Читать книгу Fettnäpfchenführer Italien - Sandro Mattioli - Страница 16
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WIE FRANZISKA EINE KULINARISCHE LEKTION ERTEILT WIRD
AUFGEWÄRMTE FRITTEN SIND OKAY, KETCHUP KAUM
Franziska fragte sich, warum sie so hungrig war, hatte sie den ganzen Tag doch ohne jede Kraftanstrengung am Strand gelegen – am freien Strand, nachdem sie vom anderen vertrieben worden war. Ab und an war sie kurz ins Wasser gegangen, um sich abzukühlen, und hatte sich dabei ganz italienisch gefühlt. Nur noch eine mit Wasser gefüllte Sprühflasche fehlte ihr, eine Einrichtung für die ganz Entspannten, die nicht einmal den Weg ins Wasser auf sich nehmen wollen.
Jetzt stand sie in ihrer Küche und es überkam sie die Lust auf Pasta, wie sie sie zu Hause öfter gegessen hatte. Sie beschloss, eine lange Pasta zu machen, Linguine, flach gedrückte Spaghetti, wie ihre Mutter immer sagte. Sie nahm die Packung in die Hand und schlug sie mit der schmalen Seite mit Wucht auf den Küchentisch. Durch den Aufschlag platzte die Plastikhülle an der gegenüberliegenden Kopfseite auf und sie konnte ein Bündel Pasta herausnehmen. So hatte sie es einmal bei einem alten Mann gesehen, der zu Hause am offenen Fenster sich einen Topf Nudeln kochte. Sie war von der Einfachheit dieser Art, die Packung zu öffnen, begeistert.
Nach genau der auf der Packung angegebenen Zeit goss Franziska die Nudeln ab. Die Handvoll Pasta auf ihrem Teller mischte sie just in dem Moment mit der Sauce, als Giulia in die Küche kam. Sie hatte gerade geduscht, ihre Haare waren noch nass.
»Igitt, was machst du denn da?«, fragte ihre Mitbewohnerin und verzog ihr Gesicht. »Che schifo«, wie eklig.
»Warum? Ich habe die Pasta schön al dente gekocht.«
»Ja, aber das ist Ketchup«, sagte Giulia und zeigte abschätzig auf die rote Plastikflasche auf dem Küchenbord.
»Richtig«, sagte Franziska, »ich mag das.«
»Ihr Deutschen habt ja keine Ahnung vom Essen, ihr seid ja fast noch schlimmer als die Amerikaner«, schimpfte Giulia und ging kopfschüttelnd aus dem Raum.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Italiener haben genaue Vorstellungen von ihren Gerichten, die Kochvorschriften sind sehr rigide. Eine verkochte Pasta ist eine Blamage für jeden Koch und Pasta mit Ketchup ein Verbrechen. In manchen Familien geht das so weit, dass die Pasta immer frisch gekocht wird und nie aufgewärmt.
Für Deutsche ist es nicht so einfach, richtig italienisch zu kochen. Beispielsweise ist in der Bolognese-Soße nie das Hackfleisch die dominierende Zutat. Und viele Italiener lassen die Pasta nicht im Topf gar werden, sondern nehmen sie vor der Zeit aus dem Wasser und kochen sie in einem flachen Topf oder in einer Pfanne gemeinsam mit der Soße zu Ende. Das hat den Vorteil, dass die Nudeln den Geschmack der Soße besser aufnehmen, macht die Zubereitung aber ungleich schwieriger. Selbst an und für sich einfach zuzubereitende Gerichte erweisen sich in Italien plötzlich als komplexe Sache.
Wo in Deutschland jedes Reis-Gemüse-Gemisch ungestraft als Risotto bezeichnet werden darf, muss in Italien die richtige Reissorte verwendet werden (meist Arborio- oder Carnaroli-Reis), der Wein, der peu à peu hinzugefügt wird, muss zum genau richtigen Zeitpunkt in den Topf gegeben werden, damit der Alkohol verdunsten kann, dazu darf der Gemüseanteil nicht zu hoch sein – und wehe, der Reis wird zu weich gekocht!
Was können Sie besser machen?
Zunächst einmal: Akzeptieren Sie den Glauben der Italiener, dass man nirgendwo auch nur annähernd so gut essen kann wie in ihrem Land. Wenn Sie allzu touristische Lokale meiden und sich nach Möglichkeit von Einheimischen Gaststätten empfehlen lassen, werden Sie bald auch davon überzeugt sein. Dann werden Sie auch verstehen, warum Italiener sich wenig flexibel bei der Zubereitung traditioneller Gerichte zeigen.
Italien kann sich nur schwer an neue Essgewohnheiten anpassen. So gibt es vergleichsweise wenig ausländische Lokale, Fastfoodketten haben es nicht leicht, gewinnen allerdings in den vergangenen Jahren an Land. Die Gesellschaft hat sich ein Stück weit internationalisiert, viele Studenten reisen durch Europa und die Welt, und schließlich macht auch die Globalisierung vor der italienischen Grenze nicht Halt.
In Rom gibt es inzwischen zahlreiche Dönerbuden, die meist mit deutschen Plakaten für die in Deutschland gefertigten Fleischspieße werben. Andere Städte ziehen nach, doch die Pizza al taglio, der Verkauf von in Stücken geschnittener Blechpizza, dominiert immer noch das Bild. Und anders als in Deutschland werden die Stücke hier nach Gewicht bezahlt. In manchen norditalienischen Orten, die von der rechtsextremen Lega Nord regiert werden, sind ausländische Gaststätten, wie etwa Dönerbuden, sogar verboten worden.
POLITISCHE PARTEIEN IN ITALIEN
Die Parteienlandschaft in Italien erlebt seit längerer Zeit immer wieder durchgreifenden Wandel – wie etwa durch das Aufkommen der rechtsextremen Lega – aber erst seit 1992. Von der Nachkriegszeit bis in jenes Jahr war eine Partei ständig an der regierenden Koalition beteiligt gewesen, nämlich die Democrazia Cristiana. Politische Stabilität brachte das jedoch nur bedingt mit sich, vielmehr kann man von einer Stabilität im Unstabilen sprechen: Zwar wechselten die Regierungen sehr häufig, doch oft wurden dann nur die Posten neu verteilt. Das italienische Parteiensystem hat lange Zeit keinerlei Klauseln gehabt, Kleinstparteien außen vor zu lassen, wie dies in Deutschland mit der Fünf-Prozent-Hürde der Fall ist. Die Folge war, dass oft kleine Gruppierungen stabile Regierungen stürzen konnten. Während der langen Herrschaft der Democrazia Cristiana bildete sich ein Filz heraus, der erst durch eine gewaltige Ermittlungsaktion, den sogenannten Mani pulite, Saubere Hände, der Staatsanwaltschaft aufgelöst worden ist. Folge der Ermittlungen war der Zerfall der Democrazia Cristiana, außerdem wurde die politische Elite mit einem Schlag verkleinert. Diese Ermittlungen, dazu der Aufstieg der kleinen separatistischen Partei Lega Lombarda aus dem Norden Italiens, die später in der Lega Nord aufging, sowie Veränderungen des Wahlrechts haben die politische Landschaft von den 1990er Jahren an stark verändert. Waren zuerst die linken Kräfte quasi ausgeschlossen von der Macht, bildete sich nun ein bipolares System heraus. Doch Stabilität ist Italiens Sache nicht, und so kündigen sich ständig neue Parteien und Allianzen an, etwa Italia dei Valori oder das MoVimento 5 Stelle des Komikers Beppe Grillo. Mal haben sie Bestand, mal verschwinden sie rasch wieder. Bisher nennt man die Zeit bis 1992 Erste Republik, die Zeit von 1992 bis heute logischerweise Zweite Republik. Diese Terminologie zeigt in jedem Fall auch, wie einschneidend die Mani-Pulite-Aktion war.