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Wie ich ohne Signal verloren in der Metro war und beinahe im Gewitter auf dem Times Square getanzt hätte …

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Der Düsseldorfer Flughafen liegt komplett im Fog – Nebel des Grauens. Ich ziehe mein Flugticket über den Scanner und passiere das Drehkreuz zu den Gates. Ein letztes Mal heroisch winkend schleppe ich mich mit meinem tonnenschweren Rucksack um die Ecke. Als ich sicher bin, dass mich keiner mehr sehen kann, gehe ich in die Knie und berühre mit den Fingerspitzen den kalten Marmorboden mitten im Gang. Blut schießt mir in den Kopf und Tränen in die Augen, während ich grinse, bis es wehtut. Ab jetzt bin ich allein. Vier Monate lang. Wahrscheinlich verende ich einfach irgendwo. Ein Gedanke, der mich im Vorfeld so paranoid gemacht hat, dass ich beinahe heimlich ein Testament geschrieben und zu Hause im Klokasten versteckt hätte. Habe ich aber nicht.

Ich bereue es sofort, als ich in der Höllenmaschine von British Airways sitze und mich an meinen viel zu voll gepackten Rucksack klammere, während der Pilot den Motor anschmeißt. Das Flugzeug nach New York rollt los. Kann der Kapitän bei dem Nebel überhaupt was sehen? Ich jedenfalls nicht. War da vorne nicht gerade ein schemenhafter Schwarm Enten, der nur darauf wartet, in die Turbinen zu donnern und ein Inferno auszulösen? Vielleicht ist auch mein Handgepäck einfach so schwer, dass die Maschine gleich nach dem Start abstürzt. Noch vor den Enten. Gleichzeitig bin ich todesnervös wegen der Einreise. Das beste USA-Visum im Pass ist nämlich nichts wert, wenn der Beamte vor Ort entscheidet, einen nicht reinzulassen, weil ihm die Nase nicht passt. Was in meinem Fall ein echtes Problem werden könnte, weil ich meiner Nase wegen bereits mehrmals beim Bundesarchiv versucht habe herauszufinden, ob meine Vorfahren nicht doch Pelikane waren.

Dann sind wir in der Luft. Acht Stunden lang. Weil mir während des Starts ähnlich einer Ätna-Eruption der Angstschweiß ausgebrochen ist, fühle ich mich allerdings so, als wäre ich schon achtzig Stunden unterwegs. Der Flug ist angenehm ruhig. Liegt vielleicht auch nur an der Neurexan-Überdosis, die ich mir noch schnell eingeworfen habe. Ich versuche, einen Film zu gucken, damit ich die ganzen, beunruhigenden Geräusche im Flieger nicht so laut höre.

Kurz vor der Landung kommt eine Stewardess mit einem Zettel vorbei. Irgendetwas mit Zoll. Vor Aufregung schreibe ich direkt mal meine Flugnummer in das Feld für die Reisepassnummer. Ich streiche die Zahlen hektisch durch und zerreiße dabei fast das Formular. Dann blicke ich kurz aus dem Fenster und sehe in einiger Entfernung ganz weit unten riesige Häuser, die wie stählerne Säulen aufragen. New York City. Du machst das wirklich, denke ich. Also echt jetzt. Ich bin kurz davor, auf die Rückseite der Zollerklärung einen emotionalen Brief an mein siebenjähriges Ich zu schreiben. Dann kommt die Stewardess und sammelt das Papier mit strengem Blick ein. Wir setzen zur Landung an.

»Wieso brauchen Sie so lange für Ihre Reise?«, fragt mich der Grenzbeamte am Flughafen in New York, während er das Foto in meinem Pass hypnotisiert. Weil das Flugzeug nicht schneller geflogen ist, möchte ich rufen. Dann bete ich ihm lieber meine Reiseroute runter. Er stempelt meinen Pass. »Viel Spaß. Die Route 66 ist gefährlich.« Er winkt mich weg und ich stehe wie eine Kuh im Gewitter hinter der Grenze. Das war alles?! Ich bin in den USA. Einfach so. Das muss ich sofort der Weltöffentlichkeit melden. Ich hole mein neues Handy heraus, das ich mir extra für die Reise gekauft habe, weil es in den USA andere Frequenzen gibt als in Europa. Leider nicht in diesem Moment, denn mein Signal ist tot. Nachdem es auch durch minutenlanges Anstarren und dezente Panik nicht besser wird, wuchte ich schließlich meinen roten Koffer mit den unauffälligen, weißen Punkten vom Gepäckband, wobei ich versuche, nicht gleichzeitig wegen des Riesenrucksacks umzukippen. Darin befinden sich in Tetris-Formation Laptop, Kamera, ein Buch, Kopfhörer, Stifte und zwanzigtausend andere Dinge, die kein Mensch braucht, aber die ich sicherheitshalber mal eingepackt habe. Denn bestimmt gibt es in den USA keine richtigen Geschäfte und die Menschen leben in Höhlen.

Jetzt erst mal die Bahn finden. Weil ich ein Airbnb gebucht habe, holt mich kein Page im Frack mit Hotelschild im Privattaxi ab. Ich ächze einige Treppen hinunter zur U-Bahn-Station und erwarte dort einen marmorierten Bahnsteig mit eleganten Waggons – schließlich bin ich in New York City. Eine Sekunde später bricht krachend eine silbrig-dreckige Blechbüchse in den düsteren Schacht mit den dekorativen Tropfsteinen an den Decken. Zögernd betrete ich den schrottreifen Hogwarts-Express. Auf meinem Handy habe ich einen Offline-U-Bahn-Plan als PDF gespeichert. Ich muss zweimal umsteigen und meine Endhaltestelle kenne ich auch. Gute Vorbereitung ist alles. Das Handysignal ist immer noch tot. Keine Ahnung, was da los ist, aber ich kann nicht gleichzeitig hektisch auf dem U-Bahn-Plan herumwischen, versuchen, nicht hinzufallen und nachgucken, ob mein Telefon richtig verdrahtet ist. Die Bahn fährt an und aus dem Tunnel hinaus in die überirdische Zone. Draußen ziehen typisch amerikanische Häuser mit bunten Holzfassaden, Veranden und Garagen so groß wie die Dechenhöhle vorbei. Und einige Minuten später auch die Haltestelle, an der ich eigentlich hätte umsteigen müssen. Verdammt. Ich wische hektischer auf dem Fahrplan herum und zerdenke ihn dabei so sehr, dass ich irgendwie überhaupt nicht mehr aussteige, sondern wie angeschraubt auf meinem Sitz hocke und beobachte, wie die bunten Vorstadthäuser immer schäbiger werden. Die Türen öffnen und schließen sich und langsam werden auch die Fahrgäste immer seltsamer. Verdammt, ich bin in New York. Alleine. Irgendwo. Vielleicht bekomme ich das alles überhaupt nicht hin. Was tue ich hier eigentlich? Als ich gerade komplett ausflippen will, setzt sich ein etwa 50-jähriger Rastafari neben mich und grinst mich mit seinem Golddepot im Mund an. »Hi, ich bin Wendell. Wie geht’s dir? Kann ich dir helfen?« Was ist das? Habe ich gerade aus Versehen per Telepathie den Bob-Marley-Support angerufen? Bevor ich es mir anders überlegen kann, stammle ich in grässlichem Schul-Englisch, dass ich lost bin. Und zwar completely. Er blickt auf meine Karte und versucht, mir den Weg zu erklären, doch ich bin inzwischen so durch, dass ich bloß mit halb offenem Mund den Typen mit dem röhrenden Ghettoblaster auf der Schulter ansehe, der gerade durch die Tür stampft.


Die Gedenkstätte »Strawberry Fields« im New Yorker Central Park – ein blumiges Denkmal für John Lennon. Als Beatles-Fan muss ich da natürlich unbedingt mal vorbei.

»Ich kann dir den Weg auch einfach zeigen und dich ein Stück begleiten«, sagt Wendell daraufhin. Heiliges Ofenrohr, bestimmt nicht. Wahrscheinlich will er dafür Geld. Oder etwas ganz anderes. Doch ich kriege mal wieder kein Wort raus. Also spaziere ich in der nächsten halben Stunde mit einem völlig Fremden durch das U-Bahn-System von New York und nicke einfach nur zu allem, was er sagt, denn ich verstehe nur Rauschen. Zwischendurch nimmt er mir sogar den schweren Koffer ab. Bis ich endlich wieder weiß, wo ich bin. Dann verabschiedet er sich mit einem breiten Goldlächeln, sagt »Have a great trip!« und ist weg. Ich glotze ihm nach. Ich weiß nicht, was das für ein überirdisches Zeichen war, aber in Deutschland wäre mir das nicht passiert.

Um drei Uhr nachts liege ich in meinem Airbnb wach. Mein Kopf denkt durch die Zeitverschiebung, es wäre neun Uhr morgens. Plötzlich dröhnt eine Polizeisirene wie aus einem Katastrophenfilm an mein Ohr. Ich stecke meinen Kopf unter mein Kissen und ziehe meine Hand unter die Bettdecke, weil sie sonst bekanntermaßen von einem Monster abgebissen wird. Dann warte ich auf Schussgeräusche. Nichts. Als ich hinaussehe, erkenne ich, dass es bloß ein Feuerwehrauto ist. Ich beschließe, am nächsten Tag einfach nicht aus dem Haus zu gehen. Nie wieder.

Das ist natürlich Blödsinn. In den kommenden zwei Wochen stelle ich fest, dass die U-Bahn in New York ziemlich gut ist, wenn man sein Gehirn bei der Benutzung nicht auf Stand-by stellt. Ich zische vom Ground Zero zum Empire State Building, besuche die Public Library, das Museum of Modern Art und laufe die 5th Avenue runter. Es ist unheimlich befreiend, allein durch eine so große Stadt zu spazieren. So winzig und unbedeutend zu sein. Von niemandem gesehen zu werden, aber gleichzeitig alles zu sehen. Zu entdecken und zu staunen.

Nachdem ich herausgefunden habe, dass die Freiheitsstatue vom Festland aus die gigantische Dimension eines Legomännchens hat, kaufe ich mir ein Ticket für die Fähre hinüber nach Liberty Island. Ich muss mir dieses Monument mit der brennenden Eiswaffel in der Hand endlich persönlich und in voller Größe angucken. Auf dem Kahn pustet eisiger Wind. Wir umfahren die Insel mit der Statue, die unter dem wolkenbedeckten Himmel etwas farblos wirkt. Über Lautsprecher werden Informationen in den Äther gefunkt, doch ich höre nichts, weil ich die Statue anstarre wie die Reinkarnation von Elvis. Manche Personen oder Gebäude hat man so oft in irgendwelchen Büchern oder im Film gesehen, dass sie in einer Scheinrealität verschwinden und man ganz vergisst, dass sie wirklich existieren.

Auf der Insel hantiere ich mit dem Audioguide herum und drücke anscheinend aus Versehen die Seniorentaste, denn plötzlich schreit mich eine freundliche Stimme an, dass mein Rundgang jetzt beginnt. Nach ein paar Schritten stehe ich endlich frontal vor Miss Liberty. Fest trägt sie die Unabhängigkeitserklärung im Arm und reckt die andere Hand hoch in den Himmel. Mal stand sie für den Gegensatz zum politischen System in Europa, mal war sie Willkommenssymbol für Immigranten, dann einfach eine Werbefigur. Und wahrscheinlich erinnert sich jeder daran, wie sie sich aus den Rauchwolken des 11. Septembers gereckt hat.

»Überlegen Sie einen Moment, was Sie hier hergebracht hat«, tönt es aus dem Audioguide. Während die Stimme weiterredet, lasse ich die Kopfhörer langsam von den Ohren gleiten und umfasse das eiskalte Geländer vor mir. Noch nie habe ich eine Skulptur gesehen, die so viel Kraft und Lebendigkeit ausgestrahlt hat. Ihr Ausdruck und ihre Haltung sind voll unbeirrbarer Energie. Ein Moment, der mich gefangen nimmt. Was hat mich hierher gebracht? Der unbedingte Wille, herzukommen. Mir diesen Lebenstraum zu erfüllen. An ihm über viele Jahre festzuhalten, ständig darauf hinzuarbeiten und mich nie davon abbringen zu lassen. Nicht von Menschen, die an mir gezweifelt haben, nicht von finanziellen Hürden, von Angeboten, Ausreden und Angst. Eine halbe Ewigkeit stehe ich so da und nehme nichts um mich herum wahr. Es ist, als ob mich etwas mit der Statue verbindet, das sich nicht in Worte fassen lässt.

Leider ist mein Handy auch nach knapp zwei Wochen in New York noch nicht wieder auferstanden – und seltsamerweise hat die Verdrängung des Problems nicht geholfen. Nachdem ich Google über das WLAN im Airbnb nach einer Lösung befragt habe, kam bloß heraus, dass ich in ein Geschäft gehen oder eine englische Hotline anrufen soll. Vor lauter Verzweiflung über diese völlig unmöglichen Optionen, hätte ich beinahe meinen Vermieter und Mitbewohner auf mein Problem angesprochen. Doch ich stehe immer extra so auf, dass ich ihm nie begegne, damit er nicht mit mir reden kann. Also tanze ich jetzt aufgeregt vor der Tür eines dubiosen Handyladens irgendwo in Manhattan herum, weil im Schaufenster steht, dass dort die SIM-Karte verkauft wird, die ich besitze. Da es im April in New York immer noch so kalt ist wie der Hintern eines Pinguins, gehe ich schließlich in den Shop. Aber nur, weil ich sonst erfroren wäre. Zwischen Handyhüllen mit Strass und dreckigen Kabeltrommeln steht ein Gangster-Typ an der Theke. Ich versuche, mit dem Vokabelschatz einer Seenadel zu erklären, was los ist. Auch er spricht nur schlecht Englisch. Eine Konversation so gediegen wie beim Literaturquartett. Sollte man unbedingt aufzeichnen. Nach zehn Minuten bin ich wieder draußen. Das Einzige, was ich verstanden habe, ist, dass es angeblich nicht an der SIM-Karte liegt. Ich soll aber mal zum Telefonanbieter AT&T gehen. Leider ist gleich in der Nähe auf bedrängende Weise ein AT&T-Store. Ich überlege, ob ich das nicht einfach morgen machen könnte. Doch mir gehen die Tage aus. Ganz bald fahre ich schon mit dem Greyhound Bus weiter nach Washington. Die Airbnb-Vermieterin dort hat mich gebeten, ihr von unterwegs eine SMS zu schreiben, wann genau ich ankomme. Ob nicht auch Brieftaube gehen würde? Ich starre durch das Fenster von AT&T. Drei Verkäufer und kein Kunde. Ich versuche, mir Sätze zurechtzulegen und kriege fast einen Herzinfarkt. Dann gehe ich rein. Eine nette Dame überschüttet mich nach meiner kargen, auswendig gelernten Frage mit einem Schwall aus Worten, während ich nicke und grinse. Irgendwann merkt sie, dass ich nichts verstehe und erklärt mir langsam in English for Dummies, dass ich aus irgendwelchen Gründen ein falsches Handy mit den falschen Frequenzbändern habe. »Die haben sich leider diesen Februar noch mal geändert«, sagt sie. Ich habe mein tolles USA-Handy bereits im Januar gekauft. Um besonders gut vorbereitet zu sein. Langsam dämmert mir, dass meine gute Vorbereitung bisher so nützlich war wie ein Sandsack in der Wüste. Kurz darauf bin ich bei Best Buy. Dem Media Markt für Amis. Ich kaufe mir ein neues Handy. Ein ganz billiges für 50 Dollar. Es sieht aus wie ein Zementklotz, aber es hat Signal. Zum Glück befindet sich auf meiner Budgetliste ein Punkt namens Unnötige Ausgaben für blöden Kram. Genau darunter verbuche ich die gesamte Geschichte am Abend heimlich. Dann fällt mir auf, dass ich nebenbei in drei Geschäften war, mit drei Menschen gesprochen habe und eine Situation, die nicht in meinem allumfassenden Notfallplan gestanden hat, gelöst habe. Weil ich musste. Aber auch, weil ich es irgendwie konnte. Seltsam.


New York tost. Bei Nacht und Tag. Millionen kleine Fenster in den erleuchteten Hochhäusern Manhattans und tausende Menschen am Times Square.

An meinem vorletzten Tag in New York Tag schüttet es wie aus Eimern. Auf meiner Packliste stehen nach mehreren Trips mittlerweile sogar Dinge wie Tupperdose für Muscheln und Sensitive Pflaster, weil ich eine Allergie gegen alles zu haben scheine, was normal ist. Aber Schirm fehlt. Manchmal bringt einem so eine Liste so viel wie tagelange Angst vor Flügen oder ein vorab gekauftes Handy: absolut rein gar nix. Doch ich muss raus. Ich muss heute essen gehen. Denn wenn ich weiter im Supermarkt einkaufe und mir selbst etwas koche, bin ich verhungert, bevor ich meine erste SMS vom neuen Zementhandy schreiben kann. Seit Tagen pansche ich mir Omelettes und Gemüsepfannen zusammen, doch das Essen hat eine ganz andere Farbe als zu Hause. Und wenn ich das Besteck im Airbnb benutze, denke ich immer daran, dass mein Vermieter auch schon damit gegessen hat und dass es deshalb vermutlich mit Cholera legiert ist. Obwohl ich durch Selbstkochen Geld sparen wollte, gebe ich aufgrund der astronomischen Lebensmittelpreise in den USA trotzdem jedes Mal hundert Dollar aus, sobald ich einen Apfel, eine Packung Milch und drei Scheiben Käse kaufe. Für einen großen Becher Jogurt zahle ich in Deutschland etwa 70 Cent. In New York umgerechnet fast fünf Euro. Ich hoffe, die Kuh hat vorher wenigstens vitaminreiches Gras gegessen. Um trotzdem nicht mein geplantes Essensbudget zu sprengen, kaufe ich extra wenig ein, wovon ich dann noch die Hälfte aufgrund von Ekelanfällen wegwerfe. So kann es nicht weitergehen. Ich muss mir endlich mal eine richtige Mahlzeit gönnen. Deshalb habe ich mir das Hard Rock Café rausgesucht, denn da servieren sie international immer das Gleiche und ich habe dort schon ein paar Mal in Deutschland, Italien und England gegessen. Ohne Probleme.

Schirmlos stürze ich in den U-Bahn-Schacht direkt um die Ecke und fahre zum Times Square, wo sich das Hard Rock Café befindet. Dort esse ich einen völlig übertrieben teuren und extrem leckeren Burger. Abgesehen davon, dass hier eine Erdnuss 50 Dollar kostet, ist es extrem schwierig, gesundes Essen aufzutreiben. Fast alles trieft vor Fett und ist mit doppeltem Bacon und Sirup garniert. Manchmal sogar gleichzeitig. Nach meinem Festessen im Restaurant malt mir die Kellnerin ein Herz auf die Rechnung, während ich mich fast an dem Satz darunter verschlucke: Damit Sie sich gut fühlen, sollten Sie ein Trinkgeld von 20 Prozent zahlen. Ich zahle mit Absicht nur 19 Prozent, komme mir aber trotzdem vor, als wäre ich der Kaiser von China in Spendierhosen. Erst später erfahre ich, dass Kellner in den USA oft ein absolut lächerliches Gehalt bekommen und hauptsächlich von Trinkgeldern leben. Ich habe mein Budget von drei Tagen an einem Nachmittag aufgegessen, aber bin endlich mal satt.

Als ich aus dem Hard Rock Café komme, ist auf einmal Endzeit auf dem Times Square. Es ist finster und die hundert Neonreklamen, Videos und Bildschirme entlang der tiefen Straßenfluchten leuchten und blinken surreal. Dann blitzt es mehrfach. Nur Sekunden später stürzt ein Wolkenbruch herab, bei dem riesige Tropfen mit neonbunten Spiegelungen vom Boden wieder hochschlagen. Zehntausend Menschen rasen hin und her und dann donnert auch noch eine Kolonne Polizeiwagen auf drei Rädern mit heulenden Sirenen um die Ecke. Am Himmel brodeln Wolken und aus einem Gully steigt weißer Rauch. Am besten flüchte ich direkt in die U-Bahn. Dann trete ich aber unter dem Vordach des Gebäudes hervor und gehe langsam in die Mitte des Time Squares. Es ist, als wäre ich Teil eines gigantischen Films und zugleich bewegungsunfähiger Zuschauer. Unter meinen Füßen grummelt die Metro durch das weit verzweigte Tunnelsystem.

Ich halte meine Handflächen hoch und spüre die kalten Tropfen auf der Haut. In meinen Augen, auf meinen Haaren. Regenbogenfarbenes Licht von den Werbetafeln streift mein Gesicht. Ich gehe durch den Dampf aus dem Gully und betrachte die Welt kurz wie durch einen Vorhang im Wind. Fasziniert stehe ich mitten in Unwetter und Chaos und werde von Kopf bis Fuß nass. Ganz kurz denke ich, dass ich tanzen will. Der Regen ist die Musik und die Lichter sind die Scheinwerfer auf meiner Bühne. Nicht, dass ich jemals auf einer Bühne stehen wollte. Doch hier, mitten in dieser Riesenstadt mit all den Menschen, die zugleich so anonym und freundlich sind, habe ich auf einmal das Gefühl, dass ich noch nie war, wer ich eigentlich sein könnte. Und dass ich viel planen kann, aber die Realität es sowieso immer besser weiß. Zu Hause bemerke ich, dass ich vergessen habe, einen Schirm zu kaufen.

Angst ist keine Ausrede

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