Читать книгу Vanessa - Heiße Nylonspiele - Sandra Wilde - Страница 5
ОглавлениеKapitel 2
Es war halb zehn Uhr abends und Vanessa war immer noch auf der Arbeit. Sie konnte es kaum glauben, denn es war bereits der vierte Tag in Folge – einschließlich des Wochenendes, an dem sie sich im Grunde genommen allein in den weitläufigen Büros von ›J. Culpepper and Sons, Equity and Finance‹ befand. Zu diesem Zeitpunkt hasste sie ihr Leben wieder einmal.
Vanessa sah sich in der höhlenartigen Weite des offenen Bürobereichs um und seufzte. Der riesige Raum war leer und dunkel, erleuchtet nur von dem orangefarbenen Schein des entfernten Korridors und dem schwachen Schimmer ihrer Schreibtischlampe. Überall um sie herum durchliefen Flachbildschirme ihre vorprogrammierten Bildschirmschonerzyklen und rollten das phantasievolle Firmenlogo hin und her, um die Aufmerksamkeit von absolut niemanden zu erregen. Sie rutschte auf ihrem Platz herum, runzelte leicht die Stirn und schaute auf den Stapel der Berichte, die sie gerade Korrektur las – ein Stapel, dessen Höhe sich trotz all der Anstrengungen, die sie unternahm, nicht im Geringsten zu verändern schien.
Mit einem weiteren Seufzer stand sie auf und griff nach ihrer Kaffeetasse. »Ich sitz‘ mit Sicherheit noch bis Mitternacht hier rum, da kann ein wenig Koffein nicht schaden«, murmelte sie vor sich hin. Vom plötzlichen Klang ihrer eigenen Stimme im leeren Raum verstört, schaute sie sich um. Sogar die Putzfrauen sind schon fort, dachte sie still. Nicht zum ersten Mal fragte sie sich, ob sie die einzige Person im ganzen Gebäude war.
Sie zuckte die Achseln und machte sich auf den Weg.
Als sie durch das Großraumbüro trat, machten ihre Beine ein leises Geräusch, als ihre Oberschenkel aneinander streiften – ein Geräusch, das sich unter dem Surren der Computer und dem Summen der Klimaanlage merkwürdig ausnahm. Sie bog in den Korridor ein, ging an den dunklen Büros der Partner und angestellten Anwälten vorbei, bis sie schließlich in die Ecke kam, in der Tatumn Sandringham ihr Büro hatte – die Leiterin des Sekretariatsteams, ihre unmittelbare Vorgesetzte, und verantwortlich dafür, dass sie um diese vorangeschrittene Stunde überhaupt noch arbeitete.
Ohne es zu wollen verzog sich ihr Gesicht beim Vorrübergehen zu einer finsteren Grimasse – eine ungesteuerte Reaktion ihres Muskelgedächtnisses auf eine Frau, die Vanessa gleichermaßen fürchtete und haste. Tatumn Sandringham war eine dominierende, bedrohliche Frau – eine wahre Naturgewalt – die ihre Untergebenen mit ihrer strengen Disziplin und ihrer altmodischen Art terrorisierte und ihnen jedes Selbstbewusstsein nahm.
Sie hatte eine bestimmte Art, Dinge zu tun, einen bestimmten Stil, der gut zur Führungsebene passte, für ihr Team jedoch die reine Hölle war. Doch trotz ihrer eisigen Art erzielte sie Erfolge, und die gaben ihr die Macht, dass alle ihre Untergebenen zu ihrer ›fröhlichen‹ kleinen Melodie wie gute kleine Mädchen tanzten.
»Ja, Miss Sandringham« wurde für Vanessa und ihre Kolleginnen zu einem vertrauten Mantra, als sie ihre endlosen Anweisungen und Wünsche aufnahmen und sich Mühe gaben, ihre hohen Anforderungen zu erfüllen. Als Tatumn Sandringham sie aufforderte Überstunden bis zum Ende des Monats zu machen, um einen Stapel an Berichten abzuarbeiten, hatte sie es stillschweigend geschluckt – und auch als sie die abteilungsweite Richtlinie zur Kleidervorschrift herausgab, war sie ihr gefolgt, wenngleich sie nichts mehr wie Bleistiftröcke, Strumpfhosen und die schwindelerregend hohen Absatzschuhe hasste.
Vanessa seufzte und betrachtete ihr Spiegelbild in der großen Glaswand von Tatumn Sandringham Büro. Sie war einundzwanzig und hatte gerade das College abgeschlossen. Aber die kantige, kunstvolle und alternative Prinzessin, als die sie durch die Hallen und das Studentinnenwohnheim ihres Universitätslebens getreten war, war nichts Anderes mehr als eine ferne, zunehmend verblassende Erinnerung. Sie war zu einem Klon geworden, einem Unternehmensroboter, der Inbegriff von allem, was sie einst zu verachten behauptete – mit einer frischen weißen Bluse, honigblondem Haar, in einem adretten Pferdeschwanz zusammengehalten, modischer Brille und schlichten Strumpfhosen, die immer schwarz zu sein hatten, nie durchsichtig oder gar einmal farbig und für Tatumn Sandringham ein Kernstück der Bekleidungsvorschrift darstellten.
›Mir ist aufgefallen, dass einige von Ihnen die Unternehmensrichtlinien zur Kleiderordnung missachten‹, hatte sie allen Mitarbeiterinnen in einer allgemeinen E-Mail eröffnet. ›Ich darf Sie daran erinnern, dass der eigene Auftritt ein Spiegelbild des gesamten Unternehmens ist und das Versäumnis, sich angemessen zu präsentieren, in der Tat ein sehr schlechtes Bild ergibt. Ab Montag präsentiert sich jedes Mitglied des Sekretariats in einer passenden Bluse, einem Bleistiftrock und eleganten Schuhen mit hauchdünner Strumpfhose. Wir sind eine angesehene Anwaltskanzlei und kein drittklassiges Bordell. Überprüfen Sie dazu die entsprechende Passage auf der Personal-Website auf zulässige Farben.‹
Vanessa grinste vor sich hin, als sie sich an die Bestürzung und den Unglauben im Team erinnerte, als sie gemeinsam die ›Human Resource‹-Website geöffnet hatten und feststellten, dass die Liste der zulässigen Farben überhaupt keine Liste war und sich ebenso gut auf ein einziges Wort beschränken ließ: langweilig! Na ja, dachte sie still, ein Job ist eben ein Job.
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