Читать книгу Von Dolomiten im Vorgarten und anderen Herausforderungen - Sabine Zinkernagel - Страница 16

12. Januar 1995

Оглавление

Lieber Jacob,

Nun bist du also schon zwei Tage alt. Ich wollte dir ja sofort nach dem Aufwachen aus der Narkose schreiben – aber ich hatte absolut keine Ahnung, was so ein Kaiserschnitt bedeutet! Einen ganzen Tag lang habe ich im Aufwachraum vor mich hingedämmert und nur eines richtig wahrgenommen: Mein Bauch tut weh. Besonders, wenn ich husten muss oder sprechen möchte oder versuche, wenigstens die Beine etwas zu bewegen.

Gestern früh kam dann eine Schwester und sagte, ich solle einmal kurz aufstehen. Wie bitte? Die konnte nicht mich meinen, die hatte mich bestimmt mit der Frau im Nebenbett verwechselt. Aber sie hat darauf bestanden, dass ich jetzt aufstehen muss. Resolut hat sie mich auf die Seite gedreht – mein Bauch tat so weh! – meinen Oberkörper zum Sitzen hochgezogen und meine Füße auf den Boden gesetzt – mein Bauch tat so weh! – und mich vorsichtig auf die Beine gestellt – mein Bauch tat so weh!

Zum Glück durfte ich mich gleich wieder hinlegen – mein Bauch tat immer noch so weh! – und wurde auf die Wochenstation geschoben. Übrigens, mein Bauch tut auch hier noch weh.

Zum Glück ist wenigstens dein Papa in der Lage, sich um dich zu kümmern. Er hat dich direkt nach deiner Geburt auf den Arm genommen, dich gewaschen, gewickelt und angezogen. Er pendelt jetzt im Krankenhaus immer zwischen meinem und deinem Bett hin und her und erzählt mir, wie es dir geht. Wenn du schläfst, nimmt er eines seiner Bücher und lernt für sein Examen. Schließlich will er ja später einmal nicht nur die Brötchen für dich verdienen, sondern auch die Butter und den Käse drauf!

Weißt du eigentlich schon, dass du der Sohn eines echten Helden bist?

Heute hat dein Papa etwas geschafft, das eigentlich gar nicht möglich ist: Er hat dich in deinem Wärmebettchen aus der Säuglings-Intensivstation hinunter zu mir gefahren und dich auf meinen Bauch gelegt. Damit ich mir meinen tollen Sohn schon jetzt richtig ansehen kann.

Der Arzt hat das ganz, ganz, ganz ausnahmsweise erlaubt, weil es dir im Grunde gut geht, und weil eine Schwesternschülerin – auch eine Bekannte von deinem Papa aus seiner Gemeinde – mitgekommen ist, um auf dich aufzupassen. Die Schülerin hat übrigens danach einen Rüffel bekommen: Sie könne die Eltern ihrer kleinen Schützlinge doch nicht einfach duzen! Zum Glück war dein Papa noch dabei und hat alles erklärt.

Auf der Wochenstation haben alle Schwestern Bauklötze gestaunt, als sie dich gesehen haben. Ein Baby von der Intensivstation hatten sie hier noch nie zu Besuch!

Ich habe mich wirklich gefreut, dich zu sehen. Aber als du dann auf meinem Bauch gelegen bist … du ahnst es sicher schon: Der Bauch tat so weh. Vielleicht zehn Minuten lang habe ich versucht, dich so in den Arm zu nehmen, dass es für mich erträglich würde. Nur hat der Bauch in jeder erdenklichen Stellung viel zu sehr weh getan. Also hat dein Papa dich wieder genommen und sich mit dir im Arm neben mein Bett gesetzt. So konnten wir uns wenigstens sehen.

Wenn alles gut geht, kann ich dir vielleicht schon morgen mit einem Rollstuhl einen Gegenbesuch abstatten. Und zwar auf der Kinderklinik. Denn Intensivüberwachung brauchst du nicht mehr. Nur dein Kopf muss regelmäßig untersucht werden. Bis jetzt können die Ärzte aber nicht mit Sicherheit sagen, ob das Nervenwasser darin zunimmt.

Vielleicht geschieht ja tatsächlich noch ein Wunder, und du brauchst gar kein Ventil …

Deine Mama

Von Dolomiten im Vorgarten und anderen Herausforderungen

Подняться наверх