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Kapitel 1

Green Hall, Cornwall, 1870

Dieses Mal würde er sie töten. Sie konnte es deutlich in seinen Augen lesen. Niemand konnte ihr jetzt noch helfen. Sie waren ganz allein in dem großen dunklen Haus. Wie Schraubzwingen legten seine rauen Hände sich um ihren Hals und drückten unbarmherzig zu. Sein Gesicht, zu einer Maske des Triumphs verzerrt, war dicht über ihrem. Er drückte ihr seine Lippen auf den geöffneten Mund und nahm ihr so die letzte Möglichkeit, Luft zu holen. Verzweifelt versuchte sie, ihn von sich zu drücken. Vergebens. Dann wurde es schwarz um sie herum.

Mit einem lauten Schrei schreckte Joanna de Montigny hoch. Angstvoll schaute sie sich um. Sie war allein. Schweißgebadet ließ sie sich zurück in ihre Kissen fallen und zog die Decke bis zum Kinn. Sie war so müde! An der fast heruntergebrannten Kerze neben ihrem Bett erkannte sie, dass es früher Morgen sein musste, auch wenn kein Lichtstrahl durch die schweren dunklen Vorhänge fiel. Das Holz im Kamin glomm nur noch schwach. Joanna spürte, wie die kühle, feuchte Luft durch ihre Decke drang. Die Fratze, die mit Goldfaden in den dunkelblauen Betthimmel über ihr gewirkt war, grinste höhnisch zu ihr herunter. Als Kind hatte sie sie spannend und aufregend gefunden. Ihr hatte sie ihre Geheimnisse und größten Wünsche und Ängste erzählt. Und jetzt? Verspottete sie sie jetzt mit ihren nach oben gezogenen Lippen? Der Sage nach war sie ein Hausgeist, der durch den Fluch einer bösen Hexe als Stickerei im Betthimmel gefangen gesetzt worden war. An den spitzen kleinen Ohren fehlte schon etwas von dem kostbaren dicken Goldfaden. Und die obere Lippe war an einigen Stellen durchbrochen. Die Zeit hatte ihre Wunden hinterlassen. Wie bei ihr selbst.

Seufzend schlug sie die Decke zurück und stand auf. Wenn nur wenigstens der Regen endlich nachgelassen hätte! Ein Blick hinter die Vorhänge der großen Fenster zerschlug diese Hoffnung. Dicke schwarze Regenwolken zogen unheilverkündend über das Land. In der Ferne war leiser Donner zu hören. Joanna zog ihren Schal enger um ihre schmalen Schultern. Seit sie und Isa, ihre alte Kinderfrau und treue Begleiterin, vor drei Tagen aus Montignys Haus geflohen waren, hatte es nicht aufgehört zu regnen. Joanna legte ihre Stirn an das kalte Fenster und schloss die Augen. Sie erinnerte sich nur zu gut an ihre Flucht nach Green Hall. Es hatte sie allen Mut gekostet, den sie noch besessen hatte, um die Abwesenheit ihres Mannes für einen letzten verzweifelten Fluchtversuch zu nutzen. Tränen stahlen sich aus ihren müden Augen. Ihr Baby war tot. Das kleine Körperchen war nach Stunden der Qual schlaff und leblos zur Welt gekommen. Joanna musste schlucken, das Atmen fiel ihr schwer. Ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen.

Sie versuchte, an etwas anderes zu denken. An etwas Aufmunterndes. Die Flucht war ihnen gelungen. Das gab Hoffnung. Mühsam verdrängte sie die Gedanken an den Morgen dieses schicksalsträchtigen Tages und konzentrierte sich auf den Abend. Sie hatten ausgenutzt, dass alle auf Montignys Landsitz dachten, sie wäre nach der schweren Geburt zu erschöpft, um an Flucht zu denken. Eines der Pferde zu nehmen war ihnen zu gefährlich erschienen. Also waren sie zu Fuß aufgebrochen. Die Wege waren aufgeweicht und kaum passierbar gewesen. Mehr als einmal waren sie in den Schlamm gestürzt. Die Angst vor dem, was sie erwartete, wenn ihr Mann sie finden würde, hatte Joanna auch dann noch angetrieben, als sie völlig entkräftet in knöcheltiefem Schlamm einen Abhang heruntergefallen war. Doch die Erschöpfung und das Ziehen in ihrem Bauch waren nichts gewesen im Vergleich zu dem, was sie erwartet hätte, hätte ihr Mann sie gefunden. So hatten sie sich mühsam weiter geschleppt. Joanna wünschte, es hätte einen anderen Ort als Green Hall gegeben, zu dem sie hätten fliehen können. Doch sie hatten kein Geld, keine Pferde, niemanden außer ihrem Vater, an den sie sich hätten wenden können. Andrew Saxton hatte sie nicht, wie sie tief in ihrem Inneren befürchtet hatte, zurück geschickt. Im Gegenteil. Betroffen hatte er sie in ihr altes Zimmer gebracht und dafür gesorgt, dass es ihr an nichts fehlte.

Wenn sie nur wüsste, warum er plötzlich so merkwürdig freundlich geworden war? Sie drehte sich um und ließ ihren Blick durch ihr Zimmer gleiten. Die Einrichtung war fast so alt wie das Haus selbst. Alle Möbel in diesem Raum waren einfach und zweckmäßig aus harter englischer Eiche gearbeitet. Zusammen mit den dicken Wandteppichen in vorwiegend braunen und dunkelroten Farben, die Jagdszenen und Stilleben darstellten, gaben sie dem Raum ein düsteres Aussehen. Verstärkt wurde es durch die einzelne Kerze, die in der zugigen Luft des hohen Raumes unruhig hin und her flackerte. Joanna ging zum Kamin und zündete hastig die Kerzen auf dem Sims an. Die Schatten krochen zurück in die Ecken. Der düstere, schwerfällige Eindruck des Zimmers jedoch blieb. Die einzige Ausnahme war ein kleines Nähtischchen, das ihr Großvater ihr aus China mitgebracht hatte. Zum ersten Mal war sie froh, dass Montigny ihr nach der Hochzeit verboten hatte, etwas von ihren eigenen Sachen mit in sein Haus zu nehmen. Liebevoll fuhr sie mit den Fingern über die Elfenbeinintarsien und öffnete vorsichtig den Deckel. Mit dem Anflug eines Lächelns betrachtete Joanna die kleinen goldenen Barken und Schoner unter vollen Segeln, die sich auf sanften Wellen wiegten. Sie lagen in einem halbkreisförmigen Hafen mit Sandstrand, auf dem der Künstler sogar einige Figuren eingeritzt und mit Goldfarbe bemalt hatte. Früher hatte sie oft auf die vielen klein wirkenden Häuschen und bewaldeten Hügel mit ihren burgartigen Befestigungen geschaut und sich gefragt, wie es wohl wäre, selbst dorthin zu segeln und die Welt zu entdecken. Ihr wirkliches Leben war eher so gewesen, wie die Einrichtung ihres Zimmers: zweckmäßig und beständig. Von Abenteuern, fremden Orten und Piraten hatte sie nur gehört, wenn ihr Großvater von einer seiner Reisen zurückgekehrt war und von seinen Erlebnissen erzählt hatte.

Ein Geräusch an der Tür ließ sie erschrocken herumfahren. Erleichterung, als sie ihre Amme Isa erkannte, wich rasch, als sie deren angespannten Gesichtsausdruck sah.

„Was ist passiert?“

„Wir müssen sofort fliehen!“ antwortete Isa atemlos, ging rasch nach links in Joannas Ankleidezimmer und holte ein altes, aber warmes graues Wollkleid für ihren Schützling aus dem Schrank.

Joanna ging auf sie zu und hielt sie am Arm zurück. Sie schüttelte den Kopf.

„Ich habe den Schlüssel zum Tresor noch nicht gefunden. Ohne Mutters Schmuck können wir nicht fliehen, Isa. Wir besitzen keinen einzigen Penny!“

Isa befreite sich mit einer solchen Kraft aus ihrem Griff, dass Joanna zurücktrat und sie erstaunt ansah.

Die letzten Monate hatten aus der energiegeladenen kleinen Frau mit dem gutmütigen, weichen Gesicht eine abgehärmte, müde alte Frau gemacht. Was war nur aus ihrem vollen braunen Haar geworden? Ohne Übergang war es grau, farblos, schütter geworden. Tiefe Falten hatten sich in ihr Gesicht gegraben, und der Glanz ihrer sonst so lebhaften braunen Augen war verblasst Sie war schlank, fast mager geworden durch den Kummer um ihren Schützling. Joanna ahnte, dass Isa fast ebenso unter der Totgeburt gelitten hatte wie sie selbst. Man hatte Isa bei der Geburt nicht zu ihr gelassen, auch dann nicht, als Joanna vor Schmerzen und Furcht aufgeschrien hatte. Seitdem hingen ihre Schultern noch tiefer, war ihr Gang noch schleppender. Doch jetzt war von ihrer Erschöpfung nichts mehr zu spüren.

„Vergiss den Schmuck! Dein Mann wird jeden Augenblick hier sein und dich zurückholen, verstehst du, mein Lämmchen?“

Joanna fasste sich erschrocken an den Hals. Nein! Das konnte, das durfte nicht sein! „Das würde Vater niemals tun!“ Selbst für sie klang das wenig überzeugend.

Isa schnaufte ungehalten. „Er hat dich schon einmal gezwungen, zu ihm zu gehen und ihn zu heiraten, oder?“ Ihre Augen funkelten.

„Aber das hier ist etwas anderes“, entgegnete Joanna und bettelte mit den Augen um Zustimmung.

„Warum? Montigny hat damals viel Geld ausgegeben, um die Schulden deines Vaters zu bezahlen, und ich bin sicher, er wird auch jetzt wieder gut bezahlen, wenn er dich dadurch zurückbekommen kann. Wo siehst du einen Unterschied?“

„Damals hatte Vater keine andere Wahl. Nicht, nachdem er mich und Montigny…“ Joanna brach ab. „Aber jetzt hat er doch selbst gesehen, wozu dieser Mann fähig ist.“

Ihre Hand legte sich auf ihren Bauch, denn sie spürte erneut die Tritte ihres Mannes, den Schmerz, als sie ihr totes Kind in den Armen gehalten hatte.

„Und du glaubst wirklich, das kümmert ihn? Mein dummes, dummes kleines Lämmchen! Dein Vater ist nicht einen Deut besser als sein Schwiegersohn. Der alte Herr hätte ihn als Kind ertränken sollen, sage ich dir!“

„Isa, du vergisst dich! Er ist mein Vater! Und er brauchte das Geld dringend! Ich bin sicher, Vater hatte keine Ahnung, was für eine Bestie Montigny ist.“

„Er weiß es jetzt, und er wird dich zurückgeben. Wenn du nicht zu Montigny zurück willst, musst du fliehen!“

„Warum bist du so sicher, dass er mich zurückschickt?“

„Ich konnte hören, wie er mit diesem widerlichen Jacques darüber gesprochen hat.“

Joanna ging zum Fenster und überlegte fieberhaft. Jacques war der engste Vertraute ihres Ehemannes. Dass er auf Green Hall war, verhieß nichts Gutes. Oh, Gott! Sie war des Kämpfens so müde. Was sollte sie nur tun? Sie war geschwächt und erschöpft, und sie hatte kein Geld. Ihren Plan, den Schmuck ihrer Mutter an sich zu nehmen, hatte sie noch nicht umsetzen können, und sie bezweifelte, dass es ihr jetzt noch gelingen würde. Die Chancen für eine Flucht standen nicht gut. Aber wenn sie es nicht zumindest versuchten, hätten sie gar keine.

„Großvater wüsste, was zu tun wäre“, flüsterte sie. Er hätte es niemals soweit kommen lassen.

„Aber dein Großvater ist nicht mehr bei uns“, gab Isa ebenso leise zurück und nahm Joanna in den Arm. Ihre Stimme wurde weich und tröstend. „Ich weiß, dass es wehtut und wie viel er dir seit dem frühen Tod deiner Mutter bedeutet hat. Er hat dich sehr geliebt, und er war sehr stolz auf dich.“

„Ich weiß“, gab Joanna leise schluchzend zurück und klammerte sich an den einzigen Menschen, den sie jetzt noch hatte.

Solange sie sich zurückerinnern konnte, war ihr Großvater für sie da gewesen. Er hatte ihr eine Erziehung ermöglicht, wie nur wenige Frauen sie erfahren durften. Privatlehrer hatten dafür gesorgt, dass das junge Mädchen alles lernte, was man wissen musste, um ein Anwesen wie Green Hall zu leiten. Joanna hatte sich immer gefragt, warum er ihr all das beibrachte, wenn doch ihr Vater einmal alles erben würde. Dass er von seiner letzten Handelsreise vor fast einem Jahr nicht zurückgekehrt war, hatte ihr fast das Herz gebrochen.

„Dann enttäusche ihn jetzt nicht. Reiß dich zusammen und lass uns von hier weggehen, solange noch Zeit ist.“

Joanna löste sich von ihr und sah sie durch einen Schleier aus Tränen an. Isa nickte ihr aufmunternd zu.

„Also gut, versuchen wir es“, sagte Joanna schließlich.

Isa nickte zufrieden. Ihr Liebling wäre nicht die Enkelin des Mannes, den sie den Fuchs genannt hatten, wenn sie jetzt aufgegeben hätte. Rasch half sie ihr, sich anzuziehen, und band ihr langes rotes Haar zu einem einfachen Zopf zusammen.

Joanna legte sich ihren wärmsten Umhang um die Schultern und bedeutete Isa, ihr zu folgen. Gemeinsam gingen sie in ihr Ankleidezimmer und schoben einen der dicken Wandbehänge zur Seite. Joanna wusste, dass sich dahinter die Tür zu einem der zahllosen Geheimgänge befand, die sich zwischen den dicken Mauern von Green Hall hindurch zogen. Joanna kannte jeden einzelnen von ihnen. Dieser führte, ebenso wie der im Schlafzimmer ihres Großvaters, an der hinteren Außenmauer nach draußen.

Wenn du überhaupt irgendwo eine Chance hast zu entkommen, dann ist es hier! Du wirst dich nicht verlaufen! Wieder und wieder machte sie sich Mut. Du musst fest daran glauben, sonst sind wir verloren! rief sie sich stumm zu.

Ihr grauste vor der undurchdringlichen Schwärze der dunklen Gänge hinter der Tür. Es war eine Sache, als Kind mit einer Kerze und Streichhölzern lachend in ihnen Verstecken zu spielen, jedoch eine völlig andere, sich in Lebensgefahr einen Weg durch sie hindurch zu einem der wenigen Ausgänge zu suchen. Joanna versuchte, nicht daran zu denken, was vor ihr lag, und drückte den losen Stein, der die Tür in Bewegung setzen würde, tiefer in die Wand. Nichts geschah. Die beiden Frauen sahen sich ungläubig an. Joanna versuchte es erneut. Die Tür bewegte sich nicht einen Millimeter. Angst kroch ihren Körper hinauf in ihren Hals und drohte sie zu ersticken. Joanna zwang sich mit äußerster Willensanstrengung ruhig zu bleiben und probierte es noch einmal. Wieder öffnete die Tür sich nicht. Sie schluckte und nahm Isas Hand, um nicht laut aufzuschreien.

„Irgend etwas blockiert den Mechanismus“, flüsterte Joanna. „Wir müssen es auf einem anderen Weg versuchen. Komm!“

Sie zog Isa zurück in ihr Zimmer und zur Tür. Vorsichtig öffnete sie sie und spähte hinaus. Erschrocken schrie sie auf, als sie brutal nach draußen gezogen wurde.

„Da ist ja das Vögelchen!“ zischte Jacques und zog Joanna, die Isa vor Schreck losgelassen hatte, eng an sich.

Joanna versuchte mit all ihrer Kraft, sich gegen den gedrungenen, kleinen Mann zu wehren. Erfolglos. Seine schwieligen, knochigen Hände umklammerten ihre Oberarme. Ein breites Grinsen verzerrte sein mit Pockennarben übersätes Gesicht zu einer Fratze, die Böses versprach. Joanna musste an die Stickerei in ihrem Betthimmel denken.

Isa schlug wütend auf Jacques ein. „Gib sofort die Lady frei, du Sohn einer räudigen Hündin!“

Ohne Joanna loszulassen, schlug Jacques die alte Frau zu Boden.

„Isa!“ Entsetzt sah Joanna auf die geliebte Kinderfrau hinab. „Sie Ungeheuer, was haben Sie mit ihr gemacht?“

„Sei endlich still, oder es wird mir eine Freude sein, dir den Mund zu stopfen. Und jetzt komm, dein Vater will dich sehen.“ Joanna versuchte wieder und wieder, sich aus seinem Griff zu winden, aber er war um ein vielfaches stärker als sie. Sie hatte keine Chance. Er machte sich nicht einmal die Mühe, sie mit beiden Händen zu halten. Der stählerne Griff seiner linken Hand reichte völlig aus, sie brutal neben sich herzuziehen. Die alten angerosteten Ritterrüstungen an den Wänden des Ganges standen stumm Spalier. Was hatte sie erwartet? Dass ihre Kindheitsphantasie Wirklichkeit wurde und sie zu Leben erwachen würden, wenn sie in Gefahr geriet? Verzweifelt warf Joanna einen letzten Blick zurück auf die reglos am Boden liegende Isa. Hoffentlich hatte Jacques sie nicht getötet. Ein plötzliches schmerzhaftes Ziehen in ihrem Unterleib lenkte ihre Gedanken ab. Sie ballte ihre freie Hand zur Faust, um nicht unter den Schmerzen aufzustöhnen. Auf keinen Fall wollte sie dem Schergen ihres Mannes zeigen, wie schwach sie wirklich war. Im Moment blieb ihr nur, sich in das Unausweichliche zu fügen und sich von Jacques vorbei an langen Reihen der Bilder ihrer Ahnen durch die Gänge ziehen zu lassen – und zu beten, dass dies nicht das Ende sein würde.

Steve Buchanan kämpfte gegen das Einschlafen. Er lag mit gespreizten Armen und Beinen an den Boden des Verlieses gefesselt, in das man ihn geworfen hatte. Die Kälte des feuchten Steinbodens linderte den Schmerz in seinem von Peitschenhieben aufgerissenem Rücken nur unzureichend. Er war sich sicher, dass mehrere seiner Rippen zumindest angebrochen waren, sein rechtes Auge war zugeschwollen und auch aus dem linken konnte er kaum noch sehen. Er hatte bei Gott schon bessere Zeiten erlebt! Nur eine einzige fast heruntergebrannte Fackel an der Wand neben der Tür warf ihr dämmriges Licht in den Kerkerraum. Jeder Schritt der Ratten, seiner einzigen Gesellschaft, hallte in seinen Ohren wider. Links hinter ihm tropfte modrig riechendes Wasser von der Decke herunter. Der gleichmäßige Ton schläferte ihn ein. Er brauchte all seine Willenskraft, um sich nicht dem Wunsch nach Ruhe und der Dunkelheit hinzugeben. Er musste wach bleiben, um jeden Preis! Sein Gefühl sagte ihm, dass sie bald kommen würden, um ihn wieder zu befragen. Wie lange er darauf schon wartete, wusste er nicht. Kein Lichtstrahl drang von außen in sein Gefängnis, nichts verriet ihm die Tageszeit - oder war es bereits Nacht?

Steve konzentrierte sich auf seine Gedanken, ließ sie schweifen, zurück auf die Weite seiner Heimat, hin zu seinem Lehrer Running Bull.

„Sei stark, mein Freund“, hörte er ihn wie durch einen Nebel sagen, „ stark wie der Baum, an dem die Axt zerbricht. Für jede Axt kommt eines Tages ein solcher Baum. Vertraue darauf, sei ein solcher Baum für deine Feinde.“

„Aber wie?“ hatte er entgegnet, gerade erst zum Mann geworden, voller Träume, mit der Ungeduld der Jugend, viel lieber die Axt als der Baum.

Running Bull hatte ihn angesehen und geheimnisvoll gelächelt. „Du wirst es wissen, wenn es soweit ist.“ Eine Antwort, die den jungen Krieger nicht zufrieden gestellt, aber die einzige, die er bekommen hatte.

Eine Ratte, die über seinen Körper lief und an seiner blutigen Lippe schnupperte, holte Steve in die Wirklichkeit zurück. Er bäumte sich vor Schmerz leise stöhnend in seinen Fesseln auf, und sie sprang herunter. Nur wenige Zentimeter von ihm entfernt blieb sie sitzen und beobachtete ihn. Der Geruch geronnenen Blutes lockte sie und ihre Gefährten an. Langsam wurden sie frecher. Sie hatten ihn als ungefährlich eingestuft.

Er schloss sein gesundes linkes Auge wieder und ballte die Hände zu Fäusten. Wie ein Anfänger hatte er sich überrumpeln lassen. Es gab keinen Zweifel, dass Andrew Saxtons Männer ihn bereits erwartet hatten. Steve überlegte, wer Saxton die Information zugespielt haben könnte. Außer ihm selbst hatten nur drei Männer von seinem Plan gewusst. Für zwei von ihnen würde er seine Hand ins Feuer legen, der dritte hatte ein zu großes eigenes Interesse daran, Joanna Saxton auf sein Schiff zu holen, als dass er ihn verraten hätte. Doch jemand hatte sie verraten. Jemand, der ihm sehr nahe stand. Steve verfluchte seine Achtlosigkeit und dachte besorgt an seine kleine Tochter Jenny, die er auf dem Schiff eines befreundeten Kapitäns in London zurückgelassen hatte. Wenigstens sie war in Sicherheit. Und denoch, wenn ihm etwas zustoßen würde, wäre alles umsonst gewesen. Kein Richter in Texas würde seiner Familie das Sorgerecht für seine Tochter überantworten. Er war ein Halbblut, ein vermögendes, aber nichtsdestotrotz ein halber Comanche. Wenn seine geschiedene Frau das Sorgerecht für ihre Tochter beantragte, würde jedes Gericht im Süden es ihr zusprechen. Er zwang sich, diese Gedanken zur Seite zu schieben. Noch war er nicht geschlagen, verdammt. Der ursprüngliche Plan, sich mit der Empfehlung eines Geschäftspartners aus London Zugang zu Saxtons Haus zu beschaffen, Joanna Saxton zu suchen und Green Hall nachts heimlich mit ihr wieder zu verlassen war gescheitert. Statt dessen lag er zerschlagen in diesem verdammten Loch. Seine Fesseln schnitten ihm ins Fleisch. Nicht nur seine geprellten, vermutlich gebrochenen, Rippen nahmen ihm die Luft zum Atmen. Viel schlimmer waren die meterdicken Mauern um ihn herum. Aber keines von beidem würde ihn verdammt nochmal davon abhalten, nach Hause zurückzukehren. Seine Familie brauchte ihn. Es war Zeit, sein Erbe anzutreten. Sein Vater wurde alt und die Brazos B brauchte das Geld, das er mit den letzten beiden Fahrten der Blizzard verdient hatte.

Schritte ließen Steve aufhorchen. Nicht kleine Rattenfüße, deren Krallen über den Steinfußboden kratzten, sondern Männerstiefel kamen näher. Der Widerhall machte es ihm unmöglich, genau zu bestimmen, wie viele es waren. Drei, vielleicht vier Männer. Er spannte all seine Sinne an, ohne äußerlich auch nur einen Muskel zu bewegen. Scheinbar geschlagen lag er da und wartete.

Das Licht mehrerer Fackeln, als sich die Tür in ihren alten Scharnieren knarrend und ächzend öffnete, biss schmerzhaft in seinem zu einem schmalen Schlitz zusammengepressten Auge. Für Sekunden sah er nichts außer einem grellen Blitz. Die Ratten flohen aus dem Schein der Fackeln in die Sicherheit der Schatten. Nur ihre Augen waren noch als funkelnde rote Punkte zu erkennen.

Steve stöhnte auf, drehte den Kopf zur Seite, als sei das Licht schmerzhafter, als es tatsächlich war, und beobachtete, wartete auf seine Chance. Es waren vier Männer. Einer von ihnen hielt eine Fackel, die anderen hatten ihre Pistolen auf ihn gerichtet und belauerten ihn vorsichtig. Er selbst war verletzt, gefesselt, erschöpft. Und er konnte sich denken, dass er beschissen aussah nach der Prügel, die sie ihm verabreicht hatten. Gut, je mehr sie ihn unterschätzten, desto besser…

„Seid bloß vorsichtig, das ist kein normaler Mann, das ist der Teufel in Menschengestalt“, rief einer der Männer.

Verdammt, einer der Kerle schien mehr Verstand zu haben, oder einen besseren Instinkt, als es Steve Recht sein konnte.

„Stell dich nicht so an. Nur weil er dir eine aufs Maul gehauen hat, ist er noch lange nicht der Teufel“, entgegnete ein anderer.

„Warte nur, bis du ihn kämpfen siehst, du hirnloser Idiot.“

Inzwischen konnte Steve genug sehen, um sich ihre Gesichter einzuprägen. Zwei von ihnen kannte er. Sie schienen miteinander verwandt zu sein, so ähnlich sahen sie sich, auch wenn der eine klein und dick, der andere eher schlank und mittelgroß war. Beide waren rothaarig, hatten blasse Gesichter mit seltsam farblosen Schweinsaugen, der kleinere hatte eine Narbe auf der Stirn, der größere eine schiefe Nase. Sie hatten ihn hierher gebracht. Wäre der Mann, den sie ehrfürchtig Jacques nannten, nicht gewesen, wäre ihnen das nicht so leicht gelungen. Die beiden anderen kannte er nicht. Der eine war klein und rundlich. Steve ließ sich durch sein scheinbar harmloses Aussehen nicht täuschen. Der vierte, anscheinend ihr Anführer, war hochgewachsen, eigenartig dürr und hatte nur noch drei Finger an der linken Hand. Steve würde keine Schwierigkeiten haben, ihn wieder zu erkennen, wenn seine Chance zur Abrechnung kam. Und sie würde kommen.

„Los jetzt, hoch mit ihm“, wies der Dürre seine Kumpane an.

Sie durchtrennten seine Fesseln und zogen ihn hoch. Steve verhielt sich passiv. Jetzt war noch nicht der richtige Zeitpunkt, um herauszufinden, wie viel Kraft noch in ihm steckte. Er hatte eine dunkle Ahnung, in welchem Teil des alten großen Hauses er sich befand, und keinen Zweifel, dass er ihnen würde entkommen können, aber vorher musste er die Enkelin des Alten finden. Also ließ er sich scheinbar kraftlos mehr schleifen, als dass er mit den Männern ging. Als trauten sie seiner Friedfertigkeit nicht, drückte ihm einer von ihnen den kalten Stahl seiner Pistole in den Rücken. Steve biß die Zähne zusammen, ließ sich zusammensacken, als könnten seine Beine ihn nicht mehr tragen, und musste nicht einmal besonders schauspielern. Verdammt, er schien länger in dem Loch gelegen zu haben, als er gedacht hatte. Seine Beine waren vom langen Liegen und den engen Fesseln geschwollenen und fast gefühllos. Wie einen nassen Sack ließ er sich mitschleifen, sog Kraft aus dem Schmerz, als das Blut in seinen Gliedern begann, wieder zu zirkulieren. Vor der Treppe rissen sie ihn hoch, stießen ihn nach vorn und lachten hämisch auf, als er stolperte. Steve stöhnte laut auf, ließ sich von groben Händen wieder hoch ziehen und stolperte gebeugt und scheinbar geschlagen zwischen ihnen den Rest der Treppe hinauf und einen langen, dunklen Gang entlang, eine weitere Treppe hinauf, bis sie endlich vor einer breiten Tür standen. Einer der Männer klopfte an.

Steve erkannte Jacques in dem Mann, der ihnen öffnete und mit einer knappen Kopfbewegung bedeutete einzutreten. Er hasste den untersetzten kräftigen Mann mit den Pockennarben für das, was er ihm am Tag zuvor angetan hatte. Oder war es vor zwei Tagen gewesen? Er wusste es nicht. Nur eines wusste er mit Sicherheit: Jacques würde dafür bezahlen. Steve hob den Kopf und erwiderte Jacques’ Blick scheinbar furchtsam. Jacques’ zufriedenes Grinsen sagte ihm, dass er den Bluff geschluckt hatte. Steve musste sich zusammennehmen, um nicht vor ihm auf den teuren dicken Perserteppich zu spucken und seine wahren Gefühle zu verraten.

Als er wieder aufsah, sah er sie. Sie stand mit dem Rücken zu ihm vor dem großen Schreibtisch, sah sich nur kurz um, als er und die anderen Männer den Raum betraten. Sie musste es sein, Joanna Saxton, die Frau, wegen der er gekommen war, auch wenn ihr bleiches Gesicht mit den stumpf wirkenden Augen nichts mit dem lebenslustigen Mädchen gemein zu haben schien, von dem der alte Saxton ihm wieder und wieder erzählt hatte. Nur das flammend rote Haar ließ das Feuer vermuten, das in ihr stecken sollte. Ihre Kleidung war eher die einer Magd. Ein einfaches graues Wollkleid schlotterte um ihre Hüften, ein dunkelgrüner Schal war ihr von der Schulter gerutscht und hing halb auf dem Boden. Und trotzdem verrieten die aufrechte Haltung und die Art, wie sie ihren Kopf hielt, ihre edle Abstammung. Er hatte eine Lady vor sich, kein Zweifel. Ihre Ahnenreihe reichte wahrscheinlich weiter zurück als die Geschichte dieses elenden Steinhaufens, den sie ihr Zuhause nannte. Green Hall. Es war ihm ein Rätsel, wie das graue, U-förmige Haus mit seinen Fenstern aus dunkelbuntem Glas und den dicken Mauern zu diesem Namen gekommen war.

Steve wandte seine Aufmerksamkeit dem Mann hinter dem riesigen Schreibtisch aus Mahagoni zu. Aus seiner arroganten Haltung und einer nicht zu leugnenden Ähnlichkeit mit dem alten Lord Saxton schloss Steve, dass es sich um Andrew Saxton handeln musste. Das Auffallendste an dem mittelgroßen Mann mit dem gepflegten Schnauzbart und dem schütteren hellen Haar waren seine kleinen, auf eine seltsame Art farblosen Augen, die sich unentwegt unruhig hin und her bewegten. Irgend etwas schien den Mann nervös zu machen, der jetzt aufstand und um den Tisch herum zu der Frau ging.

„Mein Töchterchen wollte also ausfliegen“, murmelte Saxton sanft und leicht ungläubig. „Wirklich erstaunlich.“

Hörte Steve in seinen Worten so etwas wie Stolz? Er musste sich getäuscht haben, denn im nächsten Moment schlug Saxton der Frau mit der flachen Hand ins Gesicht. Nicht wirklich fest, und doch taumelte sie nach hinten. Saxton griff nach ihr und hielt sie fest, als wolle er sie vor einem Fall schützen. Steve musste sich täuschen, denn das passte nicht zum harten Tonfall seiner nächsten Worte.

„Versuch das nicht noch einmal mit mir! Dein Gatte wäre sicher ungehalten, wenn er den weiten Weg hierher macht und du bist nicht da. Das möchten wir doch beide nicht, oder?“

Saxtons Sarkasmus ließ sie zusammenzucken, als habe er sie noch einmal geschlagen.

„Also hatte Isa wirklich recht. Du schickst mich zu diesem Ungeheuer zurück“, flüsterte sie entsetzt.

„Warum sollte ich nicht? Er ist dein Mann. Du kannst von Glück sagen, dass er so nachsichtig ist.“

Joanna lachte hysterisch auf. „Wie kannst du nur?“ Ihre Stimme zitterte. „Dieser Mann ist eine Bestie. Aber deswegen versteht ihr euch ja auch so gut, nicht wahr?“

Saxton schlug erneut zu. Dieses Mal war er es, der von dem Schlag, dem jede Kraft gefehlt hatte, ins Taumeln geriet.

Steve zog die Augen zusammen. War der Mann betrunken? Joanna richtete sie sich kerzengerade auf und spuckte ihrem Vater verächtlich ins Gesicht. Doch die Genugtuung, die sie dabei empfand, verwandelte sich innerhalb von Sekunden in starre Angst, als sie das eigenartige Glitzern in den Augen ihres Vaters sah, während er sich den Speichel mit seinem spitzengesäumten Taschentuch abwischte. Sie schluckte und hob schützend ihre Arme, in der Erwartung, dass er wieder zuschlagen würde.

Steve erkannte, dass es Zeit war einzugreifen. „Dein Vater hatte also recht, Saxton. Du bist ein ehrloser Schwächling, der sich an hilflosen Frauen vergreifen muss, um sich stark zu fühlen.“

Jacques nickte dem Hageren kurz zu, der Steve brutal seine Faust in die Rippen schlug.

Dieses Mal musste Steve sein Stöhnen nicht vortäuschen. Er spürte eine seiner Rippen knacken, biss sich auf die Zähne gegen den Schmerz und zwang sich, nicht zurück zu schlagen. Noch war nicht der richtige Zeitpunkt.

Joanna drehte sich um und nahm den Fremden zum ersten Mal richtig wahr. Er war ein großer Mann mit dunklem Haar, das ihm strähnig bis über die Schultern fiel. Sein Gesicht und der dunkle, muskulöse Oberkörper waren von Schlägen gezeichnet. Sein rechtes Auge war zugeschwollen, das linke nur ein schmaler Schlitz, aus dem er um sich blickte wie ein gefangenes, wildes Tier. „Sein Vater? Sie kennen meinen Großvater?“

Bevor sie noch mehr sagen konnte, zog Jacques sie zurück und drückte sie in den Sessel. Dann gab er den Männern einen Wink. Sie zerrten Steve nach vorn und stießen ihn in den zweiten Sessel. Der Dürre mit den drei Fingern richtete seine Waffe gegen Steves Kopf, während die anderen in Alarmbereitschaft neben ihm Aufstellung nahmen.

Steve lehnte sich scheinbar lässig zurück. „Allerdings kenne ich deinen Großvater, Lady“, antwortete er, ohne auf Saxton zu achten, der sich nur mühsam beherrschen konnte. „Er hat mich geschickt, um dich zu holen.“

Ihr Großvater lebte! Joanna konnte es fast nicht glauben. Jetzt würde alles gut! Ihr Großvater würde sie beschützen! Doch ihre Freude wurde gedämpft, als sie den Fremden genauer ansah. Er war kräftig gebaut, das musste sie ihm lassen. Doch die muskulösen Arme lagen schlaff auf seinen Oberschenkeln. Seine Schultern waren zusammengesunken. Entsetzt sah Joanna Spuren von Peitschenhieben auf seiner Haut. Hatte ihr Großvater keinen besseren Mann finden können, um sie zu holen? Warum war er nicht selbst gekommen? Wenn der Mann neben ihr ihre Rettung hätte sein sollen, dann waren sie beide verloren. Joanna wandte den Kopf, um ihn und damit ihre letzte gescheiterte Hoffnung nicht länger ansehen zu müssen.

Obwohl das genau sein Plan war, verfluchte Steve sie dafür, dass sie ihn als ungefährlich abtat.

„Wo ist der alte Narr?“ fragte Saxton, der sich hinter seinen Schreibtisch zurückgezogen hatte.

Als Antwort zuckte Steve nur mit den Schultern.

„Wie Sie wollen. Mein Schwiegersohn wird jeden Augenblick hier sein. Ich bin sicher, ihm werden Sie sagen, was Sie wissen.“

Steve schwieg mit gesenktem Blick. Schwiegersohn? Der alte Lord hatte nichts davon gesagt, dass sein Enkelin verheiratet war. Im Gegenteil…

„Soll ich ihn zum Reden bringen?“ Jacques’ Hand schloss sich um den glänzenden Griff seiner Pistole.

Saxton nickte kurz. „Aber übertreib es nicht. Er nützt uns nichts mehr, wenn er tot ist.“

Jacques grinste und schlug Steve mit aller Kraft seine Faust in den Magen. Steve krümmte sich, gab jedoch keinen Laut von sich.

Joanna sah mit weit aufgerissenen Augen von ihrem Vater zu dem Fremden und zurück.

„Was ist nur aus dir geworden?“ fragte sie leise. „Woher kommt dieser unendliche Hass?“

„Es wäre besser für dich, mein Täubchen, wenn du nicht so viele Fragen stellen würdest, habe ich nicht recht, Sir?“ fragte Jacques selbstgefällig.

„Allerdings. Aber ich bin sicher, Montigny wird ihr das schnell wieder austreiben.“

Joanna zuckte zusammen und ballte die Hände zu Fäusten, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Steve beobachtete sie aufmerksam. Ihre kleine dünne Gestalt schien in dem großen braunen Ohrensessel zu verschwinden. Sie wirkte geradezu winzig, fast wie eine Porzellanpuppe mit ihrem blassen Gesicht und den weit aufgerissenen grünen Augen. Alarmglocken schellten plötzlich in Steves Kopf, und er riss sich von ihrem Anblick los.

„Montigny? Ralph de Montigny?“

„Sie kennen ihn?“

„Wir sind uns noch nicht persönlich begegnet.“ Innerlich stöhnte Steve auf. Das war es gewesen! Hier hatte er den Grund, warum er erwartet worden war. Es gab also eine Verbindung zwischen Saxton und Montigny. Steve fragte sich, ob der alte Lord von dieser Verbindung gewusst hatte, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. Er hätte ihn gewarnt, allein schon, um seine Enkelin zu schützen.

„Ich frage ungern zweimal. Wo ist mein Vater?“ Saxton schlug mit der Faust auf den Tisch

„Warum sind Sie so erpicht darauf, ihn wieder zu sehen? Vor noch gar nicht langer Zeit konnten Sie es kaum erwarten, ihn den Fischen vorzuwerfen.“

Joanna sog die Luft ein und starrte Saxton ungläubig an. „Du wolltest Großvater töten? Warum in Gottes Namen?“

„Du solltest nicht alles glauben, was man dir erzählt“, gab Saxton zurück, doch seine Gelassenheit bröckelte.

Neugierig folgte Steve dem Wortgeplänkel, das seinen Wächter leider nicht genug ablenkte, um ihm Gelegenheit zu geben, ihm die Waffe aus der Hand zu schlagen. Jacques hatte die Männer gut unter Kontrolle. Sie alle ließen Steve nicht einen Augenblick aus den Augen.

Saxton wandte sich wieder an Steve. „Wenn du diesen Tag überleben willst, redest du besser jetzt gleich.“

„Machen wir uns doch nichts vor“, entgegnete Steve. „Ich werde diesen Tag so oder so nicht überleben, wenn es nach Ihnen oder ihm geht.“ Sein Blick wanderte von Saxton zu Jacques.

„Du nimmst dein Maul verdammt voll, Buchanan!“

Steve würdigte Jacques keiner Antwort.

Einige Augenblicke lang sagte niemand in dem großen Raum ein Wort. Joanna war viel zu sehr damit beschäftigt, nicht zu zeigen, wie sehr sie der Verrat ihres Vaters getroffen hatte.

Auch Steve hing seinen Gedanken nach. Die junge Frau hatte Mut, das musste er ihr lassen. Das würde es einfacher machen, mit ihr zusammen zum Schiff zu kommen, sobald er einen Weg gefunden hatte, zu fliehen.

Plötzlich drangen laute Rufe von draußen ins Zimmer. Jacques ging zum Fenster und sah hinaus. Dann drehte er sich um und nickte. „Er kommt.“

Joanna musste nicht fragen, wer Er war, um zu wissen, wessen Pferd die lange Auffahrt zum Haus herauf galoppierte. Sie sank noch mehr in sich zusammen.

Dann ging plötzlich alles sehr schnell. Die Tür wurde aufgestoßen und schlug krachend gegen die Wand. Joanna sprang erschrocken auf. Ein Mann Ende Zwanzig mit einer doppelläufigen Flinte kam in den Raum. Erstaunt erkannte sie Tom, ihren Spielgefährten aus Kindertagen und späteren Stallburschen von Green Hall. Was tat er hier? Er hatte sie verraten und war schon vor Monaten reichlich entlohnt verschwunden! Ihm folgte die alte Isa, deren rechte Schläfe sich dunkelblau verfärbt hatte. Auch sie trug ein altes Gewehr. Der Mann mit den drei Fingern nahm den Lauf seiner Waffe von Steves Kopf und richtete ihn gegen die Eindringlinge. Das war sein Fehler - der letzte, den er je begehen sollte.

Steve, der nur auf eine solche Gelegenheit gewartet hatte, sprang blitzschnell aus seinem Sessel und legte dem Mann die gefesselten Hände um den Hals. Seine Kumpane wollten sich auf Steve stürzen, aber ein gezielter Schuss aus Toms Gewehr hielt sie zurück.

„Der nächste, der sich bewegt, ist ein toter Mann“, sagte Tom ruhig und legte erneut an. „Los, an die Wand mit euch Halunken.“

Widerstrebend gehorchten sie.

Steve drückte seinem Opfer die Kehle zu. Der Mann röchelte und drückte ab, doch der Schuss fuhr in die Wand, ohne jemanden zu verletzen.

Saxton versteckte sich hinter seinem Schreibtisch.

Auch Jacques war zu klug, um einzugreifen. Isa ging direkt auf ihn zu, den Lauf des Gewehres auf seine breite Brust gerichtet. Steve konnte den mörderischen Hass in ihren Augen flackern sehen und zweifelte keine Sekunde daran, dass sie abdrücken würde, wenn Jacques ihr auch nur den geringsten Anlass dazu gab. Das schien auch Jacques klar zu sein. Er hob demonstrativ die Hände und trat einen Schritt zurück.

Steve ließ den leblosen Mann in seinen Armen zu Boden fallen und zog ihm sein Messer aus der Scheide. Dann drehte er sich zu Joanna um. „Schneide die Fesseln durch!“

Joanna nickte. Mit zitternden Händen durchtrennte sie seine Fesseln.

„Sammle ihre Waffen ein, Isa, und pass auf, dass du mir nicht in die Schusslinie läufst.“ Tom hielt Saxtons Männer in Schach.

Steve griff nach der Waffe des Mannes, den er überwunden hatte. Dann packte er Joannas Oberarm und zog sie rückwärts mit sich zur Tür. Sie ließ es widerstandslos geschehen.

„Narren! Ihr werdet dieses Haus niemals lebend verlassen!“ brüllte Saxton ihnen mit sich überschlagender Stimme nach.

„Wir werden sehen“, antwortete Steve ruhig und nickte Tom und Isa zu, ihnen zu folgen.

Von unten drang heftiges Klopfen an der Eingangstür herauf.

Draußen auf dem Gang sah Tom sich hastig um und verriegelte die Flügeltüren der Bibliothek mit Hilfe eines rostigen Schwertes der Ritterrüstung gegenüber.

„Wohin jetzt?“ fragte Steve.

Tom nahm Isa zwei der eingesammelten Revolver ab und steckte sie hinter seinen breiten schwarzen Hosengürtel. Er zuckte mit den Schultern. „Fragen Sie Lady Joanna, sie kennt sich hier am besten aus.“

Steve ergriff den letzten Revolver und wandte den Kopf zu Joanna. „Also?“

„Wo ist der Idiot?“ hallte es durch die Halle herauf. Joanna erkannte die harte Stimme ihres verhassten Mannes und versteifte sich. Nichts um sie herum war mehr wichtig. Nur noch ein Gedanke beherrschte sie: Gleich würde er sie holen. Sie reagierte nicht auf Steves Frage.

Tom packte ihren linken Oberarm und schüttelte sie leicht. „Joanna, wohin jetzt?“

„Du hast uns verkauft!“ flüsterte sie und entzog sich seinem Griff. „Geh!“

Isa schob Tom zur Seite und sah Joanna beschwörend an. „Er hat uns nicht verraten, Mädchen! Komm jetzt, wir haben keine Zeit für Erklärungen. Du weißt, wer da unten ist! Also reiß dich zusammen, oder willst du, dass wir alle sterben?“

Joanna sah zögernd von Isa zu Tom und zurück. Isa verteidigte Tom! Sie vertraute Isa, aber sie hatte auch Tom vertraut. Joannas Hände wurden feucht und kalt. Ihr Herz begann zu rasen. Von unten näherten sich Schritte. Was sollte sie tun?

Steve beobachtete ungeduldig die Emotionen, die in Joannas Augen aufflackerten. Panik, Resignation, Ablehnung, Hoffnung. Er wollte sie packen, schütteln, damit sie sich zusammenriss, doch das war nicht nötig. Sie schien zu einem Entschluss gekommen zu sein.

„Kommt!“ hauchte Joanna und lief los. Sie wusste nicht, woher sie ihre Energie nahm. Wo sie noch einen Augenblick zuvor nur Furcht gespürt hatte, war jetzt eine verzweifelte Entschlossenheit. Sie musste handeln, solange sie anhielt, ehe Furcht und Hilflosigkeit sie wieder beherrschen würden, und sie wusste, dass dieser Augenblick nur zu schnell kommen würde. Hastig hob sie ihren Rock an und lief den Flur entlang in den hinteren Teil des Gebäudes.

Die anderen folgten ihr. Joanna rannte geradewegs in das Zimmer, das früher ihr Großvater bewohnt hatte und in das ihr Vater gezogen war, nachdem sie Nachricht von seinem Tod erhalten hatten. Sie hoffte inständig, dass nicht auch diese Tür zum Geheimgang verriegelt war.

Steve eilte als letzter über den abgetretenen roten Teppich, vorbei an den Bildern ihrer Ahnen, und kam in ein Zimmer, das alles, was er bisher in Green Hall gesehen hatte, in den Schatten stellte. Die Flure und Räume, in denen er bisher gewesen war, hatten von altem Namen und vergehendem Reichtum erzählt. Dieser Raum war angefüllt mit alten Büsten und riesigen chinesischen Vasen. Möbelstücke aus mehreren Jahrhunderten füllten fast jeden Zentimeter des großen Raumes. Nicht unbedingt ein Zeichen guten Geschmackes, aber das Zeug musste ein Vermögen gekostet haben.

Erleichtert registrierte Joanna, wie die Geheimtür hinter dem großen Bett sich öffnete, nachdem sie den versteckten Mechanismus in einem der Bettpfosten bedient hatte.

„Beeilt euch, Montigny bricht gerade die Tür zur Bibliothek auf!“ raunte Tom ihnen zu und verbarrikadierte die Schlafzimmertür mit einem massiven Holzstuhl.

Joanna zögerte kurz und zog Isa dann mit sich. Sie mussten über das Bett und durch eine schmale Öffnung über dem Kopfende in das dahinter liegende Labyrinth kriechen.

Steve warf einen abschätzenden Blick auf Tom. Die Lady und ihre Amme schienen ihn zu kennen, aber er machte nicht den Eindruck eines Edelmannes oder auch nur eines Hausangestellten mit seinem kurz geschorenen blonden Haar und stahlblauen Augen, die Steve aus Toms sonnenverbranntem Gesicht anstarrten. Seine Hose, die in klobigen Arbeitsstiefeln steckte, war ihm mindestens zwei Nummern zu groß und starrte vor Schmutz. Nur ein breiter Gürtel hielt sie um seine schmalen Hüften. Darüber trug er ein offenes weißes Hemd, das auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. Tom zog die Mundwinkel unter Steves abschätzendem Blick spöttisch nach oben und kroch dann durch die schmale Öffnung. Steve folgte ihm widerwillig. Er hatte weder Joannas Worte draußen auf dem Gang vergessen, noch entging ihm ihr misstrauischer Blick, mit dem sie Tom musterte, bevor sie die Tür von innen verschloss und den Hebel blockierte. Undurchdringliche Dunkelheit verschluckte sie. Immerhin konnten sie in dem Gang selbst aufrecht stehen. Bevor die Tür sich geschlossen hatte, hatte Steve noch sehen können, dass sie am oberen Ende einer steilen Treppe standen.

Für einen Augenblick bewegte sich niemand. Steve konnte hören, wie eine der Frauen tief durchatmete. Dann drängte sie sich mit raschelnden, nach Lavendel duftenden Röcken an ihm vorbei. Joanna. Steve, der genau vor der steil in die Tiefe führenden, engen Treppe stand, nahm ihren Arm, um ihr auf die Stufen zu helfen. Als er sie berührte, zuckte sie zusammen und stolperte. Er ließ sie augenblicklich los, als habe er sich verbrannt. Zum Glück fing einer der anderen sie auf, ehe sie die steile Treppe vor ihnen hinabstürzte.

„Pass doch auf“, fuhr eine dunkle Männerstimme Steve an. Tom.

„Weiß sie wirklich, was sie tut?“ gab Steve hart zurück. „Ich habe keine Lust, mir in diesen stickigen Mauern den Hals zu brechen oder zu verrotten, weil wir uns verirrt haben.“

„Sie weiß genau, was sie tut, und jetzt halten Sie uns nicht länger unnötig auf“, antwortete Isa ungehalten und tastete nach Steves Hand.

Steve blieb nichts anderes übrig, als ihre Hand zu greifen und ihr zu folgen.

„Haltet euch an den Händen“, ermahnte Joanna die anderen, nachdem sie sich wieder gefangen hatte, und drückte Toms Finger so fest sie konnte, um gegen die Panik anzukämpfen die die Dunkelheit und die Berührung des Fremden in ihr ausgelöst hatten.

Die völlige Dunkelheit um sie herum, so bedrohlich sie auch wirkte, war ihre einzige Rettung. Joanna musste ihren Weg finden. Um sich besser konzentrieren zu können, schloss sie die Augen und tastete sich langsam Stufe für Stufe an der Wand entlang. Joanna wusste, dass die Treppe Abzweigungen hatte, die nirgendwohin führten. Sie zählte die Abzweigungen auf der rechten Seite, wie ihr Großvater es ihr beigebracht hatte, und betete unablässig, dass sie sich nicht verlaufen würde. Es war so lange her, dass sie in diesen Mauern unbeschwert auf Entdeckungsreisen gegangen war. So lange.

Steve hatte das Gefühl, dass die dicken, jahrhundertealten Mauern ihn erdrücken würden. Es war ihm ein Rätsel, wie jemand freiwillig in einem solchen Haus leben konnte, und verfluchte einmal mehr, dass er sich darauf eingelassen hatte, allein nach Green Hall zu kommen.

Die Stufen waren sehr schmal und an manchen Stellen glatt von Moos und Wasser und, dem Geruch nach zu urteilen, Rattenexkrementen und wusste der Henker, wovon noch. Er hatte mehr und mehr Schwierigkeiten, den anderen zu folgen, ohne zu stolpern. Die Schmerzen seines zerschlagenen Körpers steigerten seine Begeisterung für diesen Fluchtweg nicht gerade, zumal er nicht zum ersten Mal eine Kollision seiner aufgeplatzten Schulter mit der rauen Steinwand nicht vermeiden konnte. Je eher sie dieses Loch verließen, desto besser.

Joanna hingegen fing sich mit jedem Schritt, den sie machte, spürte, wie die die Bedrohung durch die Dunkelheit und die kalten Steinmauern zurückwich. Angeblich gab es Geister in diesen Gängen. Es war ihr egal. Für sie waren Geister und Grauen in Gestalt ihres sadistischen Mannes hinter ihr. Jetzt mussten sie gleich an der Stelle sein, an der eine der Stufen fehlte. Joanna ging langsamer und tastete sich vor jedem Schritt vorsichtig nach vorn. Ihr Fuß trat ins Leere. Eine große Hand fasste sie von hinten. Tom hatte es auch nicht vergessen!

„Vorsicht!“ raunte er ihr zu.

Joanna nickte, dann fiel ihr ein, dass er sie nicht sehen konnte. „Ich weiß“, flüsterte sie zurück.

„Passt auf, hier fehlt eine Steinplatte. Eine kleine Stolperfalle für unerwünschte Eindringlinge. Weiter unten ist noch eine.“

„Für einen Stalljungen kennst du dich gut aus“, brummte Steve.

„Halt den Mund und komm weiter“, gab Tom hart zurück.

Joanna zählte die Stufen und bog schließlich nach rechts in einen noch schmaleren Gang.

Steve fluchte leise, als er sich den Kopf an der niedrigen Decke stieß.

Joanna blieb stehen und tastete an der Wand entlang. Nicht lange, und sie hatte gefunden, was sie gesucht hatte: einen Stein, kleiner als die anderen, der sich nach außen ziehen ließ, wenn man gleichzeitig weiter oben gegen die Wand drückte. Ein größerer Steinblock schien sich zu bewegen. Das Kratzen von schwerem Stein auf Stein hallte an den Wänden entlang und kam zu ihnen zurück.

„Vorsicht, wir müssen uns bücken, tief bücken. Die Öffnung ist nur hüfthoch.“ Joanna tastete sich vorsichtig nach unten und auf die andere Seite der Wand. Die anderen folgten ihr. Joanna suchte den Mechanismus auf der anderen Seite, um die Geheimtür wieder zu schließen.

„Ich dachte mir immer, dass es hier weitergehen müsste“, flüsterte Tom, „aber er hat es mir nie gezeigt.“

„Vater hat sie mir vor einigen Jahren gezeigt, aber ich musste ihm versprechen, niemandem davon zu erzählen.“ Joanna dachte zurück an den Tag, an dem der Mann, der ihr längst fremd geworden war, sie an die Hand genommen und ihr diesen Ausgang gezeigt hatte.

Er führte an der Rückseite des Hauses ins Freie. Für Notfälle, hatte er gesagt. Joanna lächelte freudlos. Sie bezweifelte, dass er damit eine Flucht vor ihm selbst gemeint hatte. Das Gefühl des glatten kleinen Zwischenraumes unter ihren suchenden Fingern riss sie aus ihrer Erinnerung. Sie drückte sie ein. Noch bevor sich der Stein deutlich hörbar in Bewegung setzte und die Öffnung wieder verschloss, erklang ein anderes Geräusch, das sie zusammenzucken ließ. Eine Stimme irgendwo in dem Gang hinter ihnen. Seine Stimme. Jemand schob sie nach vorn. Zögernd setzte sie einen Fuß vor den anderen. Montigny hätte inzwischen genug Zeit gehabt, ihren Vater und seine Männer zu befreien und ihnen zu folgen. Gott, war er ihnen schon so nahe, dass sie ihn hören konnte? Joanna blieb ruckartig stehen und versuchte, gegen die aufsteigende Panik anzukämpfen. Es war, als riefen die Mauern ihren Namen, als knallten Peitschenhiebe gegen sie, laut hallend, näher kommend. Etwas griff nach ihrem Hals, schnürte ihr die Luft ab. Eine Eisenklemme legte sich um ihr Herz. Das Ziehen in ihrem Bauch nahm zu. Joanna griff hinter sich, bekam Isas Rock zu fassen, und krümmte sich zusammen.

„Kindchen!“ rief Isa erschrocken aus und tastete besorgt nach Joannas gebeugten Schultern. „Was ist denn mit dir?“

„Joanna, was haben Sie?“ fragte auch Tom und tastete nach ihr.

Mühsam richtete Joanna sich wieder auf. „Er ist hier! Er ist hier!“ murmelte sie unablässig und drängte sich schutzsuchend in Isas Arme.

„Los, wir müssen weiter!“ Auch Steve hatte die Stimmen gehört.

„Niemand ist hier, Lämmchen, wir sind allein, und du wirst uns nach draußen führen, hörst du?“ flüsterte Isa.

„Er ist hier, ich höre ihn ganz deutlich! Er ruft nach mir. Isa, hilf mir, ich will nicht zurück! Er wird mich umbringen, du weißt, dass er mich dieses Mal umbringen wird!“ Joannas Stimme wurde schrill. Sie löste sich von Isa und drehte sich orientierungslos um sich selbst. „Oh, Gott, er ist überall!“

Steve verfluchte die Dunkelheit und tastete vorsichtig nach hinten, während er gleichzeitig nach dem raschelnden Rock vor ihm griff. Kein Lavendel. Er ließ los und bekam diesmal die richtige Frau zu fassen. Die Geheimtür hinter ihnen hatte sich wieder geschlossen.

„Ruhe verdammt!“ rief Steve. „Wir haben einen kleinen Vorsprung, bis sie die Tür wieder geöffnet haben. Los!“

Joanna wehrte sich und schluchzte laut auf.

„Beruhige dich gefälligst“, zischte Steve ihr zu. „Dein hysterisches Kreischen können wir jetzt nicht gebrauchen!“ Er tastete vor sich, bis er Isa greifen konnte und schob ihr Joanna zu. „Sorgen Sie endlich dafür, dass sie den Mund hält und uns hier raus bringt!“ Er hörte, wie Tom scharf die Luft einzog und dann ruhig mit Joanna sprach. „Jo, wo sind wir?“

Ein weiteres Schluchzen.

„Jo, vielleicht kann ich uns hier raus bringen, aber dazu muss ich wissen, wo wir sind.“

„Unter der Küche“, flüsterte Joanna.

Steve drehte sich um und horchte nach hinten. Es war unmöglich, durch die dicke Wand zu hören, wie nah die Verfolger bereits waren. Joanna hatte sich noch immer nicht beruhigt. „Stallbursche, kennst du den Weg hier raus?“

Plötzlich presste ihn Toms harter, nach Schweiß riechender Männerkörper an die Wand. „Vielleicht, wenn du mich ganz freundlich bittest“, zischte er Steve mit heißem Atem ins Gesicht. Von der anderen Seite konnten sie hören, wie jemand mit einem metallenen Gegenstand an die Wand klopfte. „Kommt!“

Steve wurde nach vorn gezogen, eine kleine Hand, wahrscheinlich Isa, griff hart in seinen nackten Oberarm und zog ihn mit.

Sie hasteten eine kurze Strecke geradeaus, dann nach rechts und gleich wieder nach links. Dann blieb Tom abrupt stehen.

„Was ist? Warum geht es nicht weiter?“ stieß Steve zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Er tastete an Tom vorbei und fand, was er befürchtet hatte. Sie standen vor einer weiteren Wand. „Ich glaube es einfach nicht, er hat uns in eine verdammte Sackgasse geführt. Ein großartiger Held bist du, Junge!“

„Wer hat gesagt, ich wäre ein Held?“ gab Tom mühsam beherrscht zurück. „Ich dachte, ich wäre schon einmal hier gewesen, und das ist Jahre her. Hier hätte eine Öffnung sein sollen, keine Wand, verdammt!“

Hinter ihnen ertönte das Kratzen von Stein auf Stein. Ihre Verfolger öffneten die Geheimtür. Steve fluchte lautlos. Sie saßen in der Falle. Er atmete tief durch, schob die Frauen hinter sich. Sie konnten nicht weiter, also blieb nur der Weg zurück. Steve war sich ziemlich sicher, dass ihre Verfolger ihnen nicht blind folgten, sondern Fackeln dabei haben würde. Wenn sie hier blieben, hätten sie keine Deckung, aber ein paar Meter zurück waren sie abgebogen. Es war die einzige Stelle, an der er auch nur den Hauch einer Chance hätte, zumindest ein paar von ihnen auszuschalten, ehe sie sie entdecken würden. „Bleib mit den Frauen hier“, wies er Tom an. Vielleicht findet ihr einen Weg nach draußen. Ich halte sie auf, solange ich kann.“ Ein beschissener Plan, das war ihm selbst klar, aber der einzige, der ihm einfiel.

„Warten Sie“, hielt Joannas leise Stimme ihn auf.

Joanna hörte deutlich die Stimme ihres verhassten Mannes zu ihnen herüber hallen. Doch statt sie weiter zu lähmen vor Furcht, gab sie ihr noch einmal Kraft. Niemand würde ihr helfen können, wenn sie es nicht selbst tat. Sie tastete die Wand ab, fand, wonach sie gesucht hatte, und schob einen kleinen runden Stein zur Seite. Eine niedrige schmale Tür öffnete sich, und im nächsten Augenblick blendete Tageslicht ihre Augen.

Steve drängte sich an den anderen vorbei und ging als erster nach draußen. Er kniff sein noch sehendes Auge zusammen und sah sich wachsam um. Vor der Mauer wuchs eine Reihe fast mannshoher Sträucher, die sie vor neugierigen Blicken schützten. Er schob ein paar Zweige zur Seite und spähte hinaus. Vor ihm lag ein weitläufiger Park. Sie mussten sich auf der Rückseite des Herrenhauses befinden. Nur wenige große alte Eichen wuchsen auf dem gepflegten Rasen, der rechts und links von einer dichten Hecke gesäumt wurde.

„Hier entlang!“ Tom lief an ihm vorbei und zwischen Hecke und Mauer nach links. „Ich habe Luzifer und eine der Stuten weiter vorn versteckt.“

„Luzifer?“ Joanna fasste neuen Mut. Mit dem treuen Hengst würde niemand sie einholen können. Nicht einmal Montignys Pferd lief so schnell und sicher wie er.

Steve, Joanna und Isa folgten dicht hinter Tom. Sie hatten die Pferde fast erreicht, als hinter ihnen Rufe erklangen.

„Da! Da sind sie! Wir haben sie!“

„Schnell, folgt ihnen!“

Joanna sah sich erschrocken um.

Jacques und zwei Männer kamen aus dem Geheimgang und richteten ihre Pistolen auf sie. Im nächsten Moment fielen die ersten Schüsse.

Joanna stolperte über eine Baumwurzel und fiel mit einem erstickten Schrei zu Boden. Sofort waren Tom und Isa bei ihr und zogen sie wieder hoch.

„Alles in Ordnung?“ fragte Tom besorgt.

Joanna nickte nur schmerzerfüllt. Als Tom sie stützen wollte, wich sie zurück.

„Ich tue Ihnen nichts, kommen Sie“, versuchte Tom sie zu beruhigen.

Joanna schüttelte den Kopf und presste sich an die Wand hinter ihr.

Steve schob Tom zur Seite und zog sie mit hartem Griff vorwärts. „Genug jetzt, weiter!“

Eine Kugel prallte von der Wand ab und flog schräg nach oben über ihre Köpfe hinweg.

Joanna zuckte zusammen und sagte nichts mehr, als Tom erneut ihren Arm nahm und sie stützte. Wenige Meter weiter warteten Joannas treuer rabenschwarzer Hengst Luzifer und eine Fuchsstute unter einer alten Buche auf sie. Tom half Joanna auf den Hengst und übergab ihr die Zügel.

In diesem Moment fiel ein weiterer Schuss.

Isa riss die Arme hoch und sah Joanna ungläubig an.

Fassungslos musste Joanna zusehen, wie ihre alte Amme tödlich getroffen zu Boden fiel. Joanna verlor endgültig die Beherrschung und begann zu schreien.

Steve stieß einen heftigen Fluch aus und stieg mühsam auf die Stute.

Tom sprang hinter Joanna in den Sattel und griff um ihre dünne Taille herum nach den Zügeln.

Noch immer schrie sie. Kurzerhand ritt Steve neben sie und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. Ihr Schreien ging in ein leises Wimmern über. Steve ignorierte Toms zornigen Blick und drückte der Stute die Hacken in die Flanken. Das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten, war eine hysterische Frau. Gleich mehrere Kugeln fuhren knapp neben ihm in den Baum. Er duckte sich über den Hals des Pferdes und trieb es vorwärts.

So schnell sie konnten, ritten sie über den Rasen. Tom übernahm die Führung und lenkte Luzifer in einem Bogen direkt auf die etwa anderthalb Meter hohe Hecke nach links zu. Steve folgte direkt hinter ihm. Der Hengst sprang trotz der doppelten Last elegant und sicher über das Hindernis. Dann fiel ein einzelner Schuss. Steves Stute strauchelte kurz, fing sich jedoch wieder, und preschte an Luzifer vorbei. Aus dem Augenwinkel konnte Steve sehen, wie der Hengst jedoch abrupt stehenblieb und zusammenbrach. Steve drehte seinen Kopf und sah, wie Tom und Joanna aus dem Sattel fielen. Tom blieb nicht weit entfernt von dem sterbenden Hengst bewegungslos liegen.

Steve zügelte sein Pferd und blieb einen Augenblick stehen. Die Stute schnaufte ungehalten. Hinter der Hecke konnte Steve Montignys Männer näher kommen sehen. Jetzt rappelte Joanna sich auf und ging wie in Trance auf den sich vor Schmerzen windenden Hengst zu. Ihr Blick war starr auf die Halswunde des großen Tieres gerichtet, das sich hilflos aufbäumte und immer wieder laut wieherte. Steves Blick ging zwischen ihr und den Verfolgern hin und her. Jeden Augenblick konnte Joanna unter die wild tretenden Hufe des Pferdes geraten, oder eine Kugel konnte sie erreichen.

Fluchend lenkte Steve die Stute herum zurück zu ihr. Ohne das Pferd zu verlangsamen, beugte er sich weit aus dem Sattel und zog Joanna quer vor sich über das Pferd. Als ihm dabei vor Schmerzen schwarz vor Augen wurde, schüttelte er unwillig den Kopf und trieb die Stute noch härter an. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Tom sich schwankend erhob und davon taumelte. Der Junge hatte ihm wahrscheinlich das Leben gerettet, doch es gab nichts, was Steve im Moment für ihn tun konnte.

Ihre Verfolger konnten ihnen ohne Pferde nicht folgen und blieben zurück.

Steve hätte schwören können, dass er Jacques fluchen hörte. Immer weiter entfernten sie sich von Green Hall und ihren Feinden. Eine Schafherde stob blökend auseinander, als Steve über eine niedrige Hügelkuppe mit saftigem grünen Gras preschte. Es war nicht weit bis zum Meer, aber die Blizzard Wolf kreuzte weiter südwestlich vor der Küste. Um sie zu erreichen, musste er den Fowey überqueren, und dazu hatte er auf der Hinreise nur eine gute Stelle entdeckt. Am anderen Ufer lag ein kleiner Wald, der sie eine Weile vor den Blicken ihrer Verfolger schützen würde. Steve lenkte die Stute in die Richtung.

Nicht lange, und er konnte das Donnern von Hufen schräg hinter sich hören. Er drehte den Kopf und atmete gepresst aus. Ein ganz in Schwarz gekleideter Mann auf einem großen, grauen Pferd kam von links über eine Bodenwelle immer näher. Sein helles Haar wehte im Wind. Noch war er zu weit entfernt, aber Steve wusste instinktiv, dass es Montigny war. Die Schritte der Stute begannen unsicher zu werden. Steve würde das andere Ufer mit Montigny im Nacken nicht erreichen. Noch war Montigny der einzige Verfolger. Steve drückte der Stute die Hacken in die Flanken und trieb sie zu einem neuen Galopp an. Er konnte bereits das Rauschen des vom Regen stark angeschwollenen Flusses hören und hielt direkt darauf zu. Mit einem Blick über seine Schulter konnte Steve erkennen, dass Montigny nur noch wenige Pferdelängen hinter ihm war. Von den anderen Verfolgern war noch immer niemand zu sehen.

Steve traf eine Entscheidung und riss die Stute herum. Mit beiden Händen in den Zügeln brachte er sie in einen abrupten Stand. Mit zitternden Flanken blieb das Tier unter ihm stehen und schnaubte nervös. Steve fasste Joannas Oberkörper und ließ sie vom Pferd gleiten. Wie eine gliederlose Puppe sackte sie auf den Boden und rollte sich stöhnend zu einer Kugel zusammen. Steve fluchte und trieb die Stute wieder an - zurück zu seinem Verfolger.

Montigny legte seine Pistole auf Steve an und schoss. Zum Glück strauchelte Montygnis Pferd, und die Kugel fuhr weit von Steve entfernt durch die Luft. Als sei er eingeschüchtert, ließ Steve die Stute zum Schein einige Schritte nach rechts laufen, um sie dann blitzschnell wieder herumzuziehen.

Im letzten Moment konnte Montigny einen Zusammenstoß der beiden Pferde verhindern, verlor jedoch seine Waffe.

Steve ritt jetzt parallel zu ihm und stellte sich in den Steigbügeln auf, um zu Montigny hinüber zu springen. Zu spät erkannte er die Peitsche in Montignys Hand, die sich im nächsten Augenblick um seinen Arm legte und ihn zu Boden zog, während Montigny ohne sein Tempo zu verlangsamen weiter auf Joanna zuritt. Der Aufprall presste Steve die Luft aus der Lunge. Benommen blieb er einen Augenblick liegen.

Joanna hockte am Boden und hielt sich ihren schmerzenden Bauch, mit dem sie während ihres Rittes vor dem Fremden genau auf dem Sattelhorn gelegen hatte. Ihr wurde übel, als sie Montigny in dem Mann erkannte, der auf sie zuritt. Sie hatte den Fremden fallen sehen und machte sich keine Illusionen darüber, was als nächstes passieren würde.

Wie immer trug Montigny Schwarz, was ihn im Kontrast zu seinem hellen, fast weißen langen Haar, noch bedrohlicher, noch angsteinflößender aussehen ließ. Er war zu weit entfernt, als dass sie sein Gesicht hätte erkennen können, doch sie brauchte es nicht zu sehen, um zu wissen, dass sich seine dichten Augenbrauen über seinen finster funkelnden grauen Augen zusammenzogen und er sich in seinem kranken Hirn bereits ausmalte, was er mit ihr machen würde.

Ein Zittern durchlief ihren Körper. Sie stand auf und sah sich panisch nach einer Fluchtmöglichkeit um. Hinter ihr floss der Fowey in einer gurgelnden, braunen Masse zum Meer. Dort lag das Schiff des Fremden, hatte er gesagt. Aber wo? Sie war nicht so verrückt, sich die steile Schlammwand hinabzustürzen, nur um dann in den aufgewühlten Fluten des Flusses zu ertrinken. Aber eine andere Fluchtmöglichkeit gab es nicht. Ihre geliebten grasbewachsenen Hügel mit den spärlichen Hecken und einzeln stehenden Bäumen boten ihr keinen Schutz. Sie sah zu Montigny.

„Weib!“ Seine Stimme hallte wie Donner zu ihr herüber.

Oh Gott, was sollte sie tun? Ihr Blick ging zurück zum Fluss Sie wusste, dass jedes Schicksal gnädiger war, als Montigny in die Hände zu fallen, und konnte es trotzdem nicht tun. Eine grenzenlose Furcht lähmte sie. Es gelang ihr nicht, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.

„Oh, mein Gott!“ flüsterte sie kaum hörbar.

Im nächsten Augenblick kam Montignys Pferd vor ihr zum Stehen, und er stieg langsam ab. Die Zufriedenheit eines Jägers, der sein Wild nach langer Jagd gestellt hatte, ließ sein Gesicht leuchten. Er rollte seine lange Peitsche aus und lächelte Joanna unheilvoll an. Noch immer war sie unfähig, sich zu bewegen.

„Komm her, Weib!“ fuhr Montigny sie an.

Joanna schluckte. Sie hatte verloren. Das hier war das Ende. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Leblos starrten ihre Augen geradeaus, während sie einen vorsichtigen Schritt auf ihn zumachte, obwohl alles in ihr schrie, in die andere Richtung zu laufen. Sie hatte nicht länger die Kraft, sich ihm zu widersetzen. Zischend fuhr die Peitsche durch die Luft und hinterließ eine heiß brennende Spur auf ihrem Arm.

„Schneller!“

Sie versuchte, schneller zu gehen. Trotzdem fuhr die Peitsche ein zweites Mal auf sie herab, hinterließ einen weiteren brennenden Striemen. Joanna zuckte nicht einmal zusammen, blickte nur ausdruckslos weiter geradeaus. Die Peitsche und der verhasste Klang seiner Stimme ließen sie ihren Mut endgültig vergessen. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie sich nicht so leicht aus der Fassung bringen lassen. Doch Montigny hatte sie die Bedeutung des Wortes Furcht nur zu gründlich gelehrt. Wie in Trance bewegte sie sich auf ihren Peiniger zu.

„Ich werde dir zeigen, was es bedeutet, dich mir zu widersetzen. Du wirst deinen Ungehorsam bereuen, das verspreche ich dir!“ Montigny hob die Peitsche zu einem weiteren Schlag, kam jedoch nicht mehr dazu, ihn auszuführen. Eine Kugel fuhr ihm in die rechte Schulter und riss ihn herum.

Ungläubig sah Joanna ihn taumeln. Wer auch immer geschossen hatte, er musste weit von ihnen entfernt sein. ,Lauf! ’ rief eine innere Stimme ihr zu. Sie blieb stehen, wo sie war, und sah mit weit aufgerissenen Augen den Reitern entgegen, die auf sie zugeprescht kamen.

Ein weiterer Schuss fiel. Im gleichen Augenblick fiel einer der Anreitenden zu Boden. Montigny rappelte sich fluchend wieder auf und lief mit zornentbranntem Gesichtsausdruck auf Joanna zu. Die Peitsche hielt er jetzt in der linken Hand. Ehe er Joanna jedoch erreichen konnte, sprang ein dunkler Schatten über ihn hinweg. Nur undeutlich konnte Joanna Montignys grauen Hengst und den Fremden erkennen, dann wurde sie nach oben gezogen, und lag wieder über dem Rücken eines Pferdes.

„Du verdammte Hure! Ich kriege dich!“ brüllte Montigny ihnen vom Rand der Böschung nach. „Und dann Gnade dir Gott!“

Der Fremde hielt Joanna fest umklammert. Montignys wütenden Schrei und das empörte Wiehern des Hengstes, als er über den losen Schlamm nach unten zum Fluss rutschte, nahm sie nur wie aus weiter Ferne wahr, dann war es vorbei. Ihr Kopf war plötzlich unter Wasser, und sie rutschte vom Rücken des Pferdes in die Fluten.

Ihr Kleid saugte sich augenblicklich voll Wasser und zog sie immer tiefer auf den Grund des Flusses. Für einen Augenblick war sie versucht aufzugeben, allem ein Ende zu machen. Es war so einfach. Unwillig versuchte sie, die Stimme in sich zu überhören, die ihr zurief zu kämpfen. Wozu? Eine merkwürdige Ruhe ergriff Besitz von ihr und vertrieb das Ziehen in ihren Lungen, die schmerzhaft nach Luft schrieen.

Dieser Schmerz war jedoch gering im Vergleich zu dem, der ihr plötzlich in den Kopf fuhr, als sie unvermittelt an den Haaren nach oben gezogen wurde. Sie versuchte sich zu befreien, erfolglos. Endlich durchbrach ihr Kopf die Wasseroberfläche. Sie schnappte nach Luft, das Ziehen an ihren Haaren verschwand, stattdessen legte sich ein harter Arm im ihren Operkörper, wurde sie an den Körper des Fremden gezogen. Joanna versuchte verzweifelt, sich zu befreien, doch er war zu stark, zog sie zu einem treibenden Holzstamm und presste sie dagegen

„Halte dich fest, verdammt!“ brüllte er sie an.

Doch Joanna dachte gar nicht daran. Sie stieß sich an dem Stamm ab, schlug um sich. Es war ihr egal, dass sie Wasser schluckte, dass sie sich das Knie anstieß, sie trat und schlug weiter in Panik um sich.

Dann spürte sie einen heftigen Schmerz am Kinn, und im nächsten Augenblick wurde es dunkel um sie herum.

Joanna

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