Читать книгу Die Vermittlung deutschsprachiger Gegenwartsliteratur nach Frankreich - Sarah Ehrhardt - Страница 9
1 Einleitung
ОглавлениеTraditionell gehört Frankreich, ebenso wie Deutschland, zu den Nationen, die – gerade im Vergleich zu den anglophonen Ländern – vergleichsweise viel übersetzte Literatur auf dem heimischen Markt verlegen. Dabei ist das Interesse an der intellektuellen Produktion des Nachbarlandes auf der anderen Seite des Rheins schon immer groß gewesen. Während im 18. Jahrhundert vor allem die Übersetzung philosophischer Publikationen von deutschsprachigen Autoren in Frankreich ihren Höhepunkt fand, begeisterte man sich im 19. Jahrhundert zunehmend auch für literarische Texte.1 Eine intensive Übersetzungsaktivität lässt sich bis in die Nachkriegszeit hinein konstatieren – trotz politischer Konflikte oder gerade wegen des Spannungsfeldes zwischen Erbfeindschaft und gegenseitiger Faszination.2 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schien die Neugier auf deutschsprachige Literatur jedoch abgenommen zu haben. Erst einige Jahre nach der Wende wurde wieder vermehrt ins Französische übersetzt; mit der Jahrtausendwende erfuhr der Austausch erneut einen leichten Aufschwung.
Im Lizenzverkauf ist Frankreich seitdem ein beständiger Handelspartner, dem in der Vermittlung deutschsprachiger Gegenwartsliteratur ins Ausland eine wichtige Rolle zukommt. Auf der deutsch-französischen Verlegerkonferenz 2012 attestierte man dem Transfer dennoch gewisse Schwierigkeiten: Man war sich einig darüber, dass das Verhältnis der Nachbarländer zwar nach wie vor von einem regen Austausch geprägt sei, sich im Lauf der letzten Jahre jedoch europäisiert habe.3 Nachdem die deutsch-französischen Beziehungen sehr lange einen Sonderstatus genossen hatten, auf politischer wie auf kultureller Ebene, habe sich die zunehmende Annäherung auch auf das Interesse an der literarischen Produktion des jeweils anderen Landes ausgewirkt.4
Versteht man Belletristik „als Kondensat dessen, was eine Gesellschaft bewegt [...]“, so Stefanie Grillo in einer Studie zu französischsprachiger Literatur auf dem deutschen Buchmarkt, „so erscheint es von hohem Interesse, was denn überhaupt in die Sprache des Nachbarlandes übersetzt und wie es auf dessen Buchmarkt präsentiert wird.“5 Ausgehend von dieser Annahme will auch die vorliegende Arbeit den literarischen Austausch 50 Jahre nach der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags neu ausloten. Eine Reihe von Publikationen versucht den Transfer deutschsprachiger Literatur nach Frankreich bis in die frühen 90er Jahre zu beschreiben. Was jedoch fehlt, ist eine Betrachtung des extrême contemporain.6 Im Mittelpunkt der Arbeit sollen nicht die literaturwissenschaftliche Analyse und Einordnung der übersetzten Werke stehen; vielmehr geht es um die konkrete Darlegung und Auswertung der Transferprozesse, der branchen- und betriebsinternen Strukturen zur Vermittlung von deutschsprachiger Literatur nach Frankreich. Als Zeitraum werden dabei die Jahre von 2000 bis (einschließlich) 2012 festgesetzt.
Die theoretische Grundlage der Analyse bildet das Konzept des literarischen Feldes von Pierre Bourdieu, das einleitend skizziert und in seiner Besonderheit als Raum, der Akteure unterschiedlicher literarischer Felder vereint, neu verortet wird. Auf die abstrakte Darstellung folgen eine konkrete Schilderung der französischen Marktbedingungen sowie eine statistische Auswertung des Lizenzverkaufs deutschsprachiger belletristischer Titel. Autoren und Werke des Titelkorpus‘, das diese Arbeit unterstützend begleitet, werden hinsichtlich ihrer Rolle im Transfer grob geordnet. Als maßgeblich in den Transfer involvierte Institutionen sollen zudem die französischen Verlage, die sich für die deutschsprachige Literatur besonders engagieren, charakterisiert werden. Die Arbeit versucht anschließend, die Muster des Transfers genauer zu beschreiben, indem sie die Akteure und ihre Motivation hinterfragt. Fördermöglichkeiten, welche die Übersetzung deutschsprachiger Literatur ins Französische unterstützen, werden kurz dargestellt und ergänzt um Maßnahmen, die den Austausch intensivieren könnten. Ziel der Arbeit ist es, den Status des Literaturtransfers nach Frankreich für die Gegenwart zu bestimmen und zugleich einen Überblick über die spezifische Struktur dieses über Ländergrenzen hinaus gehenden literarischen Feldes zu geben.