker. Er würde lediglich seine Hose ein Stück herunterschieben, den Rock von Siggi ein Stück hoch, und sie dann von hinten … auf dem Küchentisch … Welch verworfene Phantasie ich doch besaß! Wenn diese Siggi irgendwo in ihrem schmucken Köpfchen wider Erwarten doch ein wenig Intelligenz hortete, würde gar nichts passieren.

Nur keine voreiligen Schlüsse, ermahnte ich mich: Die Sache ist ganz harmlos; und wenn er so offensichtlich mit ihr geschäkert hat, dann nur, um mich zu ärgern. Notker ist doch gar nicht der Typ für so was, der liebt nur seinen Fußball und sein Auto. Und das Ding zwischen seinen Beinen baumelte all die Jahre doch ohnehin weitgehend nutzlos herum, warum sollte sich da mit einem Mal was geändert haben?

Ich beschloß, nicht mehr darüber nachzudenken. Vielleicht würde er ja von sich aus auf diese Frau zu sprechen kommen. Und wenn nicht, war es auch egal. Jetzt mußte ich mich aber beeilen! Er konnte jeden Augenblick kommen, und ich mußte noch aufräumen, das hieß Spuren beseitigen.

Ich begann meine Inspektion im Erdgeschoß. Man muß es sich so vorstellen: Das vier Meter breite, meistens offenstehende Tor führt in einen überdachten, schäbigen Hof. Dahinter liegt die Werkstatt, eine ebenso schäbige Halle. Gleich neben dem Einfahrtstor führt eine schmale Tür in den Hausflur. Vom Flur geht man dann rechter Hand ins Büro, läßt sich die Rechnung aushändigen und die einzelnen Posten erklären, denn meine Handschrift taugt höchstens für den Einkaufszettel im Supermarkt; und eine halbwegs moderne und somit brauchbare Schreibmaschine oder gar einen PC gibt es nicht. Neben dem Büro ist der Verkaufsraum, mit Kasse, Zeitschriften, Zigaretten, Bier, Fertiggerichten in Dosen und jeder Menge Süßigkeiten. Den kann man natürlich auch von der Straße aus betreten. Im Hof kann der Kunde seine kostbare Klitsche volltanken, an vier vorsintflutlichen Zapfsäulen: Benzin, Super, und die jeweils bleifreie Version. Diesel haben wir nicht. Immerhin kann sich unser Trockensortiment sehen lassen und wird von der Nachbarschaft gerne in Anspruch genommen.

Über das Lädchen, den Hof und die Werkstatt zieht sich das Obergeschoß hin: unsere Wohnung. Ja, die ist in der Tat sehr groß, aber auch hier ruhte bis vor kurzem der Fünfziger-Jahre-Mief; wenn ich mich darin einigermaßen wohl fühlte, dann nur, weil es mein Elternhaus war und somit vertraut.

Ich hatte gelernt, übervorsichtig zu sein. Obwohl ich wußte, daß Notker unmöglich überblicken konnte, ob im Süßwarenregal dreißig oder vierzig Tafeln Milkaschokolade lagen. Die hatte ich auch gar nicht angerührt. Er nahm an, daß hier meine Lieblingssorte lag, die Sorte, für die man sterben könnte. Es ist aber Blockschokolade. Ja, die zum Backen. Ich sorgte stets dafür, daß wir Backzutaten zu verkaufen hatten. Denk nur an die armen Hausfrauen, an unverhofften Besuch, dem sie zum Kaffee etwas vorsetzen wollen, sagte ich. Irgend etwas fehlt ihnen immer, und das merken sie erst, wenn es Samstagnachmittag ist und unverhofft die lieben Kinderchen mitsamt hungriger Familie vor der Tür stehen.

Außer einer Blockschokolade hatte ich zwei Puddingbecher genommen, sie gleich an Ort und Stelle gelöffelt und die Becher im Mülleimer neben der Kasse unter Bons vergraben. Zu leichtsinnig, entschied ich und buddelte sie wieder aus. Schokoladenpapier ist relativ problemlos, das knüllt man zusammen und wickelt es in ein Stück ausgediente Bildzeitung ein. Absolut unauffällig. Diese Puddings jedoch waren unpraktisch. Man aß drei Eßlöffelchen und hatte einen Plastikbecher am Hals. Um dieses Problem würde ich mich oben in unserer Wohnung kümmern.

Ich ging ins Büro und schloß die Tür zum Laden hinter mir ab. Den Schlüssel legte ich in den Aschenbecher auf Notkers Schreibtisch. Dann paffte ich schnell eine Zigarette und verteilte die Ascheklümpchen fein säuberlich auf dem Schlüssel. Notker war schlau, aber ich war auch nicht dumm. Noch kurz lüften, dann rauf in die Wohnung. In der Küche mußte ich eine leere Raviolidose beseitigen. Wenn ich eine Diät machte, war das erste, worauf ich früher oder später einen Heißhunger hatte, Plastikravioli aus der Dose, verfeinert mit einem Scheibchen Schmelzkäse und altem Brot.

Eigentlich machte ich immer eine Diät. Unter Notkers lauernden Augen aß ich gemäßigt; war ich allein, holte ich nach. Daß ich bei den mickrigen Portionen, die ich offiziell aß, nur schleppend abnahm, falls überhaupt, machte ihn wohl mißtrauisch, aber er schien darüber nicht weiter nachzudenken. Er zog es vor, zuzuschlagen oder – noch viel lieber – mich anderweitig zu demütigen. Solange er das konnte, stand die Wasserwaage in seinem Kopf, die sein Weltbild maß, gerade.

Ich stopfte die Dose tief in den Mülleimer, drapierte den anderen Abfall darum herum und knotete den Beutel fest zu, damit Notker keine Lust verspürte, ihn zu inspizieren. In die Mülltonne im Hof verfrachtete ich ihn nicht, das erschien mir zu auffällig. Jetzt mußte ich nur noch den Topf scheuern, in dem ich die Ravioli gewärmt hatte. Wie üblich hatte ich sie anbrennen lassen und den verkrusteten Boden einweichen müssen. Das kostete Zeit. Vielleicht gehörten Notkers Strafen wiederum zu meinem Weltbild, da ich mir so viel Zeit ließ, obwohl mir die Angst im Nacken saß.

An sich war ja auf die Bundesliga Verlaß. Sie begann immer um halb vier und endete um Viertel nach fünf. Dann noch zwei Stunden Fahrt. Notkers Fahrstil richtete sich nach dem Ergebnis des Spiels. Nach einem Sieg fuhr er aufgedreht und schnell, eine Niederlage brachte ihn zum Zuckeln. Aber das Auftauchen von Siggi und die Panne hatten dies alles ins Wanken gebracht. Neugierig war ich ja schon, wie das Spiel ausgegangen war. Ich warf rasch den Fernseher an und informierte mich im Videotext: Die Gladbacher hatten 1:0 gespielt. Offenbar war es kein sehr aufregendes Spiel gewesen.

Ein Tag ohne Notker, das war durchaus erholsam. Ein Tag ohne seine ständige Aufsicht, ohne seine Ermahnungen und Beschimpfungen. Ja, und ein Tag ohne Hunger.

Ein Tag ohne Demütigungen. Ich erinnerte mich, als mein Blick auf den Fernsehtisch fiel, wie er eines Tages von einem Kneipentreffen mit irgendwelchen flüchtigen Skatkumpels unverhofft zurückgekommen war. Ich hatte ihn erst am späten Abend erwartet, saß vor dem Fernseher und löffelte ein Eis, als ich den Schlüssel in der Wohnungstür hörte. Erschrocken sprang ich auf, und da ich nicht wußte, wohin mit dem Eis, schob ich es unter den Fernsehtisch.

Notker machte es sich in seinem Lieblingssessel bequem und schaltete den Fernseher an. Ich fragte ihn nicht, warum er so früh kam, auch nicht, ob er wieder gehen würde, denn ich wußte, er hätte am Klang meiner Stimme Verdacht geschöpft. Eine Stunde saß ich aufgelöst vor Angst im Nebenzimmer und wartete. Wartete darauf, wie das Eis floß, allmählich unter dem Fernsehtisch hervorkroch und mich der Lächerlichkeit preisgab. Als er dann tatsächlich wieder gegangen war, mühte ich mich eine weitere Stunde damit ab, den Fleck aus dem Teppichboden zu entfernen. Solcherlei Heimlichkeiten zogen mitunter viel Arbeit nach sich.

Wer hält sich schon den Mann im Keller

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