Читать книгу Die Vermittlung deutschsprachiger Gegenwartsliteratur nach Frankreich - Sarah Ehrhardt - Страница 12
2.2.2 Sélection und marquage: Die Rolle des Kulturvermittlers
ОглавлениеDie länderübergreifende Zirkulation von Texten „ne peut pas se faire toute seule. […] la logique du laisser-faire conduit souvent à faire circuler le pire et à empêcher le meilleur à circuler.“27, so Bourdieu. Demnach kommt dem Vermittler von Kultur im Allgemeinen und von Literatur im Speziellen eine Schlüsselfunktion zu. Diese impliziert nicht, dass der Wert des Originals allein nicht hoch genug wäre, um eine internationale Verbreitung zu rechtfertigen, schreibt ihm jedoch allein aufgrund der Auswahl sowie der mit dem Transfer verbundenen Mühe (symbolischer wie ökonomischer Art, um die Termini Bourdieus zu verwenden) einen zusätzlichen Wert zu. Nicht selten sorgt sie überhaupt erst dafür, dass ein Werk/ein Autor Eingang in die Aufnahmekultur findet und stellt also eine Form des Anschubs für die spätere Zirkulation dar. Die Mechanismen des Transfers zwischen zwei Ländern zu kennen, heißt einerseits, die Menge der im Umlauf befindlichen Texte kritischer werten zu können, und bietet andererseits die Möglichkeit, die Transferprozesse selbst zu optimieren. In diesem Sinn muss der Vermittler als eine Art Scharnier genauer untersucht werden.
Im Rahmen der national begrenzten Feldtheorie ist der Verleger „als Brückenglied zwischen Autor- und Leserschaft“28 für Bourdieu ein Vermittler, er agiere hingegen weniger als Schnittstelle unterschiedlicher Sprachräume. Ein internationales Konzept fordert demnach eine Ausdehnung des Begriffs. Neben Verleger und Lektoren, Autoren und Kritiker tritt in diesem Fall natürlich der Übersetzer, ohne dessen Beitrag die Überwindung sprachlicher Grenzen nicht möglich wäre.29 Hinzu kommen eine Reihe von Personen und Institutionen, um welche die Gruppe der Akteure des nationalen literarischen Feldes ergänzt wird, die sich ausschließlich um den Transferprozess bemühen (etwa: spezialisierte Agenturen und Scouts, das Goethe-Institut usw., vgl. Kap. 6). Eine triftige Anmerkung zu diesem Thema macht Nathalie Mälzer-Semlinger, indem sie auf die häufig unscharfe Trennung zwischen der Begriffen Mittler und Vermittler hinweist. Im Wort Vermittler schwinge laut Mälzer-Semlinger aufgrund des Präfixes der vermittelte Gegenstand selbst stärker mit.30 Der Mittler erfordere selbigen nicht unbedingt. „Dafür ist seine Tätigkeit enger an das Ziel der Verständigung, des Schlichtens geknüpft.“31 Er wirkt also im Sinne einer nachhaltigen Beziehung zwischen den Ländern und weniger punktuell, als der Vermittler es tut. Dies schließe natürlich nicht aus, dass letzterer über längere Sicht durch sein Handeln ebenfalls zum Mittler wird.32 Das kann sowohl auf engagierte Verlage als auch auf einzelne Autoren und Übersetzer zutreffen, sowie auf die bereits erwähnten, dem Transfer verschriebenen Institutionen. In dieser Arbeit wird der Begriff Vermittler zunächst als Überbegriff für am Transferprozess beteiligte Akteure verwendet.
Grundsätzlich motivieren unterschiedliche Interessen die Vermittler von Literatur. In der Theorie Bourdieus bildet das Streben nach symbolischem oder ökonomischem Kapital die Extreme dieser Positionen (Vgl. Kap. 2.1) – i.d.R. wird jedoch eine Kombination aus beidem das Handeln der Akteure bestimmen, wobei sich die Anteile der jeweiligen Motivation stark unterscheiden können (abhängig z.B. vom Profil des jeweiligen Verlags, von der Umsatzstärke eines Konzerns oder der inhaltlichen wie wirtschaftlichen Unabhängigkeit einer Institution).
Auf inhaltlicher Seite kann die Vermittlung verschiedene Strategien verfolgen:
Je nachdem, ob der Vermittler auf eine Egalisierung oder auf eine Differenzierung der beiden Kulturen hinarbeitet, und ob er dann diese Unterschiedlichkeit positiv oder negativ bewertet, ob er das Fremde funktionalisiert, in dem Sinne, dass zum Beispiel eigene Auffassungen unterstützt werden, oder für sich stehen lässt, ob das Fremde stereotyp oder differenziert betrachtet wird, lassen sich die Vermittler dem Ziel ihrer Tätigkeit und den dafür angewendeten Mitteln nach unterscheiden.33
Mälzer-Semlinger zufolge könne der Vermittler das Transferobjekt also durchaus instrumentalisieren und, extrem formuliert, entweder nutzen, um bestehende Vorstellungen im Aufnahmefeld zu bestätigen, oder um selbige durch Neues zu ergänzen und somit die Differenz der Kulturen zu unterstreichen. Teil dieser Arbeit wird es ebenfalls sein, herauszufinden, welche Rolle bereits bekannte Titel, Themen und Trends für die Auswahl der in Frankreich übersetzten Werke im 21. Jahrhundert spielen.
Wie der Transferprozess im Detail aussieht, beschreibt Bourdieu in drei Etappen. Der erste Schritt bestehe zwangsläufig in der bewussten Selektion einzelner Titel („qu‘est-ce qu‘on traduit? qu‘est-ce qu‘on publie? qui traduit? qui publie?“34 – sie bezieht sich also auf die Wahl von Text, Autor, Übersetzer und Verlag). Bereits die Tatsache, dass ein Text übersetzt wird, erhöht in vielen Fällen dessen symbolischen Wert. Die gatekeepers des Literaturbetriebs handeln dabei immer auch nach subjektiven Interessen, wobei diese unterschiedlich stark ausgeprägt sind:
[...] ce n‘est pas par hasard que Benet, le grand romancier espagnol, paraît aux éditions de Minuit. Faire publier ce que j‘aime, c‘est renforcer ma position dans le champ – cela que je le veuille ou non […].35
Im zweiten Schritt trage die opération de marquage dazu bei, dass der Text durch externe Instanzen eine Kennzeichnung erfährt. Häufig sei damit eine indirekte Zuweisung von Wert verbunden. Der Selektionsprozess werde gewissermaßen verteidigt, die Qualität des Textes bzw. die Leistung des Entdeckers/Verlegers/Übersetzers hervorgehoben, das Werk argumentativ in eine fremde Kultur eingeführt.36 Denkbare Kennzeichnungselemente seien z.B. Vorwörter (Text und Autor des Vorworts), die Wahl eines Verlages bzw. der collection innerhalb eines Hauses (hier zeigen sich leichte Überschneidungen zur Selektion) sowie die Art der Gestaltung eines Buchcovers („le sens de la marque imposée à l‘oeuvre“37). Am Ende der Kette des literarischen Transferprozesses stehe die Lektüre selbst, die, wie zuvor beschrieben, einer Kontextverschiebung unterliegt. Die Vermittler als Erstleser der Aufnahmekultur sowie das Publikum nach der Übersetzung wenden eigene Wahrnehmungskategorien auf das literarische Werk an und ordnen es neu ein.38
Um einzelne Aspekte der literarischen Vermittlung deutschsprachiger Texte nach Frankreich besser verstehen zu können, untersucht diese Arbeit vor allem die erste Phase des Transfers, die Selektion der Titel. Um die Kennzeichnungs- und Rezeptionsprozesse soll und kann es nicht oder nur am Rande gehen, falls die Vermittlungsinstanzen in ihrer Entscheidung bezüglich dieser Belange bewusst vorgreifen oder die Prozesse Überschneidungen aufweisen. Es gilt im Zuge der Analyse herauszufiltern, nach welchen Kriterien französische Verlage und Vermittler ihre Auswahl tätigen und welche Faktoren sie dabei beeinflussen. Als Korpus dient ein Großteil der Übersetzungen der letzten 13 Jahre, die im folgenden Teil der Arbeit zunächst statistisch ausgewertet werden sollen.