Читать книгу Der Baum des Lebens - Sandra Losch - Страница 6
III. Kapitel
ОглавлениеJulius Falkenstein stand vor dem Spiegel in seinem Ankleidezimmer, band sich einen perfekt sitzenden Krawattenknoten und begutachtete wohlwollend sein Spiegelbild. Der Designeranzug schmeichelte seiner drahtigen Figur und die Farbe der Krawatte harmonierte mit dem Hellblau seiner Augen. An den Schläfen zeigten sich seit kurzem ein paar graue Strähnen in seinen dunkelblonden Haaren, was seine Attraktivität allerdings nur unterstrich. In Gedanken ging er nochmals seine Rede durch, die er zwar in- und auswendig beherrschte, doch der junge Kommunalpolitiker wollte sich nicht den geringsten Fehler erlauben. Julius hatte ambitioniert und voller Ideale vor knapp zehn Jahren den Weg in die Politik eingeschlagen, war inzwischen Landtagsabgeordneter und man stellte ihm bereits die besten Chancen auf einen Ministerposten in Aussicht. Seiner Ehe war sein politisches Engagement nicht gut bekommen. Seine Ex-Frau Lydia war schnell gelangweilt davon, dass ihr Mann weitaus mehr Zeit mit Wahlkampfauftritten und langen Sitzungen verbrachte als mit ihr, so dass die noch junge Ehe bereits nach zwei Jahren wieder geschieden wurde. Lydia, die schon immer gerne im Luxus schwelgte, hatte sich schnell mit dem Erben eines großen Ölkonzerns getröstet und war ihm nach Südfrankreich gefolgt, wo sie nun das Jet Set Leben genoss. In dieser Zeit fand Julius Halt und Unterstützung bei seinen Eltern, Thomas und Angelika, zu denen er ein herzliches Verhältnis pflegte. Er besuchte sie regelmäßig und genoss die Atmosphäre seines liebevollen Elternhauses. Sein großes Vorbild allerdings war sein Großvater, Joachim Falkenstein. Auf seinem Landsitz verbrachte Julius die glücklichsten Stunden seiner Kindheit, begleitete seinen Großvater auf die Jagd und dieser brachte ihm reiten und schießen bei. Joachim Falkenstein war trotz seines fortgeschrittenen Alters ein stattlicher Herr, der nach wie vor sein Unternehmen mit strenger Hand führte, und Julius war ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Herr Falkenstein Senior leitete eine renommierte Fabrik für Modelleisenbahnen und hoffte, dass sein Enkel eines Tages in seine Fußstapfen treten würde. Joachim vergötterte Julius, auch wenn er ihn stets zu Disziplin und mit Strenge erzogen hatte. Gleichzeitig ließ er es ihm an nichts fehlen und unterstützte seinen Enkel, wo er nur konnte. Julius wiederum bewunderte seinen Großvater. Umso schmerzlicher war für ihn, dass sein Vater Thomas zu seinem eigenen Vater kein gutes Verhältnis hatte und die beiden seit vielen Jahren getrennte Wege gingen.
"Lass es gut sein, mein Junge", hatte Thomas vor etlichen Jahren einmal zu ihm gesagt, als Julius noch einen Versuch wagen wollte, die beiden miteinander zu versöhnen. "Er ist nicht nur der strahlende Held und tolle Opa, als den du ihn kennst. Ich habe sehr unter ihm und seiner spartanischen Erziehung gelitten, vor allem nachdem meine Mutter gestorben war. Wir sind nun einmal grundverschieden, und es gibt Dinge aus der Vergangenheit, die ich ihm einfach nicht verzeihen kann. Schlimme Dinge. Aber er war dir immer ein guter Großvater, er hat dir vieles beigebracht und du warst immer so glücklich, wenn du mit ihm zusammen warst. Ich wollte mich nicht zwischen euch stellen, damit ich mir das nicht selbst eines Tages zum Vorwurf machen muss. Du solltest dich selbst frei entscheiden können. Aber zwischen ihm und mir, das wird nichts mehr."
Danach wollte Julius sich nicht mehr einmischen, die Worte seines Vaters waren deutlich gewesen. Aber der Bewunderung für seinen Großvater taten sie keinen Abbruch, auch wenn er sich manchmal fragte, was so schlimmes vorgefallen war, womit sein Großvater die Verachtung von Thomas auf sich gezogen haben könnte.
Julius warf einen kurzen Blick auf seine Rolex und stellte fest, dass es höchste Zeit war, sich auf den Weg zu machen. Auf seinen allmorgendlichen Espresso musste er heute notgedrungen leider verzichten. Er verließ sein Ankleidezimmer, holte seine Aktentasche aus dem Büro und stieg in seinen schwarzen 911er Carrera Porsche. Er verzichtete meistens gerne auf einen Chauffeur, denn dafür fuhr er selbst viel zu gerne. Heute stand einer dieser medienwirksamen Pflichttermine auf der Agenda, die Verlegung eines Stolpersteins für ehemalige jüdische Bürger, eine Fabrikantenfamilie, die 1942 deportiert worden war. Julius sollte eine Ansprache halten und das tiefe Bedauern der Stadt sowie der Bezirksregierung zum Ausdruck bringen. Für ihn war dies nicht nur eine politische Aufgabe, sondern ein Herzensanliegen. Er fand es nach wie vor unfassbar, was man so vielen Menschen im Dritten Reich angetan hatte und wie die Öffentlichkeit einfach dabei zusehen konnte. Er hoffte inständig, dass es in Deutschland nie wieder so weit kommen würde und wollte alles in seiner Macht stehende tun, um die politische Landschaft dahingehend zu prägen.