Читать книгу Verschollen in der Höllenschlucht - Sandy Palmer - Страница 5
1
ОглавлениеGlutrot ging die Sonne hinter den Bergen unter, als sich Monika Anzenberger, die schöne Tochter des Bürgermeisters, in ihre Kammer begab, um sich für den heutigen Abend umzuziehen.
Heute war der Tag, an dem sich alle Dirndl im Dorf hübsch machten, und die Bürgermeistertochter hatte einen besonderen Grund dazu. Heute wollte sie mit ihrem Liebsten, dem Bergführer Toni Tanner, über das Sonnwendfeuer springen.
Was das bedeutete, wussten alle Bergler. Ewige Liebe und eine Hochzeit im nächsten Jahr.
Auf diese Hochzeit freute sich die Monika unbändig, denn sie liebte den Toni von Herzen. Was machte es da schon, dass er nur ein armer Bergführer war, der sich im Winter sein Geld als Skilehrer bei den Touristen verdiente? Sie liebte ihn und er sie, und nur das zählte in ihren Augen.
Anders jedoch dachte der Bürgermeister des Dorfes, der reiche Sebald Anzenberger, über diese Sache. Seine einzige Tochter sollte auf einen reichen Besitz einheiraten, für sie war ihm nur das Beste gut genug.
Das zeigte sich in diesem Moment, als die Monika ihre Kammer erreichte und ihre Schranktür öffnete. Dort hing ein Dirndl neben dem anderen, und eins war so hübsch wie das andere. Die Wahl, was sie heute Abend tragen sollte, fiel deshalb besonders schwer.
„Ja, ja, wer die Wahl hat, hat die Qual.“ Die Stimme ihrer Mutter riss Monika aus ihren Grübeleien.
„Recht hast, Mutter“, lächelte das hübsche Mädchen. „Ich weiß wirklich net, was ich heut auf die Nacht anziehen soll. Es muss ja für die Johannisnacht was Besonderes sein.“
„Na, ein Sonntagsdirndl wird's doch wohl tun, oder?“, erkundigte sich die Bäuerin gespannt.
Fast hätte sich die Monika verraten und der Mutter gestanden, dass diese Sonnwendnacht in ihrem Leben eine ganz besondere werden sollte, doch noch rechtzeitig beherrschte sie sich.
So lieb und gut die Mutter sonst auch war — in einem Punkt hatte sie kein Verständnis für ihre Tochter: Sie verurteilte, ebenso wie der Anzenberger, der Bürgermeister, Monikas Liebe zum Toni.
Ein solcher Hungerleider passte einfach nicht in die wohlhabende Bauernfamilie, wo seit Generationen Geld zu Geld, Besitz zu Besitz gekommen war. So war es gekommen, dass der Anzenberger in weitem Umkreis der Reichste und Mächtigste war. Und diesem Reichtum hatte er auch sein Amt als Bürgermeister des Ortes zu verdanken.
„Du hast recht“, stimmte Monika der Mutter schnell zu, „ich zieh das weinrote Dirndl mit der weißen Bluse und der Spitzenschürze an, was meinst?“
„Darin schaust fesch aus, nimm's nur“, stimmte die Mutter ihr zu. Dann trat sie hinaus auf den Balkon und schaute hinüber zum Berghang, wo sich die jungen Männer schon seit Stunden damit abplagten, einen riesigen Holzstoß zu errichten.
Überall in der Gegend zog an diesem Tag die Dorfjugend aus, um einen Holzstoß aufzurichten. Am Abend dann, wenn es dunkelte, würde man von allen Berghängen die Johannisfeuer leuchten sehen.
„Mit wem gehst denn?“, erkundigte sich die Bürgermeisterin bei ihrer Tochter und kam wieder ins Zimmer zurück.
„Ach, ich weiß noch net genau“, antwortete die Monika vage. „Die Gernhofer Resi hat gesagt, sie wollt' mich abholen. Wahrscheinlich treffen wir uns mit den anderen Mädels.“
„Das ist recht so“, stimmte ihr die Mutter bei und unterdrückte ein erleichtertes Aufatmen. Sie hatte schon befürchtet, die Monika hätte sich mit dem Toni verabredet. Und sie wollte wenigstens an diesem Festtag keinen Ärger im Haus haben. Diesen hätte es jedoch mit Sicherheit gegeben, wenn ihr Mann spitzgekriegt hätte, dass die Monika sich mit dem Bergführer traf.
Was die Anzenbergerin freilich nicht wissen konnte, war die Tatsache, dass sich ihre Tochter mit der Resi abgesprochen hatte. Die Freundin wollte sie zwar abholen, und sie würden auch gemeinsam hinauf auf den Berg steigen, doch an der Rosenalm würden sie sich trennen, dort würde der Toni auf seine Liebste warten, und gemeinsam würden sie den Weg zum Feuer zurücklegen.
Jetzt hatte sich die Monika frisch gemacht und zog das Dirndl an.
„Na, ist's gut?“, erkundigte sie sich bei ihrer Mutter.
„Freilich, wirst die Schönste sein heut auf d‘ Nacht“, sagte die Bürgermeisterin voller Stolz.
Diesen Ehrgeiz hatte die Monika gar nicht. Sie wollte nur für einen schön sein: für ihren Toni. Und dem gefiel sie auch in ihren Arbeitsdirndln.
Aber wenn sie nachher, nach dem Sprung über den glühenden Holzstoß, sich heimlich versprachen, wollte sie doch ein Feiertagskleid anhaben. Dies war schließlich kein Tag wie jeder andere.
„Ich werd' mal ‘nuntergehen und den Vater aus seiner Schreibstube holen“, sagte die Mutter. „Wenn er sich net ein wengerl beeilt, kommen wir noch zu spät zum Wirt. Und ich möcht' doch einen guten Platz kriegen, damit wir alles überblicken können.“
„Dann schau nur zu, dass du den Vater von seinen Akten weglocken kannst“, lachte die Monika.
Dann ging sie zum Spiegel, um sich die langen blonden Haare zu einer festlichen Frisur aufzustecken. Dann noch ein Griff in die Schmuckschatulle, die recht gut gefüllt war, und nachdem sie sich die herrlichen Granatohrringe angelegt und die dazu passende Kette umgehängt hatte, war sie endlich mit ihrem Aussehen zufrieden.