Читать книгу Eiskalte Wut - Samantha Prentiss - Страница 5

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Kapitel 2

Sie trafen sich auf einer Bank im ›Hyde Park‹.

Leonard Edwards fütterte die Tauben mit einer Hingabe, wie sie normalerweise nur Rentnern eigen ist, die nicht wissen, wie sie die vielen Stunden im Laufe eines Tages totschlagen sollen. Der dicke Mann, der als die Körperfülle verteilt worden war, vermutlich gleich mehrfach ›Hier!‹ gerufen hatte, wies eine gewisse Ähnlichkeit mit dem amerikanischen Schauspieler Charles Laughton in seinen späten Jahren auf. Aber die äußere Erscheinung täuschte über die ungeheure Energie hinweg, die dem Mann innewohnte, dessen bürgerlicher Tarnberuf der eines Rechtsberaters der Großindustrie und ›High Society‹ war, spielte seine Rolle ausgezeichnet. Niemand hätte in ihm, der in Wirklichkeit einen gewissen politischen Ehrgeiz und Freunde im Unter- und Oberhaus hatte, den Boss einer straff organisierten Agentengruppe erkannt. Als Patriot arbeitete er längere Zeit für den britischen Auslandsgeheimdienst, dem ›Secret Intelligence Service‹, der den meisten besser als ›MI6‹, ›Military Intelligence, Section 6‹ bekannt war. Seine Aufgabe war es gewesen, nach gängiger Geheimdienstmanier Vertrauensleute in Firmen, gesellschaftlichen Gruppen, politischen Vereinigungen anzuwerben, die durch politische Unterwanderung und durch mafiaähnliche Strukturen gefährdet waren.

Verärgert durch das ständige Aneinandervorbeiarbeiten der großen Organisationen ›SIS‹, ›Defence Intelligence Staff‹, ›MI5‹ und Justizministerium, hatten sich politische Freunde im Parlament in einem Geheimausschuss für die Schaffung einer Art Superjobs durchgesetzt. Er sollte in speziellen Fällen die Aktionen der britischen Geheimdienste und Spezialeinheiten koordinieren. In seinem Büro, verborgen hinter einer Tür, hinter die nur die wenigstens einen Blick werfen durften, liefen alle wichtigen Fäden zusammen. Auch heute hatte er ein persönliches Treffen in die Öffentlichkeit verlegt.

Einige Tauben flogen auf, als Clairé Beauvais, die ungemein attraktive Frau, mit den französisch-russischen Wurzeln, die Bank erreichte, auf der Edwards sie erwartete. Sie war fünfundzwanzig Jahre alt, hatte blau-schwarzes Haar, Kohleaugen und besaß ideale weibliche Proportionen. Heute trug sie ein Kostüm in ›Winsor-Blue‹ mit weißen Kragen und Manschetten. Wie immer war ihr Lächeln freundlich und gewinnend. »Ein herrlicher Tag heute, Sir, nicht wahr?«, grüßte sie den geheimnisvollen dicken Mann, der für ihren einträglichen Nebenjob verantwortlich war, und setzte sich neben ihn. Sie erinnerte sich noch gut an den Tag, als er der Idee verfallen war, sie, das Luxus-Callgirl für den Geheimdienst zu akquirieren, um so eine gute Plattform für wichtige Operationen und vor allem eine ausgezeichnete, gut florierende Informationsquelle aus dem Bett und darüber hinaus zu haben. Dennoch war sie nach wie vor eine freie Mitarbeiterin geblieben. Sie sah in ›Fatso‹, wie sie ihn für sich gern nannte, nicht ihren Boss, sondern nur einen Auftraggeber.

Fatso‹ nickte und warf den Tauben wieder Körner zu, die sie gierig aufpickten.

»Nur gut, dass Sie nicht an einer Columbidaephobie leiden«, schmunzelte Clairé.

»Die da wäre?«

»Angst vor Tauben«, kam die lachende Antwort.

»Nun, die habe ich in der Tat nicht«, erwiderte Edwards lächelnd und fragte, ohne seine faszinierende Nachbarin, die er persönlich für seine beste Agentin hielt, anzusehen: »Wie geht es Ihnen, Miss Beauvais? Sie scheinen guter Laune zu sein.«

»Danke der Nachfrage. Ich kann in der Tat nicht klagen. Aber wie steht es mit Ihnen? Sie haben mich ja nicht zum gemeinsamen Taubenfüttern herbestellt, nicht wahr?«

»Womit sie recht haben. Und zur ersten Frage: schlecht«, seufzte Edwards, einmal tief durchatmend. »Wie sollte es mir auch sonst schon gehen?«

»Klingt als hätten Sie Kummer, Sir?«

»Sieht man es mir so deutlich an?« Er bemühte sich um ein Lächeln, das ihm aber nicht wirklich gelingen wollte.

»Wenn man Sie so gut kennt wie ich: … Ja.«

»Sagt Ihnen der Name Min-Ho Choung etwas, Miss Beauvais?«

»Er arbeitet für die nordkoreanische Geheimpolizei, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Stimmt's?«

»Für das ›Büro 35‹, das direkt dem ›OGD‹ unterstellt ist … Richtig.«

»Warum fragen Sie mich nach dem Mann?« Clairé schaute ihn aus den Augenwinkeln neugierig an.

»Wissen Sie auch, welchen Job dieser Choung im Namen seines geliebten großen Führers Kim Jong-Un ausführt?«

»Soweit ich weiß, tötet er im Staatsauftrag.«

Leonard Edwards leckte sich über die Lippen. »Ja, Miss Beauvais. Genau das ist seine Aufgabe, und er führt sie mit der Präzision einer Maschine aus. Der Kerl ist eiskalt und das Schlimmste, was das ›Büro 35‹ augenblicklich aufzubieten hat. Sie setzen ihn immer dann ein, wenn sie absolut sicher sein wollen, dass es keine Panne geben soll. Min-Ho Choung zu begegnen, … ich meine, wenn man auf seiner Liste steht, … heißt für den Betroffenen nichts anderes, als dass sein Leben damit beendet ist. Es hatte bisher noch keiner eine Chance gegen ihn. Zumindest ist mir kein Fall zu Ohren gekommen … Und wenn ich behaupte, dass er bereits über sechzig Menschen aus dem Leben befördert hat, nenne ich absichtlich die untere Grenze. Da ihm bislang niemals konkret etwas nachzuweisen war, dürfte die Zahl seiner tatsächlichen Opfer durchaus sehr viel höher liegen.«

Clairé legte den Kopf schief. »Weshalb erzählen Sie mir so viel über diesen Mann, Mr. Edwards?«

»Wir haben einen Tipp erhalten, Clairé .... Choung soll nach England kommen und einige der Partei unliebsame Personen eliminieren. Wir wissen nicht, wann das sein wird, und wir haben auch keinen blassen Schimmer, wen es treffen soll. Möglicherweise ist er bereits sogar schon im Land. Und wer vermag es zu sagen: Vielleicht erfüllt er gerade in diesem Moment seinen ersten Auftrag.«

Unwillkürlich hielt Clairé die Luft an. Gespannt wartete sie darauf, dass Edwards weitersprach, denn das dicke Ende kam bestimmt noch. Dafür kannte sie ihn viel zu gut. Er hatte sie definitiv nicht hier herbestellt, bloß um ihr sein schweres Herz auszuschütten. Der Boss wollte etwas von ihr. Aber sie drang nicht in ihn, sondern wartete darauf, dass er von selbst damit herausrückte.

»Wir haben alle Sicherungen eingeschaltet«, erzählte ›Fatso‹ und schnaubte kurz. »Leute, die auf unserer Liste stehen und irgendwie den Geruch an sich haben, mit Kim Jong-Uns Geheimdienst in Verbindung zu stehen, werden von uns überwacht. Unsere IT-Spezialisten haben ihre Telefone und Internetzugänge angezapft. Infrarotkameras sind eingesetzt, Richtmikrofone belauschen verdächtige Personen … Aber das gehört alles zur starren Routine. Damit haben Sie nichts zu tun, Miss Beauvais. Das heißt aber nun nicht, dass Sie arbeitslos werden … Ganz im Gegenteil. Ich beabsichtige, die Hauptlast des Unternehmens auf Ihre zarten Schultern zu legen. Denken Sie, dass Sie mir darunter nicht zusammenbrechen werden?«

»Ich bin stark wie ein Pferd«, entgegnete Clairé lächelnd, gefolgt von einem ernsten: »Wer den Frieden stört, der mache sich auf den Krieg gefasst.«

»Machiavelli. Sie erstaunen mich immer wieder.«

»Nun sagen Sie schon: Was soll ich tun?«

»Hören Sie zu, Miss Beauvais. Sie sind mein größter Trumpf in diesem gefährlichen Hasardspiel. Wenn Sie versagen, werden vermutlich ein paar Menschen sterben, und zwar von Choungs Hand.«

»Selbst ich bin gegen Rückschläge nicht gefeit, Sir«, gab Clairé zu bedenken.

»Ich weiß, dass Sie nicht zaubern können. Aber Ihre geistigen und beruflichen Qualitäten lassen mich doch berechtigt hoffen, dass wir diesen gemeinen Killer abfangen können, ehe er dazu kommt, seinen Auftrag auszuführen.«

»Haben Sie schon eine Vorstellung, wie wir an die Sache herangehen sollen?«

»Ja, natürlich« Edwards griff in die Innentasche seines Jacketts. Er zog das Foto eines Mannes heraus und reichte es ihr unauffällig. »Hier: … Damit Sie sehen, wie der Bursche aussieht.«

»Das ist Min-Ho Choung?«

»Das ist er.«

Clairé lief es kalt über den Rücken. In ihrem Unterbewusstsein formte sich der Wunsch, diesem Mann niemals zu begegnen. Gleichzeitig aber wusste sie, dass sich eine solche Begegnung nicht vermeiden lassen würde. Etwas in ihr warnte sie vor diesem Mann. Sein Gesicht war schmal. An den Wangen erkannte sie die Schatten zweier dunkler Falten. Sein Mund wirkte wie ein blasser Strich, und Min-Ho Choungs Augen blickten so seelenlos wie farblose Glaskugeln.

»Wie wir alle«, fuhr Leonard Edwards fort, »hat auch Choung so seine kleinen Angewohnheiten.«

»Vielleicht liegt ja genau darin unsere Chance, seiner habhaft zu werden, Sir.«

Fatso‹ nickte. »Sein Lebensinhalt ist das Töten, … überall auf der Welt. Doch zwischendurch fühlt auch dieser Mann sich einsam.«

»Bei einem solchen Lebenswandel hätte ich auch keine Freunde«, bemerkte Clairé trocken. »Jedenfalls keine, mit denen ich mich treffen, geschweige denn reden könnte.«

»Wem sollte er auch vertrauen?«, nickte Edwards zustimmend. »Für Menschen wie ihn, wird die Einsamkeit zu einem echten Fluch. Aber wir wissen von unseren Freunden aus den Staaten, dass er immer dann die Nähe eines Mädchens sucht, wenn er es nicht mehr ertragen kann.«

»Ab und zu in den Arm genommen zu werden braucht letztlich jeder von uns, nicht wahr?«

»So sind wir Menschen gestrickt«, stimmte Edwards zu.

»Wenn du Einsamkeit nicht ertragen kannst, dann langweilst du vielleicht auch andere, sagte Oscar Wilde.«

»In gewisser Hinsicht tut er das sogar …«

»Wie meinen Sie das?«

»Er rührt kein Mädchen an«, entgegnete Edwards. »Er begnügt sich damit, dass es bei ihm ist und sich mit ihm betrinkt.« Er warf ihr einen verstohlenen Seitenblick zu. »Verstehen Sie, worauf ich hinaus möchte?«

»Sie meinen: Ich soll dieses Mädchen sein, das ihm Gesellschaft leistet.«

»Ich habe mir die Sache reichlich überlegt, ehe ich Sie bitten wollte, die Aufgabe zu übernehmen ... Wir werden versuchen, ihm Ihre Telefonnummer zuzuspielen … Über Mittelsmänner, die an der richtigen Stelle herumerzählen werden, was für ein großartiges Erlebnis das Callgirl Clairé Beauvais ist.«

»Sie gehen also davon aus, dass sobald er davon Wind bekommen hat, bei mir auftauchen wird?«

»Davon bin ich überzeugt«, nickte Edwards unmerklich. »So etwas lässt sich Min-Ho Choung garantiert nicht entgehen.«

»Wieso rührt er die Mädchen nicht an, die ihm Gesellschaft leisten?«, wollte Clairé wissen. »Warum betrinkt er sich nur mit ihnen? Das ist doch nicht normal.«

»Da gebe ich Ihnen vollkommen recht, Miss Beauvais. Bestimmt würde Choung mit den Mädchen mehr anstellen, als bloß mit ihnen trinken, wenn er noch dazu in der Lage wäre.«

»Das verstehe ich nicht. Der Mann ist doch höchstens vierzig Jahre alt.«

»Er hatte vor fünfzehn Jahren einen Auftrag in Ruanda und dem Kongo zu erledigen. Das war während der Zeit, als Bernard Ntaganda, Boss einer Hutu-Partei, im Gefängnis saß und Victoire Ingabire unter Hausarrest stand, die inzwischen in Untersuchungshaft sitzt. Man wirft ihr vor mit der Hutu-Miliz ›FDLR‹ im Ostkongo unter einer Decke zu stecken. Aber auch Frank Habineza, Boss der neu gegründeten Grünen, durfte nicht kandidieren. Sein Stellvertreter, André Kagawa Rwisereka, wurde drei Wochen vor der Wahl mit fast abgetrenntem Kopf gefunden. Der Präsident Kagame beteuerte zwar, dass weder er noch seine Regierung etwas mit dem Mord zu tun hatten … Aber daran wurde seitens der meisten Auslandsgeheimdienste gezweifelt. Jedenfalls fiel Choung genau zu diesem Zeitpunkt einer Gruppe extremer Fanatiker in die Hände … und was die mit ihren Gefangenen anstellen ist hinlänglich bekannt. Seither vermag er, wenn ich es mal höflich ausdrücke, einem Mädchen nichts mehr zu geben.«

»Irgendwie eine tragische Figur«, meinte Clairé. Sie warf noch einen Blick auf das Foto und gab es ›Fatso‹ zurück. »Angenommen, er meldet sich bei mir. Was habe ich dann zu tun?«

»Wie gesagt, er wird nicht den Wunsch haben mit Ihnen ins Bett zu gehen. Man sagt, er würde den Mädchen gern dabei zuschauen, wenn … Nun, ich denke, sie verstehen mich ... Auf jeden Fall aber wird er den Wunsch haben, sich mit Ihnen zu betrinken«, antwortete Leonard Edwards und entnahm seiner Hosentasche ein kleines Fläschchen. »Wenn sich die Gelegenheit ergibt werden Sie ihm das in seinen Drink geben ... Aber seien Sie äußerst vorsichtig. Der Mann ist sehr misstrauisch und darf auf keinen Fall etwas davon bemerken!«

Clairé griff nach dem Fläschchen und schüttelte es. Die Flüssigkeit darin war glasklar. »Was ist das?«, fragte sie. »Gift?«

»Nein. Ganz gewöhnliche ›Knockout‹-Tropfen. Wenn er sie schluckt, wird er einfach für einige Zeit in Ohnmacht fallen und kommt später wieder zu sich zu … Absolut harmlos, das Zeug, ohne jede schädigende Nachwirkung auf den menschlichen Organismus.«

»Also gut ... Choung fällt wie tot um. Wie geht es dann weiter?«

»Alles Weitere überlassen sie mir. Sobald er flachliegt, rufen Sie mich an. Ich lasse den Kerl unverzüglich abholen. Damit ist die Sache für Sie auch schon gelaufen.«

»Hört sich an, als wäre es genauso leicht, wie mit dem Finger zu schnippen.« Was sie begleitend tat.

»Es wäre genauso leicht, wenn der Mann, dem Sie diese Tropfen einflößen sollen, nicht Min-Ho Choung hieße. Nehmen Sie diesen Auftrag um Himmels willen bloß nicht auf die leichte Schulter. Dieser Choung ist gefährlicher als ein Sack voller Klapperschlangen. Und wenn irgendetwas sein Misstrauen weckt, da er ohnedies stets auf dem Sprung ist, kann es zur furchtbarsten Katastrophe kommen.«

Es hatte in ihrer Geheimdienstlaufbahn noch niemals einen Auftrag gegeben, den sie auf die leichte Schulter genommen hatte. Edwards' Warnung war gut gemeint, aber überflüssig. Dennoch ließ sie sie unwidersprochen, schob das Fläschchen in ihre Handtasche und sagte: »Eine Frage hätte ich noch, Sir.«

»Ja, Miss Beauvais?«

»Wenn Sie Choung haben, was werden Sie dann mit ihm machen?«

»Ihre Aufgabe ist es, ihn uns zu beschaffen. Alles andere sollte Sie nicht kümmern. Da ich aber weiß, wie wissbegierig Sie sind, muss ich Ihnen wohl ein bisschen mehr erzählen. Min-Ho Choung kennt eine Menge Namen. Es wäre töricht von uns, ihn zu beseitigen. Er nützt uns lebend wesentlich mehr. Unsere Spezialisten werden ihn zum Reden bringen. Choung in unserer Hand … das ist eine Bombe im gegnerischen, nordkoreanischen Lager, die wir und unsere befreundeten Geheimdienste nur zu gern fernzünden werden.«

Clairé erhob sich und reichte ›Fatso‹ die Hand. »Wenn ich sein Typ bin, kriegen Sie ihn, Sir.«

***

Eiskalte Wut

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