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Der Tonische Labyrinthreflex

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Tonischer Labyrinthreflex vorwärts


Entstehung: Im Mutterleib – fötale Beugehaltung.

Bei der Geburt: Vorhanden.

Hemmung: Etwa 4 Monate nach der Geburt.

Tonischer Labyrinthreflex rückwärts


Entstehung: Bei der Geburt.

Hemmung: Prozess, der sich vom Alter von 6 Wochen bis zum Alter von 3 Jahren vollziehen kann, bei gleichzeitiger Entwicklung der Kopfstellreflexe und jener Reflexe, die gewöhnlich als Halte- und Stellreaktionen kategorisiert werden, jedoch weiter oben als „Brücken“-Reflexe wie der Symmetrisch Tonische Nackenreflex und der Landau-Reflex bezeichnet werden. Zwischen dem Moro-Reflex und dem Tonischen Labyrinthreflex besteht in den ersten Lebensmonaten eine enge Verbindung. Beide sind vestibulären Ursprungs, beide werden durch die Stimulation des Labyrinths und dadurch auch durch jede Veränderung der Körperposition im Raum aktiviert. Der Reflex wird durch eine Bewegung des Kopfes nach vorn oder nach hinten ausgelöst, wobei der Kopf sich dann jeweils über bzw. unter der Ebene befindet, die das Rückgrat bildet. (Das Baby wird in Rückenlage gehalten.) Es wird angenommen, dass der Flexus habitus (die Position des Fötus in der Gebärmutter) die früheste Form des Tonischen Labyrinthreflexes in der vorwärts geneigten Position darstellt. Zum Zeitpunkt der Geburt sollte der Reflex vollständig vorhanden sein. Das Ausstrecken des Kopfes unter die Ebene des Rückgrats führt unmittelbar dazu, dass das Baby Arme und Beine ausstreckt (siehe Abbildung).

Der Tonische Labyrinthreflex sollte zum Zeitpunkt der Geburt in beiden Richtungen voll entwickelt sein. Die Hemmung des Tonischen Labyrinthreflexes vorwärts sollte mit etwa vier Monaten vollzogen sein. Die Hemmung des Tonischen Labyrinthreflexes rückwärts geschieht dagegen langsamer und nur schrittweise – in diese Entwicklung ist auch die Entstehung einiger Halte- und Stellreflexe eingebunden, und es dauert bis zu einem Alter von drei Jahren, bis dieser Vorgang vollständig abgeschlossen ist.

Wenn das Baby geboren wird, wird es gleichzeitig einer Reihe ganz neuer Herausforderungen ausgesetzt. Bisher hatte es sich in einer abgeschlossenen Umgebung befunden, die aus Wasser bestand, in der die Auswirkungen aller sensorischen Reize gedämpft wurden und in der auch die Schwerkraft eine abgeschwächte Wirkung hat. Der Tonische Labyrinthreflex stellt eine erste, primitive Methode für das Kind dar, mit dem Problem der Schwerkraft umzugehen. Jede Bewegung des Kopfes in vertikaler Richtung über die Mittellinie des Körpers hinaus wird zu einer extremen Beugung oder Streckung des ganzen Körpers führen. Dies beeinflusst den Muskeltonus im ganzen Körper vom Kopf abwärts.

Mit ungefähr sechs Monaten sollte diese Reaktion sich dahingehend verändert haben, dass die Kontrolle über den Kopf sich entwickeln kann. Auch der Augen- und der Labyrinthstellreflex sollten sich zu dieser Zeit bilden. Die Kontrolle über den Kopf ist eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung aller späteren Funktionen; sie sollte der Hauptinitiator aller Frühformen der Bewegung sein – das Gleiche gilt für die Muskelspannung und das Gleichgewicht (zephalo-kaudales Gesetz).

Das zephalo-kaudale Gesetz beschreibt eine Bewegung, die sich vom Kopf bis zu den Zehen abwärts vollzieht.

Der Tonische Labyrinthreflex hat einen tonisierenden Einfluss auf die Muskelspannung im ganzen Körper; er hilft dem Neugeborenen, sich aus der gebeugten fötalen und Neugeborenenhaltung gerade zu strecken. Auf diese Weise werden Gleichgewicht, Muskeltonus und Tiefensensibilität (Propriozeption) allesamt während dieses Prozesses trainiert.

Wird der Tonische Labyrinthreflex nicht zum richtigen Zeitpunkt gehemmt, wird er als Folge das vestibuläre System und dessen Interaktion mit anderen sensorischen Systemen stören. Ein Kind, bei dem der Tonische Labyrinthreflex noch aktiv ist, wird, wenn es mit dem Laufen beginnt, nicht in der Lage sein, echte Sicherheit im Umgang mit der Schwerkraft zu gewinnen (Ayres, 1979–1982), da die Bewegung des Kopfes den Muskeltonus verändert und das Gleichgewichtszentrum „über den Haufen wirft“. Da das Kind keinen festen räumlichen Bezugspunkt hat, wird es Schwierigkeiten haben, wenn es darum geht, Raum, Entfernung, Tiefe und Geschwindigkeit einzuschätzen.

Unser Richtungssinn basiert auf unserem Wissen darum, wo wir uns im Raum, der uns umgibt, befinden. Ist unser Bezugspunkt aber schwankend und instabil, dann kann die Fähigkeit zur Unterscheidung von oben und unten, links und rechts, vorn und hinten ebenfalls Schwankungen unterliegen. Dies ist genau der Zustand, den Astronauten im Weltraum erleben. Wenn Astronauten in eine schwerelose Umgebung versetzt werden, schreiben sie plötzlich von rechts nach links, sie verdrehen Buchstaben und Zahlen und fangen an, in Spiegelschrift zu schreiben – und demonstrieren damit die Bedeutung der Schwerkraft und der Balance für alle menschlichen Funktionsebenen.

Die anhaltende Aktivität des Tonischen Labyrinthreflexes führt dazu, dass sich die Kopfstellreflexe nicht vollständig entwickeln. Die mangelnde Kontrolle über die Kopfbewegungen wird auch die Funktion der Augen beeinträchtigen, da die Augen vom selben Regelkreis im Gehirn gesteuert werden – dem vestibulo-okularen Reflexbogen.

Wenn in einem Abschnitt dieses Regelkreises eine Funktionsstörung vorliegt, dann beeinträchtigt dies auch den reibungslosen Ablauf anderer Systeme, die von diesem Kreislauf abhängig sind. So wird die Balance durch fehlerhafte visuelle Information beeinflusst, das Sehvermögen wiederum wird durch die schlechte Balance beeinträchtigt. Es ist möglich, dass sich ein Zweiwegesystem etabliert, das nicht zusammenpasst, das das Kind aber für ganz normal hält, da es nie etwas anderes kennen gelernt hat. Eine dauerhafte präzise Wahrnehmung hängt von der Synchronisation im Timing der Botschaften ab, die zwischen dem vestibulären System, dem Körper und dem visuellen System ausgetauscht und dabei vom Cerebellum moduliert werden.

Vestibulo-okularer Reflexbogen


Die Organisation des Gleichgewichtssystems

Das Gleichgewichtssystem und die Augen befinden sich innerhalb desselben Schaltkreises. Informationen aus dem Körper gelangen zu den Vestibularkernen und werden zu den Augen weitergeleitet. Informationen von den Augen wiederum passieren die Vestibularkerne und gelangen dann zu den Propriozeptoren im Körper, um die angemessenen Anpassungen vorzunehmen.

Ein erhaltener Tonischer Labyrinthreflex verzerrt den Informationsfluss zwischen den Vestibularkernen und den Propriozeptoren des Körpers, was wiederum Auswirkungen auf die Augen hat. Daraus entwickelt sich dann in dreierlei Hinsicht ein nicht aufeinander abgestimmtes System.

Der Tonische Labyrinthreflex kann auch verhindern, dass das Kind auf Händen und Knien krabbelt, da die Bewegung des Kopfes zum Ausstrecken der Beine führt. Der Symmetrische Tonische Nackenreflex wird ebenfalls im System „eingeschlossen“ bleiben in seinem vergeblichen Versuch, den Tonischen Labyrinthreflex außer Kraft zu setzen, der das Kriechen und Krabbeln verhindert. Kriechen und Krabbeln dienen einerseits als Training, andererseits unterstützen sie den Prozess der Reflexhemmung. Beide erleichtern die Integration sensorischer Information, da das Gleichgewichtssystem, das visuelle System und das propriozeptive System zum ersten Mal in einer neuen Beziehung (Position und Orientierung) zur Schwerkraft zusammenarbeiten. Während dieser Phase der Bewegungsentwicklung verfeinert das Kind weiterhin sein Gefühl für Balance, Raum und Tiefe. Beim Kriechen und Krabbeln wird das „Rohmaterial“ des Sehens, Fühlens und der Bewegung zum ersten Mal synchronisiert, um dem Kind ein vollständigeres Bild der Umwelt zu liefern.

Der fortgesetzte Einfluss des Tonischen Labyrinthreflexes kann sich noch auf viele andere Funktionsgebiete auswirken: Balance und Bewegung werden beeinträchtigt. Längeres Stehen kann ermüden, denn eventuell muss die Haltung beim Versuch, sich mit dem Reflex einzurichten, immer wieder verändert und angepasst werden. Das kann sich in einer allgemeinen Neigung zum Vorbeugen äußern oder durch die Neigung mit vorgestrecktem Kopf dazustehen. Es kann auch sein, dass das Kind einen sehr schlaffen Muskeltonus hat und einen trägen Eindruck macht oder dass seine Bewegungen (vor allem, wenn es geht, rennt oder springt) ruckartig und steif sind. Solche Kinder entwickeln manchmal Höhenangst, da sie sich ihrer schlechten Balance bewusst sind. Aus Erfahrung wissen sie auch, dass eine Bewegung des Kopfes nach vorn dazu führt, dass die Knie sich beugen und so im Ganzen die Empfindung entsteht, vorwärts und in die Tiefe zu fallen. Auch kann das Hochhalten der Arme schnell sehr anstrengend werden. Diese Kinder registrieren Veränderungen der Beschaffenheit des Bodens unter ihren Füßen mit großer Empfindlichkeit, da sie versuchen, den Boden mit den Füßen zu „greifen“ um das Gleichgewicht zu halten.

Die daraus resultierende okulomotorische Fehlfunktion bringt es mit sich, dass die Augen dem Kind Streiche spielen, so dass es sich nicht immer auf das verlassen kann, was es sieht. Die Wahrnehmung von Tiefe ist unter Umständen gestört.

Betroffene Kinder können ebenfalls unter einem „figure-ground effect“ leiden (= Problem mit der Figur-Grund-Unterscheidung): Dem Kind fällt es schwer, sich widersprechende visuelle Informationen zu trennen und zu ordnen, zum Beispiel beim Gehen auf einer offenen Treppe oder auf einer Holzbrücke, durch deren Bohlen man das Wasser sehen kann. Es ist auch möglich, dass ein Kind Schwierigkeiten hat, die Augen von Weit- auf Nahsicht umzustellen, so dass es in der visuellen Information, die es empfängt, einen „blinden Fleck“ gibt. Hierdurch sind nicht nur diejenigen Fertigkeiten betroffen, die räumliche Wahrnehmung erfordern. Diesen Kindern fällt es häufig auch schwer, Geräusche zu lokalisieren. Hinzu kommt, dass sie leicht die Orientierung verlieren.

Die Kontrolle über den Kopf und eine gute Balance sind essentiell für das automatische Funktionieren aller anderen Körpersysteme – ein anhaltender Tonischer Labyrinthreflex verhindert sowohl die vollständige Entwicklung der Kopfkontrolle als auch der automatischen Balance.

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