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KAPITEL 1 Afrikanische Königin

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ALEXANDRIA, ÄGYPTEN: MITTE SEPTEMBER 31 V. CHR.

Der Morgen bricht an, die Stadt erwacht, es ist bereits warm.1 Während die Sonne immer höher steigt, lassen ihre Strahlen die Umrisse der Gebäude und Monumente schärfer und schärfer hervortreten, die Teil dieser als großes Raster auf einer flachen Landzunge angelegten Stadt sind. Auf dem Meer strahlt das Licht der Sonne bereits heller als die langsam verglimmenden Flammen des Pharos, des marmornen Leuchtturms, der sich an Steuerbord erhebt; seine Spiegel thronen hoch über den Masten der Schiffe, die sich langsam innerhalb der sicheren Mauern des Hafens bewegen.

Käme ein Besucher zum ersten Mal hierher, auf einem solchen Schiff, an einem solchen Morgen, er würde mit offenem Mund staunen. Was betrachtet er wohl zuerst? An Backbord den Königspalast, der sich bereits scharf gegen die aufgehende Sonne abhebt, die Machtbasis der Ptolemäer, mit seinem eigenen königlichen Hafen, ein Ortsagenhaften Reichtums, mit marmornen Kolonnaden, Plätzen mit kühlenden Springbrunnen, unschätzbar wertvollen Statuen und kostspieligen Wandbehängen – unermesslichem, erstaunlichem Luxus.


Ein Schiff fährt am Pharos vorbei, Münze des Commodus (180–192 n. Chr.)aus einer Kupferlegierung, geprägt in Alexandria, Durchmesser 2,4 cm. British Museum, G.2429.

Überall finden sich Spuren der Ptolemäer, nicht zuletzt hier an der Hafeneinfahrt, wo zwei Statuen aus Rosengranit über die sich nähernden Schiffe wachen, in beinahe achtfacher Lebensgröße – beide stellen ehemalige Königinnen dar, beide mit dem Namen Kleopatra.

Dann schweift der Blick vom Palast aus in Richtung Süden, und man erblickt die Stadt selbst: das Theater auf dem Hügel, den Tempel des Poseidon (des griechischen Meeresgottes), das große Kaisareion, den massiven, von Säulenhallen umgebenen Komplex, erbaut im Auftrag der jetzigen Königin, zu Ehren ihres Mannes, des mächtigsten Mannes der Welt. Die Docks und Lagerhäuser erstrecken sich weit entlang der Uferpromenade, schon zu dieser frühen Stunde herrscht hier ein reges, geschäftiges Treiben (wenn es auch am heutigen Tag ein wenig lauter und ruppiger zugehen mag, wo doch alle wissen, dass das Schicksal ihrer Stadt am seidenen Faden hängt).

Im Dunst der Ferne erstreckt sich der lange, gewölbte Damm des Heptastadion, das das Festland mit der Insel Pharos verbindet, auf der der Tempel der Universalgöttin Isis steht und der Leuchtturm, der sich mehr als 120 Meter hoch in den hellen Himmel erhebt; und jenseits des Heptastadion ein weiterer Hafen, seine ferne Skyline mit Masten gespickt – Eunostos, der „Hafen der sicheren Rückkehr“.


Der Eingang zum Großen Hafen der Antike (heute Osthafen) in Alexandria, von der Insel Pharos aus gesehen.

Als sein Schiff sich immer mehr der Küste näherte, mag unser Besucher auch an all die anderen Sehenswürdigkeiten gedacht haben, die er bald erblicken würde. Er wird gewusst haben, dass Alexandria berühmt war für seine breiten, luftigen Boulevards, sein Straßennetz, deren Raster drei Jahrhunderte zuvor angelegt worden war, als der junge Alexander, inzwischen bekannt als „der Große“, auf einem Feldzug hierherkam und beschloss, auf dem Gelände eines pharaonischen Fischerdorfs eine neue Metropole zu errichten. Alexander ließ sich diesen Ort zuweisen: nahe genug am Nildelta, um den Handel mit dem ägyptischen Kernland zu kontrollieren, ausreichend entfernt, dass er nicht durch das jährliche Nilhochwasser überflutet würde. Er überließ das Design seinem Chefarchitekten Dinokrates, der seinerseits ein hervorragendes Team zusammenstellte, aus spezialisierten Technikern, Ingenieuren und Fachkennern der Hydraulik, deren Know-how dafür sorgte, dass ebenso stetig das Wasser durch die niedrig gelegene Stadt floss, wie durch ihre sommerlichen Straßen eine frische Brise wehte.

Es war Alexanders Vision, dass die Stadt ein großes Wirtschaftszentrum würde, eine Drehscheibe des Handels, ein Umschlagplatz, der die florierenden Märkte des griechischen Festlands wie der östlichen Häfen von Ephesos, Milet und Antiochia mit Ägypten und dem Nil verband, so dass das wirtschaftliche Potenzial seines noch im Embryostadium befindlichen Imperiums voll ausgeschöpft werden könnte. Innerhalb von 50 Jahren wurde die Vision Wirklichkeit. Alexandria wuchs so schnell, dass es bald zur größten Stadt der antiken Welt avancierte und weit über einer halben Million Menschen eine Heimat bot.

Nach seinem frühen Tod teilten Alexanders Generäle sein junges Reich untereinander auf. Ägypten fiel Ptolemaios zu, der eine bunte Dynastie von Königen und Königinnen begründete – eine Dynastie, die das weite Land regierte, indem sie einen streng kontrollierten öffentlichen Dienst einführte, die Reichtümer Ägyptens bis zum Maximum ausbeutete und ihre neue Hauptstadt immer reicher machte. Der erste dieser Ptolemäer, mit dem Beinamen „Soter“ („Heiland“, ca. 367– ca. 283 v. Chr.), hatte Alexanders Leichnam abgefangen, als er von Babylon aus, wo der Feldherr gestorben war, ins heimatliche Makedonien überführt werden sollte, und ihn stattdessen nach Ägypten gebracht. Jetzt lag er auf königlichem Grund und Boden in Alexandria, in einem Glaskasten in einem eigens dafür konstruierten Mausoleum, dem sogenannten Soma, dem spirituellen Herzen der Stadt, einem Wallfahrtsort, und man glaubte, dass die bloße Aufbewahrung des toten Körpers die Machtfülle der Herrscher rechtfertigte.


Alexander der Große (356–323 v. Chr.). Marmorporträt, 2./1. Jh. v. Chr., angeblich aus Alexandria. Höhe 37 cm. British Museum, 1872,0515.1

Im Laufe der Jahre hatte diese Macht immer wieder zu- und wieder abgenommen, aber jetzt, im Jahre 31 v. Chr., dank der Großzügigkeit des römischen Feldherrn Antonius, erstreckten sich die Grenzen des Reichs so weit wie nie zuvor: im Norden bis Zypern, im Osten bis Syrien und zur Küste der heutigen Türkei, im Westen bis zur Kyrenaika, im Süden entlang des Nil bis nach Oberägypten.

Drei Jahrhunderte nach ihrer Gründung wimmelte es in der Stadt, wie im ganzen Imperium, das sie kontrollierte, von Angehörigen der verschiedensten Völker, darunter (natürlich) Griechen, ein heimische Ägypter, Juden und Syrer, Phönizier und Nordafrikaner, und Straßen wie Kais hallten wieder von ihrem vielsprachigen Stimmengewirr. Und doch unterlagen die Bewohner der Stadt von Anfang an strengen Auflagen, wohin sie gehen durften und wo ihnen erlaubt war zu wohnen: Alexandria war nach Klassen und Ethnien aufgeteilt, in fünf Bezirke, die, vielleicht ein wenig prosaisch, jeweils den Namen eines der ersten fünf Buchstaben des griechischen Alphabets trugen.

Im Bezirk Alpha befanden sich die weitläufigen königlichen Paläste, die Gärten, das Museion und die Bibliotheken. In Beta wohnte die griechische Aristokratie, in Gamma die griechischen Bürger. Delta war ausländischen Siedlern nicht-griechischen Ursprungs vorbehalten (wie Persern, Syrern oder Juden), während die einheimische Bevölkerung, die Ägypter, in Epsilon ihre Häuser hatte. Alexander und seinen Architekten mag dies als Geniestreich vorgekommen sein. Tatsächlich jedoch hatte die ethnische Segregation im Laufe der Jahrhunderte immer wieder zu Spannungen und Gewalt geführt.

Aber Alexandria war nicht nur für seinen Handel und wirtschaftlichen Reichtum bekannt. Unter den Ptolemäern war es auch zum geistigen Zentrum der Welt geworden. Das intellektuelle Treiben konzentrierte sich weitgehend auf einen Gebäudekomplex, der in puncto Größe und Ambitionen wahrlich Seinesgleichen suchte. Das Museion war im reinsten Sinne des Wortes ein Tempel der Musen, ein Zentrum für Forschung und Kreativität, teils Universität, teils Kunstzentrum, teils Zoo und teils Botanischer Garten. Ihr Kern war die Bibliothek, in der sich fast eine halbe Million Papyrusrollen befanden, geordnet und katalogisiert mit größter Sorgfalt – eine Kopie (so hieß es) jedes bedeutenden Buches, das jemals geschrieben worden war. So sehr wachte Alexandria über die Vormachtstellung seiner Bibliothek, dass die Stadt den Export von Papyrus, dem wichtigsten Rohstoff zur Buchherstellung, für den Ägypten das Monopol besaß, streng kontrollierte. Als Folge davon erfand man in der Bibliothek des anatolischen Pergamon, der größten Rivalin von Alexandria, das neue Medium Pergament.


Ptolemaios I. Soter Fragment einer Basalt-Statue irr ägyptischen Stil, hellenistisch-römisch, 305–283 v. Chr. Höhe 64 cm British Museum, 1914,0216.1

Alexandrias Besessenheit mit dem Büchersammeln war legendär. Man erzählte sich, wie spezielle Agenten eingesetzt wurden, um die Ladung von Schiffen zu untersuchen, die im Hafen festmachten. Wenn sie Bücher fanden, wurden sie konfisziert. Nach einer Version wurden Kopien angefertigt und dem Besitzer ausgehändigt, während das Original katalogisiert und in der Bibliothek archiviert wurde, mit dem Vermerk „von den Schiffen“. Einmal gab es sogar einen internationalen Zwischenfall: Ptolemaios III. (Euergetes, reg. 246–222 v. Chr.) wollte unbedingt die dramatischen Werke von Aischylos, Sophokles und Euripides besitzen. Er sandte nach Athen (wo diese aufbewahrt wurden), mit der Bitte, sie für den Zweck, prächtige Kopien anzufertigen, ausleihen zu dürfen. Fünfzehn Zentner Silber bot er dafür als Bürgschaft an – eine geradezu märchenhafte Summe. Doch statt die Originale, wie versprochen, zurückzuschicken, lieferte er nur die Kopien ab. Gerne ließ er die Athener dafür das Silber behalten: Für ihn waren die Handschriften, die er nun in Alexandria besaß, unbezahlbar.2 Allerdings wurde hier nicht nur griechische Literatur gesammelt: In einem beispiellosen Projekt ließ Ptolemaios II. (Philadelphos, reg. 283–246 v. Chr.) 72 jüdische Greise jeweils eine griechische Version der Tora anfertigen; diese Fassungen wurden dann zu einem endgültigen Text kollationiert, der als Septuaginta bekannt wurde. Wie viel Interesse der Bibliotheksvorsteher all diesen Aktivitäten entgegenbrachte, wissen wir nicht. Zu jener Zeit hatte diese begehrte Position der bekannte Dichter Apollonios inne, der ursprünglich aus Rhodos stammte und den man heute eher für sein Epos über Jason und die Argonauten kennt. Dabei musste der Bibliotheksvorsteher gar nicht unbedingt ein Mann der Literatur sein. Apollonios’ Nachfolger etwa war der Wissenschaftler Eratosthenes (ca. 276–195 v. Chr.), der mit bemerkenswerter Genauigkeit den Umfang der Erde berechnete.

Alexandria war eine Brutstätte für neue Entdeckungen. Im Museion hatte bereits ein Beinahe-Zeitgenosse von Eratosthenes, der Astronom Aristarch (ca. 310–230 v. Chr.), eine radikale neue Theorie vertreten: dass die kugelförmige Erde sich um die Sonne dreht. In der Zwischenzeit revolutionierten in der medizinischen Schule des Museion Chirurgen wie Theophilos (335–280 v. Chr.) und Erasistratos (304–250 v. Chr.) das Verständnis des Blutkreislaufs und des Gehirns durch die Sektion menschlicher Leichen und, noch kontroverser, durch Vivisektion zum Tode Verurteilter. Wenn einem die Schreie der hier zerschnittenen Unglücklichen zu sehr in den Ohren schmerzten, konnte man in einem anderen Labor angenehmeren Tönen lauschen – hier probierte der Erfinder Ktesibios (bl. 285–222 v. Chr.) seine neueste Schöpfung aus, die hydraulis oder Wasserorgel, das weltweit erste Tasteninstrument. Er perfektionierte außerdem die Wasseruhr und verbesserte mit äußerster Sorgfalt die Genauigkeit der Zeitmessung, während Eratosthenes, der sich mit der Zeitmessung in etwas größerem Maßstab beschäftigte, den Kalender reformierte, viel von den alten, eher chaotischen Berechnungen nach Mond und Sonne glättete und das Konzept des Schaltjahrs einführte.

Aber das Museion war nicht Alexandria. Innerhalb seiner Mauern mochte es die größte Sammlung von Büchern und Intellektuellen in der Griechisch sprechenden Welt beherbergen, innerhalb seiner Gärten mochten sich so viele Exemplare von Tieren und Pflanzen befinden, wie die Forscher dort nur am Leben halten und studieren konnten: Draußen auf der Straße war die Atmosphäre eine ganz andere.

Im Jahre 31 v. Chr. war Alexandria trotz seines geistigen Kerns eine Stadt, die sich der Fleischeslust und der Phantasie hin gab, ein Ort des Vergnügens und des Spektakels. Die Ptolemäer, die hier die letzten 300 Jahre lang regiert hatten, bauten auf Theatralik und pompöse Schauspiele. Die Menschen erzählten einander immer noch von einer legendären winterlichen Prozession Ptolemaios’ II. (Philadelphos), des Königs, der die Übersetzung der Tora in Auftrag gegeben hatte. Im Hippodrom von Alexandria wurde ein Spektakel zu Ehren des Dionysos abgehalten, der nicht nur der Gott des Weins und des Theaters war, sondern auch der Fruchtbarkeit und des Lebens und vor allem der Gott, dessen man im gesamten östlichen Mittelmeer gedachte, nicht zuletzt wegen des Versprechens der Auferstehung nach dem Tod, das er seinen Anbetern zu bieten schien. In den folgenden Jahrhunderten wurden die Beschreibungen des Pomps dieser Prozession immer weiter ausgeschmückt, bis niemand mehr wirklich wusste, was daran real war und was erfunden:

Silene [wilde männliche Geschöpfe mit Ohren und Beinen eines Pferdes oder einer Ziege] mit purpurnen und roten Umhängen führten die Prozession an. Sie sollten die Menge kontrollieren. Dicht dahinter kamen Satyrn [jüngere Silene], 20 an jedem Ende des Stadions, mit Lampen, die aussahen wie goldene Efeublätter. Als nächstes kamen Siegesgöttinnen mit goldenen Flügeln, die Weihrauchgefäße trugen, drei Meter hoch und mit vergoldetem Efeu verziert, trugen kurze bestickte Kleidern und waren mit Gold geschmückt … Nach ihnen kamen 120 Knaben, in Purpurgewändern, die Weihrauch und Myrrhe trugen sowie goldene Teller mit Safran darauf. Als nächstes 40 Satyrn, die Köpfe gekrönt mit Kränzen aus goldenen Efeu, ihre Körper mit Purpur oder Zinnober angemalt … Hinter ihnen ging der Dichter Philiskos, der Dionysos-Priester, und mit ihm kam die ganze Zunft der Schauspieler.


GEGENÜBER

Stadtplan von Alexandria in den ersten Jahrhunderten v. Chr./n. Chr. (nach Macleod 2000, S. viii).

Weitere Wunder folgten, wie es heißt, darunter eine fünf Meter hohe Statue des Dionysos selbst, in Gold drapiert, die Wein vergoss und dabei auf einem Karren stand, der von 180 Mann gezogen werden musste. Dann kamen die Mänaden, die ekstatischen weiblichen Anhänger des Gottes,

ihr wallendes Haar war gekrönt von Stirnreifen, manche mit Schlangen verziert, andere mit Eiben- und Weinlaub und Efeu, in den Händen Dolche oder wiederum Schlangen. Hinter ihnen kam ein vierrädriger, vier Meter breiter Wagen, gezogen von 60 Männern, auf dem eine Statue der [Personifikation des Berges] Nysa saß, vier Meter hoch, bekleidet mit einem safranfarbenen Gewand mit goldenen Sternen darauf, drapiert als Schal nach der Mode Spartas. Die Statue konnte sich automatisch erheben, ohne dass irgendjemand Hand daran legte, und nach einem Trankopfer von Milch aus einer flachen goldenen Schale setzte sie sich wieder. … Als Nächstes kam ein weiterer Wagen, wieder mit vier Rädern, aber dieses Mal zehn Meter lang und acht Meter breit, gezogen von 300 Männern. Auf ihm befand sich eine Weinpresse, zwölf Meter lang und siebeneinhalb Meter breit, beladen mit Trauben, in der 60 Satyrn unter Aufsicht eines Silen die Trauben traten, während sie ein Winzerlied sangen, begleitet von Flöten. Ihnen folgte die ganze Prozession lang eine Spur aus Traubensaft. Dann kam ein vierrädriger Wagen, zwölfeinhalb Meter lang, acht Meter breit und gezogen von 600 Männern. Auf ihm befand sich ein Weinschlauch, aus Leopardenhaut zusamengenäht, der 3000 Eimer fasste, auch aus diesem rieselte über die gesamte Länge des Zuges der Wein.


Dionysische Prozession: eine Mänade mit einer Trommel und zwei Satyrn, einer spielt auf der Doppelflöte, der andere trägt einen Thyrsos. Marmorrelief aus der Nähe von Rom, ca. 100 n. Chr. Höhe 58,5 cm. British Museum, 1805,0703.128.

Auch von anderen Statuen auf anderen Wagen flossen Milch und Wein, während die nicht enden wollende Prozession durch das Stadion zog.

An der Herstellung der Nysa-Statue waren zweifellos die Tüftler aus dem Museion beteiligt gewesen, aber auch andere Mitglieder der Institution waren involviert: Elefanten, die zweifellos aus dem Zoo des Museion kamen, wurden ein gesetzt, um Wagen zu ziehen, und auch eine ganze Menagerie anderer Kreaturen hatte ihren Auftritt – Kamele, Strauße, Antilopen und Ziegenböcke. Die Extravaganz des Spektakels war atemberaubend: Kamele trugen Platten, auf denen sich teure Gewürze häuften; schwarzafrikanische Fürsten stellten ihre Tributzahlungen zur Schau: 600 Elefantenstoßzähne, 2000 Baumstämme aus Ebenholz, Schalen voll mit Münzen und Goldstaub; außerdem erschienen 150 Männer, die jeder einen Baum trugen mit Vogel- und Tierkäfigen daran, sowie scharenweise weitere exotische Tiere: schneeweiße Ochsen aus Indien, vierzehn Leoparden, ein Nashorn, eine Giraffe und eine große, weiße Bärin.

Weitere Wagen trugen einen 45 Meter langen goldenen Thyrsos [einen dem Dionysos heiligen Stab, umwickelt mit Wolle und Efeu, dem magische Eigenschaften nachgesagt wurden], einen 30 Meter langen Speer aus Silber und einen 60 Meter langen goldenen Phallus, der mit verschiedenen Farben angemalt war, in goldene Bänder gewickelt war und an seiner Spitze einen drei Meter breiten goldenen Stern trug.

Dies war Religion und Effekthascherei in ziemlich großem Stil, geradezu atemberaubend. Die Ptolemäer bewiesen so ihren Wohlstand und Einfallsreichtum, und zwar nicht nur der Bevölkerung von Alexandria und Ägypten, sondern der ganzen mediterranen Welt und darüber hinaus. So jedenfalls verstanden es die Ptolemäer selbst: In ihrer Dynastie geschah eben alles in etwas größerem Maßstab als anderswo.

Einer der Philadelphos-Nachfolger, Ptolemaios IV. (Philopator, reg. 221–205 v. Chr.), verwendete einen Teil seiner fast unbegrenzten Ressourcen, dazu das (wie manche sagten) größte Schiff der Antike zu bauen. Der gesamte Rumpf des Schiffs war mit dionysischen Motiven in Enkaustik-Technik verziert, es war 140 Meter lang, hatte 40 Reihen von Ruderern, und die Spitze seines Bugs ragte 26 Meter über den Meeresspiegel.

Bei der ersten Testfahrt wurden über 4000 Ruderer benötigt, 400 für weitere Tätigkeiten. 2850 Marinesoldaten befanden sich an Deck und unter Deck noch weitere sowie eine große Menge an Proviant. Beim Stapellauf wurde es aus einer Art Wiege ins Wasser gelassen, die, wie es heißt, aus dem Holz 50 großer Kriegsschiffe konstruiert wurde, und musste von einer großen Anzahl Männer unter Geschrei und schmetternden Trompeten ins Wasser gezogen werden.

Aber noch berühmter war Philopators Flussschiff, mit dem er auf dem Nil kreuzte. Das Schiff war ein wahrer „schwimmender Palast“: einhundert Meter lang, mit Salons für feine Dinnerveranstaltungen, Schlafzimmern, Promenadendecks und Schreinen für die Götter, alles her gestellt aus Zypressen- und Zedernholz, das aus der Levante importiert wurde, und verziert mit Elfenbein, Kupfer und Gold.

Der Festsaal trug eine wunderschöne Kassettendecke aus Zypressenholz, mit eingeschnitzten vergoldeten Verzierungen. Daneben lag ein Schlafzimmer mit sieben Liegen. Eine angrenzende Treppe führte zu … einem runden Schrein für Aphrodite, der eine Marmorstatue der Göttin enthielt. Gegenüber lag ein weiterer opulenter Bankettsaal mit Säulen aus indischem Stein. … In Richtung Bug lag ein dem Dionysos geheiligter Raum, ebenfalls mit Säulen und mit Platz für dreizehn Liegen. Sein Gesims war bis an den Architrav vergoldet und die Decke so geschmückt, wie es dem Gott geziemt … Der Mast war 35 Meter hoch, mit einem feinen Segel aus Leinen und einem purpurnen Toppsegel.4

Das Museion war nicht Alexandria, und genauso gilt: Alexandria war nicht Ägypten. Kreuzfahrten auf dem Nil mussten die Ptolemäer und ihre Gäste unweigerlich daran erinnern. Je weiter sie dabei das Mittelmeer hinter sich ließen und vom Nildelta aus in Richtung Kernland fuhren, desto mehr müssen sie das Gefühl gehabt haben, in eine fremde Welt zu reisen. Zwar hatten die Griechen Ägypten seit Jahrhunderten immer wieder besucht. Die Leser Homers (und das waren alle Griechen) waren seit langem vertraut mit den Geschichten darüber, wie es den mythischen König Menelaos auf seiner Heimreise von Troja hierher verschlagen hatte. Und bald hieß es, dass seine Frau Helena, deren verhängnisvolle Schönheit den Trojaner Paris in einem solchen Maße ergriffen hatte, dass er einen langwierigen Krieg vom Zaun brach, die gesamte Dauer des Feldzugs in Ägypten verbracht hatte – die Götter hatten ein Phantom in Gestalt von Helena erschaffen und nach Troja geschickt, während die echte Helena zehn Jahre lang am Ufer des Nil in Saus und Braus leben durfte.

In historischer Zeit hatten frühe griechische Kaufleute am Delta bei Naukratis Handelsposten eingerichtet, wo sie Holz, Silber, Öl und Wein gegen ägyptische Waren wie Leinen und Papyrus tauschten. Allerdings war es vor allem die „eigenartige Schönheit“ der Prostituierten der Stadt, die dem griechischen Historiker Herodot ins Auge fiel, als er die Stadt im 5. Jahrhundert v. Chr. besuchte.5 Doch auch sie konnten ihn nicht in der Stadt halten. Er zeigte einen Enthusiasmus, mit dem er ganze Generationen griechischer und römischer Besucher infizieren sollte, und reiste bis ganz nach Elephantine (siehe die Karte auf S. 36), besuchte die Sehenswürdigkeiten, befragte die Priester, machte sich von allem, was er erfuhr, Notizen, wovon sich ebenso viele als wahr erwiesen wie als falsch. Er widmete Ägypten ein ganzes Buch (eines von neun seiner Historien). Darin beschreibt er Krokodile und Phönixe, Pygmäen und Pyramiden (die bereits über zweitausend Jahre alt waren, als er sie sah, und damals noch mit einer Fassade aus blendend weißem Kalkstein versehen). Das Land faszinierte ihn. Er vertiefte sich in die obskure Praktik der Mumifizierung, ließ sich von Priestern aus uralten Aufzeichnungen vorlesen, in denen die Namen von nicht weniger als 330 Pharaonen aufgeführt waren. Er lauschte andächtig und voll Ehrfurcht einer Geschichte über eine Armee, die auf einem Feldzug in die Wüste marschierte und nie wieder gesehen ward.

Inbegriff dieses wundersamen Lands, das Ägypten hieß, war das Verhalten des Nil. Seine jährliche Überschwemmung war für Herodot (wie für jeden anderen) nichts weniger als ein Wunder, ein Geschenk der Fruchtbarkeit an ein ansonsten karges Land, das von den Göttern kommen musste. Sein Augenzeugenbericht zeigt uns, wie er sich dem Phänomen voller Verwunderung gegenübersah:

Wenn der Nil über die Ufer tritt, ragen nur noch die Städte aus dem Wasser, etwa so wie die Inseln in der Ägäis, der ganze Rest Ägyptens außer den Städten wird zu einem Meer. Dann fahren die Menschen in ihren Booten nicht nur mehr auf dem Fluss, sondern auf dem flachen Land. Wenn man dann von Naukratis nach Memphis reist, fährt man direkt an den Pyramiden vorbei …

Für Herodot war Ägypten das „Geschenk des Nil“, dessen angeschwemmter Schlamm das Land zum fruchtbarsten und produktivsten all der er machte, die er besucht hatte. In der Tat waren die Weiten der golden schimmernden Kornfelder, die die Ufer säumten, für Ägypten zugleich ein Segen wie eine Bedrohung. In den Jahren vor Alexander hatten die Perser das Land besetzt, angezogen vom Potential des fruchtbaren Bodens, und jetzt, in den Jahren um 31 v. Chr., war dieser Boden schon wieder zum Objekt der Begierde geworden. Die römischen Politiker hatten hungrige Mäuler zu stopfen, und sie richteten ihre unersättlichen Augen zunehmend auf die Ernte am Nil und rechneten nach, auf welche Weise sie von dieser ihre eigenen Bürger am besten profitieren lassen konnten. Im Laufe des vorangegangenen Jahrhunderts war das Verhältnis zwischen den beiden Großmächten immer schwieriger geworden; es stellte sich heraus, dass das relativ friedliebende Ägypten seinen kriegerischen Rivalen mit großer Sorgfalt behandeln musste, wobei es sich für Generationen ptolemäischer Königinnen und Könige als gefährlicher diplomatischer Drahtseilakt erwies, dem einen römischen Staatsmann Respekt zu zollen, dem anderen nicht.


„Geschenk des Nil“: Rinder werden auf einen Schreiber zugetrieben, der sie im Register vermerkt. Wandmalerei aus dem Grab des Nebamun, Theben, um 1350 v. Chr. Höhe 58,5 cm, Breite 97 cm. British Museum, EA 37976

Ausländern wie den Römern oder dem griechischen Historiker Herodot war alles an Ägypten und den Ägyptern fremd, ja, alles schien sich in diesem Land geradezu ins Gegenteil zu verkehren:

[Hier] sind es die Frauen, die auf den Markt gehen und sich um den Handel und das Geschäft kümmern, während die Männer zu Hause bleiben und weben … Die Frauen urinieren im Stehen, die Männer im Sitzen. Sie erleichtern sich im Inneren des Hauses, essen aber draußen auf der Straße, und das begründen sie so: Alles, was unanständig ist, aber notwendig, sollte im Verborgenen geschehen, aber alles, was anständig ist, ganz offen … Anderswo haben die Priester lange Haare; in Ägypten werden sie abrasiert.

Auch Tieren gegenüber hatten sie eine ganz seltsame Einstellung:

Jedes Tier hat seinen eigenen Wächter, der es füttert, ebenso Männer wie Frauen … Wenn jemand absichtlich ein Tier tötet, so ist die Strafe der Tod … Alle Mitglieder eines Haushalts, in dem eine Katze eines natürlichen Todes stirbt, rasieren sich die Augenbrauen; wenn ein Hund stirbt, rasieren sie ihren ganzen Körper. Tote Katzen werden in sakrale Gebäude in der Stadt Bubastis gebracht, wo sie einbalsamiert und bestattet werden.

All dies, so erkannte Herodot, war Teil ihrer Religion, und seine Reaktion, als er mit so vielen fremden Göttern mit Tierköpfen konfrontiert war, bestand darin, sie mit den Göttern, die er kannte und die er selbst verehrt, gleichzusetzen (typisch für einen Griechen). Bestimmte Rituale schienen ihm sehr vertraut, wie ein Ritus, den er mit den griechischen Prozessionen zu Ehren des Dionysos verglich,

außer was die Chortänze betrifft. Anstelle des Phallus haben sie Puppen, etwa 45 Zentimeter groß, die von Fäden bewegt werden und die von Frauen rund um die Dörfer getragen werden, und ihr Phallus hebt sich dabei immer wieder und ist fast so groß wie der Rest ihres Körpers. Ein Flötenspieler führt die Prozession an, und die Frauen folgen ihn und singen Hymnen an Dionysos. Warum die Figur aber so große Genitalien hat und diese bewegt, darüber gibt es eine heilige Legende.

Die Ähnlichkeit (wenn auch in kleinerem Maßstab) mit der großen Prozession Ptolemaios’ II. im Hippodrom von Alexandria ist äußerst auffällig – bis hin zur beweglichen Statue; die Praxis der Assimilation der ägyptischen und griechischen Religion war etwas, das die Ptolemäer mit Nachdruck förderten.

Aus politischen Gründen hielten sie es für wichtig, dass die Völker, die sie regierten, Griechen und Ägypter, in etwa das gleiche Glaubenssystem vertraten – vor allem da die gebürtigen Ägypter weniger Rechte hatten und größeren rechtlichen Beschränkungen unterlagen als ihre neuen Kolonialherren. Der wachsende Trend weg von der Verehrung einer Vielzahl kleinerer Gottheiten und hin zum Glauben an ein paar wenige, allmächtige Götter (im griechischen Osten verkörpert durch Dionysos) machte diesen Prozess umso einfacher. Ptolemaios I. ging sogar so weit, einen völlig neuen Gott zu erfinden – Serapis, der griechisch aussah, aber viele ägyptischen Eigenschaften verkörperte. Um diesen Gott, so hoffte er, würde er seine neuen Untertanen einen.

Doch obgleich in Alexandria aufwendige Tempel für den neuen Gott errichtet wurden, setzte er sich nie wirklich durch, und die nachfolgenden Ptolemäer waren daher mehr damit beschäftigt, Parallelen zwischen den verschiedenen existierenden Göttern hervorzuheben; sie setzten die ägyptische Göttin Isis mit den griechischen Göttinnen Hera, Aphrodite und Demeter gleich, und Isis’ Gemahl, Osiris, dessen Tod und Auferstehung man alljährlich beging, mit Dionysos.

Isis und Osiris wurden zu den zwei wichtigsten Gottheiten des ptolemäischen Ägypten, und ihre Popularität verbreitete sich über den gesamten Mittelmeerraum. Die Mythen, die sie umgaben, sowie ihr Sohn Horus versprachen das ewige Leben. Osiris, der sterbliche Ehemann der Isis, Göttin der Fruchtbarkeit und Magie, wurde ermordet, sein Körper in vierzehn Teile aufgeteilt und über ganz Ägypten verstreut. Die verstörte Isis suchte all diese Teile, fand aber nur dreizehn. Ausgerechnet der Phallus blieb verloren. Dennoch gelang es Isis, Osiris aus den aufgesammelten Stücken wieder zusammenzusetzen, und sie hauchte ihm neues Leben ein. Trotz des Verlusts der Männlichkeit ihres Gatten vollbrachte es Isis, einen Sohn zur Welt zu bringen, Horus; das Bild von Mutter und Kind sollte eine dauerhafte universelle Gültigkeit erlangen. Bald wurde der wiederauferstandene Osiris zum König der Toten, Horus zum König der Lebenden, und das ägyptische Totenbuch bezeichnete die fruchtbare Muttergottheit Isis, die Beschützerin ihres Volkes, als „ die, die Himmel und Erde gebiert, die den Waisen kennt, die die Witwe kennt, die Gerechtigkeit sucht für die Armen, Obdach sucht für die Schwachen und Gerechtigkeit sucht für ihr Volk“.

Im Versuch, die griechische und ägyptische Religion zu vereinen, gingen die Ptolemäer weiter als jede andere frühere Kultur. Lange Zeit war es im Osten (wenn auch nicht in Griechenland) üblich gewesen, dass Herrscher verehrt wurden, als wären sie selbst Götter. Der schillernde Alexander der Große und seine Nachfolger begrüßten diese Praxis mit großem Enthusiasmus. So fanden sich die Ptolemäer unversehens in der Rolle wieder, die die vorherigen Pharao-Dynastien verkörpert hatten, und ließen sich als göttliche Verkörperung der Fruchtbarkeit Ägyptens und der Hoffnungen seiner Bewohner anbeten. Und dies wiederum führte dazu, dass sie eine weitere althergebrachte Sitte der ägyptischen Herrscher über nahmen, die der griechischen Tradition vollkommen fremd war: die Geschwisterehe.

Die ägyptischen Gottheiten Isis und Osiris waren nämlich nicht nur Mann und Frau, sondern zugleich Bruder und Schwester. Als lebendige Verkörperung dieser Gottheiten passten sich die Ptolemäer nun auch hinsichtlich ihres Eheverhaltens den Göttern an, mit dem Resultat, dass sie sich ihren Ehepartner (mit nur wenigen Ausnahmen) ganze sieben Generationen lang ausschließlich unter den Angehörigen ihren eigenen unmittelbaren Familie aussuchten. Nicht, dass dies bedeutet hätte, dass sie automatisch besser zueinander passten: Im Laufe ihrer Geschichte war die ptolemäische Dynastie mehr oder minder durch phantasievolle Pläne geprägt, die die Familienmitglieder ausheckten, einander umzubringen. Doch dank einer Kombination aus Glück und Einfallsreichtum sowie der zielgerichteten Effizienz des (wenn auch mitunter korrupten) öffentlichen Dienstes überlebte die Dynastie der Ptolemäer, und sie festigte ihre autokratische Macht nicht nur im ägyptischen Hinterland, wo man ihre Vertreter eher selten zu sehen bekam, sondern auch und gerade in ihrer golden schimmernden Hauptstadt Alexandria und in den Satellitenstädten, die entlang der Küste des Nildeltas verstreut lagen.

Auch diese Städte spielten eine Rolle dabei, die mystische Aura des Herrscherhauses und seiner Verbindung zu den alten Ritualen Ägyptens zu verstärken – nicht zuletzt durch Akte berechnender Theatralik. In Herakleion, einer Hafenstadt ein paar Meilen nordöstlich von Alexandria, ebenfalls auf einer Landzunge gelegen, zwischen einem See und dem Meer, befand sich der Tempel des griechischen Gottes Herakles, in dem sich die Ptolemäer (die behaupteten, von dem Halbgott abzustammen) krönen ließen. Doch in den Statuen, die sie dort errichteten und von denen manche bis zu fünf Meter hoch waren, zeigten sie sich in klassischem ägyptischem Stil: die Könige mit blanker Brust, bekleidet nur mit dem traditionellen Lendenschurz, die Arme steif an den Seiten, das linke Bein vorgestellt, auf dem Kopf der Pschent, die Doppelkrone, die die Einheit von Ober- und Unterägypten symbolisierte, auf der Stirn eine zusammengerollte Kobra; die Königinnen in durchsichtige Gewänder gehüllt, auf der Perücke die Hathor-Krone mit Kuhhörnern, Federn und einer Sonnenscheibe.

Von Herakleion aus stach jedes Jahr, sobald die Samen in der Erde zu keimen begannen, ein heiliges Schiff in Richtung Osten in See, auf einem Kanal, der nach Kanopos führte – eine symbolische Reise, die zugleich den Weg von Sonne und Mond durch den Himmel verkörperte und den Pfad des Lebens vom Anfang bis zum Ende. An den Ufern des Kanals begleiteten Pilger das Schiff, auf dem sich zwei Bildnisse des Gottes Osiris befanden, eines aus Gemüse und Getreide, eines aus Mineralien – Symbole der großen Fruchtbarkeit des Gottes wie auch Ägyptens selbst.

Wie der Geograph Strabon beobachtete, war Kanopos, das Ziel der Wallfahrt, mehr als nur ein religiöses Zentrum:

In der Stadt steht der verehrte Tempel des Serapis, in welchem es zu Heilungen kommt, weshalb hier selbst die angesehensten Männer, die daran glauben, für sich selbst oder für andere übernachten. Besonders merkwürdig aber ist, dass ganze Scharen von Genusssüchtigen den Kanal von Alexandria nach Kanopos hinuntersegeln: Tag und Nacht sind die Boote voll von Männern und Frauen, die Flöte spielen und ganz ausgelassen und wild tanzen, und auch die Bewohner von Kanopos tun dies, die spezielle Bereiche nahe des Kanals haben, die für diese Art von Unterhaltung geeignet sind.6

Von Kanopos führte ein weiterer Kanal zurück in die Vororte Alexandrias und zum Hippodrom, wo einst der dionysische Umzug Ptolemaios’ II. stattgefunden hatte. Von hier aus öffnete sich ein monumentaler Bogen, das kanopische Tor, auf einen der breitesten Boulevards aller Städte der antiken Welt.

Diese Prachtstraße war dreißig Meter breit und markierte den Gipfel technischer Raffinesse: Auf beiden Seiten war sie flankiert von Schatten spendenden, glitzernden Kalkstein-Kolonnaden, und sie verlief durch ganz Alexandria bis zur westlich der Stadt vorgelagerten Nekropole mit ihren Hainen und Gärten und den Kapellen, die der esoterischen Kunst der Mumifizierung gewidmet waren. Die Gebäude am Straßenrand waren aus farbigem Stein errichtet – rosa, grün und schwarz –, und in regelmäßigen Abständen gingen vom Boulevard Seitenstraßen ab, jede etwa sieben Meter breit, die nach Norden zu den Häfen führten, nach Süden zur großen Lagune des Mareotis-Sees.

Die Häfen waren Alexandrias Verbindung zur Außenwelt, der Mareotis-See, durch Kanäle, die ins Nildelta führten, die Verbindung zum ägyptischen Kernland. Diesen See steuerten die mit Getreide und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnissen beladenen Boote an, die den Nil herunterkamen, um ihre Fracht löschen, registrieren und in den riesigen Getreidespeichern und Lagerhäusern, die das Ufer des Sees säumten, verstauen zu lassen. Auch hier, an den schlammigen Gestaden des gelb-bräunlichen Mareotis-Sees, der Heimat unzähliger Wasservögel, gab es ein städtisches Industriegebiet, mit Glasbläsern und Töpfern, Webern und Weinhändlern.

Mit seinen Gerichtshöfen und Tempeln, Sportplätzen und Palästen hatten die Architekten Alexandrias eine Stadt unendlicher Komplexität und unerschöpflicher Faszination geschaffen. Damit man die Stadt in ihrer ganzen Schönheit betrachten konnte, hatten sie sogar einen künstlichen Hügel in Form eines riesigen Tannenzapfens aufgeschüttet, das sogenannte Paneion; man konnte es über eine spiralförmige Straße begehen, und von seinem Gipfel aus hatte man einen Panoramablick über ganz Alexandria. Von hier aus muss einem die Stadt, eingerahmt vom leuchtenden Meer auf der einen Seite und der Wüste auf der anderen, beides unwirtlich und durch die dunstige Hitze hindurch bis an den Horizont reichend, wie eine Fata Morgana oder eine Oase vorgekommen sein – eine blühende Zivilisation am Rande der Wildnis.

Doch an jenem Tag im September 31 v. Chr. war der Gipfel des Paneion wahrscheinlich leer, die Straßen der Stadt widernatürlich ruhig, die Geschäfte des kanopischen Boulevard geschlossen, ihre Fenster verriegelt, und ihre Besitzer verstopften womöglich zusammen mit allen anderen Bürgern Alexandrias die Plätze, Straßen und Wege entlang der Hafenmauer. Denn endlich war sie da, die Nachricht, auf die alle schon so lange gewartet hatten. Die langen Monate der Ungewissheit waren vorbei.

Viele Tausende sahen gespannt zu, wie das erste einer ganzen Flotte stolzer, aufwendig bemalter Kriegsschiffe, mit Girlanden aus frischen Blumen geschmückt, in den königlichen Hafen einfuhr. Seine Ruder hoben und senkten sich im rhythmischen Schlag, wie große Flügel, während es an den Kai heranfuhr. Als die Schiffe näher kamen, mag es vorgekommen sein, dass sich auf einen bestimmten Befehl hin alle Ruder gleichzeitig zum Gruß erhoben; sie verharrten einen Moment lang hoch in der Luft, und im blendenden Licht der Sonne tropfte das Wasser von ihnen herab wie geschmolzenes Silber.

Das war das Signal, auf das die Zuschauer so lange gewartet hatten, das Zeichen des Triumphs, das allen zeigte, dass Kleopatra, Königin der Könige, die, deren Söhne Könige sind, die jüngere Göttin, die den Vater liebende Göttin, die das Vaterland liebende Göttin, die letzte in der Linie der Ptolemäer, in ihre Stadt Alexandria zurückgekehrt war, um zu verkünden, dass sie und ihr Gemahl, der römische General Marcus Antonius, weit fort, bei Actium, gegen Octavian gekämpft hatten. Und gewonnen.


Nachweis einer Rebellion: Der Stein von Rosette hält ein Dekret fest, das 196 v. Chr. von Ptolemaios V. ausgestellt wurde, in Hieroglyphen sowie demotischer und griechischer Schrift. Granodiorit, aus Ägypten. Höhe 11 2,3 cm. Breite 75,7 cm. British Museum, EA 24, Schenkung von König George III.

31 v. Chr.

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