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Der Spinale Galantreflex
ОглавлениеEntstehung: 20. Schwangerschaftswoche.
Bei der Geburt: Aktiv vorhanden.
Hemmung: 3–9 Monate nach der Geburt.
Wenn das Baby in der Bauchlage gehalten wird, ohne dass sein Kopf und seine Hüften gestützt werden (ventrale Lage) oder auf dem Bauch liegt, wird die Stimulation des Rückens seitlich der Wirbelsäule zu einer Hüftbeugung (Rotation) um 45 Grad in die Richtung des Stimulus führen. Dieser Reflex sollte auf beiden Körperseiten in gleicher Intensität vorhanden sein.
Zwar gab Galant diesem Reflex schließlich seinen Namen, aber er war bereits 1904 von Bertolotti als „réflexe dorsolombaire“ (Lendenwirbelsäulenreflex) beschrieben worden. Er hatte beobachtet, dass eine Stimulation der Lumbalregion zu einer schnellen Kontraktion der Rückenmuskeln führte. Diese Reaktion verschwand im Alter von zwei Jahren. 1912 entdeckte Noica „une réflexe de la masse musculaire sacrolombaire“, der bei den meisten Kindern, aber nur selten bei Erwachsenen zu finden ist. Sowohl Veragruth als auch Galant beschrieben 1917 ähnliche Reaktionen bei normalen Kindern, aber auch, so Veragruth, bei manchen geistig behinderten Erwachsenen.
„Wenn die Haut am Rücken dicht entlang der Wirbelsäule bestrichen wird, krümmt das Kind seinen Körper bogenförmig zur Seite; die konkave Seite des Bogens weist zum stimulierten Bereich, und indem es sich in die entgegengesetzte Richtung krümmt, weicht das Kind dem Stimulus aus.“ (Galant 1917)
Isbert und Peiper (1965) sahen die Reaktion als umfassender an als von Galant beschrieben:
„Die Anwendung des Stimulus führt zu einer Beugung des Beckens nach hinten, das gleichseitige Bein wird am Knie gestreckt und das Hüftgelenk wird gestreckt …. Häufig kann die Kopfhaltung durch die Stimulation der vorderen Oberfläche des Rumpfes verändert werden: Die Stimulation auf einer Seite bewirkt die Drehung des Kopfes zur stimulierten Seite.“
Diese eben angeführte Beobachtung scheint den Beweis für die Kettenreaktion zu liefern, die von einem Reflex zum anderen ablaufen kann. In diesem Fall bedeutet dies, dass die Aktivierung des Spinalen Galantreflexes sich manchmal auf eine asymmetrisch tonische Nackenreaktion ausweiten kann.
Wenn beide Seiten der Wirbelsäule vom Becken zum Nacken gleichzeitig stimuliert werden, wird der Pulgar-Marx-Reflex ausgelöst. Diese Reaktion umfasst „Beugung beider Beine, Lordose der Wirbelsäule, Anhebung des Beckens, Beugung der Arme, Heben des Kopfes, lautes Schreien, das in Apnoe und Zyanose übergeht, Entleerung der Blase mit anschließender Entspannung und Anregung der Verdauung; nach vollständigem Ablauf des Reflexes besteht für mehrere Sekunden eine allgemeine Hypertonie.“ (Pulgar Marx 1955) Nicht alle Merkmale dieses Reflexes sind jedes Mal präsent. Der Pulgar-Marx-Reflex sollte zwischen dem zweiten und dritten Monat gehemmt sein. Er wird nur selten bei älteren Kindern mit spezifischen Lernschwierigkeiten beobachtet. Am Institut für Neuro-Physiologische Psychologie wurden Spuren davon bei mehreren Kindern mit diagnostiziertem Asperger-Syndrom gefunden, ebenso auch bei manchen Kindern, die über das fünfte Lebensjahr hinaus tagsüber einkoteten.
Es ist nur wenig über die Funktionen des Spinalen Galantreflexes bekannt, außer vielleicht, dass er eine aktive Rolle beim Geburtsvorgang spielt. Das Zusammenziehen der Muskeln in der Scheidewand stimuliert den Lendenwirbelbereich des Kindes und löst außerdem kleine einseitige Rotationsbewegungen der Hüfte aus, die den Kopf- und Schulterbewegungen des Asymmetrischen Tonischen Nackenreflexes ähnlich sind. So kann das Baby mithelfen, den Weg durch den Geburtskanal zu bewältigen.
Dickson (1991) hat darauf hingewiesen, dass der Spinale Galantreflex auch als primitiver Leiter von Geräuschen im Mutterleib fungieren könnte, der es ermöglicht, dass im flüssigkeitsgefüllten Milieu des Mutterleibes Schallvibrationen den Körper hochsteigen können. So wäre der Fötus in der Lage, Geräusche quasi zu fühlen. Es ist auch möglich, dass dieser Reflex den Schallvibrationen hilft, sich an der Wirbelsäule entlang nach oben zu bewegen. Diese Hypothese wurde durch die Ergebnisse einer Studie untermauert, die von Butler Hall und Hadley durchgeführt wurde. Diese Studie untersuchte die Auswirkungen des Auditiven Integrationstrainings (AIT) auf aberrante primitive und Haltungsreflexe. AIT ist ein Klangtherapiesystem, das von Guy Bérard entwickelt wurde, um eine Reihe von hör- und sprachbezogenen Problemen zu behandeln. Butler Hall (1998) fand heraus, dass der Spinale Galantreflex bei Kindern nach dem AIT-Training durchgehend reduziert war, was darauf schließen lässt, dass es einen funktionalen Zusammenhang zwischen dem Spinalen Galantreflex und dem Hören gibt. (Vgl. Kapitel 4, „Die Sinne“)
Eine weitere Interpretation geht in die Richtung, dass der Spinale Galantreflex eine Hinterlassenschaft unseres evolutionären Erbes aus der Zeit ist, als wir noch einen Schwanz hatten (Phillips 1994). Ein Schwanz oder eine schwanzähnliche Bewegung ist während des uterinen Lebens für die Bewegung im Uterus immer noch von Nutzen. Dies gilt ebenfalls für das Gleichgewicht während der Zeit, in der das Kind kriecht und krabbelt (die quadrupede Phase der Entwicklung) sowie für die Synchronisierung von Bewegungen der oberen und der unteren Körperhälfte auf einer Seite. Doch wenn die aufrechte Haltung erreicht ist, wird dies überflüssig, da die vordere Seite des Körpers und die Arme einige Anpassungsfunktionen für Gleichgewicht und Koordination übernehmen.
Wenn der Spinale Galantreflex über das Neugeborenenalter hinaus bestehen bleibt, kann er jederzeit durch leichten Druck im Lendenwirbelbereich ausgelöst werden. Eine Reizung auf beiden Seiten der Wirbelsäule löst gleichzeitig einen anderen, mit dem Spinalen Galantreflex in Zusammenhang stehenden Reflex aus, der bewirkt, dass das Kind Wasser lässt. Einen beibehaltenen oder rudimentären Spinalen Galantreflex findet man häufig bei Kindern, die eine schlechte Blasenkontrolle haben und die über das Alter von fünf Jahren hinaus Bettnässer bleiben. Beuret (1989), der in Chicago erwachsene Patienten behandelt, fand außerdem heraus, dass dieser Reflex bei vielen Menschen zu finden ist, die unter Verdauungsstörungen leiden.
Ein offensichtliches Merkmal, das bei Schulkindern auf einen beibehaltenen oder rudimentären Spinalen Galantreflex hindeutet, ist die Schwierigkeit, über längere Zeit stillzusitzen. Dies sind die Kinder, von denen man sagt, sie haben „Hummeln in der Hose“, die ständig ihre Körperhaltung ändern, zappeln und hin und her rutschen – und zwar schlicht und einfach aus dem Grund, dass das Gummiband im Hosenbund oder das Zurücklehnen im Stuhl den noch auslösbaren Reflex aktivieren. Verständlicherweise mögen diese Kinder meistens keine Kleidung tragen, die um die Taille herum eng sitzt. Der Reflex kann auch die Konzentration und das Kurzzeitgedächtnis beeinträchtigen, da er als ständiger irritierender Störenfried immer um die Aufmerksamkeit des Kindes kämpft.
Bleibt der Spinale Galantreflex nur einseitig aktiv, kann er Haltung, Gang und andere Formen der Fortbewegung beeinträchtigen. So kann der Reflex den Eindruck eines „hinkenden“ Ganges erwecken; es kann auch die Ursache einer späteren Skoliose sein. Es ist ebenfalls möglich, dass er die vollständige Entwicklung der späteren Amphibienreflexe und der Segmentären Rollreflexe behindert und so flüssige Bewegungsabläufe und die allgemeine Beweglichkeit beim Sport oder anderen körperlichen Aktivitäten in Mitleidenschaft zieht.
Eine Skoliose ist eine abnormale Krümmung der Wirbelsäule.