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Chapter Ten – I Fucked It Up

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Emma stellte ihren Wagen an der Straße ab und ging auf das kleine französische Café zu. Sie fühlte sich heute überraschend gelöst in Accaciafield. Vermutlich deswegen, weil sie zu hundert Prozent sicher sein konnte, dass kein Advocate je hier auftauchen würde. Die Nachbarstadt war schließlich Bribon-Gebiet.

Die Jungs kamen zwar momentan miteinander aus, aber es war ein wackliger Frieden, der zwischen den beiden MCs herrschte. Sie wussten, dass sie sich gegenseitig brauchten, sie alle wollten zwar keinen Krieg, ganz grün waren sie sich aber trotzdem nicht.

Syd, der President der Advocates, ärgerte sich ständig darüber, dass die Advocates den Bribones zu viel schuldeten. Vor allem seit der Aktion gegen Sonny und JJ. Die beiden Verräter, die sich in Accaciafield versteckt gehalten hatten, waren nicht nur von den Bribones gefunden worden, der Nachbarclub stand auch bei der Befreiungsaktion von Bea an der Seite der Advocates. Syd fluchte, dass diese Sache nicht leicht zu vergelten wäre und sie nun bis zur Begleichung ihrer Schulden die devoten Huren der ›Bohnenfresser‹ spielen mussten. Emma hielt den Pres für ein wenig zu theatralisch, aber so war er eben.

Dabei konnte sie sich nicht vorstellen, dass Fernando Ramirez, der President der Bribones, ein Typ war, der nachzählte und aufrechnete. Er war nicht wie sein Vater, der den Club bis zu seinem Tod geführt hatte, und jeden Advocate, der ihm begegnet war, rigoros vom Bike geschossen hatte. Fernando war ein ehrenhafter Mann, ihm war der Frieden wichtig, und wenn er nur ein kleines bisschen wie seine Schwester Isa war, dann hatte er den Advocates vermutlich sogar aus Nächstenliebe geholfen.

Isabella Ramirez war die gutherzigste Frau, die Emma je kennengelernt hatte. Sie engagierte sich für eine ganze Reihe wohltätiger Organisationen, half im Frauencenter aus und organisierte Spendenfahrten für den Club ihres Bruders – was wohl das Einzige war, das sie mit dem Club verband. Isa hielt nicht viel von den Freunden ihres Bruders und wollte am liebsten nichts mit ihnen zu tun haben. Das betonte sie immer wieder. Natürlich wurde sie ab und an zwangsläufig in verschiedene Situationen hineingezogen, sie bemühte sich allerdings sehr, Distanz zu halten.

Emma hatte schon oft überlegt, ob sie so viel Gutes verrichtete, um die ›bösen Taten‹ ihres Bruders aufzuwiegen. Zumal sie einmal sogar gesagt hatte, dass sie besser sein wollte als die fehlgeleiteten Menschen, die sie tagtäglich um sich hatte. Das war vermutlich der Grund, weshalb sie stets abblockte, wenn Emma auf Clubsachen zu sprechen kam. Aber heute ging es nicht um den Club, sondern um eine Herzensangelegenheit. Und Emma hatte das Gefühl, ihr Herz platzte, wenn sie es nicht bald jemandem ausschütten konnte. Wer könnte sich dafür besser eignen als Isa?

Diese kleine Frau besaß nämlich nicht nur ein riesiges Herz aus Gold, sie kannte auch keinen einzigen Advocate persönlich. Es war völlig sicher, mit ihr zu sprechen. Nicht, dass Emma befürchtete, Isa würde über ihre Geheimnisse tratschen, doch es war beruhigend, eine Vertraute zu haben, die mit ihrem sonstigen Leben nichts zu schaffen hatte.

Emma steuerte auf ein Tischchen am Eingang des Cafés zu, in dem sie sich mit Isa verabredet hatte. Die Latina saß dort bereits, vor ihr standen eine Kaffeetasse, die einem Swimmingpool Konkurrenz machte sowie eine Platte mit verschiedenen Gebäckstücken. Isa sah so herrlich unbeschwert aus, dass sich unwillkürlich ein Lächeln auf Emmas Gesicht formte. Wenn es vermutlich auch ein wenig leidvoll wirkte.

Isa stand auf, als sie ihre Freundin bemerkte, und nahm sie in die Arme. »Emma, como estas?« Sie löste sich, hielt Emma aber an den Schultern fest und blickte ihr skeptisch in die Augen. »Du siehst genauso mitgenommen aus, wie du dich am Telefon angehört hast.«

»Das liegt wohl daran, dass eine fette Abrissbirne kürzlich mitten in mein Leben gerauscht ist.« Sie winkte ab und ließ sich auf dem Stuhl gegenüber von Isa nieder. »Jetzt überlege ich, ob ich die Trümmer wegräumen oder mein Leben einfach daneben wiederaufbauen soll.«

Isa verzog die Lippen, setzte sich und schob die Platte mit den Gebäckstücken zu Emma hinüber. »Nimm dir Kuchen«, sagte sie, als sei dies die Lösung aller Probleme.

Emma lachte automatisch auf und griff nach einem fluffigen Teilchen, das mit einer dicken roten Geleeschicht bestrichen war. »Danke.« Auf Isas Wedeln hin biss sie ein Stück davon ab und konnte sich ein wohliges Stöhnen nicht verkneifen. Der Kuchen war süß, luftig und cremig gleichzeitig, und der zuckerbedingte Glückschub zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen.

»Sie gehen direkt auf die Hüften, aber sie sind himmlisch, no es así?« Isa nahm sich ebenfalls ein Stück und biss genussvoll davon ab.

Die Latina musste sich beileibe keine Gedanken um ihre Figur machen, sie war zwar eine außergewöhnlich kleine Frau, dennoch zierlich. Und wunderschön obendrein. Emma hatte immer die großen dunklen Augen, das glänzend schwarze Haar, das ihr herzförmiges Gesicht wie Seide umfloss, und die karamellfarbene Haut bewundert. Bei Isa sah alles so natürlich und mühelos aus. Und überhaupt nicht nach jemandem, der gleich mehrere Outlaws in der Familie hatte. Mit dem halblangen Seidenrock, dem cremefarbenen Top und der dunklen Sonnenbrille im Haar wirkte sie eher, als gehörte sie nach Hollywood.

Wenn sie nicht ab und an etwas herrisch wäre, vermutete wohl keiner je, dass sie die kleine Schwester des Presidents des Los Bribones MC, Accaciafield war. Denn als solche konnte sie sich zweifelsfrei einiges erlauben. Und würde auch niemals aus der Familie geworfen werden ...

»Wenn ich eine Aufmunterung brauche, bestelle ich mir hier immer Kuchen«, meinte Isa und musterte Emma neugierig. »Ich fühle mich danach jedes Mal besser. Dicker, aber besser. Wenn ich mir dein Gesicht so ansehe, wirkt das bei dir allerdings nicht.«

Emma seufzte. »Es sind so viele verrückte Dinge geschehen in der letzten Zeit ...«

Isa legte die Finger auf ihre und streichelte mitfühlend über ihren Handrücken. »Hat es etwas mit diesem merkwürdigen Telefonat zu tun?«

»Unter anderem.« Sie rieb sich die Stirn. »Es ist eine lange, komplizierte Geschichte ... Hast du überhaupt so viel Zeit? Ich will dir nicht die Ohren vollheulen mit ...«

»Lass es raus. Ich höre zu.«

»Okay ... Auf die Gefahr hin, wie ein albernes Schulmädchen zu klingen ... Das ganze Chaos begann mit einem Kuss.«

Isas Mundwinkel zuckten, und sie beugte sich näher über den Tisch. »Bin ganz Ohr.«

Emma öffnete den Mund, da trat der Kellner an den Tisch.

»Oh, Miss Ramirez, Sie haben Gesellschaft bekommen. Darf ich noch etwas bringen?« Er sprach mit Isa statt mit Emma.

Isa hob eine Braue. »Bestimmt möchte meine Freundin etwas trinken. Kaffee, Emma?«

»Kaffee klingt gut. Mit Milch, bitte.«

»Emma. Wir sitzen in einem französischen Café. Es wäre eine Schande, hier Filterkaffee zu bestellen.« Sie zwinkerte ihr zu. »Du machst niemandem Umstände, wenn du einen Caramel Frappuccino bestellst.«

Emma kicherte. Wie gut Isa sie doch kannte, obwohl sie sich so selten trafen. »Ich weiß nicht einmal, was das ist. Ich nehme einen Cappuccino.«

»Ay loco.« Grinsend wandte sich Isa an den Kellner. »Bringen Sie uns auch mehr von den Gebäckteilen, Devin. Ich glaube, wir brauchen den Zucker heute.«

»Gerne, Miss Ramirez.« Devin lächelte sie breit an, ehe er davonmarschierte. »Kommt sofort.«

Emma schaute dem adretten Kellner nach. »Wow, der überschlägt sich ja fast. Du bist wohl öfter hier?«

»Hin und wieder. Wieso?«

Isa schien die zuvorkommende Behandlung derart gewohnt zu sein, dass sie ihr gar nicht mehr auffiel. Emma wurde – vom Courtroom abgesehen – in ihren Stammlokalen niemals so behandelt, geschweige denn mit Namen angesprochen. Nun, sie war eben nicht mit den richtigen Menschen verwandt.

In Accaciafield wusste man, wer Isabella und Fernando Ramirez waren. Jeder kannte Isa und wollte ihr gefallen, obwohl ihr das schnurzpiepegal zu sein schien. Sie war wie eine Prinzessin, die ihre Krone zu Hause ließ.

»Nur so. Es ist schön hier.« Emma sah sich um, musterte die schnörkeligen Stühlchen und Tischchen, die so gar nicht in das amerikanische Kleinstadt-Kasten-Flair passten. Aus diesem Grund hatten die Betreiber des Cafés wohl Trennwände um ihren Außenbereich aufgestellt. So waren ihre Gäste vor dem Trubel der Straße und vorbeigehenden Passanten geschützt, ebenso wie vor dem Anblick der staubigen Gegend. Durch die hohen Töpfe mit buschigen Pflanzen, die um die Tische herum aufgereiht waren, kam man sich regelrecht abgeschieden vor.

Es war ein lauschiges Plätzchen, an dem man sich verkriechen konnte.

»Der Kuss, von dem du gesprochen hast«, sagte Isa und riss sie damit aus den Gedanken. »Was hat er ins Rollen gebracht?« Sie klang beiläufig und nippte an ihrem Getränk, doch ihre Augen blitzten vor Neugier.

Sofort schoss Hitze in Emmas Wangen. Sie fasste es selbst kaum, dass ein einzelner Kuss sie derart aus der Bahn hatte werfen können, wie sollte sie das bloß in Worte fassen?

»Muss ja ein richtig guter Kuss gewesen sein.«

Als Isa sie angrinste, merkte Emma erst, dass sie die Finger an die Lippen gelegt hatte. Sie lachten beide auf.

»Oh ja, das war er wirklich.« Sie schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Das Problem ist, dass dieser Mann, den ich in einem schwachen, whiskygeschwängerten Moment regelrecht angefallen habe, lange nur ein Freund war. Aber als wir uns küssten, da ... da begriff ich plötzlich, dass ich sehr viel mehr für ihn fühlte, als ich darf.«

»Wieso darf?« Isa schob die Brauen zusammen. »Ist er vergeben? Oder erwidert er deine Gefühle nicht?«

»Nein. Und doch. Aber ... darum geht es eigentlich gar nicht.« Emma seufzte. »Wir waren die besten Freunde, nach diesem Kuss hat sich jedoch alles verändert. Weißt du, ich habe ihm immer vertraut, und ich dachte, er vertraut mir ebenfalls, aber wie sich herausgestellt hat, habe ich mich geirrt. Denn er steckt in Schwierigkeiten, und anstatt sich von mir, seiner besten Freundin, helfen zu lassen, stößt er mich von sich.«

»Okay«, erwiderte Isa langgezogen. »Ich fürchte, ich komme nicht ganz mit. Liebst du diesen Mann nun, oder ist er ein Freund?«

»Beides. Ich liebe ihn mehr als irgendjemanden sonst, aber wir können nicht zusammen sein.«

Isa sah sie an, als sei sie verrückt geworden. »Dios mio, du machst mich ganz wirr, chica. Du hast also Liebeskummer? Oder nicht?«

Emma raufte sich die Haare. »Nein ...jaaaein. Doch, aber der spielt keine Rolle. Der Kuss ist im Grunde gar nicht wichtig, ich weiß nicht, wieso ich ihn überhaupt erwähnt habe.«

Isa blinzelte sie mit leicht geöffnetem Mund an und zuckte zusammen, als Devin an den Tisch trat, um Emmas Cappuccino und eine zweite Kuchenplatte darauf abzustellen. Daraufhin lächelte er die Latina freundlich an. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

Isa brummte. »Nein, uns geht es gut, danke, Devin.«

Mit einem tiefen Nicken trat er zurück und entfernte sich vom Tisch.

Emma blickte ihm stirnrunzelnd nach. »Was macht er als nächstes? Kunststückchen zu deiner Belustigung?«

»Einfach ignorieren, das gilt genau genommen nicht mir.« Isa winkte ab, ehe sie sie durchdringend beäugte. »Nun, nehmen wir an, der Kuss war unwichtig, und es geht um das Vertrauen eines Freundes.«

»Wir nehmen es an?«

Isa hob eine Hand. »Also wo liegt nun das Problem zwischen dir und deinem platonischen Freund, der dir einen so erinnerungswürdigen Kuss gegeben hat, dass du ihn grundlos erwähnst?«

Emma schoss einen tadelnden Blick auf sie ab, dann griff sie nach einem Croissant und zupfte die Spitze ab. »Das Problem liegt darin, dass wir die besten Freunde waren und ich mit allen Sorgen zu ihm gegangen bin, er mir im Gegenzug jedoch nicht genügend vertraut, um sich von mir helfen zu lassen.« Sie steckte sich die abgerissene Croissantspitze in den Mund und kaute, ohne viel dabei von dem Geschmack wahrzunehmen. »Er scheint vor irgendetwas gewaltige Angst zu haben und schiebt mich deshalb so weit wie möglich von sich.« Sie warf Isa einen vorsichtigen Blick zu. »Er hat mir für die Clubräume Hausverbot erteilt und mich gebeten, die Stadt zu verlassen.«

Isa schnaubte. »Qué asno! Wieso lässt du dich überhaupt auf einen Member des Clubs ein? Mit denen hast du nur Ärger und Drama. Diese Machos meinen, sie könnten dich herumschieben, wie es ihnen gefällt.«

Emma glaubte kaum, dass irgendjemand Isa herumschieben konnte, aber im Grunde hatte sie recht. Nur war Scar nicht der typische Member. »Er ist eigentlich nicht so. Seit wir uns kennen, hat er nie etwas von mir verlangt.« Sie zog ratlos die Schultern hoch. »Das Ganze kommt mir mehr als merkwürdig vor. Es passt nicht zu ihm, mich wegzuschicken ... deshalb habe ich ... Informationen gestohlen, die mich eigentlich nichts angehen. Ich wollte herausfinden, was mit ihm los ist.«

Isa verschränkte die Arme vor der Brust. »Lass mich raten – das hat etwas mit dem Telefonat zu tun, das ich dir übersetzen sollte.«

»Genau. Es hat mich nur noch mehr verwirrt und kein Stück aufgeklärt, aber ich kann einfach nicht damit aufhören, weiter zu schnüffeln. Ich weiß, das ist falsch, und ich missbrauche sein Vertrauen, aber ich will doch nur für ihn da sein.«

Isa atmete tief durch und massierte sich die Stirn, ehe sie Emma einen mitfühlenden Blick zuwarf. »Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass es einen guten Grund dafür geben könnte, warum er dich wegschickt? Für mich hört sich das sehr gefährlich an.« Sie beugte sich über den Tisch und legte die Hand auf Emmas Finger. »Kürzlich wurde eine Freundin von dir entführt, hast du das vergessen? Leider ist das nicht selten in euren Kreisen. Wenn er so vehement darauf besteht, dass du dich von ihm fernhältst, solltest du es vielleicht tun.«

»Er sagte, es sei keine Clubangelegenheit«, fiel Emma wieder ein. Obwohl sie nicht sicher war, ob es das besser machte.

»Das bedeutet nur, dass er bereits ein Outlaw gewesen ist, bevor er sich den Advocates angeschlossen hat. Es gibt Gründe, weshalb diese Männer zusammenhalten wie Pech und Schwefel. Sie sind alle vom gleichen Schlag, haben alle Dinge getan, die ...« Isa sah sich um, dämpfte die Stimme. »Du weißt, ich liebe meinen Bruder, aber ich bilde mir nicht ein, dass er frei von Sünde ist. Er lebt ein Leben, das von Hass und Gewalt bestimmt ist, und in dem er, um zu überleben, ein mitleidsloser und brutaler Mensch sein muss. Dieses Leben hat er von unserem Vater geerbt, und er wird es aller Voraussicht nach an seinen Sohn weitergeben.« Sie schloss einen Moment die Augen und kniff die Brauen zusammen, als schmerzte sie der Gedanke. »Jeden Tag bete ich, dass Nando am Abend heimkehrt, und jede Nacht bete ich, dass Manuel nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten wird. Aber irgendwann werden meine Gebete nicht mehr erhört werden, das weiß ich, und es bringt mich beinahe um, dabei zuzusehen, wie mein eigen Fleisch und Blut ins Verderben rennt.«

Emma blickte in die großen dunklen Augen, die sie besorgt musterten, und spürte einen heftigen Stich im Herzen. Es musste verdammt hart für Isa sein. Ihre Vorstellungen vom Leben waren meilenweit von Fernandos Ansichten entfernt. Für sie war der Club das Böse, an das sie ihren Bruder verloren hatte. Und wenn Emma ehrlich war, lag sie damit vollkommen falsch.

Emma bekam vieles mit, sie wusste, dass das Leben der Jungs gefährlich war. Sie waren Outlaws. Aber sie waren eben gleichzeitig die Familie, für die sie sich entschieden hatte. Und die verließ man nicht einfach so, wenn es mal unbequem wurde.

»Wenn ich es übers Herz bringen würde, mich von meiner Familie abzuwenden, hätte ich dem Ganzen bereits vor Jahren den Rücken gekehrt«, sagte Isa, als hätte sie exakt den gleichen Gedanken gehabt. »Diese Männer bringen Unglück und Verderben über die Frauen, die sie lieben. Das weißt du. Du willst es nur nicht wahrhaben.«

»Ja, ich weiß das.« Emma nickte. »Aber ich weiß auch, dass du bleibst, weil du deinen Bruder zu sehr liebst, um zu gehen. Es ist vielleicht eine andere Form der Liebe, aber auch ich bleibe, weil ich den Club liebe. Das ist meine Familie.« Sie war noch hier, weil sie es, ebenso wie Isa, nicht übers Herz brachte, sich von ihrer Familie abzuwenden – das wurde ihr in diesem Moment klar. Sie konnte Scar nicht im Stich lassen, genauso wenig wie Isa Fernando im Stich lassen konnte. »Wenn es um deinen Bruder ginge, was würdest du tun?«

Isa wandte den Blick ab. Nur für eine Sekunde, doch lange genug, um ihre Gefühle zu verraten. »Wenn es um Nando ginge, hätte ich ihn längst so lange geohrfeigt, bis er mir verraten hätte, was los ist. Wenn es um Nando ginge ...« Sie seufzte entnervt. »Ich hasse es, das zuzugeben, denn es ist das genaue Gegenteil von dem, was ich dir raten will. Aber ich werde dich nicht belügen, du kennst die Wahrheit ohnehin. Wenn es um Nando ginge, würde ich nicht von seiner Seite weichen und für ihn kämpfen. Bis zum bitteren Ende, wenn es sein müsste.«

Emma nickte. Das hatte sie erwartet. Mit einem Mal erinnerte sie sich wieder daran, was sie selbst zu Bea gesagt hatte, als diese erneut fortgehen wollte.

Manchmal muss man etwas riskieren für die Menschen, die man liebt. Wenn du dazu nicht bereit bist, sprich nicht von Liebe. B hat eine Frau verdient, die stark genug ist, um an seiner Seite zu stehen und den Mann zu lieben, der er wirklich ist.

Ein Schaudern glitt über ihren Rücken. Isa hatte recht, was diese Männer anging: Sie waren alle vom gleichen Schlag. Ebenso wie die Frauen, die sie liebten. In dieser Welt musste man stark sein und etwas riskieren. Und Emma würde verdammt noch mal stark genug sein, um an Scars Seite zu stehen.

Isa hob die Mundwinkel zu einem traurigen Lächeln. »Du musst diesen Mann wirklich sehr lieben.«

»Er ist der einzige Mensch, bei dem ich mich je ganz gefühlt habe.« Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.

Isa tätschelte ihr mitfühlend die Hand, ehe sie auf die Platte deutete. »Nimm dir Kuchen.«

Emma konnte nicht anders als aufzulachen. Das Gespräch mit Isa hatte die Situation kein bisschen besser gemacht, dennoch fühlte sich Emma erleichtert. Sie wusste nun, dass sie nicht vollkommen verrückt war und nur das tat, was jede liebende Frau in ihren Kreisen tun würde. Das, was Misha ihr nicht zutraute: Sie kämpfte für den Mann, den sie liebte, und die Familie, der sie angehören wollte.

Ihr gesamtes Leben lang hatte sie sich herumschubsen lassen – von ihren Eltern, ihrem Bruder, den Männern, mit denen sie zusammen gewesen war. Hier und heute war Schluss damit! Nie wieder würde sie etwas tun, das gegen ihre Überzeugung ging, nur weil es jemand von ihr verlangte.

Vielleicht war Scars Abwehr das Beste, was ihr hatte passieren können. Denn sie hatte Emmas Kampfgeist erweckt. Sie fühlte sich endlich frei von dem kleinen jammernden und devoten Mädchen mit all seinen unrealistischen Träumen. Sie wusste genau, was sie wollte. Und sie war bereit, alles dafür zu riskieren.

Ihr Großvater hatte es immer gewusst. In seinem Brief hatte er geschrieben, dass Emma ein Wolf unter Haien gewesen sei. Im Gegensatz zu Haien hielten Wölfe zusammen, kämpften als Einheit, waren füreinander da – Emma konnte nicht anders, als für ihre Familie und ihren Mann einzustehen.

»Besser?«, fragte Isa, nachdem Emma ihr drittes Gebäckstück vernichtet hatte.

»Viel besser.« Sie lächelte sie dankbar an. »Danke, dass ich meinen Scheiß bei dir abladen durfte.«

»Jederzeit gerne, chica. Wofür ist die Schwester des Presidents eines vormals verfeindeten Clubs denn sonst da?« Isa kicherte.

»Für mich warst du nie der Feind.« Emma griff nach ihrer Hand und drückte freundschaftlich ihre Finger. »Und egal, was geschieht, in mir wirst du immer eine Freundin haben. Wenn ich mich also mal revanchieren kann, sag bitte Bescheid.«

»Ach, mein Leben ist nicht so spannend.« Isa winkte ab. »Ich treffe ständig nur auf diese Biker-Typen, dabei«, sie senkte die Stimme zu einem Flüstern, »stehe ich überhaupt nicht auf Motorräder, Leder und finstere Mienen. Diese Outlaws haben alle keinen Humor, ay.«

Emma lachte. »Nein, dafür sind sie einfach zu cool.«

Sie unterhielten sich noch eine Weile über Belangloses, dann ließ sich Isa den restlichen Kuchen für die Kinder ihres Bruders einpacken und begleitete Emma zu ihrem Wagen. Sie kamen kaum zwei Meter weit, ohne dass die Latina von irgendwelchen Leuten freundlich begrüßt oder angesprochen wurde.

»Die Menschen hier mögen dich sehr, was?«, sagte Emma, als sie endlich an ihrem Wagen ankamen.

»Das gilt nicht mir.« Isa verdrehte die Augen. »Weißt du, ich bin in dieser Stadt nicht Isabella Ramirez. Und das werde ich auch niemals sein. Ich bin immer nur Fernando Ramirez’ kleine Schwester, so wie ich vorher Carlos Ramirez’ Tochter gewesen bin.«

Emma nickte. Endlich konnte sie nachvollziehen, weshalb Isa derart genervt von der Aufmerksamkeit war. Sie wollte nichts mit dem MC ihres Bruders zu schaffen haben, wurde jedoch ständig darauf reduziert.

»Komm mich mal in Wolfville besuchen, wenn du einfach nur du sein willst.« Emma nahm sie fest in die Arme. »Du bist immer willkommen.«

»Danke. Und halte mich bitte auf dem Laufenden, was deinen Freund angeht.« Isa bedachte sie mit einem sorgenvollen Blick. »Bitte pass auf dich auf, Emma.«

»Natürlich.« Sie stieg ein und winkte Isa zu, bevor sie losfuhr.

Den gesamten Weg nach Wolfville ging sie im Kopf durch, was sie zu Scar sagen wollte, wenn er in einer Stunde von der Arbeit nach Hause kam. Sie hatte vor, dort auf ihn zu warten. Sie würde ihm nicht länger die Chance geben, sich vor diesem Gespräch zu drücken. Emma wollte keine dieser Frauen sein, die beschützt oder gerettet werden mussten – sie wollte Scars ›Partner in Crime‹ sein.

Emma parkte vor dem Wohnhaus und eilte in ihr Apartment hinauf, wo noch ihr Handy lag, wie sie erst feststellte, als sie einen Blick darauf werfen wollte. Sie musste es in ihrer Verwirrung liegen lassen haben. Nicht, dass sie einen Anruf erwartete, aber wenigstens beschäftigte sie dieser kurze Stopp eine Weile lang. Vermutlich würde sie sonst wahnsinnig werden, während sie vor Scars Wohncontainer wartete.

Sie fand das Telefon auf dem Küchentisch und wollte es bereits einstecken, da fiel ihr Blick aufs Display. Zehn verpasste Anrufe. Einer von einer unbekannten Nummer und neun von Scar ...

Emmas Herz klopfte schneller, und ihre Knie wurden so weich, dass sie sich hinsetzen musste. Sie konnte den Blick nicht von dem Handy-Display abwenden. Wieso hatte er so oft versucht, sie zu erreichen? Mit zitternden Fingern, die von der Aufregung, vom Kaffee oder vom vielen Zucker herrühren konnten, klickte sie auf seinen Namen. Doch gerade als sie den Anrufknopf drücken wollte, klingelte das Gerät. Es war die unbekannte Nummer.

Die Jungs wechselten ständig ihre Handynummern, daher machte sich Emma keine Gedanken, als sie das Gespräch entgegennahm. »Hallo?«, sagte sie schlicht.

»Hey Jen, gut, dass ich dich erreiche. Ich dachte, du bist schon unterwegs. Steht das denn noch mit heute Abend? Denn ich habe ...«

»Ähm, warte, Moment!« Emma hob eine Hand, um den Anrufer zu stoppen, bis ihr einfiel, dass dieser es nicht sehen konnte. »Ich schätze, du hast dich verwählt.« Sie atmete durch. Kurz hatte sie erwartet, einen aufgeregten Advocate auf der anderen Seite der Leitung zu hören, der ihr erzählte, Scar wäre angegriffen worden. Erleichtert lehnte sie sich zurück.

»Was? Hey Jen, nein, ich bin’s, Billy.« Der Anrufer hatte eine angenehm rauchige Stimme, war aber etwas schwer zu verstehen. Es klang, als fahre er Auto und telefoniere über die Freisprechanlage. Nebenher lief Musik. Die Beach Boys?

»Hier ist nicht Jen, sorry, ich heiße Emma.«

»Oh, scheiße, das tut mir leid, Emma. Ist Jen denn da?«

»Ähm, nein, ich kenne keine Jen.« Sie fuhr mit den Fingern die Rillen im Esstisch nach. »Ich fürchte, du hast dich verwählt.«

»Scheiße, echt? Mist. Das muss an der Freisprechanlage liegen, die hat mich anscheinend nicht richtig verstanden.« Er lachte. »Das kann nur wieder mir passieren. Tut mir echt leid. Bin ich wenigstens in Kalifornien gelandet?«

»Nein, nicht ganz, Nevada.« Emma kicherte.

»Oh fuck, na dann ... Wenigstens ne coole Stadt? Kann ich jetzt sagen, ich kenne jemand aus Vegas? Das wär doch glatt mal wieder ein Grund, um in die Wüste zu fahren.«

Flirtete der Kerl etwa mit ihr? Es klang danach, und Emma ließ sich, angesteckt von seiner Fröhlichkeit, darauf ein. Sie grinste.

»Nope – du bist im stinklangweiligen, staubigen Red Sand Valley rausgekommen.«

Für einen Moment war es still. Selbst die Beach Boys sangen nicht mehr. Dann klang die Stimme plötzlich vollkommen anders – rau und hämisch. »Das reicht mir. Danke für die Auskunft, Bitch.« Daraufhin knackte es, und die Leitung war tot.

Emma spürte, wie sie blass wurde. Sie warf das Handy von sich, als wäre es eine giftige Schlange, sprang vom Stuhl auf und raufte sich die Haare.

»Scheiße!« Das war ein Fake gewesen. Und sie war darauf reingefallen!

Es fiel ihr wie Schuppen von den Augen: Sie hatte vergessen, die Nummernanzeige rauszunehmen, als sie Elena anrief. Diese musste ihre Nummer weitergegeben haben. An die Leute, die hinter Scar her waren.

Er war in der Bank gewesen, um zu checken, dass die Adresse nicht rausgegeben worden war. Und Emma verriet dem Feind nun einfach, wo er ihn finden konnte.

»Scheiße!«, rief sie wieder aus. Etwas anderes fiel ihr dazu wirklich nicht ein. Das Red Sand Valley war winzig. Es war keine große Sache, hier jemanden zu finden. Verdammt, sie hatte es verbockt.

Sie musste sofort zu Scar. Am besten fuhr sie direkt zur Werkstatt und warnte ihn. Fluchend hetzte sie durch den Flur, angelte die Wagenschlüssel von der Kommode, riss die Tür auf und stolperte gegen einen Kerl, der vor ihrer Wohnung stand. Sie hob den Kopf und blickte in eisblaue Augen. Scars eisblaue Augen.

Er schaute sie panisch an, musterte sie von Kopf bis Fuß, als könne er kaum glauben, dass sie es tatsächlich war. Sein schwarzes Haar war zerknautscht, als hätte er stundenlang einen Helm getragen, und er wirkte blass.

»Wieso bist du nicht in Vegas?«

»Ich habe mächtig Scheiße gebaut«, sagte sie im gleichen Moment.

Biker Tales: Verloren in der Finsternis

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