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Chapter 10 – Behind Bars
ОглавлениеIch wusste es. Ich wusste, dass es so enden würde!
Das klärt sich schnell, Bea. Sag nichts, hörst du. Ich schicke dir unseren Anwalt. Ich regle das.
Du hast schon genug getan. Siehst du das? Du hast das aus mir gemacht.
Die letzten Worte, die Charlie und sie gewechselt hatten, zogen unablässig durch Beas Kopf, während sie seinen gequälten Blick vor ihrem inneren Auge sah. Er hatte sie angesehen, als wäre er das Opfer.
Bea schnaubte und rieb sich die Handgelenke, dort, wo die Handschellen in ihre Haut gedrückt hatten, als sie abgeführt worden war. Abgeführt und aufs Revier gebracht, hineingesteckt in einen winzigen, stickigen Raum und stundenlang dort vergessen. Dann war endlich Chief Russo zu ihrer Befragung aufgetaucht. Ständig hatte er an seinem Schnauzbart herumgezupft und seine Fragen an die tausend Mal wiederholt, schien jedoch nicht überrascht zu sein, dass Bea nicht antwortete.
Irgendwann – sie hatte das Zeitgefühl verloren – brachte der Chief sie ins Untergeschoss und schubste sie in eine der Zellen. Und hier saß sie nun auf einer harten Pritsche und starrte an die nackte Wand. Das alles erschien ihr wie ein Traum. Ein Albtraum.
Hier eingesperrt zu sein, war Beas persönliches Worst-Case-Szenario. Es war das Ende, das ihr jeder, einschließlich sie selbst, prophezeit hatte, wenn sie in Wolfville und bei Charlie bleiben würde. Wie hatte sie es nur so weit kommen lassen können? Bea war stinkwütend auf ihn und die Jungs, aber am meisten auf sich. Sie war doch stärker, verdammt nochmal, klüger und weitsichtiger. Wieso hatte sie sich von ihm nur auf diese Weise ausnutzen lassen?
Sie liebte ihn zu sehr. Die Liebe zu Charlie war derart tief in ihrem Herzen verwurzelt, dass sie sie wohl nie vollständig herausreißen konnte. Diese Gefühle für ihn waren wie Unkraut – sie kamen ständig durch. Aber wenn sie sich wieder auf die Wut konzentrierte, die sie für ihn fühlte, konnte sie die anderen Empfindungen zurückdrängen und ihn einmal mehr verlassen.
Sie schwor sich, dass sie ihm für diesen fiesen Betrug eine verpassen würde, wenn sie ihn das nächste Mal sah. Der Tod dieser Ratte JJ scherte sie im Grunde sehr viel weniger, als dass Charlie sie belogen und benutzt hatte. Nach all der Zeit, nach allem, was er ihr versprochen hatte, tat er ihr das an. Bea fühlte sich schlichtweg verraten.
Sie spürte einen gewaltigen Stich im Herzen. Nicht zuletzt, weil ihr einfiel, dass sie ihren Plan, ihm eine reinzuhauen, wohl nicht so rasch in die Tat umsetzen konnte. Sie war hier eingesperrt, durfte keinen Besuch empfangen und würde wohl demnächst ins Gefängnis überstellt werden.
Knast. Das Wort klang fremd für sie. Aber bald würde sie mehr damit verbinden können, als ihr lieb war. Bea wunderte sich, wie ihre Augen beim Gedanken daran trocken blieben. Müsste sie sich nicht die Haare raufen und heulend an der Zellentür rütteln, statt auf ihrer Pritsche zu hocken, den Kopf gegen die Wand zu lehnen und zu warten? Wieso war sie derart ruhig?
Wie so oft in letzter Zeit verstand sie sich selbst nicht mehr.
Charlie hatte erneut dieses schwache, gefühlsgeleitete Wesen in ihr zum Vorschein gebracht und all ihre Versuche, ein besserer, ein anständigerer Mensch zu werden damit vereitelt. Sie war genau dort, wo ihre Eltern, Lehrer und Klassenkameraden sie immer gesehen hatten: Hinter Gittern. Bea zählte nun offiziell zum ›White Trash‹, dem weißhäutigen Abschaum, zu den kriminellen, verlorenen Seelen. Wieso also rastete sie nicht aus? Und wieso knurrte ihr der Magen? Wie konnte sie hungrig sein, jetzt, da ihr Leben vorbei war?
Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, bis es endlich Tag wurde. Zumindest schätzte Bea, dass es Tag wurde, da das Licht im Flur anging. Oder war sie in Wahrheit schon viel länger hier? Tage? Wochen? War sie einfach hier vergessen worden?
Sie erhob sich von der Pritsche, streckte sich, bis ihre Knochen knackten, und ging daraufhin zur Tür. Ihre Hände legte sie um die kalten Gitter, schob den Kopf so weit hindurch, wie es ging, und lauschte. Es vergingen einige zähe Sekunden, da hörte sie eine Tür zuschlagen, gefolgt von schlurfenden Schritten.
Bea wich von der Zellentür zurück, ehe jemand um die Ecke kam.
Der Chief nickte ihr zu, zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche. Er wirkte müde und genervt, genau wie bei ihrem letzten Aufeinandertreffen. Er schloss die Zelle auf und machte mit einer einladenden Geste einen Schritt rückwärts.
Bea legte den Kopf schief und beäugte ihn skeptisch. »Wo bringen Sie mich hin?«
»Nirgendwohin, so wie es aussieht, Prinzessin.« Er hob einen Mundwinkel und winkte sie ungeduldig heraus. »Sie sind frei.«
Bea wiederholte die Worte im Kopf, mehrmals, konnte sie aber nicht recht glauben. Vorsichtig machte sie einen Schritt nach vorn und hob die Hände ein wenig, um vorbereitet zu sein, falls er die Tür gleich vor ihrer Nase zuschlagen sollte. Nahm er sie auf den Arm?
Chief Russo rollte entnervt mit den Augen. »Was ist jetzt, Miss Kramer, wird das heute noch was? Ich habe einiges zu tun.«
»Ich verstehe nicht … Wieso bin ich frei?« Beas Gedanken rasten. Hatte jemand eine Kaution für sie hinterlegt?
»Das überrascht Sie ja wirklich.« Er hob den anderen Mundwinkel auch noch und schaute sie an, als amüsierte er sich über die Unwissenheit eines Kindes. »Nun, der Zeuge, der Sie belastet hat, zog seine Aussage zurück, und der Zeuge, der Shoemaker belastet hat, ist auf wundersame Weise verschwunden. Durch diese glücklichen Fügungen, wie wir sie einmal nennen wollen, kann der Mord nicht mehr mit dem MC in Verbindung gebracht werden. Daher verfolgt der Staatsanwalt die Sache nicht länger in diese Richtung.« Er machte erneut eine ungeduldig wedelnde Geste, die Bea zu einem weiteren Schritt in den Flur veranlasste. »Würden Sie meine Zeit jetzt bitte nicht noch länger verschwenden?«
Das erklärte, weshalb der Chief am Vorabend bereits derart genervt gewesen war. Er hatte geahnt, dass die Sache zu nichts führen würde.
Bea schüttelte irritiert den Kopf. Wie hatten sie das nur derart schnell geregelt? Und wollte sie die Antwort überhaupt wissen? »Dann kann ich jetzt einfach gehen?«
»Einfach war es bestimmt nicht«, er zuckte mit den Schultern, »aber Sie können gehen.« Als sie ihn weiterhin stirnrunzelnd anstarrte, machte er eine auffordernde Handbewegung. »Oder warten Sie noch auf ein Frühstück?«
Fast wäre ihr herausgerutscht, dass sie für eine Nacht unschuldig in der Zelle wenigstens ein Omelette verdient hätte, doch sie konnte sich noch bremsen. Wo kam das denn plötzlich her?
Nicht ohne den Chief misstrauisch im Auge zu behalten, ließ sie sich nach oben begleiten, wo sie noch Papierkram unterschreiben musste. Nachdem das erledigt war, schob Russo sie zur Tür und tippte sich zum Abschied an den Hut.
»Bis zum nächsten Mal, Miss Kramer«, meinte er.
»Darauf können Sie lange warten.«
Bea ließ sich geradezu gegen die Tür fallen und stürmte aus dem Polizeirevier in den milden Morgen hinaus. Sie wusste, dass es reichlich übertrieben war, aber sie schloss für einen Moment die Augen und sog die Luft tief in ihre Lungen, atmete die Freiheit ein.
Wie prachtvoll die staubige Straße und der einzelne kümmerliche Baum neben dem Revier doch wirkten, wenn man die Nacht auf einer schmalen Pritsche verbracht hatte, die direkt neben einer Toilettenschüssel stand. Bea hatte noch nicht einmal verarbeitet, verhaftet worden zu sein, und nun war sie schon wieder auf freiem Fuß. Wie war das möglich?
Plötzlich begann es in ihrem Rücken zu kribbeln. Sie spürte seinen Blick auf sich, bevor sie sich zum Parkplatz umdrehte und Charlie auf seinem Bike sitzen sah. Er rauchte eine Zigarette und musterte sie mit undurchdringlicher Miene.
Er war tatsächlich gekommen, um sie abzuholen. War das sein Ernst?
Bea atmete tief durch, stieg die Stufen von der Eingangstür zum Gehweg hinunter und überlegte, ob sie einfach in die andere Richtung davongehen sollte. Aber dann fiel ihr ein, dass sie sich etwas vorgenommen hatte. Sie ließ sich nichts anmerken, hielt Charlies Blick stand und ging betont gelassen auf ihn zu.
Ein vorsichtiges Lächeln formte sich auf seinen Lippen, ehe er sich von seinem Bike erhob und die Zigarette wegschnippte. Er streckte seine Finger nach ihr aus, in dem Moment ballte sie ihre rechte Hand zur Faust. Ohne Vorwarnung holte sie aus und verpasste ihm einen Schlag gegen das Kinn, der ihn überrascht keuchen ließ. Allerdings formte sich daraufhin direkt ein Grinsen auf seinen Lippen.
Vorsichtig tastete er die Stelle ab. »Du hast einen ganz schönen Bumms drauf, Kramer. Jetzt verstehe ich das mit der gebrochenen Nase deines Ex-Typen.«
Bea wäre am liebsten in den nächsten Supermarkt geflüchtet, um ihre Knöchel in eine Tiefkühltruhe zu stecken, aber sie biss die Zähne zusammen und versuchte, den pulsierenden Schmerz zu verdrängen.
Ihm eine zu verpassen, war nicht nur schmerzhaft, sondern auch längst nicht so befriedigend, wie sie es sich vorgestellt hatte. Zumindest blieb ihm dort, wo sich die Stelle langsam blau färbte, eine Erinnerung an ihre Wut.
Als sie die Arme vor der Brust verschränkte und Luft holte, hob Charlie ergebend die Hände. »Ich kann verstehen, dass du sauer bist …«
»Sauer? Ich wurde in aller Öffentlichkeit abgeführt, von einem gereizten Polizisten befragt und habe die Nacht in einer Zelle verbracht, weil man mir vorwarf, an der Ermordung eines Menschen beteiligt zu sein. Sauer beschreibt meinen Gemütszustand nicht einmal annähernd.«
Er kam auf Bea zu, die automatisch einen Schritt zurückwich. »Sie haben dich doch anständig behandelt?«
Sie konnte nicht anders, als aufzulachen und ihn dann ungläubig anzublinzeln. »Es war ganz toll, Charlie! Ich bekam eine schicke Einzelzelle mit Blick auf den Flur und eine extra kratzige Decke für meine Pritsche. Ich habe mich gefühlt wie ein Outlaw-VIP.«
»Bea.«
Sie schlug die Hand energisch fort, die er nach ihr ausstreckte. Glaubte er, er könnte alles wiedergutmachen, indem er hier auftauchte und sie nett anlächelte?
»Es tut mir leid, dass es dazu gekommen ist«, sagte er ernst, und seine silbergrauen Augen blickten sie durchdringend an. »Glaub mir, ich würde nie zulassen, dass dir etwas geschieht oder dich jemand einsperrt. Das war nur ein Missverständnis, das …«
»Aber genau das ist doch geschehen!« Bea deutete hinter sich auf das Polizeirevier. »Warst du nicht dabei? Sie haben mich eingesperrt. Deinetwegen.«
Er kam einen weiteren Schritt auf sie zu. Dieses Mal blieb sie stur stehen und funkelte ihn weiterhin zornig an.
»Darum geht es dir nicht wirklich.«
»Ach, nein? Es macht mir also nichts aus, dass ich deinetwegen beinahe das Leben weggeworfen hätte, für das ich jahrelang hart gearbeitet habe? Worum geht es mir denn dann?«
»Du verstehst genau, weshalb wir ihn loswerden mussten, und du weißt, dass es nötig gewesen ist, damit hier nicht die Hölle losbricht. Das widerspricht deiner antrainierten Gerechtigkeitsblindheit und macht dir eine Scheißangst. Glaub mir, ich kann das nachvollziehen, es ging mir anfangs ebenso.« Zögerlich streckte er eine Hand aus, nahm eine Strähne ihres Haars und ließ sie behutsam durch seine Finger gleiten. »Aber was dich so richtig wurmt, ist, dass ich es dir nicht erzählt habe.«
Als er sich näher zu ihr vorbeugte, legte sie die Hände auf seine Brust und schob ihn sanft, aber bestimmt von sich. »Du hast mich benutzt und belogen. Und nicht nur, was die Aktion mit JJ angeht: du hast mich glauben lassen, ich könnte das Leben, das ich mir wünsche, an deiner Seite leben. Du wolltest mir weismachen, dass ihr lediglich missverstandene Motorradfahrer seid, von den Medien in Verruf gebracht, und dabei würdet ihr euch doch ach so sehr für euer Zuhause einsetzen.«
»Das tun wir auch. Und du kannst das Leben, das du dir wünschst, an meiner Seite leben – wenn du endlich erkennst, welches Leben das wirklich ist.«
Frustriert warf Bea die Arme in die Luft. »Wieso bildest du dir überhaupt ein, mich besser zu kennen als ich selbst?«
»Weil es so ist.« Er packte sie an den Oberarmen, als wolle er sie schütteln, und sah ihr tief in die Augen. »Wir können unsere Ansichten und Ziele ein Stück weit ändern, ja, aber nicht unser Wesen, den Kern dessen, was wir sind. Ich kenne dich, Bea.« Er legte eine Hand auf seine Brust. »Und du kennst mich. Du weißt, dass ich dich niemals benutzen oder belügen würde.«
Sie seufzte. »Nichts zu sagen ist das Gleiche wie lügen.«
»Manches kann ich dir nicht erzählen, weil es um so viel mehr geht als nur um uns beide. Das sind … Clubangelegenheiten.« Er zuckte viel zu unbekümmert mit den Schultern. »Du musst mir in diesem Punkt einfach vertrauen.«
»Ich muss dir vertrauen?« Schnaubend schüttelte sie den Kopf und verschränkte erneut die Arme vor der Brust. »Clubangelegenheiten. Wenn ich das Wort noch einmal höre, ramme ich dein Bike mit Moms Pick-up.«
Sein Mundwinkel zuckte. Fand dieser Mistkerl ihren Zorn etwa witzig? »Glaub mir, ich habe dich nie belogen. Und wenn ich Informationen zurückgehalten habe, dann nur, um dich zu beschützen. Was dich und uns beide betrifft, werde ich immer ehrlich sein.« Aus seinen Augen sprach die pure Ernsthaftigkeit.
Sie hob eine Braue. »Gut, dann sag mir eins: Wieso bin ich frei?« Als er tief durchatmete, fügte sie hinzu: »Das ist etwas, das mich betrifft, oder nicht? Also erzähl schon: Wieso hat der Zeuge seine Aussage zurückgezogen?«
Charlie rubbelte sich über das blonde Haar und druckste herum: »Bea …«
»Weißt du, was? Es ist mir egal.« Sie hob die Hände und lachte bitter auf. »Es spielt keine Rolle mehr, denn ich werde meine Sachen packen und verschwinden. Ich habe genug davon.«
Urplötzlich war sie nur noch müde. Sie war es müde, seine Ausreden anzuhören; sie war es müde, immer wieder zu hoffen; und sie war es müde, ihn zu lieben.
»Du kannst mich mal«, murmelte sie daher zum Abschied, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte davon. »Halt dich einfach von mir fern.«
»Willst du etwa nach Hause laufen?«, rief er ihr hinterher.
»Ja!«
»Du bist ein sturer Bock, Kramer!«
Ja, vielleicht war sie das. Aber sie würde sich bestimmt nicht auf dieses Bike setzen und die Arme um ihn schlingen. Völlig gleichgültig, wie heiß es wurde, wie erschöpft sie war und wie weit sie laufen musste.