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WIE FRANZISKA VOM STRAND VERJAGT WIRD
FREIHEIT GIBT ES NUR AM FREIEN STRAND
Franziska hatte sich vor ihrer Abreise viele Gedanken gemacht, wie es wohl in der Stadt sein würde. Wenn sie nun abends auf ihrem Bett lag und darauf wartete, einzuschlafen, toste der Verkehr in ihrem Kopf, tauchten die Sehenswürdigkeiten und die italienische Sprache in ihren Gedankenspielen auf und manchmal auch Tübingen und ihre Freunde. Eines hatte sie damals jedoch noch nicht wissen können: wie das römische Licht magisch leuchtete. Es stimmte tatsächlich, was viele Römer sagen, dass nämlich in Rom ein ganz besonderes Licht herrsche. Nicht nur abends, wenn die Sonne auf ihrem Weg zum Horizont die Häuserlandschaften in ein golden warmes Licht tünchte, sondern auch tagsüber. Gleich am zweiten Tag war Franziska dieses schöne Licht aufgefallen. Und nicht einmal der stärkste Smog schaffte es, die Schönheit der Strahlen zu trüben.
Heute schien die Sonne besonders kräftig, obwohl in Deutschland der Sommer schon gänzlich dem Herbst Platz gemacht hatte und auch in Italien langsam aber sicher die Temperaturen sanken. Franziska wollte ans Meer fahren. Die Ruinen von Ostia antica wollte sie links liegen lassen und stattdessen ein paar Bahnstationen später aussteigen, dort, wo heute das Meer war. Früher lag die Küste unweit hinter der Ruinenstadt Ostia antica, die bemerkenswert gut erhalten geblieben ist. Die Versandung hatte den Ort dann aber in den vergangenen zweitausend Jahren landeinwärts rücken lassen. Wer weiß, vielleicht macht der Klimawandel das jetzt wieder rückgängig, dachte Franziska halb scherzhaft. Selbst in der Ewigen Stadt war wohl nichts für die Ewigkeit gemacht ...
Nun hieß der neue Küstenort zwar ebenfalls Ostia, doch als Hafenstadt war Rom völlig unbedeutend, sieht man von ein paar kleinen Booten ab, die südlich des heutigen Ostias anlanden, südlich des nun mit dem Begriff Lido versehenen Ostia. Von dem quasi schwarzen Sand dort hatte Franziska schon gelesen.
Sie hatte sich inzwischen ein Monatsticket zugelegt, es war billig, Erasmusstudenten wie sie mussten nicht einmal zwanzig Euro dafür bezahlen. Mit dem Ticket kam sie bis an den Strand, der Zug fuhr ab der Station Piramide, die nach der unweit liegenden Pyramide des Cestius benannt war, doch auch diese wollte Franziska ignorieren. Selbst den wunderschönen und ruhigen Friedhof direkt am Fuße der Pyramide ließ Franziska heute Friedhof sein. Es würde noch genug Gelegenheit geben, dies alles anzuschauen.
Es hieß zwar immer, die Römer gingen im Spätherbst nicht mehr ans Meer, manche sagen gar, ab Ende September sei Schluss mit Baden, doch davon war in Ostia nichts zu spüren. Ein Auto reihte sich auf den Parkstreifen entlang der Straße an das nächste. Anfangs wusste Franziska nicht, wie sie ans Meer kommen sollte. Sie sah das Wasser nur durch Gitter, als einen riesigen grünen Teppich, der mit ein paar Schaumfransen auf dem Anthrazit des Strandes aufstieß. Kaum einmal waren die Gitter von einem Eingang unterbrochen. Ein Strandbad neben dem anderen erstreckt sich entlang der Straße, manche mit schönen Grünanlagen, andere mit alten Holzumkleiden und alle mit Absperrungen. Schließlich ging Franziska einfach durch ein offen stehendes Metalltor, schlängelte sich vorbei an Toilettenanlagen, Umkleiden, Tischen und Sonnenschirmdepots, bis sie in dem tatsächlich dunkelgrauen Sand stand.
Sie hatte Lust, durch die Brandung zu spazieren.
An einem Flecken, der ihr gefiel, breitete sie ihr Handtuch auf dem Sand aus, es war ein Strand, nicht so voll wie die anderen Abschnitte, an denen sie vorbeigekommen war, aber doch gut besucht. Es schien ein Familienstrand zu sein: keine laute Musik, stattdessen kleine Kinder, die im Sand spielten. Männer streckten ihren Bauch in die Sonne, einige Frauen standen zu einem Plausch beieinander.
Franziska zog sich schnell aus und packte ihren Bikini aus der Tasche. Wenige Sekunden später hatte sie die Badesachen an. Sie hatte sich gerade auf ihrem Handtuch ausgebreitet, als plötzlich ein Mann mit einem gewaltigen Bauch vor ihr stand.
»Sie können hier nicht bleiben«, sagte er, was Franziska aber nicht verstand, denn der Mann redete in tiefstem römischem Dialekt. Sie schaute ihn fragend an. Der Mann machte eine wischende Bewegung mit seiner Hand. Er hatte wohl verstanden, dass sie ihn nicht verstand, und sagte energisch: »Via! Via!«
Franziska packte ihre Sachen und fragte sich, ob das die italienische Gastfreundschaft war, von der ihre Eltern immer geschwärmt hatten.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Franziska hat sich einen Lido für das Sonnenbad ausgesucht, und das war falsch. Denn es gibt in Italien eine Faustregel, die man kennen sollte, wenn man ans Meer will: Nennt sich das Strandbad »Lido XY«, ist der Aufenthalt dort in der Regel kostenpflichtig. In Gegenden mit hohen Preisen, wie etwa um Sorrent, kann die Miete für eine Liege sogar bis zu 20 Euro pro Tag betragen. So kann ein Strandbesuch schnell ein teures Vergnügen werden, zumal, wenn man mehrere Liegen und einen Sonnenschirm mietet. Allerdings gibt es auch eine günstigere Möglichkeit: die spiaggia libera, der freie Strand. Hier gibt es oft auch Bars, die neben Essen und Trinken auch Liegen und Sonnenschirme anbieten. Man kann dort aber auch einfach wie Franziska sein Handtuch ausbreiten und sich gemütlich sonnen.
Was können Sie besser machen?
Einfach fragen, ob man sich niederlassen kann. Generell hilft auch, das Verhältnis von Sonnenliegen zu Handtüchern abzuschätzen: Viele Liegen deutet darauf hin, dass es sich um einen kostenpflichtigen Strand handelt. In manchen Fällen werden Handtücher jedoch geduldet, selbst wenn der Strandbesitzer oder -pächter Liegen vermietet.
Eines aber ist in Italien völlig unüblich: sich am Strand offen umzuziehen. Anders als es an deutschen Badeseen oft praktiziert wird, wechseln Italiener entweder unter dem Handtuch ihre Badeklamotten, bei Frauen kann es auch mal das Kleid sein. Oder aber, was zumindest am Lido am häufigsten der Fall ist, es werden die Umkleidekabinen benutzt. Oder man zieht die Badekleidung bereits zu Hause an.
In Italien sind zwar an jedem Abend zig langbeinige Schönheiten als sogenannte Veline im Fernsehen zu sehen, als knapp bekleidete und dumm lächelnde Bildschirmdekoration, dazu gibt es zig Kanäle für Pornofilme, und A-, B- und C-VIPs sind nie sicher vor Paparazzi, wenn sie oben ohne am Strand liegen (und wollen es oft auch nicht sein, schließlich helfen auch solche Berichte in zwielichtigen Starmagazinen, sich in einem Fernsehland durchzusetzen). Doch der starke Katholizismus hat dennoch seine Wirkung auf das Land: Man ist prüde. Die Gesellschaft ist komplett durchsexualisiert, männlich dominiert und immer noch von einem traditionellen Rollenverständnis geprägt, demzufolge die Frau vor der Heirat locken und eine Femme fatale sein soll, danach aber eine gute Mutter und Hausfrau (auch wenn hier die heutzutage häufige Berufstätigkeit der Frau einiges geändert hat!). Öffentliche Nacktheit ist nicht gern gesehen. Dass Menschen ohne jede Textilie am Leib im Park liegen, wie etwa im Englischen Garten in München, ist in Italien unvorstellbar, auch wenn es inzwischen einige offizielle FKK-Strände gibt. Weit weniger nackt, aber dennoch strengstens verpönt, ist es, als Mann oben ohne in der Stadt unterwegs zu sein. Dann besser ein leichtes Hemd tragen und dieses bis zum vorletzten Knopf, also bis auf Höhe des Bauchnabels, offen lassen!