Читать книгу Sieh mich jetzt - Sandra Schwartz L. - Страница 7

Kapitel 4

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Frühstückspause. Wir sitzen auf den schwarzen Sofas in unserer kleinen Ecke der Aula, fast neben unserem Klassenzimmer. The Voice kommt aus einem alten Ghettoblaster und das Personal ist nett. Vormittagsspaß und Erfrischung. Wie immer.

Ich starre vor mich hin, während die anderen lachen.

Wir sitzen nicht so, wie sonst, Maja und ich, nebeneinander. Oder das stimmt nicht. Faktisch sitzen wir nebeneinander, es fühlt sich nur nicht so an, weil Katrine auch da ist. Genau auf der anderen Seite von Maja. Sie isst sonst immer mit Tine und Yasmin aus der 9. Sie holen sie normalerweise ab und setzen sich an den Tisch in der Mitte der Aula. Der Tussentisch, wie er in den Ecken genannt wird.

Der Tisch der Coolen, der Tisch der Beliebten. Sie pflegt dort zu thronen, den Tisch mit ihren frühlingsblauen Augen und seidenweichen, blonden Locken zu erhellen. Frisch und kühl und genau so unwiderstehlich und unnahbar, wie der Rest der beliebten Clique.

Heute kamen sie einfach nicht. Obwohl sie hier sind und genau jetzt wie immer am Tussentisch sitzen. Stattdessen ist Katrine hier bei uns und alle tanzen und schawänzeln um sie herum. Erinnert mich an Fliegen um einen Hundehaufen.

Nikolaj und Jonas sind die schlimmsten, ständig dabei sich gegenseitig zu übertreffen. Das ist wirklich anstrengend. Aber da ist niemand, der das bemerkt. Abgesehen von mir. Aber das ist nicht das schlimmste. Am schlimmsten ist, dass Katrine ihr Licht auf Maja geworfen hat. Meine Maja.

„Glaubst du, sie haben sich gestritten?“, flüstere ich, als Katrine zur Toilette gegangen ist.

„Nee, das glaube ich nicht,“ antwortet Maja. „Ich denke, sie hätte was gesagt.“

„Warum sollte sie uns was sagen?“

„Wir sind doch ihre Freundinnen. So etwas sagt man doch.“

Ich starre Maja an. Freundinnen? Freundinnen wird man doch nicht in einer Woche. Das braucht Zeit, Wochen, Monate, ja Jahre. Das ist nichts, was aus heiterem Himmel passiert. Ich würde gerne lachen, reiße mich aber zusammen. Maja sieht nicht aus, als ob das ein Joke gewesen wäre.

„Glaubst du das wirklich?“, frage ich.

„Was meinst du?“ Maja sieht mich an.

„Ich meine nur, wir kennen sie ja kaum.“

„Hör doch auf, wir gehen doch seit Ewigkeiten mit ihr in eine Klasse.“

„Ich glaube aber nicht, dass sie es mir erzählen würde,“ sage ich dann. „Warum sollte sie? Wir haben nie zusammen rumgehangen.“

„Nja, aber ich bin mir sicher, sie würde es mir sagen.“ Maja ist jetzt genervt, aber ich kann das Thema nicht fallen lassen.

„Ganz ehrlich, Maja, glaubst du das wirklich? Man wird doch nicht einfach so plötzlich Freundinnen. Sie nützt dich …“

„Ausnützen! Was bist du streng. Du kennst sie einfach nicht. Sie hat es genau genommen nicht so einfach, nur dass du’s weißt“, unterbricht mich Maja.

Ich starre sie an, absolut nicht im Stande, irgendwas zu sagen. Maja starrt mit gekreuzten Armen zurück.

Ich senke meinen Blick. Ihre Worte nagen an mir. Vielleicht ist Katrine doch nicht so, wie wir dachten, und ich bin zu erbärmlich, das sehen zu können.

Ich will mich gerade entschuldigen und es erklären, aber da ist Katrine schon zurück. Sie hat in der Kantine ein Päckchen Kaugummi gekauft und bietet erst Maja und dann mir einen an. Ich lehne ab und gucke weg, während ich meine Arme unter meinem schwarzen Rollkragensweater reibe.

„Was ziehst du zum Tanzen an?“, fragt Maja Katrine und dreht mir den Rücken zu.

„Das weiß ich noch nicht …“, antwortet Katrine mit einem Schulterzucken und einem Lächeln. Einem 500-Watt-Lächeln.

„Du hast in dem Outfit, das du anhattest, einfach verdammt gut ausgesehen“, seufzt Maja, wickelt eine Korkenzieherlocke um den Zeigefinger und lässt sie fallen, wieder und wieder.

„Du kannst es gerne leihen, ich werde es nicht anziehen. Wir haben bestimmt die gleiche Größe.“ Katrine sieht Maja bewertend an. „Du hast zwar etwas größere Brüste, aber das macht nichts, es ist aus Stretch.“

„Ja aber, das ist doch ganz neu! Bist du sicher …?“ Maja sieht aus, als ob es bereits Weihnachten wäre und ein lange gewünschtes Geschenk gerade in ihren Schoß geplumpst sei.

Ich begreife Maja nicht. Das sind doch bloß Klamotten. What the fuzz. Begreife nicht, was mit Katrine los ist. Kann sie dieselben Sachen nicht nochmal anziehen? Offensichtlich nicht. Selbst wenn sie ganz neu sind? Geht wohl gar nicht. Je mehr ich darüber nachdenke, umso mürrischer werde ich. Und es wird nicht besser davon, dass Katrine und Maja natürlich dieselben Klamotten passen. Natürlich ist es klar, dass es so ist! Groß, wie die beiden sind, mit Beinen von hier bis zum Nordpol und weichen, kurvigen Formen. Auf jeden Fall verglichen mit mir.

„Wie toll, das ist einfach zu cool!“ Maja dreht sich zu mir. „Ist das nicht einfach meganett von Katrine?“, fragt sie und spießt mich mit ihrem Blick auf.

„Ja, natürlich, supernett“, sage ich, lächele und nicke, so gut ich kann. Katrine lehnt sich an Maja vorbei und sieht mich an. Und genau in einem Millionstel einer Sekunde glaube ich, ein Aufblitzen von Triumph zu sehen, ja fast von etwas Trotz in ihrem Blick. Aber ein Blinzeln später ist es weg und sie wirft mir nur ein strahlendes Megawatt-Lächeln zu, so dass ich Lust bekomme, zu knurren, ob sie die Beleuchtung nicht lieber etwas runter drehen sollte, damit die Birnen nicht durchschmoren.

Sie sieht mich weiter an, kramt einen Moment in ihrer Tasche und reicht mir dann eine Packung Ga-Jol – Mintlakritz, mein Favorit. „Hier. Sind das nicht die, die du gerne magst?“

Ich nicke und nehme eins, fühle mich plötzlich wirklich erbärmlich. Ich lächele sie an und meine es auch.

Katrine lächelt zurück und wirft mir das Päckchen in den Schoß, bevor sie sich in die Kissen zurücklehnt. „Du kannst sie gerne haben. Ich mache mir nichts aus ihnen.“

Das Lakritz wächst in meinem Mund und ich würde es furchtbar gerne ausspucken. Ich sitze und krümme mich im Sofa. Dann stehe ich auf und gehe.

„Wo gehst du hin?“, ruft Maja mir nach. Ich antworte nicht, gehe einfach weiter.

Ich sehe wirklich furchtbar aus, als ich meinen Blick im Spiegel auf der Mädchentoilette treffe.

Blass und mit schwarzen Rändern unter den Augen. Und selbst ich kann heute sehen, dass meine Augen groß sind. Sie füllen mein ganzes Gesicht aus, so dass meine Nase und mein Mund seltsam klein aussehen. Seufz. Nicht wirklich seltsam, dass mein Vater mich Bambi nennt. Bambi! Wer, verdammt nochmal, will schon Bambi ähneln? Wie ein zu groß geratenes Baby. Ich wäre lieber sexy und smart wie Katrine … oder mystisch und geheimnisvoll wie Maja. Stattdessen habe ich schlammbraune Haare und große, dumme Kuhaugen – und ja, Kühe sind süß und niedlich – aber auf absolut keine Weise frech.

Ich senke den Blick, beuge mich über das Waschbecken und stelle das kalte Wasser an. Das Wasser prickelt auf meiner Haut und schickt kalte Schauer über mich, die es schwer machen, zu atmen. Die Tür zur Toilette geht auf. Ich erkenne die Stimmen sofort, selbst wenn sie leise sprechen. Tine und Yasmin. Ich spitze die Ohren. Da stimmt was nicht. Yasmins Stimme ist total unklar.

Sie bemerken mich nicht, stellen sich bloß vor die Spiegel am anderen Ende der hintersten Toiletten. Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, dass Tine einen Arm um Yasmin hat, während sie mit der anderen Hand Wasser aus einem Hahn auf ein Papiertuch träufelt. Ich spritze mir weiterhin Wasser ins Gesicht, aber ihre Unterhaltung erreicht mich trotzdem. Ich kann es nicht lassen, zuzuhören.

„Ich weiß einfach nicht, wem ich glauben soll. Benjamin sagt, dass sie es war, die ihn geküsst hat. Sie sagt, er war es, der sie überfallen hat.“ Yasmin schluchzt.

„Nein, das ist auch verdammt schwierig. Aber warum sollte er lügen? Verdammt, Yasmin, er ist doch total in dich verknallt. Er hat fast geweint!“

„Ja, das weiß ich ja. Aber sie … sie … klang so, als ob sie … Und sie ist doch in den Tanztypen verknallt. Das ist wirklich seltsam.“

„Ich weiß. Das ist total mies. Aber ganz ehrlich, Yasmin, glaubst du wirklich, er könnte das erfinden? Und sie hat selbst eingeräumt, dass sie Benjamin heiß findet …“

Yasmin schluchzt und ich halte den Atem an. Sprechen sie über Katrine? Hat sie wirklich versucht, bei Yasmins Freund zu landen? Wie gemein. So was macht man einfach nicht. Der Freund von Freundinnen ist ein totales no go.

„Ich verstehe einfach nicht, wie ich so blind sein konnte … wie …“, sagt Yasmin.

Die Tür geht auf und eine Schar Mädchen aus der 5. strömt herein und stellt sich kichernd zwischen uns. Tine und Yasmin gehen an mir vorbei und wieder raus. Ich nehme ein paar Papiertücher und trockne gründlich mein Gesicht, während Gedanken die Innenseite meines Kopfes bombardieren. Deshalb hat sich Katrine also Maja angeschlossen. Sie hat sich blamiert. Hat sich ganz groß blamiert. Maja wird ausflippen. Die Freunde anderer sind absolut tabu. Ich zerknülle das Papiertuch zu einer Kugel und werfe es in den viel zu vollen Mülleimer. Es fällt auf den Boden, aber ich hebe es nicht auf, sondern fliege nur durch die Tür.

Als ich zurückkomme, sind alle schon in die Klasse gegangen. Maja sitzt auf Katrines Tisch. Caroline und Emma stehen auch dort. Als einzige in der Klasse sitzt Katrine nicht mit jemandem zusammen. Nicht, weil sie nicht könnte, die meisten Mädchen in der Klasse würden ihren rechten Arm geben, um neben ihr sitzen zu können. Sie hat es sich so ausgesucht. Wie die Sonne sitzt sie in der Mitte an ihrem Tisch, wir anderen sind nur Planeten in ihrem System. All ihre Sachen sind über den ganzen Tisch verteilt. Sachen, von denen wir anderen träumen, sie zu bekommen. Das IPhone, das IPad und die Make-up-Tasche, gefüllt mit Dior, Givenchy und anderen Produkten, von denen ich nicht einmal weiß oder wissen will, wie ich sie verwenden sollte. Selbst die Lehrer haben ihre Sachen bemerkt. Unsere Englischlehrerin Lis bittet sie jedes Mal, sie wegzuräumen.

Maja sieht auf, lächelt und winkt mich zu sich. Ich setze mich neben sie. Sie gibt mir eine schnelle Umarmung und ich will gerade was sagen, aber bevor ich anfangen kann, hat sie sich wieder umgedreht und ich starre ihren Rücken an. Katrine flüstert irgendwas. Maja kichert und lehnt sich eng an sie. Ich warte, dass sie sich wieder zu mir umdreht, so dass ich ihr signalisieren kann, dass ich mit ihr reden möchte. Aber das macht sie nicht. Ich bleibe sitzen. Versuche eine Lücke im Gespräch der anderen zu finden. Aber die kommt nicht. Ich sehe die anderen von der Seite an und bin plötzlich sicher, dass alle gemerkt haben, dass sie mir den Rücken zugedreht hat. Ich rücke näher an sie, schiele über ihre Schulter zu Katrine und versuche, mit zu lachen. Maja dreht ihren Kopf kurz und sieht mich seltsam an. Ich halte inne und reibe meine Arme.

Katrine redet in einem fort, weiter und weiter, und Maja und die anderen hängen an ihren Lippen und kichern bei jedem Wort. Als ob das nicht genug wäre, legt Katrine eine Hand auf Majas Arm, flüstert irgendwas in ihr Ohr und plötzlich sterben die beiden fast vor Lachen. Hi hi und ho ho und ha ha.

Ich stehe jäh auf, gehe zu unserem Tisch und setze mich. Öffne mein Englischbuch und tue so, als würde ich lesen. Die Worte spielen mit meinem Blick Fangen und ich lese dieselbe Passage mehrere Male, ohne zu verstehen, was da steht. Kann nicht damit aufhören, zu Maja rüber zu schielen.

Sie muss doch jetzt bald merken, dass ich weg bin. Und kommen.

Aber Maja bleibt sitzen. Sie kommt erst, als die Stunde anfängt. Die Glocke hat schon vor ein paar Minuten geklingelt und Lars, unser Lehrer, kommt gerade zur Tür rein. Maja lächelt mich an, hakt sich bei mir ein und sieht so glücklich aus, dass es mir einen Stich versetzt.

Und in dem Augenblick entscheide ich mich dafür, dass das, der Teufel hole mich, eine Lüge sein muss. Katrine ist nur dann eine Bedrohung, wenn ich sie eine sein lasse. Und das lasse ich unter keiner Bedingung zu. Beginnend von jetzt, genau jetzt, fangen wir neu an. Und morgen werde ich zeigen, dass ich die beste Freundin auf der ganzen Welt sein kann. Ich werde es Maja so gemütlich machen, dass sie einen Koller vor lauter Gemütlichkeit bekommt. Ich lächele vor mich hin, drücke ihren Arm an mich und lehne meinen Kopf an ihre Schulter.

Sieh mich jetzt

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