Читать книгу Himmel - Sandra Newman - Страница 9
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ОглавлениеWenn Kate verliebt war, wurde der Traum stärker. Sie schlief noch immer in ihrem Traum. Die Person, als die sie schlief konnte nicht aufwachen. Doch Kate konnte ihre Traumwelt erahnen; sie erwuchs rund um ihr Bett zu einer Stadt. Jenseits der Stadt lagen Felder, und das Traumvieh schüttelte die Hörner unter der trüben Traumsonne; Schiffe segelten über ein leuchtendes Traummeer. Am stärksten war der Traum, wenn Kates Herz gebrochen war. Dann schlief sie ein, als ob sie aus dem Leben und wieder ins Leben hineinfallen würde, und der Traum nahm eine Wendung ins Numinose, wie es auch in der Realität passiert, selbst im blinden Schlaf war er klar und lebendig. Sie hatte keine zufriedenstellende Erklärung dafür, doch sie spürte, dass der Traum durch die Liebe beflügelt wurde.
Nach ihrem ersten Kuss träumte sie also das Bett, in dem ihr anderes Selbst lag, die muffigen Samtvorhänge, die es umgaben. In der Nacht, nachdem sie das erste Mal Sex gehabt hatte, träumte sie eine Katze, die neben ihr schlief, sich streckte und ihr eine kleine, aber deutlich spürbare Pfote in die Rippen drückte. Nachdem ihr erster Freund fremdgegangen war, träumte sie den Lorbeerduft der Weihnachtsgirlanden und wusste, dass sie einen ganzen Tag darauf verwendet hatte, sie anzufertigen; sie konnte ihre steifen, wunden Hände spüren. Als Nick sie für Phuong verlassen hatte, erwartete sie, dass der Traum seinen Verlust kompensieren würde, und ihre Traurigkeit war eine Ekstase, eine Schuld, eine geheime Erregung.
Tatsächlich kam der Traum in diesen Wochen näher. Namen tauchten in ihrem Bewusstsein auf, fantastische Namen der Traumorte und Traummenschen. In ihrem Schlaf hörte sie die Glocke von St. Sepulcrum schlagen; sie erklang, wann immer jemand zur Hölle gefahren war. Da war eine Schauspieltruppe, deren Anführer ein gewisser Lord Strange war – einmal war sie auf einem Pferd mit schwarzer Mähne geritten, um die Schauspieltruppe zu sehen; sie hatte eine samtene Maske getragen. Und es gab Nonesuch Palace, wo sie einer Königin zu Füßen gesessen und auf einer Elfenbeinflöte gespielt hatte. Die Königin hatte einen Umhang aus silberner Spitze getragen, der mit riesigen Spinnen bestickt war; ihr Name war Cynthia, und sie herrschte über den Mond. Sie hatte einen wehen Zahn und ihre Wange war geschwollen. Die Hofadligen brachten ihr Tränke und Arzneien, doch nichts konnte ihren Schmerz lindern.
Emilia musste etwas tun. (Emilia war Kates Traumname). Es galt, einen Auftrag zu erfüllen oder eine Nachricht zu übermitteln – im Traum hatte Emilia keine Zeit zu verlieren. Doch Emilia konnte einfach nicht aufwachen. Nur Kate konnte aufwachen, in New York, was weder hier noch dort war – es bedeutete, zu fiedeln, während Rom in Flammen stand.
Kate erwachte also in New York und sollte aufstehen. Sie sollte ihren Traum vergessen, ihn unter der Dusche von sich abwaschen. Sie sollte sich einen Job suchen.
Sie dachte: Wenn ich Nick wirklich lieben würde, könnte ich aufwachen. Sie würde denken: Wenn er mich lieben würde. Außerdem würde sie denken, dass auch andere Menschen wiederkehrende Träume hatten und es nicht unbedingt etwas zu bedeuten hatte. Der Gedanke kam ihr, aber sie glaubte nicht daran. Sie glaubte an den Traum.
Zu glauben war schließlich etwas Wunderbares. Das war das Problem mit den Atheisten (dachte Kate); sie hatten womöglich recht, doch ihr Unglaube war utilitaristisch, freudlos, wie ein brutalistisches Gebäude. Niemand würde darin leben wollen. Niemand konnte wollen, dass sie recht hatten.
Sie glaubte. Und in der echten Nacht, die sich über New York City gelegt hatte, spazierte sie den Fluss entlang und betrachtete den Mond. Er war bleich und echt. Ein Fels. Auf ihm gab es keine Cynthia, die in der kühlen Luft von Nonesuch Palace tanzte, keine Silberkönigin mit in der Mondbrise flatternden Spinnen, kein Mädchen, das auf dem mit Stroh und Blumen übersäten Boden saß, in einer Flut kunstvoll bestickter Röcke, und auf einer Elfenbeinflöte spielte.
Einstweilen hatte sie keinen Job. Sie hatte ihr Studium abgebrochen. Ihr Leben führte nirgendwohin. Doch man kann nichts tun, dachte Kate. Der Traum war ihr einfach passiert. Er war eines jener Vorkommnisse, bei denen das Beste daraus zu machen bedeutete, sie vor anderen zu verheimlichen.