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5. Venus Erycina

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Ein Gebäude der Horti Sallustiani, auf das wir in der römischen Literatur häufig treffen, ist der Tempel der Venus Erycina. In gewissem Sinn handelte es sich dabei um eine Dependance des berühmteren Venustempels auf dem Berg Eryx in Sizilien. Mehrere der im Bereich der Horti Sallustiani befindlichen Tempel waren der Göttin Venus gewidmet; bekannt waren die Namen Venus der Horti Sallustiani und Venus Erycina. Ob es sich in der Tat um unterschiedliche Venustempel handelt, ist unklar.

In der Überlieferungsgeschichte der Horti Sallustiani findet man als wiederkehrendes Thema eine Verbindung zwischen den Venustempeln und dem Kult der Flora, der Göttin der Blüte. Wie so oft in der antiken Mythologie haben sich die Traditionsstränge mehrerer Kulte miteinander verbunden, sodass heute nur schwer zu bestimmen ist, welche Kultelemente zu welcher Göttin gehörten. Auf jeden Fall scheinen die der Göttin geweihten Prostituierten einen festen Bestandteil beider Riten zu bilden.

Im von Leonardo Bufalini aus dem Jahr 155147 stammenden Stadtplan von Rom sind die Reste des noch stehenden Gebäudes in der Piazza Sallustio verzeichnet. Daneben findet sich die Inschrift Ludi Florales (eigentlich „Frolares“) Meretricium nudarum, Feier der Flora und der nackten Prostituierten (Abb. 2). Lucio Mauro berichtet 1556:48

man sieht ein kleines Tal, wo sich der Circus der Flora befand und wo die nackten Prostituierten die Feier der Flora zelebrierten.

Zu der Zeit war noch immer die Idee verbreitet, dass sich in diesem Tal ein Circus der Flora befand, wo die ludi zelebriert wurden. Diese Vorstellung von einer zirkusähnlichen Anlage ist unter Umständen auf die Form des tiefen Tals zurückzuführen,49 auf dessen langen Seiten, wie man den alten Zeichnungen entnehmen kann, noch die Ruinen von Terrassen und Palästen sichtbar waren. Auf das Fest der Flora, das vom 28. April bis zum 3. Mai dauerte, findet man in der römischen Literatur zahlreiche Hinweise: Valerius Maximus50 berichtet, z. B., dass sich der prüde Cato (der Jüngere) an den Darstellungen der nackten Prostituierten störte und es deswegen vorzog, sich von der Feier zu entfernen, um die Zuschauer nicht in Verlegenheit zu bringen. Erst als er weg war, konnte die Vorstellung fortgeführt werden.

Auch die Feier der Venus Erycina, das in Erinnerung an den Tag der Tempeleinweihung am 23. April abgehalten wurde, findet regelmäßig Erwähnung. Bei diesem Anlass wurde auch der neue Wein ausgeschenkt, sodass dieses Fest infolge der üblichen Vermischung der Überlieferungen auch als Vinalia bezeichnet wurde. Noch schlimmer: Für viele fand dieses Fest auch zu Ehren Jupiters statt. Ovid versucht in seinen Fasti (Römischer Kalender), die in Bezug auf den 23. April herrschende Verwirrung der Traditionen mithilfe einer schönen Geschichte über Aeneas zu entflechten. Schon die ersten Verse lassen die Atmosphäre dieses Festes ein wenig erahnen:

Ihr leichten Mädchen, feiert die göttliche Macht der Venus: Venus begünstigt die Verdienste eures Berufs. Opfert Weihrauch und betet um die Gunst der Menge, dass ihr charmant seid und gesegnet mit brillanter Redekunst. Gebt der Göttin Myrte und die Minze, die sie so liebt, und windet Rosen auf Kränze aus Binsengeflecht. Jetzt ist die Zeit, in Scharen zu ihrem Tempel beim Collinischen Tor zu strömen der Tempel hat seinen Namen von dem sizilianischen Hügel erhalten.51

Aber befand sich der Tempel der Venus Erycina wirklich im Bereich der Horti? Wenn die Gärten vor Sallust tatsächlich Julius Caesar gehört haben, scheint dies nicht verwunderlich, denn dieser hat die Göttin Venus besonders verehrt; schließlich hatte das Haus Julia seinen Ursprung in Aeneas, der wiederum der Sohn der Venus war. Über Jahrhunderte hinweg hat man versucht, diesen Tempel zu lokalisieren: 1551 wurden auf dem Grundstück von Gabriele Vacca in den Horti Sallustiani, das später in den Besitz der Ludovisis gelangte, Reste eines ovalen Gebäudes mit Säulen aus gelbem Marmor und Alabaster entdeckt, das bis ins 20. Jahrhundert als Tempel der Venus Erycina angesehen wurde (Abb. 4).52 Diese Reste sind heute verschwunden: Der Kardinal von Montepulciano kaufte die Säulen für seine Kapelle und ließ die zerbrochenen Alabasterstücke zu Platten verarbeiten, die er dem König von Portugal zum Geschenk machen wollte. Letzten Endes kam das Geschenk jedoch nie an, denn das Schiff mit den Platten ging in einem Sturm auf hoher See unter. Noch im Jahr 1888 war der Archäologe Lanciani davon überzeugt, dass es sich bei dem von Vacca entdeckten Bau um den Tempel der Venus Erycina oder der Venus der Horti Sallustiani handelte.


Abb. 4 – Plan des in der Vigna Vacca gefundenen Rundbaus

Was die Lage des verschwundenen Tempels betrifft, können lediglich Vermutungen angestellt werden: Die Reste der Terrassen und Säulenhallen unter der Via Sicilia an der Nordseite des Tals weisen darauf hin, dass der Tempel möglicherweise an dieser Stelle gestanden hat,53 auch weil hier mehrere Kunstwerke gefunden wurden, die im Zusammenhang mit dem Kult der Venus stehen, unter anderen der sogenannte Thron Ludovisi mit einem Relief, das die Geburt der Venus zeigt (Abb. 5). Dieses Werk wurde 1887 bei Arbeiten an der früheren Villa Ludovisi ausgegraben. Auch in diesem Fall herrscht große Unsicherheit über die exakte Lage des Fundes; diese ist von Bedeutung, weil sie bestimmt, ob das Werk nun der Familie Boncompagni-Ludovisi oder dem Staat gehörte. Rodolfo Boncompagni-Ludovisi, die Società Generale Immobiliare und die Stadtverwaltung hatten nämlich eine Vereinbarung unterschrieben, die besagte, dass die Stadt nur die neuen Hauptadern Via Boncompagni und Via Veneto bauen würde, während die restlichen Bereiche der Verantwortung der beiden anderen Parteien oblag; das bedeutete, dass allein das, was unter den zwei neu gebauten Straßen zutage kam, dem Staat gehörte.

Der Archäologe C. L. Visconti spricht von:

.... einem einzigartigen Werk, nicht nur wegen der Form, sondern auch wegen der Darstellung und des Stils, der vor kurzem aus der Villa Ludovisi ausgegraben wurde .... es handelt sich um eine Art Brüstung aus einem einzelnen Stück Marmor, bestehend aus einer Front und zwei Seitenteilen.54

Visconti bedankt sich weiterhin bei den Boncompagni-Ludovisis für die Erlaubnis, ein Foto vom Thron Ludovisi zu veröffentlichen, und berichtet, dass das Stück in der berühmten Kollektion der Villa Ludovisi ausgestellt werde. Anscheinend hat Visconti angenommen, dass die Skulptur in dem Bereich gefunden worden war, für den die Boncompagni-Ludovisis zuständig waren. Fünf Jahre später „enthüllte“ Eugen Petersen, Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts, dass er von zwei Personen, „die beim Finden zugegen waren“, den Fundort erfahren hatte: Es war der Block, der von Via Piemonte/Via Boncompagni/Via Abruzzi/Via Sicilia gebildet wurde, aber: .... es war (im Sommer) an einem Sonntag – weshalb kein ispettore dabei war.55


Abb. 5 – Thron Ludovisi (von hinten) – Museo Nazionale Romano a Palazzo Altemps

Der Archäologe Lanciani berichtet außerdem, dass der Thron Ludovisi dem Graf Tyskiewicz, einem zu seiner Zeit umtriebigen Akteur in der Zunft der Antiquitätenhändler, für 300.000 Lire angeboten wurde.56 Am Ende wurde das gute Stück Teil der berühmten Sammlung von antiken Skulpturen, die von Kardinal Ludovico Ludovisi im 17. Jahrhundert in der Villa Ludovisi gegründet wurde und über die wir in einem späteren Kapitel berichten werden. Diese Brüstung ist heute unter dem Name Thron Ludovisi bekannt und – zum Glück für die Italiener – im Museo Nazionale Romano (Abteilung Palazzo Altemps) und nicht in Kopenhagen oder Berlin gelandet. Der deutsche Archäologe Wolfgang Helbig (über den im weiteren Verlauf noch viel mehr zu erzählen sein wird) machte 1891 den dänischen Bierbrauer und


Abb. 5a – Thron Ludovisi, Front

Sammler Carl Jacobsen auf dieses Werk aufmerksam, für das sich Jacobsen aber nicht interessierte, weil die Skulptur schwierig auszustellen wäre, da sie Licht aus drei Seiten braucht.57 Sogar Reinhard von Kekulé, Direktor der königlichen Museen in Berlin, lehnte ein Angebot der Familie Boncompagni-Ludovisi ab, weil er die Skulptur für archaistisch und nicht wichtig hielt. Aber auch die Besitzer wussten nicht viel mit dem Objekt anzufangen: 1891 diente es dazu, leere Weinflaschen zu lagern.58 Wer möchte nicht in seinem Keller einen Thron aus den Horti Sallustiani beherbergen, um darin seine besten Flaschen aufzubewahren! Was aber war die ursprüngliche Funktion des Throns? Die diesbezügliche Kontroverse


Abb. 5b – Thron Ludovisi, linke Seite Abb. 5c – Thron Ludovisi, rechte Seite

dauert noch an. Wegen der Dimensionen seiner Basis könnte das Werk genau über die Opfergrube passen, die sich im Tempel der Aphrodite (der griechischen Venus) in Lokri (Kalabrien) befindet. Die Hypothese, dass diese Brüstung aus einem anderen Venustempel in den der Venus Erycina gebracht wurde ist verlockend.59

Im Jahr 1901 erwarb der Staat von den Boncompagni-Ludovisis die 104 wichtigsten Stücke der Kollektion, darunter auch den Thron Ludovisi; wie oben bereits angesprochen, befindet sich die Collezione Ludovisi heute im Palazzo Altemps.

Eine weitere ähnliche Skulptur wurde in derselben Gegend im Bereich Via Sicilia/Via Puglie gefunden, der sogenannte Thron von Boston. Das Stück landete zunächst in England und ist seit 1909 im Museum of Fine Arts in Boston ausgestellt. Anders als beim Thron Ludovisi herrscht, was die Echtheit des Throns von Boston anbelangt, keine allgemeine Übereinstimmung. Vielmehr gibt es Stimmen, die dieses Werk der Fälschungskunst der Gruppe Helbig/Martinetti/Jandolo zuschreiben. Mehr dazu später.

Auch wenn der Tempel der Venus Erycina verschwunden ist, lebt die Göttin im heutigen Rom noch weiter: Ihr Spiegel schmückt das Wappen der Rione Sallustiano, einer der 22 rioni (regiones) des historischen Stadtkerns von Rom. (Augustus hatte ursprünglich die Stadt in 14 „Regiones“ eingeteilt).60

In der Gegend um die Via Sicilia/Via Puglie wurden Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Schulen errichtet. Im Bereich, wo sich die Schulen befinden, wurden schon im Jahr 1710 wichtige Werke gefunden: ägyptische Statuen – heute in den Musei Vaticani (61) – und Reste von Gebäuden mit Mosaikfußböden. In der Via Puglie befindet sich noch immer die Grundschule, in deren Hof wir Kinder in den ersten Jahren des Krieges im Kreis marschierten und faschistische Lieder zu Ehren Mussolinis sangen. In der Via Sicilia ist das Gymnasium Torquato Tasso zu finden, wo ich, direkt nach dem Krieg, zum ersten Mal mit der lateinischen und der deutschen Sprache in Kontakt trat. Auf dem Areal der Schule befand sich der Besitz Vacca, auf dem der vermeintliche Tempel der Venus Erycina ans Licht kam.62

Im Gymnasium war der Schulbetrieb aufgrund des herrschenden Platzmangels in Schichten organisiert: Eine Woche lang hatten wir vormittags, die darauf folgende Woche nachmittags Unterricht. Gelehrt wurden drei Fremdsprachen: Französisch, Deutsch und Englisch. Wir Schüler wurden nach einem mir unerfindlichen Kriterium in die drei Sektionen A, B und C eingeteilt, wobei ich in Sektion B, Deutsch, kam. Nicht wenige Eltern der „Eingedeutschten“ rannten zur Schulleitung und verlangten, dass ihre Kinder in eine andere Sektion, vor allem zum Englischen, wechseln sollten. Man wird verstehen, dass Deutschland nach dem Krieg nicht gerade beliebt war. Meine Eltern haben sich darum nicht gekümmert, und mich selbst interessierte die Angelegenheit auch nicht allzu sehr. Man braucht wohl kaum zu erwähnen, dass die Sektion B (Deutsch) die kleinste war.

Unsere Deutschlehrerin war eine burschikose 50-Jährige, die dem Bild entsprach, das wir von den deutschen Frauen hatten. Wir hatten im Krieg nur deutsche Soldaten kennengelernt und hatten uns in unseren Köpfen eine entsprechende Vorstellung von ihren Frauen gebildet. Die Dame war vor dem Krieg in Deutschland gewesen und von den Errungenschaften der deutschen Gesellschaft überaus angetan. Besonders oft mussten wir ihre Begeisterung für das Transportsystem irgendeiner deutschen Großstadt (Hamburg? Berlin?) teilen, das neben einem unterirdischen System und einer normalen Straßenbahn, wie sie es auch bei uns gab, zusätzlich eine Bahn umfasste, die über dem Straßenniveau fuhr. Das Interessanteste daran war für uns ihre Beschreibung der häuslichen Szenen, die man aus den Fenstern dieser Bahn erspähen konnte, da die Waggons ganz nah an den Fenstern der deutschen Wohnungen entlangfuhren.

Wir haben untereinander darüber getuschelt, dass die gute Frau mit Sicherheit eine Verehrerin Hitlers gewesen sein muss. Ob es so war, hat sie nie durchblicken lassen. Es wäre für sie auch nicht ratsam gewesen.

Die Katzen des Sallust

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