Читать книгу Verschollen in der Höllenschlucht - Sandy Palmer - Страница 7

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Die Sonnwendfeuer waren abgebrannt. Niemand im Dorf sprach mehr von diesem Fest, nur die Monika wartete täglich darauf, dass der Vater sie voller Zorn auf ihren Sprung mit dem Toni ansprechen würde. Sie hatte ein wenig Angst, dass irgendjemand aus dem Dorf sie beobachtet und ihrem Vater diese Neuigkeit gesteckt hätte. Doch anscheinend hielt die Dorfjugend dicht, und von den älteren Leuten hatte sie wohl niemand gesehen.

Als zwei Wochen vergangen waren und wirklich niemand mehr vom Johannistag sprach, wagte Monika aufzuatmen. So lieb sie den Toni auch hatte, so wagte sie es dennoch nicht, offen gegen den Willen ihres Vaters zu handeln. Es war schlimm genug, dass sie sich weigerte, den Huber Peter zu treffen, wie es der Vater immer wieder wünschte. Doch in dem Punkt blieb die Monika hart.

„Ich kann ihn nun mal net leiden, Vater“, hatte sie erst gestern wieder mit aller Entschiedenheit erklärt. „Er ist mir zuwider. Zwing mich, bittschön, net dazu, mich mit ihm abzugeben. Es kommt doch nix dabei heraus.“

„Bei deiner Freundschaft mit dem Bergsteiger, diesem Hungerleider, auch net“, hatte der Bürgermeister ihr wütend geantwortet. „Dafür will ich schon sorgen. Den Mann, den du mal heiratest, den such ich aus, dass du‘s nur weißt!“

„Und es kümmert dich gar net, wenn ich ihn net mag? Wenn ich mein ganzes Leben lang mit einem Mann zusammenleben muss, der mir verhasst ist?“, hatte sich die Monika mit Tränen in den Augen erkundigt.

„So ein Schmarrn“, war die Antwort des Anzenbergers gewesen. „Deine Mutter und ich haben uns auch noch net geliebt, als wir geheiratet haben. Unsere Väter haben die Ehe befohlen — und wir haben gehorcht. So war‘s der Brauch seit altersher. und so ist‘s bei uns noch heut. Und frag die Mutter — sind wir net glücklich miteinand geworden?“

Monika wagte das zu bezweifeln. Zwar fiel nie ein böses Wort zwischen den Eltern, aber sie hatte auch noch nie erlebt, dass sie sich etwas Nettes oder Liebes gesagt hätten.

Und so sollte sie leben? Tagaus — tagein neben einem Mann, der ihr gleichgültig war? Nein, lieber verließ sie den Hof bei Nacht und Nebel und zog zum Toni, auch gegen den Willen des Vaters.

Aber noch war es ja nicht soweit. Noch war der Toni so arm, dass man an eine Heirat nicht denken konnte. Doch im nächsten Jahr, im Frühling, so hofften sie beide, würden sie vor dem Traualtar stehen.

Der Toni wollte in diesem Sommer noch viele Touristen den Berg hinaufführen, und im Winter würde er wieder eine Arbeit als Skilehrer annehmen, die auch recht gut bezahlt wurde. Wenn sie dann nicht so große Ansprüche stellten, würden sie bestimmt leben können in Tonis kleinem Häusl, das ein wenig außerhalb des Dorfes lag.

Dort, auf seinem kleinen Acker, arbeitete der Toni auch an diesem strahlenden Sommertag. Er trug alte Jeans, und das karierte Hemd stand am Hals weit offen und ließ ein wenig von seiner gebräunten Brust sehen.

Plötzlich hielt er in seiner Arbeit inne, denn er sah einen großen eleganten Wagen die schmale Auffahrt zu seinem Besitz herauffahren. Eine große Staubwolke wehte hinter dem Gefährt her.

Ob ich Besuch krieg‘?, fragte sich der Toni. Doch er konnte sich nicht erklären, wer ihn zu dieser Tageszeit besuchen sollte. Und das Auto kannte er auch nicht.

Dennoch hielt der Wagen genau vor seinem kleinen Häusl. Ein älterer Mann stieg aus, der ein wenig weltfremd aussah. Eisgraues Haar stand ihm wirr vom Kopf ab, und er war unverhältnismäßig klein.

Doch als er jetzt auf den Toni zutrat, wirkte er keineswegs lächerlich, sondern recht imponierend, denn seine gletscherblauen Augen schauten den jungen Mann durchdringend an, und durch seine goldene Brille wirkte er sehr gelehrt.

„Guten Tag“, grüßte der Fremde mit einer dunklen Stimme, die in krassem Gegensatz zu seiner kleinen Gestalt stand. „Sind Sie der Bergführer Toni Tanner?“

„Freilich“, nickte der junge Bursch und wischte sich die Finger an seiner Arbeitshose ab, „der bin ich.“

„Dann ist es gut. Dann habe ich die Beschreibung, die mir ein Bauer gegeben hat, doch richtig verstanden. Wissen Sie“, fügte er erklärend hinzu, „mit dem Dialekt, der hier in Bayern gesprochen wird, stehe ich nämlich auf Kriegsfuß.“

„Woher kommen S' denn?“, erkundigte sich der Toni und bemühte sich, ein verhältnismäßig reines Hochdeutsch zu sprechen.

„Ich komme aus Hannover“, erklärte der Fremde. „Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle“, setzte er dann hinzu. „Steinhaus, Professor Theodor Steinhaus.“

„Angenehm“, nickte der Toni und ergriff die Hand des Professors, die dieser ihm reichte. „Was führt Sie denn zu mir?“, erkundigte er sich dann, weil er sich nicht erklären konnte, was er mit diesem Preußen gemein haben könnte.

„Sie sind doch Bergsteiger“, begann der Professor ein wenig umständlich.

„Sicher. Der einzige hier im Dorf.“

„Man hat es mir gesagt. Und in Ihrer Eigenschaft als Bergsteiger oder Bergführer brauche ich Sie“, erklärte der Professor.

Einen Augenblick lang wusste der Toni nicht, was er sagen sollte. Er musterte das spindeldürre Männchen, das da vor ihm stand, nur ein wenig skeptisch.

Wie will der eine anstrengende Bergtour überstehen?, fragte sich der Toni. Der sieht ja aus, als könne er nicht einmal ein Seil tragen, geschweige denn sich abseilen.

„Sie wollen in die Berg steigen?“, erkundigte er sich sicherheitshalber noch einmal.

„Ich selbst nicht unbedingt“, erwiderte Professor Steinhaus. „Und ich will nicht in die Berge, sondern in die Höllenschlucht.“

„Das ist ja noch viel gefährlicher“, entfuhr es dem Toni. „Naa, Herr Professor, den Gedanken können Sie sich aus dem Kopf schlagen. Dahin nehm‘ ich Sie net mit. Das ist eine Tour, die nur Experten gehen können.“

„Ich muss aber in die Höllenschlucht“, beharrte der Professor, und der Toni dachte bei sich, dass der Preuß ungeheuer stur und unvernünftig sei.

„Es geht net“, sagte er deshalb noch einmal. „Der Weg da ‘runter ist zu gefährlich.“

„Würden Sie sich denn zutrauen, ihn zu gehen?“ Professor Steinhaus sah den jungen kräftigen Burschen gespannt an.

Toni nickte.

„Zutrauen würde ich mir es schon, aber darum reißen täte ich mich net“, meinte er. „Der Weg ist halsbrecherisch steil, und es ist auch für mich net ganz ungefährlich, da hinabzusteigen.“

„Ich kenne das Gelände“, sagte Professor Steinhaus. „Ich weiß genau, wie es beschaffen ist. Schon seit zwei Jahren befasse ich mich mit der Höllenschlucht.“

„Wie soll ich denn das verstehen?“, erkundigte sich der junge Bergsteiger, der sich auf diese Worte keinen Reim machen konnte.

„Ich bin Geologe“, gab der Fremde endlich eine Erklärung ab, „und in der Höllenschlucht vermute ich besondere Vorkommen. Deshalb beschäftige ich mich schon solange mit dieser Gegend hier.“ Er machte eine umfassende Handbewegung über die ganze Umgebung hin.

„Und was habe ich damit zu tun?“, wollte Toni wissen.

„Sie sollen mich in die Höllenschlucht führen“, meinte Professor Steinhaus. „Ich will von dort Gesteinsproben haben. Diese sind für meine Forschungen von größter Bedeutung.“

Toni schüttelte den Kopf und verbiss sich krampfhaft ein Lächeln. Die Vorstellung, mit diesem kleinen dünnen Männchen in die Höllenschlucht steigen zu müssen, war zu amüsant. Doch er erkannte, dass es dem 'Professor mit seinem Ansinnen Ernst war, und so versuchte er, ihn umzustimmen.

„Ich habe Ihnen schon gesagt, dass es ein gefährlicher Weg da hinab ist“, sagte er. „Allein würde ich es wagen, doch mit Ihnen nie und nimmer. Da könnte ich die Verantwortung net dafür übernehmen.“

Eine Weile ging der Professor sinnend hin und her. Er schien den Toni ganz vergessen zu haben, der ihn abwartend anschaute. Schließlich aber blieb der Preuße ruckartig vor dem Toni stehen und sagte in bestimmtem Ton: „In Ordnung, dann gehen Sie eben allein, wenn ich Ihnen nur eine Last bin.“

Toni glaubte im ersten Moment, nicht richtig gehört zu haben. Was sagte dieser Preuß da? Wagte er es, über ihn zu bestimmen? Er war zwar arm, doch von keinem Menschen auf der Welt abhängig. Das hatte ihn schon immer mit Stolz erfüllt, und diese persönliche Freiheit wollte er auch unter keinen Umständen aufgeben.

„Ich glaube, jetzt haben wir zwei uns net richtig verstanden“, wandte er ein.

„O doch“, widersprach Professor Steinhaus und reckte sich ein wenig, damit er Toni in die Augen sehen konnte. „Ich habe gerade gesagt, dass Sie für mich in die Höllenschlucht steigen werden. Gegen Bezahlung, selbstverständlich.“

Nun fand der Toni den Professor aus Preußen gar nicht mehr so spinnig, im Gegenteil. Gegen ein angemessenes Honorar war er schon bereit, diesen Weg anzutreten. Dennoch wandte er ein: „Das Risiko ist groß, das ich eingehen werde!“

„Ich weiß, doch es soll Ihr Schaden nicht sein.“ Professor Steinhaus zückte seine Brieftasche und entnahm ihr fünf nagelneue Hundertmarkscheine. Diese reichte er dem jungen Burschen.

Zunächst glaubte der Toni, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Eine solche Geldsumme auf einmal hatte er nur selten in Händen, und besitzen tat er sie erst recht nicht. Hastig griff er danach.

„Das ist die Anzahlung“, sagte Professor Steinhaus da, und dem Toni drohten die Augen aus den Höhlen zu treten vor lauter Überraschung. „Wenn Sie mir genügend Gesteinsproben mit heraufgebracht haben aus der Höllenschlucht, dann bekommen Sie dieselbe Summe noch mal.“

Hatte der Tanner Toni im Stillen noch ein wenig gezögert, weil er sich der Gefahr, in die er sich begab, genau bewusst war, dann zauderte er jetzt keine Sekunde mehr. War das Risiko auch groß, die Bezahlung war es auch. Und das war im Endeffekt entscheidend.

„Einverstanden“, sagte der Toni schnell, damit es sich der Professor nicht noch einmal überlegen konnte. Bei den Preußen wusste man ja nicht so genau, wie sie in ihren Reaktionen waren und ob sie bei einem einmal geschlossenen Pakt auch blieben.

„Wann können Sie sich denn auf den Weg machen?“, fragte der Professor jetzt und strich sich eine Strähne seines weißen Haares aus dem Gesicht.

„Wann immer Sie wollen. Sie haben mich ja engagiert.“

„So schnell wie möglich“, sagte der alte Mann da. „Ich komme mit meinen Untersuchungen und Ausrechnungen nicht weiter, wenn ich die Gesteinsproben nicht habe.“

Dem Toni schoss der Gedanke durch den Kopf, dass er der Monika nichts von dieser gefährlichen Tour erzählen durfte, sie würde sich nur ängstigen und ihn wahrscheinlich flehentlich bitten, diesen gewagten Kletterpart nicht zu unternehmen. Aber er brauchte dieses Geld, brauchte es sogar ganz dringend. Er hatte sich vorgenommen, sein Häusl so schön wie irgendmöglich zu machen. Vielleicht war es ihm mit diesen tausend Markerln sogar möglich, einen Raum anzubauen, damit die Moni nicht gar so beengt leben musste, wo sie ein so stattliches Heim von zu Hause her gewöhnt war.

Toni war dumpf entschlossen, diesen gefährlichen Auftrag auszuführen, und zwar heimlich. Er wollte die Monika überraschen mit dem großen Geldbetrag.

„Ich brauche drei Tage, um mich vorzubereiten“, erklärte er. „Ich muss mir eine Spezialausrüstung leihen, denn so viel Zeug habe ich net. Solche Touren gehe ich ja gewöhnlich mit unseren Touristen net.“

„Das sehe ich ein“, nickte Professor Steinhaus. „Lassen Sie sich nur Zeit mit den Vorbereitungen. Ich möchte kein Risiko eingehen, denn die Proben sind sehr wichtig. Während der nächsten Tage werde ich mich im Wirtshaus einquartieren. Dort gibt es doch sicher Zimmer?“

„Selbstverständlich“, nickte der Toni. „Der Wirt wird sich freuen über einen so berühmten Gast.“

„Noch bin ich nicht berühmt“, schwächte Professor Steinhaus ab, „ich will es erst werden — mit Ihrer Hilfe, Herr Tanner.“

„Bitt‘ schön, sagen Sie Toni zu mir“, bat der Bursche. „Herr Tanner nennt mich hier niemand, und es könnte sein, dass ich gar net richtig darauf reagiere.“

„Wie Sie wollen, Toni“, lächelte der Professor, und um seine Augen, die hinter den blitzenden Brillengläsern lagen, bildeten sich ein paar Lachfältchen. Doch gleich darauf wurde er wieder ernst, weil ihm einfiel, dass er mit dem Toni noch etwas Dringendes zu bereden hatte.

„Ich muss Ihnen noch genau erklären, nach was Sie eigentlich suchen müssen“, sagte er. „Doch das ist nicht so schnell gesagt, dazu müsste ich ein wenig weiter ausholen.“

„Ist schon recht“, meinte der Bursch. „Dann kommen Sie am besten mit mir ins Haus.“

„Gern.“ Professor Steinhaus ging noch einmal kurz zu seinem großen Wagen zurück, um etwas daraus hervorzukramen, während Toni schnell sein Handwerkszeug, das im Hof herumlag, zusammenräumte. Dann führte er den Gast, der jetzt einen Aktenkoffer in der Hand hielt, in die gute Stube seines Häusls, die zwar nicht komfortabel eingerichtet, aber sehr sauber war.

Auf dem Tisch breitete Professor Steinhaus einige Zeichnungen aus, auch etliche Tabellen, mit denen der Toni jedoch nichts anzufangen wusste.

„Das hier“, erklärte der Professor, „ist der Querschnitt durch die Höllenschlucht. Wie Sie sehen können, verlaufen hier einige Adern im Gestein. Das ist schon wissenschaftlich geprüft. Nur weiß man noch nicht, um was für ein Metall es sich handelt, das in dem Gestein eingelassen ist.“

Der Toni war nicht dumm, und er hatte schon einiges von Goldadern, Bleiwerken und Erzgruben gehört. Sollte es etwa sein, dachte er blitzschnell, dass sich in der Höllenschlucht große Metallvorkommen befinden?

Seine unausgesprochene Frage bekam er schnell beantwortet, denn Professor Steinhaus erklärte, wobei ein fanatischer Glanz in seine Augen trat:

„Ich vermute — und vieles spricht für meine Theorie —, dass sich gewaltige Uranmengen in dieser Schlucht befinden. Jetzt will ich von Ihnen nur, dass Sie mir Gesteinsproben bringen. Natürlich müssen Sie darauf achten, dass die Steine auch von dem Uran durchzogen sind.“ Er wies auf ein Bild, das einen Gesteinsbrocken, zeigte, der aus einem Uranbergwerk stammte.

„Das müsste ungefähr so aussehen“, erläuterte er dem aufmerksam zuhörenden Toni.

„Das kann ich mir merken“, meinte der. Dann dachte er laut weiter: „Also müsste ich mir noch eine Spitzhacke mitnehmen, Plastikbeutel und einen Spaten.“

„Richtig. Besorgen Sie sich nur, was Sie brauchen! Und wenn Sie es sich nicht leihen können, dann kaufen Sie alles, was Sie brauchen. Für alle Unkosten komme ich auf.“

Der scheint Geld wie Heu zu haben, fuhr es dem Toni durch den Kopf, doch er nickte nur zustimmend. „Mache ich“, erklärte er.

„Dann lasse ich Sie jetzt allein.“ Professor Steinhaus erhob sich ein wenig schwerfällig, sammelte alle seine Unterlagen ein und verschloss sie wieder in seinem Aktenkoffer. Dann reichte er Toni verabschiedend die Hand. „Wir sehen uns also in drei Tagen, kurz bevor Sie sich auf den Weg machen“, sagte er.

„Geht in Ordnung, Herr Professor.“ Toni drückte die Hand des Gelehrten recht vorsichtig, weil er Angst hatte, dem dünnen Männchen die Knochen brechen zu können.

Es ist schon ein merkwürdiges Ding, unser Gehirn, sinnierte er dann, als er wieder allein war und sich eine Brotzeit richtete. Da wohnt in einem kleinen spindeldürren Körper ein Gehirn, das so ausgefallene Dinge ausklüngelt. Man muss den Professor wirklich bewundern. Mir könnte die Idee, in der Höllenschlucht nach Uran oder einem anderen Erz zu suchen, nicht kommen.

Dennoch war er höchst zufrieden, dass der Herrgott auch solche Menschen wie den Professor aus Preußen erschaffen hatte, denn auch er, der Bergführer Toni Tanner, hatte ja seinen Nutzen davon.

Verschollen in der Höllenschlucht

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