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Brad

„Brad“, ruft Taylor, als ich aus meiner Wohnung komme.

Während ich die Tür hinter mir schließe, drehe ich mich in seine Richtung und sehe, dass er mit großen Schritten auf mich zu kommt. Er sieht so aus, als hätte er es eilig, allerdings habe ich keine Ahnung, wieso das so ist.

„Hi“, begrüße ich meinen Bruder, nachdem ich ihn betrachtet habe. Dabei kann ich mir ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen.

Seitdem er in dem ehemaligen Haus unserer Großeltern gemeinsam mit Laura wohnt, welches sich auf der anderen Seite des Grundstücks befindet, sieht man ihn nicht mehr sehr oft. Eigentlich sehe ich ihn zurzeit nur, wenn es einen Notfall gibt, um den wir uns kümmern müssen, oder wir etwas besprechen müssen. Aber ich weiß, dass es den beiden guttut, daher finde ich es auch gut. Außerdem ist er ja nicht aus den Augen, nur weil wir nicht mehr in einem Haus wohnen.

Obwohl er noch immer mittendrin ist, ist sein Leben ruhiger geworden und er hat endlich den Abstand zu allem bekommen, den er gebraucht und sich immer gewünscht hat. Dennoch ist er in Reichweite und kann sich um seinen Teil der Geschäfte kümmern.

„Habt ihr euch fertig eingerichtet?“, frage ich ihn und sehe ihn neugierig an.

Ich gebe zu, dass ich ihn auch ein wenig damit aufziehe. Wobei ein wenig noch leicht untertrieben ist.

In den letzten Wochen hat er kein Geheimnis daraus gemacht, dass die Einrichtung eines Hauses definitiv nicht sein Ding ist. Daher hat er das meiste auch Laura überlassen, die wiederum Hilfe von Rachel bekommen hat.

Gemeinsam sind sie durch die Baumärkte spaziert und haben mehrere Möbelhäuser besucht. Auch wenn ich in diesem Teil nur ein Außenstehender bin, finde ich, dass beide gute Freundinnen geworden sind. Und das freut mich, denn ich weiß, dass man in unserem Geschäftsbereich eindeutig Freunde braucht, mit denen man über alles sprechen kann.

„Ich glaube, es fehlen noch ein paar Kleinigkeiten. Aber ich denke, dass das meiste endlich da ist. Zumindest hoffe ich das“, überlegt er und verzieht dabei ein wenig das Gesicht.

Lachend schlage ich ihm auf die Schulter.

„Das ist der Grund, wieso ich keine Freundin habe und lieber Single bin. Ich brauche mich mit solchen Dinge nicht rumschlagen und bin glücklich in meiner minimalistisch eingerichteten Wohnung.“

„Ja, deine Wohnung ist wirklich sehr minimalistisch eingerichtet.“ Ich erkenne den belustigten Unterton in seiner Stimme, gehe jedoch nicht näher darauf ein.

Mit hochgezogenen Augenbrauen sieht er mich an. Ich warte darauf, dass er noch etwas von sich gibt, aber das macht er nicht. Allerdings spricht sein Blick für sich. Ich bin mir sicher, dass ihm die Worte auf der Zunge liegen, dass er mir das nicht glaubt. Doch dem ist so.

Ich habe alles, was ich brauche und bin so glücklich. Um genau zu sein habe ich keinen Grund, wieso es nicht so sein sollte.

„Ich brauche deine Hilfe“, verkündet er nun.

„Was gibt es denn?“

„Ich muss dringend in den neuen Club. Da gibt es irgendwelche Probleme mit einer Stromleitung, die ich mir ansehen muss. Wenn ich sie richtig verstanden habe, geht es darum, dass eine Wand wohl eingerissen werden muss, oder so. Ehrlich gesagt war es so laut im Hintergrund, dass ich kaum ein Wort verstanden habe. Daher könnte es auch ein ganz anderes Problem sein. Deswegen habe ich gehofft, dass du die Anmeldung von Laura zum College bringen kannst. Sie will ihr Studium, welches sie in Deutschland vor dieser ganzen Geschichte begonnen hat, hier beenden.“

Bittend verzieht er das Gesicht.

„Kein Problem. Ich fahre eh dran vorbei“, erkläre ich ihm und nehme ihm den Briefumschlag aus der Hand. „Dann kann ich auch eben reinspringen und es im Büro abgeben.“

Zufrieden und gleichzeitig auch erleichtert sieht er mich an.

„Wo geht es denn hin?“

„Ich bin mit ein paar Freunden verabredet“, antworte ich nur und zucke mit den Schultern.

Die Wahrheit sieht allerdings so aus, dass ich eigentlich nichts zu tun habe. Daher mache ich das gerne.

„Ich schulde dir etwas“, verkündet er und verschwindet dann so schnell, wie er aufgetaucht ist.

Lachend sehe ich ihm nach.

Unser Leben kann schon sehr chaotisch sein. Schon alleine aus diesem Grund sind wir auf die Hilfe der anderen angewiesen. Doch wir verfolgen alle das gleiche Ziel und arbeiten Hand in Hand.

Die Fahrt zum College dauert eine Ewigkeit. Die Straßen sind so voll, dass ich die meiste Zeit im Stau verbringe und kaum vorankomme. Auch dauert es länger, als ich gedacht habe, bis ich endlich einen freien Platz gefunden habe, wo ich meinen Wagen abstellen kann.

Als ich mich endlich auf den Weg in das Hauptgebäude machen kann, weiß ich zumindest wieder einen Grund, wieso ich mich damals dagegen entschieden habe, ebenfalls mit einem Studium zu beginnen. Der andere ist, dass es mir eh nichts in unserer Branche bringen würde und ich damit nur Zeit verschwendet hätte. Sogar Taylor hat das gemerkt, schließlich hat er sein Studium abgebrochen.

Nachdem ich die riesige Halle betreten habe, bleibe ich vor der Tafel stehen, die sich an der Wand befindet und halte Ausschau nach dem Anmeldungsbüro. Oder irgendetwas, wo ich die Anmeldung abgeben kann.

Da so viele verschiedene Bereiche darauf stehen, dauert es etwas länger, doch schließlich kann ich sie beim Überfliegen in der Mitte erkennen.

Schnell suche ich mir den richtigen Weg und gehe den Flur entlang. Ein paar der Studentinnen sehen mich an, während ich die Bezeichnungen an den einzelnen Türen lese. Allerdings beachte ich sie nicht.

Nachdem ich das Büro gefunden habe, klopfe ich kurz und trete dann ein, ohne zu warten, dass man mich dazu auffordert. Eine ältere Dame hebt ihren Kopf und sieht mich über den Rand ihrer Brille hinweg interessiert an.

„Was kann ich für Sie tun?“, erkundigt sie sich.

„Ich wollte die Unterlagen meiner Schwägerin vorbeibringen. Sie möchte ihr Studium fortsetzen.“

„Fortsetzen? War sie vorher schon auf diesem College, oder auf einem anderen?“ Neugierig begutachtet sie mich.

„Sie hat in Deutschland angefangen, dann kam allerdings ein Notfall in ihrer Familie dazwischen. Mittlerweile ist dieser allerdings aus der Welt geschafft worden und sie möchte es beenden.“

Ich habe keine Ahnung, wieso sie mich das fragt. Schließlich steht hier alles drin, was sie wissen muss. Und das ist sicherlich auch klar.

„Dann geben Sie mal her“, fordert sie mich auf und streckt ihre Hand nach dem Umschlag aus.

Schnell gebe ich ihr diesen und mache dann wieder einen Schritt nach hinten. Wissend sieht sie die Unterlagen schnell durch und nickt schließlich.

„Es scheint alles da zu sein. Sollte doch noch etwas fehlen, werde ich mich melden. Es wird allerdings ein paar Wochen dauern. Sie sehen ja selber, mein Schreibtisch ist voll.“

Mit diesen Worten deutet sie kurz auf das Chaos, welches sich auf der Tischplatte befindet. Ich muss zugeben, dass es wirklich ein Wunder ist, dass sie hier überhaupt noch einen Durchblick hat.

Mehr sagt sie nicht, sondern sieht wieder auf den Bildschirm ihres Computers, wo sie irgendetwas anklickt. Auf diese Weise entlässt sie mich. Allerdings muss ich zugeben, dass man das auch durchaus freundlicher machen könnte.

„Bye“, gebe ich nur von mir, drehe mich um und trete wieder auf den Flur hinaus.

Doch kaum habe ich das getan, merke ich, dass ich mit jemanden zusammengestoßen bin und höre, wie Bücher auf den Boden fallen.

Erschrocken sehe ich auf die Frau, mit der ich aneinander geraten bin. Einen Moment betrachtet sie mich, ehe sie sich bückt und beginnt, ihre Unterlagen zusammenzusuchen.

Sie ist ungefähr zwei Köpfe kleiner als ich, was aber nicht auffällt, da sie hohe Schuhe trägt. Ihr Körper steckt in einer engen Jeans und einem ebenfalls engem Shirt. Ihre leicht gewellten Haare fallen ihr ins Gesicht, allerdings kann ich genug davon erkennen, um festzustellen, dass es wunderschön ist. Und das, obwohl sie nicht einmal ansatzweise so viel Make-up trägt, wie es die meisten anderen Frauen tun, die sich um uns herum befinden.

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