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Von Osterhasen und Stubenfliegen

Als mein Chef mich heute Mittag in sein Büro rief, dachte ich mir noch gar nichts dabei. Sein Blick verriet mir jedoch bereits, dass etwas nicht stimmte, und ich sollte recht behalten. Er kündigte mir – fristlos. Angeblich hatte ich in der letzten Woche einen wertvollen Herrenring aus der Schublade seines Schreibtisches gestohlen, doch nie würde ich so etwas tun. Ehrlichkeit war mir das Wichtigste in meinem Job. Ich liebte meine Arbeit und ich verstand mich mit nahezu jedem im Büro sehr gut.

Als ich dies meinem Chef erklärte, nickte er langsam. Dann jedoch antwortete er mit gesenktem Kopf: „Es gibt einen Zeugen, Frau Langner.“ Alle weiteren Versuche, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, schlugen fehl.

Als ich das Büro schließlich tränenüberströmt verließ, sah ich Fiona am Eingang stehen. Sie deutete grinsend ein Winken an, während ich an ihr vorbeiging. In diesem Moment wusste ich, dass sie diese Intrige gesponnen hatte.

Vor zwei Monaten hatte sie in der Agentur angefangen. Sie war oft die Letzte, die abends das Büro verließ, und morgens die Erste, die schon den Kaffee kochte. Zu spät hatte ich bemerkt, dass sie es auf meine Stelle abgesehen hatte.

Nun, jetzt war die Stelle der Assistenz der Geschäftsführung frei und egal, wie sehr meine Kollegen mich verteidigen würden, es stand Aussage gegen Aussage und der Ring war weg. Zu Unrecht gefeuert – und das einen Tag vor Ostern.

Mich kaum konzentrierend fuhr ich nach Hause. Was sollte ich tun? Natürlich würde ich um meinen Job kämpfen, doch bei meinem Pech konnte ich es auch direkt lassen. Und dann? Mit so einer Entlassung würde ich keine neue Arbeit finden. Die Miete musste bezahlt werden und essen musste ich auch irgendetwas. Es half nichts. „Reiß dich zusammen, Susanne“, sagte ich mir selbst und hielt auf meinen Stellplatz zu. Um den Schock erst einmal zu verdauen, legte ich mich völlig fertig auf die Couch, und obwohl meine Gedanken sich überschlugen, schlief ich recht früh ein.

Am nächsten Morgen hatte ich neuen Mut gefasst und setzte mich mit einem Tee und der Tageszeitung auf die Couch. Tief durchatmend schlug ich die Stellenangebote auf. Wenigstens vorübergehend, bis ich meine Unschuld beweisen konnte, brauchte ich einen Job. Je weiter ich mich vorarbeitete, desto entmutigender schien die Suche jedoch für mich zu sein. Verzweifelt las ich die Anzeigen durch und fand nichts Passendes.

Voller Frust blickte ich kurz auf, dann wieder auf die Zeitung. Was war das? Da suchte jemand eine Aushilfskraft für die kommenden Ostertage. Warum hatte ich das nicht gleich gesehen? Vielleicht konnte ich dort aushelfen, das wäre ein Anfang. Genaueres stand nicht in der Anzeige, nur eine Adresse in der Stadt und der Vermerk: Kommen Sie jederzeit vorbei. Heute war Gründonnerstag – ich würde es einfach versuchen!

Zuerst dachte ich, dass ich mich beim Aufschreiben der Hausnummer vertan hatte. Ich durchfuhr die Lindenallee, bis ich das letzte Haus erblickte.

Dann wurde aus der befestigten Straße ein holpriger Feldweg. Ich fuhr immer weiter, bis ich einen kleinen Wald erreichte. Immer mehr kam es mir vor, als hätte sich hier nur jemand einen dämlichen Streich erlaubt. Dennoch parkte ich meinen Wagen am Rande des Waldes und stieg aus. Die Sonne schien warm auf meinen Rücken, als ich die frische Luft tief einatmete. Der Trip sollte nicht umsonst sein. So ging ich also in den Wald hinein. Die hochgewachsenen Bäume mit ihrem dichten Laub wirkten beruhigend und waren ein kostbares Stück Natur, das man in der Stadt kaum noch sah.

Neben mir kam hinter einer dicken Eiche ein Häschen hervorgehoppelt und sah mich an. Verwundert über die Zutraulichkeit ging ich etwas näher an das kleine Tier heran. „Bist du Susanne?“, fragte es mich.

Ich fiel aus allen Wolken. Seit wann konnten Hasen sprechen? Träumte ich? Das Häschen völlig entgeistert anstarrend, stotterte ich „Ja, w...warum?“

„Komm mit“, antwortete es und hoppelte davon.

„Warte“, rief ich und stolperte ihm hinterher, quer durch den Wald bis zu einem Loch, das wie der Eingang zu einem Bau aussah. Neugierig kroch ich hinter dem Tier hinein und krabbelte auf allen vieren immer weiter. Erst wurde es immer dunkler, doch plötzlich erstrahlte ein helles Licht am anderen Ende des Ganges. Dort angekommen richtete ich mich auf, blinzelte der Helligkeit entgegen und traute meinen Augen kaum.

Ich stand mitten auf einer saftig grünen Wiese und überall um mich herum waren Hasen, Füchse und weitere Tiere. Manche sammelten Blumen und legten sie in Weidenkörbe, andere transportierten Eier quer über die Wiese. Vollkommen verwirrt tapste ich über das Gras und sah dem eigenartigen Treiben zu. Abermals sprang ein Hase vor meine Füße. Mich beobachtend setzte er sich und wartete ab.

Endgültig denkend, dass es sich um einen Traum handeln musste, ging ich in die Hocke. „Warum habt ihr mich hergebracht?“, fragte ich, indem ich mich zugleich selbst für verrückt erklärte.

Der Hase legte den Kopf schief. „Vor ein paar Jahren steckte unser Chef in der Klemme“, antwortete er. „Du hast ihn verletzt gefunden, mitgenommen und gepflegt. Jetzt helfen wir dir.“

„Euer Chef?“, runzelte ich die Stirn und dachte nach. „Moment mal. Meinst du einen weißen Hasen?“

„Ja“, entgegnete der schwarze Hase vor mir. „Das ist unser Chef. Ihr Menschen nennt ihn den Osterhasen.“

Ich hatte damals den Osterhasen gerettet?

„Du verstehst, dass wir nicht zu deinem Haus kommen konnten. Das ist viel zu gefährlich für uns.“

„Sicher“, meinte ich und dachte an all die Tiere, die durch Autos zu Tode kamen.

„Und das hier bleibt unter uns.“ Abermals nickte ich. „Jedenfalls soll ich dir Folgendes vom Osterhasen ausrichten“, meinte der Hase, räusperte sich kurz und fuhr dann fort. „Ich danke dir für die Rettung und will mich revanchieren. Penny, die Stubenfliege, sah, dass das blonde Mädchen, das ihr Fiona nennt, im Büro deines Vorgesetzten war und den Ring entwendete.“

„Aber wie soll ich das beweisen?“, entgegnete ich deprimiert.

Der Hase sah mich pikiert an. „Ich war noch nicht fertig.“ Nach meiner Entschuldigung sagte er: „Den Ring hat sie im Pfandleihhaus am Markt versetzt. Nun geh und hol dir das zurück, was du dir hart erarbeitet hast.“

Kurz herrschte Stille. Ich brauchte ein paar Sekunden, um das Ganze zu verarbeiten. Das war in der Tat alles, was ich wissen musste, um meine Unschuld zu beweisen. „Oh, danke, liebes Häschen“, sprudelte es aus mir heraus. Ich krallte mir das Tier, umarmte es und knuddelte es ganz fest. „Und sag bitte dem Osterhasen auch vielen Dank von mir. Und Penny.“

„Schon gut, Mädchen“, keuchte es.

Im gleichen Moment sah ich, dass jeder, wirklich jeder um uns herum, seine Arbeit unterbrochen hatte, um uns anzustarren. Als ich den Hasen daraufhin schnell wieder absetzte, begann er sich wie verrückt zu putzen.

Überglücklich trat ich den Weg nach Hause an. Weil ich ihm vertraute, rief ich meinen Chef an und er stimmte sofort einem Treffen zu. Es stellte sich heraus, dass absolut alles stimmte, was der schwarze Hase mir gesagt hatte.

Einen Tag nach Ostern saß ich wieder an meinem guten alten Schreibtisch. Fiona war fort und an meiner Leselampe hing ein wundervolles Geschenk meiner Freunde aus dem Wald – ein von Jutta, der Henne, gelegtes, Horst, dem Dachs, ausgeblasenes und Karla, der Füchsin, bemaltes Osterei. Ich fand es am Ostersonntag auf dem Balkon im Blumenkasten.

Woher ich all ihre Namen kannte? Penny, die Stubenfliege, hatte sie mir zugeflüstert.

Von Stubenfliegen und Osterhasen

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