Читать книгу Sieh mich jetzt - Sandra Schwartz L. - Страница 6

Kapitel 3

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Stille lärmt mir entgegen, als ich die Haustür öffne und alles schnürt sich mir innerlich zusammen. Aber dann höre ich den Fernseher und die wohlbekannten Stimmen, Lightning McQueen und Hook.

Ich streife die Stiefel ab. Hänge meine Skijacke nachlässig an den Haken, der schon übervoll an Klamotten ist. Stopfe den Hackysack in die Tasche meines Kapuzenpullis. Als ich mich in Richtung Wohnzimmer in Bewegung setze, sehe ich aus dem Augenwinkel meine Jacke auf den Boden fallen. Ich drehe mich um, um sie aufzuheben, lasse es aber. Ich muss ganz sicher sein.

Er sitzt vor dem Fernseher, viel zu nah davor mit gebeugtem Nacken und offenstehendem Mund. Mit seinem schwarzen Halstuch und den coolen Totenköpfen, dem Superman-Pyjama und seinem Bären Brun ähnelt er einer verwirrten Mischung aus Pirat, Superheld und einem, der gerade aufgestanden ist.

„Hi Madsen,“ sage ich, hocke mich hin und ziehe ihn für eine Umarmung an mich.

Er murmelt Proteste in meine Schulter und versucht, sich aus meinem Griff zu winden, damit er Fernsehen kann. Das ist verrückt, weil er den Film schon hundert Mal gesehen hat und er ihn in- und auswendig kann. Ich grinse und halte ihn fest. Es braucht nicht mehr viel und er gibt auf, und hängt schlaff in meinen Armen. Er ist warm und besteht aus lauter feinen Kanten.

Mama kommt rein und setzt sich zu uns auf den Boden. Sie bringt den Geruch von Gulasch mit sich. Selbst gemacht. Der hat bestimmt den ganzen Tag vor sich hin geköchelt. Dafür hat sie nun Zeit, da sie mit Mads zu Hause ist.

„Hi, Mama. Sollte er nicht mal was anderes als den Film sehen?“ Ich nicke zu Mads, der nichts mitbekommt.

Mama schüttelt den Kopf. Sie lächelt, sieht aber müde aus. „Habe ich versucht, aber er will nichts anderes sehen … und wenn es ihm eine Freude macht, dann …“ Mama spricht nicht weiter, zuckt nur die Schultern.

„Hattest du einen schönen Tag?“, fragt sie, während sie eine Hand auf Mads Stirn legt, um zu prüfen, ob er Fieber hat.

„Mmh,“ sage ich und weiche ihrem Blick aus. Stecke eine Hand in die Tasche und streiche über die flache Oberfläche des Hackysacks und die kleinen Körner darunter.

Ich habe Lust, Maja anzurufen, aber sie hat nicht auf die SMS geantwortet, die ich ihr auf dem Heimweg vom Center geschickt habe. Durch die Fensterfront im Wohnzimmer kann ich sehen, dass sie zu Hause ist. Es ist Licht in ihrem Zimmer auf der anderen Seite der Hecke.

Wir waren schon immer Freundinnen, länger als ich mich erinnern kann. Unsere Eltern sind auch Freunde. Wenn wir alle zusammen sind, tischen Majas Mutter und Vater im Laufe des Abends immer die Geschichte auf, wie wir Freundinnen wurden. Das misslingt nie. Ich habe die Geschichte so oft gehört, dass ich das ganze vor mir sehen kann, obwohl ich erst drei Jahre alt war.

Es war Sommer, warm und ich war nackt. Stand im Garten auf unserer Seite, wo damals nur die Sprösslinge der Hecke zwischen unseren Grundstücken waren. Ich starrte Maja an, ihre beiden Zwillingsgeschwister, Malene und David, und eine Menge anderer Kinder in feiner Sommerkleidung, die nur wenige Schritte von mir entfernt spielten. Majas Familie hielt ein Gartenfest. Ich erinnere mich, dass ich lange Zeit so dastand. Halb versteckt hinter unserem Apfelbaum. Irgendwann kam Majas Mutter mit Bonbons für die Kinder raus. Sie bemerkte mich und bittet Maja, mir eins anzubieten.

„Hier,“ sagte sie und streckte mir die weiße Papiertüte entgegen. Ich kam hinter unserem Baum hervor, nahm eins und steckte es in den Mund. Maja ging wieder mit der Tüte zu ihrer Mutter und kurz darauf gingen alle auf die andere Seite des Hauses. Anstelle in unserem eigenen Garten zu bleiben, folgte ich ihnen und sah, wie die Kinder und Majas Mutter ihre Plätze am aufgestellten Gartentisch fanden und sich eins nach dem anderen setzte. Ich beachtete nicht, wie sich Lachen wie ein Steppenbrand über die Gesellschaft ausbreitete, als sie mich bemerkten. Ich zögerte nur einen Augenblick, dann ging ich zu Majas Mutter und tippte ihr auf die Schulter.

Sie drehte sich um und sah mich mit einem fragenden Blick an.

„Mehr, bitte“, sagte ich und streckte die Hand aus.

Die Geschichte weckt immer gleich großen Jubel. Selbst Maja lacht und hat jedes Mal Spaß. Ich selbst finde nur, dass es peinlich ist. Peinlich, dass ich das machen konnte. Peinlich, dass mich Majas ganze Familie nackt gesehen hat, auch wenn ich bloß drei Jahre alt war. Peinlich, dass alle immer noch denken, es wäre süß. Aber ich tröste mich damit, dass ich wenigstens Maja bekommen habe. Maja-Paja, die seitdem meine beste Freundin ist.

„Du wirkst etwas traurig. Ist etwas?“, fragt Mama.

Ich schüttele den Kopf. Sie sieht aus, als ob sie noch was sagen wollte, aber nickt stattdessen nur, steht auf und geht aus dem Wohnzimmer. Etwas später kommt sie mit einem kleinen Umzugskarton unter dem Arm wieder herein.

„Hilfst du mir?“, fragt sie und reicht mir ein Bündel uralter und potthässlicher Wichtel. Ich nehme es entgegen, hänge einen Wichtel in den Fensterrahmen, einen ins Regal und einen an die Stehlampe neben dem Sofa.

Wir haben schon Dezember, aber wir sind noch nicht richtig dazu gekommen, alles zu schmücken. Sonst fangen wir recht früh mit dem Schmücken an. Dann dauert Weihnachten länger, meint Mama. Sie liebt Weihnachten. Die Stimmung, den Schmuck, die Lieder und die Gemütlichkeit. Alles. Sie versucht es auch. Wirklich. Sie hat den einen verstaubten Karton nach dem anderen hervorgeholt, vom Speicher geschleppt und abgewischt. Kartons gefüllt mit Lichterketten, Herzen und Wichteln, über Jahrzehnte gesammelt und ordentlich in Kartons gepackt, Jahr für Jahr. Die meisten stehen unberührt in einer Ecke des Wohnzimmers und setzen wieder Staub an.

Mama geht wieder in die Küche zum Essen. Ich hänge noch ein paar Wichtel auf, höre dann auf und setze mich hinter Mads auf den Boden.

Mads hat Blutkrebs, oder Leukämie, wie es in feiner Arztsprache heißt. Die Ärzte haben Monate gebraucht, um das herauszufinden. Lange Zeit kränkelte er nur. Wurde dünner und dünner und blass und bekam blaue Flecken.

Ich war oft mit beim Arzt. Langweilte mich in dem viel zu kleinen Wartezimmer mit viel zu vielen Menschen. Und jedes Mal war es dasselbe. Mads hatte bestimmt einen Virus, Mads war im Wachstumsalter, Mads fehlte nichts. Bis zu einem Tag im letzten August. Die Luft war schwül, geladen mit dem Versprechen von Donner, die Sonne eine brennende Scheibe an einem wolkenfreien Himmel. Maja und ich haben im Bikini ein Sonnenbad im Garten genommen, Mads fror in langen Hosen und Pullover. Wir neckten ihn. Fragten, ob er nicht Skiklamotten und Baumwollunterwäsche anziehen sollte. Neckten ihn damit, ein Würmchen zu sein. Bis er so wütend wurde, dass er all seine Klamotten mitten in den Garten warf. Dann stand er dort, blass und blaugefleckt und mit Rippen, die hervorguckten. Es war da, als wir sie so richtig entdeckten. Die blauen Flecken überall auf seinem Körper, deutlich in der strahlenden Sonne. Maja ging nach Hause und Mama fuhr mit Mads weg. Und am selben Abend, als Mama und Papa an die Tür zu meinem Zimmer klopften, war es, als ob der Sommer plötzlich vorbei wäre und Herbst und Dunkelheit einsetzten.

Mama kommt wieder ins Wohnzimmer und stellt die DVD auf Pause unter wilden Protesten von Mads.

„Es gibt jetzt Essen, du kannst den Rest danach sehen.“

„Was gibt es denn?“, fragt Mads.

„Gulasch.“

„Ih, das mag ich nicht.“

Mama seufzt. „Doch, das magst du, es sind Würstchen drin.“

„Ich habe keinen Hunger.“

„Komm einfach mit und probier es.“

Mama macht eine Bewegung mit dem Kopf Richtung Küche und ich stehe auf.

Wir gehen in die Küche und setzen uns. Mama plaudert los, während sie Essen auf die Teller tut. Erst Mads und dann mir. Mads bekommt extra Würstchen und Sauce. Ein großer Kleks Kartoffelpüree landet auf meinem Teller und nur wenig Sauce und wenige Würstchen. Ich habe Lust zu meckern und mir demonstrativ mehr zu nehmen, mache es aber nicht. Ich bin sowieso nicht so hungrig.

Ich esse in Stille. Es sind vor allem Mama und Mads, die reden. Mads hat all die Würstchen gegessen und ist nun dabei, einen Turm aus Püree und Sauce auf dem Teller zu bauen.

„Sieh Mama, das ist eine Burg.“

„Mads, hör auf mit dem Essen zu spielen,“ schimpft Mama, aber ohne richtigen Druck in der Stimme.

„Ich kann nicht mehr essen.“

„Du hast ja kaum was gegessen. Du weißt doch, dass du nicht nur alleine von Würstchen leben kannst. Wovon sollst du denn groß und stark werden? Möchtest du nicht gerne groß und stark wie Spiderman werden?“

„Spiderman ist cool,“ sage ich und Mama lächelt mich an.

Es wirkt. Mads wirft noch ein paar Bissen mehr ein und die strammen Linien in Mamas Gesicht entspannen sich.

Ich wünschte, Papa wäre hier und würde nicht bis spät abends arbeiten. Oder Maja. Maja ist lustig.

Plötzlich weiß ich, wozu ich Lust habe und das fließt aus mir raus.

„Mama, darf Maja nicht am Freitag herkommen und hier übernachten? Es gibt so ein neues Tanz-Ding im Klub am Freitagnachmittag und am Samstag könnten wir ein bisschen Weihnachten vorbereiten?“

Augenblicke von vergessenen Dezembertagen überströmen mich. Ich und Maja auf der Jagd nach Tannenzweigen und Tannenzapfen im Wald. Der Duft von Tanne und Apfelsinen mit Nelken, schief geflochtene Herzen und kilometerlange Girlanden. Ich und Maja mit gefrorenen Fingern, die bei einer Tasse brennend heißer Schokolade auftauen und mit pelzüberzogenen Zähnen von zu viel Lebkuchen. Ich und Maja wie Mariah Carey mit „All I want for Christmas“ auf voller Lautstärke, so oft, dass Papa aus dem Häuschen gerät und mitsingt. Ich und Maja, wie wir im Bett liegen, flüstern und kichern, und die Nacht in die Flucht schlagen.

„Schatz … Wir sind doch gerade erst nach Hause gekommen, und Mads …“, sagt Mama und hält inne. Ich halte die Luft an.

„Ach Mama, darf sie bitte?“

Es dauert etwas, bis sie antwortet.

„Dann meinetwegen, es wird deshalb schon nichts passieren,“ sagt sie und ihr Lächeln erreicht fast ihre Augen.

„Jippie“, kreische ich und springe auf. Ich ziehe Mads mit ins Wohnzimmer, schalte wieder Lightning McQueen an und hüpfe rund, während ich Geräusche wie ein Rennauto mache, bis er fast vor Lachen platzt. Wir toben und albern herum. Ich bin Hook und er ist Lightning. Mama grinst und klatscht. Einen Moment lang ist alles einfach, aber dann bricht Mads in einem Hustenanfall zusammen, der klingt, als würde er ihm den Atem nehmen. Mama lacht nicht mehr und Sekunden später bin ich alleine im Autoland.

Erst, als ich in meinem Bett liege und längst schlafen sollte, trifft eine Nachricht von Maja ein.

Schläfst du?

Etwas anderes steht da nicht. Nicht einmal drück dich oder so. Gedanken wimmeln in meinem Kopf umher. Das Display wird dunkel, aber die SMS ist noch auf meiner Netzhaut. Ich nage an meiner Lippe. Eine Gewohnheit, die ich habe, wenn ich nachdenke.

Ob sie immer noch sauer auf mich ist? Natürlich ist sie das, so eine Scheißfreundin, wie ich bin.

Ob sie mir verzeiht? Das hoffe ich. Wirklich. Bitte, verzeih mir.

Meine Unterlippe ist dabei wund zu werden, aber ich zupfe weiter. Bekomme einen Fetzen an meiner Unterlippe gelöst, ziehe daran und krümme mich, als eine Wunde entsteht.

Was, wenn sie mir nicht verzeiht? Was, wenn sie genug hat? Was, wenn sie denkt, wir sollten keine Freundinnen mehr sein?

Nein, schreibe ich, zögere einen Augenblick, bevor ich auf senden drücke. Ich sauge an meiner Unterlippe. Sie schmeckt nach Blut.

Sie muss das Handy in der Hand haben, denn sie antwortet sofort.

Kann ich anrufen?

'türlich.

Eine lächelnde Maja strahlt im Dunkeln auf dem Display. Ich hebe das Handy ans Ohr und setze mich auf. Die Wand ist kalt an meinem Rücken und mein Magen fühlt sich hohl an.

„Hi du,“ flüstere ich und beeile mich fortzusetzen, bevor sie was sagen kann. „Es tut mir wirklich leid, was ich gesagt habe. Ich …“ Ich lasse es, zu versuchen es zu erklären. „Es tut mir wirklich, wirklich leid.“

Stille am anderen Ende.

„Du warst total gemein“, sagt sie dann und ihre verletzte Stimme schneidet sich in mich ein. Sie zögert. „Ich verstehe es nur nicht, du warst so seltsam die letzte Zeit.“

„Ich weiß, ich bin eine furchtbare Freundin. Aber bitte, bitte, sei nicht sauer auf mich. Mir ging es echt schlecht den ganzen Tag. Ich mache alles, was du willst“, plappere ich. „Hast du Lust am Wochenende hier zu schlafen, von Freitag bis Samstag? … Hab Mama gefragt und es ist in Ordnung … Dann können wir uns zusammen für den Klub fertig machen … Ich verspreche, dich den ganzen Tag zu verwöhnen. Werde dir sogar eine Fußmassage geben und deine Zehennägel lackieren …“ Ich atme ganz tief ein. Warte.

Maja kichert und Erleichterung durchflutet mich. Ich seufze und lege mich wieder in die weiche Tiefe des Bettes zurück.

„Du! Du willst meine Füße massieren und meine Zehennägel lackieren …?“, kichert sie und klingt tief ironisch.

Ich lächele. Maja weiß sehr gut, dass ich eine Fußphobie habe. Egal wie klein und fein, sauber und lackiert, sie sind einfach eklig. Selbst mit meinen eigenen Größe-36-Füßen, auf die Maja neidisch ist, habe ich es schwer.

„Jep, das mache ich. Und ich werde es sogar dann tun, selbst wenn du nicht im Bad warst, Hauptsache du vergibst mir“, antworte ich.

Lachen rieselt in mein Ohr. Ich drücke das Handy an mich.

„Ich meine es so!“, füge ich hinzu.

„Das will ich sehen, bevor ich es glaube. Du wirst ohnmächtig, bevor ich überhaupt meine Stinkefüße aus den Socken gezogen habe,“ lacht sie.

„Du“, sage ich, als ihr Lachen verklingt. „Katrine … wann …?“ Ich beiße in den Knöchel meines rechten Zeigefingers.

„Ach, Katrine. Ich habe sie am Donnerstag im Klub getroffen. Katrine geht zu diesem Tanzen am Freitag … und, also, sie fragte, ob ich mitkommen wollte. Mama war außer sich vor Freude. Du weißt, wegen Malene …“ Maja seufzt in den Hörer und ich verstehe genau, was sie meint.

Maja ist eigentlich schlank, aber sie muss aufpassen. Kann nicht, wie ich, alles essen, ohne dass man es am Gewicht sehen kann. Ihre Mutter hat ewig Angst davor, dass sie Probleme bekommt, ihre schlanke Linie zu halten, genau wie ihr Vater und Majas ältere Schwester, Malene. Maja ist es verdammt leid. Ich fand es immer total seltsam, dass Malene und David Zwillinge sind. Sie ähneln sich überhaupt nicht. Weder vom Aussehen, noch vom Charakter. Er ist ein Sportnerd und athletisch, sie ist ein Bücherwurm und am etwas kräftigeren Ende der Körperskala. Sie könnten nicht unterschiedlicher sein.

„Du Arme,“ sage ich und Maja redet weiter.

„Na, also Katrine hat mich mit dieser Tanz-Sache gelockt und dass der Lehrer total gut aussieht. Er heißt Alex und hat gerade erst im Klub angefangen, aber tanzt bestimmt sehr viel in seiner Freizeit. Ein unglaublicher Körper!“ Sie kichert und ich lächele ein wenig. Das ist typisch für sie. Hauptsache der Typ ist toll, dann ist sie dabei.

„Aber es war eigentlich total lustig. Verdammt schwierig, aber lustig. Die Stunde verging wie im Flug. Und oh mein Gott, ist er gut. Richtig professionell und total latinoheiß. Ich verstehe gut, dass Katrine in ihn verknallt ist.“

Sie macht schmatzende, sabbernde Geräusche und ich lache. Das fühlt sich gut an. Befreiend.

„Das war ehrlich cool, du …“ sie zögert, ihre Stimme ändert ihren Ausdruck, „… du hättest auch dort sein sollen … Ich wünschte, du wärst da gewesen.“

Mein Lachen verstummt. „Wünschte ich auch,“ quake ich.

Stille hängt zwischen uns, schwer und vielsagend. Maja räuspert sich. Als sie spricht, ist sie so tastend, nachdenklich.

„Also, danach sind wir noch da geblieben, haben rumgehangen und Katrine war auch da … und sie ist einfach so gut im Tanzen. Ist zum Showdance gegangen seit sie … ja seit immer schon …“

Ich drücke das Telefon hart an mein Ohr. Will gerne hören und nicht hören, was sie jetzt zu sagen hat.

„… Also, weißt du was, ich denke, vielleicht haben wir sie etwas falsch beurteilt. Also nicht, weil wir nun beste Freundinnen wären oder so … wie wir zwei … aber weißt du, wir haben uns einfach gut unterhalten …“

Jedes Wort sticht und bohrt sich in mich wie ein Messer.

„… und tja, du warst ja nicht zu Hause. Also … das … das verstehst du doch, oder?“

„Mmh“, sage ich.

„Und dann kommst du ja am Freitag mit. Das wird echt super. Wir laufen zusammen rum, wie totale Neubeginner.“ Sie kichert.

„Mmh“, sage ich wieder und versuche, mitzukichern und etwas zu sagen.

Einfach irgendwas. Es ist egal, was. Wörter nehmen Gestalt an und rollen aus meinem Mund. Aber es ist vor allem Maja, die losplaudert und kurz danach ist das Gespräch vorbei und ich kann mich nicht erinnern, was ich gesagt habe.

Ich drücke das Handy an mich.

Katrine.

So ein Scheiß.

Maja und Eva. So ist es immer gewesen. Maja-Paja und Eva-Leva. Wir gegen den Rest der Welt und niemand, weder Eltern, Geschwister, Jungs oder sonst irgendwer konnte zwischen uns kommen. Das haben wir uns versprochen.

Maja und Eva. Und Katrine. Ich probiere die Namen aus, setze sie in allen möglichen Kombinationen zusammen. Aber egal wie, es klingt einfach total falsch.

Eva und Maja und Katrine.

Katrine und Eva und Maja.

Maja und Katrine und Eva.

Maja und Katrine. Und Eva.

Ich ziehe mir die Decke über den Kopf. Krümme mich zusammen zu einer Kugel und ziehe meine Knie an die Brust. Die Wärme der Decke und mein Atem umschließen mich und bald fühlt es sich so an, als ob nicht genug Luft da wäre.

Einen Moment fantasiere ich darüber, an Sauerstoffmangel hier unter meiner Decke zu sterben.

Wie meine Atmung langsamer und langsamer wird, bis sie zum Schluss ganz aufhört.

Ob sie mich vermissen würden? Bereuten, dass sie nicht mehr für mich da waren?

So liege ich eine lange Zeit. Mama ist längst ins Bett gegangen. Irgendwann schlägt die Haustür zu. Papa ist endlich von der Arbeit nach Hause gekommen. Die Tür knackt, als er sie zu meinem Zimmer öffnet. Ein Lichtspalt fällt über mein Gesicht und geht erst weg, als er so nah bei mir ist, dass er einen Schatten wirft. Ich habe geschlossene Augen und tue so, als würde ich schlafen.

„Bist du wach, Bambi?“, flüstert er.

Ich antworte nicht.

Er küsst mich auf die Stirn und streicht mir über das Haar. Mir wird warm innen drin und Tränen drängen sich hinter meinen Augenlidern. Kurz darauf bin ich wieder alleine und höre, wie die Tür zu Mads‘ Zimmer geöffnet wird.

Ich wende und drehe mich. Im einen Augenblick ist es zu warm und ich werfe die Decke ab, im anderen ist es zu kalt und ich ziehe sie wieder über mich. Als ich endlich einschlafe, träume ich.

Ich tanze im Schnee mit einem Fremden und hellbraune Augen glühen mir entgegen. Ich lächele und lasse mich rundschwingen. Rund und rund. Es kribbelt in meinem Bauch. Maja und Katrine tauchen hinter mir auf. Ich sehe sie, jedes Mal, wenn ich herumwirble. Sie zeigen auf mich und lachen und das Geräusch schlägt mir wie eine Welle entgegen. Ich sehe ihn, mit dem ich tanze, an, und dort steht Mads. Nackt und blau gefleckt und zitternd in all dem Weiß.

Ich öffne die Augen in der Dunkelheit. Die weiße Schärfe des Schnees prickelt noch auf meiner Netzhaut und ich atme in unregelmäßigen Zügen. Nach und nach tauchen die Konturen meines Zimmers auf, verdrängen das Bild von Mads und meine Atmung wird wieder normal. Ich greife nach meinem iPod Shuffle auf dem Nachttisch. Schlafe mit Oh Land und „Audition Day“ und dem Hackysack in der Hand ein.

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