Читать книгу Unverpixelt - SatNam777 Pseudonym - Страница 8

Оглавление

Kapitel 12

12:02 Uhr

Herzbeben – vor Station 8

Es war mir ein Anliegen euch zu sagen, wie konntet ihr es so ekelhaft wagen?

Wer ich sein soll, wie ich mich fühle und wer ich bin, anscheinend machte das für euch Sinn.

Ich habe am Rad der Zeit gedreht, es war 5 vor 12 und wirklich spät.

Für eure skrupellosen Pläne, wie in einer Legebatterie von Hühnern,

biss ich mir oft auf die Zähne und verdrückte die ein oder andere Träne.

All das Leid und den Schmerz musste ich allein ertragen, ich war viel zu oft kurz vor dem Verzagen.

Jedes Tier hätte man einschläfern lassen und dabei will ich es nun auch besser belassen.

Ich kann es echt nicht fassen, dass ich euch werd mal alle hassen. Gerede und Gelächter weit über drei Gassen.

Menschlichkeit, Wärme und Herz fängt an zu verblassen.

Männer sehen einen als Lustobjekt, ich weiß nicht, was das alles bezweckt.

Ich hoffe, dass ihr mit einem Penis im Arsch verreckt.

Dass ich so etwas Mal schreibe, hat mich selbst erschreckt. Nicht nur einmal wurde ich zu Unrecht befleckt,

dazu wurden heiter Intrigen gegen mich ausgeheckt.

Jedem geht’s ums beste Bild nach außen, ich verstehe mittlerweile jeden der es erträgt nur noch mit Saufen.

Schämt ihr euch nicht solche Egoisten zu sein? Ich war echt und meine Seele war rein.

Ich kann das Gelaber einfach nicht mehr hören, das stelle ich fest mit großem Empören.

Lästermäuler, egal wohin ich sehe und wohin ich gehe.

Wie Raubtiere saugt ihr eine aus und wollt dafür auch noch einen Applaus.

Bevor ich weiterhin hier die gleiche Luft wie ihr schnauft, muss ich hier unbedingt raus.

Es widert mich an, dass ich fast kotzen muss und deshalb ist hier und jetzt für heute Schluss.

Das Jahr 2020 fing ganz normal für mich an. Ich war glücklich, ich war zufrieden und ich hatte viele gute Vorsätze. Als ich so dastand, in den Himmel schaute und den Raketen folgte, bis sie weit oben explodierten, hatte ich ein wundervolles Gefühl und fühlte mich sehr wohl in meiner Haut. Zwar befand ich mich noch immer in einer toxischen On-Off-Geschichte mit einem Mann, dennoch war ich zuversichtlich und hoffte auf eine perfekte Zukunft. Wir verlobten uns im Frühling 2019 im Motorflieger über Heidelberg, was damals sogar im Ortsblättchen gedruckt wurde.

Zu dieser Zeit befand ich mich im Labyrinth meines Lebens. Irgendwie war ich nie zufrieden damit und suchte immer wieder neue Herausforderungen, die mein Leben besser machten, aber auf der anderen Seite liebte ich es auch. Ich hatte alles, mir ging es nicht schlecht, ich konnte mich nicht beklagen. Dachte ich zumindest.

Ich hatte eine dumme Eigenschaft. Gut, manche würden das nicht als dumm bezeichnen, dieser Ausdruck war vielleicht etwas zu hart, aber wenn man sich Tag und Nacht nur darauf konzentrierte, dann ging es schon ziemlich an die Psyche. Und zwar wollte ich jedem Lebewesen auf der Welt, egal ob ich es kannte oder nicht, helfen und es ihm recht machen. Mir war egal wie, aber wenn ich irgendwo Leid sah, musste ich helfen. Ich litt an einem Helfersyndrom. Dazu kam noch, dass ich es jeden Menschen recht machen wollte und diese Mischung war einfach nicht gut für mich. Ich steckte meine eigenen Bedürfnisse nach hinten und konzentrierte mich zu sehr auf das, was andere von mir verlangten oder wollten.

Schon immer sagte ich, dass Deutschland nie mein Seelenort war. Zwar hatte man hier alles, man konnte viel machen und es wurde viel geboten, aber es war mir einfach zu kalt und es war mir zu dunkel. Ich fühlte mich nie richtig wohl hier in Deutschland, ich hatte immer das Gefühl, dass es mir an etwas fehlte. Was das war, konnte ich aber nie richtig in Worte fassen.

Einige Freunde von mir konnten diese Einstellung einfach nicht verstehen. Ihnen wollte einfach nicht in den Kopf gehen, dass dies irgendwann auch ein Punkt auf meiner To-do-Liste war, Deutschland zu verlassen. Aber das mussten sie auch nicht. Ich war nun einmal so und das Leben war viel zu kurz, um nicht das zu tun, was man wirklich wollte. Dieses eine Bedürfnis ließ ich mir nicht nehmen. Ich machte Späße wie: Die Wanderschnecke Pi, geboren in Schönau, verstorben in Heidelberg, begab sich gemütlich die Lessingstraße entlang auf ihren eigenen Jakobsweg. Wie eine Weinbergschnecke mit kleinem Häuschen, mit zunehmendem Alter wurde das Haus immer größer und schwerer.

Meine Freundin Mia, ebenfalls mit Helfersyndrom, kämpfte mit ähnlichen Dingen in ihrem Leben. Wir verstanden uns von Anfang an auf Anhieb sehr gut und dadurch, dass wir uns so ähnlich waren, konnten wir auch über alles miteinander reden. Sie war einfach immer für mich da und ich für sie. Wir ließen uns sogar zwei Wellen auf den Arm tätowieren als Symbol für das Auf und Ab in unserem Leben und weil wir beide das Meer und die Freiheit so liebten.

Eines Tages im März 2020 entschlossen wir uns dazu, spontan eine Reise nach Madeira zu buchen. Immer wieder sprachen wir davon, dass wir einmal zusammen in den Urlaub fliegen mussten, und dann war der Zeitpunkt perfekt und wir verloren keine Zeit.

Seit Längerem fiel mir schon auf, dass ich nachts ständig nur kurz aufwachte und auf die Uhr blickte. Diese zeigte immer gleiche Zahlen wie 02:22 Uhr oder auch 04:44 Uhr. Auch beim Abflug nach Madeira nahm ich wieder diese außergewöhnlichen Zahlen wahr. Auf meinem Flugticket stand der 08.03.2020, Boarding in Frankfurt um 06:05 Uhr, Ankunft in Lissabon war am 08.03.2020 um 10:10 Uhr. Die Rückreise war am 13.03.2020 um 05:05 Uhr in Lissabon, die Ankunft in Frankfurt am 13.03.2020 um 08:08 Uhr.

Vorher hatte ich das mit diesen Zahlen nie in meinem Leben beachtet oder vielleicht fiel es mir auch einfach gar nicht auf. Da sich die Zufälle immer mehr häuften, fing ich irgendwann an, die Zahlen aufzuschreiben und sie als Lottozahlen zu benutzen. Ein großer Gewinn kam dabei jedoch leider nie heraus.

Wir befanden uns in der ersten Welle der Corona Pandemie.

Als wir nach einem ruhigen Flug in Lissabon voller Vorfreude landeten, erfuhren wir von einem Kumpel über WhatsApp, dass es im Funchal ein Erbeben mit der Stärke von 5,1 auf der Richterskala gab. Mia und ich bekamen davon jedoch nichts mit. Auch ging zu der Zeit die Panik um das Corona-Virus in Deutschland voll an uns vorbei.

Meine Freundin und ich waren nur draußen unterwegs und benutzten unsere Handys so gut wie nie. Wir genossen die Natur und schalteten am Abend nicht einmal den Fernseher an. Lieber saßen wir bis lange nach Mitternacht draußen und schauten uns die Sterne an.

Wenn man nicht von vorne bis hinten mit dem ganzen Müll, der auf der Welt passierte, vollgeschüttet wurde, hatte man viel mehr Zeit für sich. Man hatte Momente, um über die Vergangenheit und über die Zukunft nachzudenken. Man hatte persönliche Augenblicke und endlich einmal Zeit für sich selbst und man konnte sich voll und ganz auf sich selbst konzentrieren.

Wir schätzten diese paar Tage sehr und waren begeistert von der wundervollen Blumeninsel. Wir bastelten Traumfänger, bemalten Steine und Schneckenhäuser am Strand und machten Späße über uns, die zwei Wanderschnecken Pi und Mia.

An einem Abend entschlossen wir uns dazu, einen gefährlichen Küstenpfad zu gehen. Mia hatte nur Flip-Flops an und ich teilweise das Totenhemd. Es gab schon die ein oder andere glimpfliche Situation, die uns das Leben hätte kosten können. Aber bei meinem alten Arbeitgeber Dr. Vogel lernte ich damals schon: NDTZ – Nur der Tod zählt.

Das Sinnvollste, das mit uns nach Madeira flog, war wohl Mias Bügelspray … Irgendwann wunderten wir uns darüber, dass die Gäste im Hotel immer weniger wurden. Zu der Zeit hatten wir Corona noch immer nicht auf dem Schirm.

Am Flughafen erfuhren wir dann, dass unser Flug der letzte von der Insel nach Deutschland war. Somit konfrontierte man uns auch das erste Mal mit dem Virus und dieses Thema ließ uns während des ganzen Fluges nicht los. Niemals im Leben hätten wir gedacht, dass ein Virus die Menschen im 21. Jahrhundert einmal so im Griff haben wird. Während des Fluges nach Hause war es für mich sehr beängstigend und befremdlich, dass all die Menschen nur noch mit Mund-Nasen-Schutz herumliefen. Viele hatten sogar Silikonhandschuhe an. Im Flieger war auch ein Italiener, der eine Mütze und einen Morgenmantel über seiner Kleidung trug, als Schutz vor den anderen Menschen und einer Ansteckung. Das war wirklich schräg, auch dass, sobald wir das Flugzeug verließen, die Sitze gleich mit Desinfektionsspray besprüht wurden. Verrückte Welt!

Als ich zu Hause ankam, war ich mir eigentlich sicher, dass ich die nächsten Tage wieder auf die Arbeit gehen konnte, aber mein Plan ging nicht auf. Auf einmal fühlte ich mich nicht gut und bekam Durchfall, die Schuld daran gab ich nur der Umstellung – Flug, Essen oder Wetter. Wie auch immer. Da ich in einer Arztpraxis arbeitete und eine sehr sorgfältige und gewissenhafte Mitarbeiterin war, rief ich vor meinem ersten Arbeitstag nach meinem Urlaub meinen Chef an und unterrichtete ihn von meiner Situation. Schließlich wollte ich weder die Patienten noch meine Kollegen anstecken.

Eigentlich wollte ich nur von ihm wissen, wie ich vorgehen sollte und dass ich in ein oder zwei Tagen wieder fit war. Aber es kam anders als geplant. Im ersten Moment war ich etwas irritiert von seiner Reaktion. Ja, er reagierte schon fast hektisch und ordnete mir an, auf jeden Fall zu Hause zu bleiben. Er sagte, dass ich zwei Wochen in Quarantäne musste laut Aussage vom Gesundheitsamt und stellte mir einen Krankenschein mit der Diagnose Covid-19 aus. Einen Abstrich benötigte man zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Ich muss zugeben, dass mich seine Nachricht enttäuschte. Eigentlich wollte ich arbeiten, denn im Großen und Ganzen ging es mir ja gut. In ein oder zwei Tagen wäre auch der Durchfall wieder verschwunden gewesen. Aber dass ich gleich zwei Wochen zu Hause bleiben sollte, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wusste, dass nach meinem Urlaub viel los war in der Praxis und ich wollte meine Kollegen mit dem ganzen Trubel nicht allein lassen. Aber ich durfte nicht. Man hätte mich ja auch einfach testen können.

Angst überkam mich, als ich all das über das neue Covid-19-Virus in den Medien hörte, und ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass ich mich mit diesem Virus angesteckt haben sollte. Oder doch? Ich war hin- und hergerissen und die Ungewissheit machte mich fast verrückt. Also machte ich einen Fehler und googelte nach diesem neuartigen Virus. Statt mir eine aussagekräftige Information zu holen, bekam ich von den ganzen Berichten nur noch mehr Angst.

Auch gab es ein sehr altes Buch The Eyes of Darkness, in dem der Schriftsteller das beschrieb, was aktuell ähnlich passierte. Es ging um ein Virus, das in einem geheimen Forschungslabor in Wuhan ausgebrochen war und die Menschen mit Fieber infizierte und sie dann sterben ließ. Auch das fand ich irgendwie unheimlich und gruselig.

24 Stunden am Tag dachte ich nur an dieses Virus und hoffte, dass ich es überstand. Bei jedem Zwicken dachte ich, dass jetzt die Symptome kamen und ich ins Krankenhaus musste. Die ersten drei Tage meiner Quarantäne verbrachte ich so, dann sagte ich mir aber, dass es so nicht weitergehen konnte. Nein, es durfte so nicht weitergehen. Ich sollte damit aufhören, auf Symptome zu warten. Ich sollte damit aufhören, mich zu bemitleiden und ich sollte aufhören mit: Was wäre, wenn??

Also beschloss ich, das Beste aus dieser Situation zu machen. Ich stellte Google und den Fernseher ab und entdeckte meine kreative Seite. Eigentlich war ich schon immer ein kreativer Mensch, aber mir fehlte die Zeit, um meine Ideen auch in die Tat umsetzen zu können. Aber jetzt war ich in Quarantäne und hatte mehr als genug Zeit. Zeit ist ein sehr kostbares Wort, denn unsere Zeit ist nun einmal beschränkt, wir leben nicht ewig. Deshalb sollte sich jeder Zeit für das nehmen, was ihm wichtig ist und was ihm Freude bereitet.

Sobald ich aufhörte, an das Virus zu denken und mich dem zu widmen, was mir Spaß machte, ging es mir schon viel besser und ich dachte auch positiver. Und diese Positivität steckte ich in all meine Ideen. Ich bemalte Treibholz auf meinem Balkon an der frischen Luft und baute Wurzeltische. Es war sehr interessant für mich zu sehen, was Corona oder zwei Wochen Quarantäne mit einem machten. Aber es gab auch Nachteile, aber aus allem konnte man dennoch etwas lernen.

Während der strengen Corona-Zeit fiel mir auf, dass die Leute wieder viel mehr an die frische Luft gingen, und das fand ich persönlich ganz toll. Zwar musste man immer Abstand zueinanderhalten und durfte sich nicht mit großen Menschenmengen treffen, trotzdem hatte ich teilweise das Gefühl, dass die Menschen damit zufriedener waren und dass sie das alles gar nicht zu hart traf. Ich konnte mir sogar vorstellen, dass der ein oder andere damit sehr zufrieden war, dass er sich mal um sich und seine Familie kümmern konnte.

Dabei dachte ich an einen Familienvater, der zwölf Stunden am Tag auf der Arbeit war und seine Kinder kaum sah, weil er sehr früh aus dem Haus ging, und nach Feierabend waren seine Kinder meist schon wieder im Bett. Auch habe ich des öfteren im Fernsehen von Schauspielern gehört, dass sie die Zeit des Lockdowns einmal für sich genutzt hatten, dass es ihnen guttat und dass sie daraus für die Zukunft lernten. Nämlich, dass Arbeit nicht alles ist.

Alles Schlechte hatte ja auch etwas Gutes, wenn man genau hinschaute. Aber leider tun sich die Menschen damit immer sehr schwer. Ich würde fast behaupten, dass es in der Natur des Menschen liegt, immer erst das Negative in Dingen zu sehen, bevor man sich dem Positiven widmet. Das finde ich sehr schade, denn einige Leute könnten viel fröhlicher durch die Welt gehen, wenn sie optimistischer wären und nicht alles Schwarz sehen.

In meinem Sommerurlaub befand sich meine toxische On-off-Beziehung im letzten Stadium, da das Abwerten immer schneller kam und ich viel darüber recherchiert hatte. Zu Beginn unserer Beziehung dachte ich noch, dass alles perfekt war und wir wunderbar zusammenpassten. Aber mit der Zeit lichtete sich der Vorhang und ich merkte, dass etwas nicht stimmte.

In einer Minute schwebten wir auf Wolke sieben und in der nächsten erkannte ich den Mann nicht mehr und ich hatte das Gefühl zu fallen. Mit der Zeit waren ihm meine Meinungen einfach egal und er begann damit, mich zu befürworten und zu kontrollieren. Auch hatte ich bemerkt, dass ich mich in der Zeit mit ihm sehr veränderte. An manchen Tagen wollte ich mich einfach nur verstecken, ich war erschöpft und kraftlos.

Auch hier war ich bereit, meine Situation zu ändern und dem Ganzen ein Ende zu setzen – so konnte es schließlich nicht weitergehen. Ich musste einfach einen Schlussstrich unter unsere Beziehung setzen. Ich beschloss für mich durch Meditation an meinen Selbstwerten und an meiner Selbstliebe zu arbeiten. Das tat mir sehr gut und das Finden zu mir selbst stärkte auch meine Intuition. Ich fühlte mich besser und wusste, dass ich das Richtige machte.

Ich fand heraus, wenn man seinem Gegenüber nicht helfen konnte, musste man auf alle Fälle sich selbst schützen, damit man nicht zugrunde ging. Es war in Ordnung, dass ich immer ein großes Verlangen danach hatte, anderen Menschen zu helfen, aber ich musste auch lernen, dass man nicht jeden retten konnte. Oder dass ich nicht in der Lage war, jeden zu retten oder zu helfen. In manchen Fällen musste ich einfach egoistisch sein und an mich und mein Wohl denken. Und das tat ich auch.

Denn gerade für mich als sensible und emphatische Person bedeuteten psychische Schmerzen Höllenqualen. Sie drückten mich manchmal mehr zu Boden wie physische Schmerzen. Teilweise hielt ich es gar nicht mehr aus und wäre am liebsten nur noch weggerannt. So weit, bis ich an einen friedlichen Ort ankam, an dem ich das Gefühl hatte, dass ich nun sicher war. Oft wünschte ich mir ein Herz aus Stein.

Aber lernte nicht jeder schon als Kind, dass man vor seinen Problemen nicht einfach wegrennen konnte. Wie sagt doch ein bekanntes Sprichwort: Was dich nicht tötet, macht dich stärker. Das war immer leichter gesagt als getan. Wie weit sollte man gehen, um stärker zu werden? Wie weit sollte man gehen, um nicht zu sterben? Das sagte mir nie jemand. Der eine Teil in mir war immer auf dem Sprung, während der andere mich mit aller Macht an Ort und Stelle hielt.

Jedoch gehorchte ich nicht ganz. Für mich stand auf dem Plan, dass ich mich selbst schützen musste, damit ich nicht ins Untergewicht fiel und die Kontrolle wegen eines Psychos verlor. Also meldete ich mich beim weißen Ring an, installierte die App NoStalk auf meinem Handy und ging zum Amtsgericht, um eine Kontaktsperre zu erteilen.

Als ich dem Wolf im Schafspelz das letzte Mal in die Augen sah und er mir etwas von Friede-Freude-Eierkuchen erzählte, erkannte ich in seinen dunklen Augen, die kurz tiefschwarz wurden, dass er mich anlog. Und an seinem arroganten Ausdruck merkte ich, dass er wirklich dachte, dass ich ihm alles abkaufte. Aber er konnte keine Gedanken lesen und wusste zu dem Zeitpunkt gar nicht, dass er das letzte Mal mit mir sprach und mich sah. Er ekelte mich so an, dass es mir den Magen herumdrehte und mir übel wurde. Wie konnte ich nur auf ihn hereinfallen und mich auf ihn einlassen? Wie konnte ich mich nur so dermaßen manipulieren lassen und erst so spät merken, dass etwas nicht stimmte?

Eigentlich merkte ich ja, dass etwas nicht stimmte, aber ich dachte immer, er sieht das irgendwann und ändert sich.

Nach all dem war ich nur noch ein Wrack. Mein Nachbar Robert Kurz, mit dem ich zuvor so gut wie nichts zu tun hatte, war in dem Moment irgendwie ein bisschen wie ein Schutzengel. Auf dem Rücken hatte er zwei Flügel tätowiert. Er war für mich da und half mir wieder auf die Beine. Anfangs dachte ich, er hätte Krebs, da er so dünn war. Als ich einen Tag lang nur vor dem Fenster saß und mir die Gegend ansah, kam ich zu dem Entschluss, dass die Welt eine Art Krebs hatte. Als Kind dachte ich immer, ich sterbe mit 40. Nun war ich 40 und dachte, es sieht so aus, als stirbt die Welt bald. Grau und alles so dreckig.

Irgendwie spürte ich, dass die Welt sich veränderte und ein Umbruch und ein Wandel kam. Eine Welt der Verwandlung. Robert kümmerte sich rührend um mich, er gab mir Essen und sorgte auch dafür, dass ich es zu mir nahm. Auch sein guter Freund, ein Afrikaner namens Lenard, kochte mir Essen und sorgte sich um mich. Er wohnte in der Etage über mir. Als ich am Abend mit Robert die Nachrichten ansah, traten die Buchstaben ORAKEL und TRUMP hervor.

Im ersten Moment wusste ich nicht, warum und was das war, und ich wusste auch nicht, ob nur ich das sah oder Robert auch. Ich fühlte mich gut und wohl. Wärme und Leichtigkeit überschütteten meinen Körper, meine Aura war voller Kraft und Energie. Hoffnung keimte in mir auf und mir ging es gut, worauf ich meine Zigaretten und meine Joints wegschmiss. Ab jetzt begann für mich ein neues Leben.

An einem sonnigen Tag fuhr ich mit Lenard an einen abgelegenen See. Er wollte wie ich auch aktuell lieber die Ruhe und nicht so viele Menschen und Lärm. Wir hörten leise Musik und ich nahm den Wind, die Musik, das Rauschen der Blätter in den Bäumen und die kleinen Wellen und Kreise, die die Wasserläufer beim Springen erzeugten, wahr. In solchen Momenten war es ein schönes Gefühl, wenn man alles auf einmal spüren und wahrnehmen kann. Lenard sagte auf einmal, dass sie mir die Kinder wegnehmen würden. Ich wusste gar nicht, was er meinte und wie er auf so etwas kam und lächelte nur.

Meine Euphorie hielt jedoch nicht lange an, denn auf einmal begann ein wilder und teilweise gestörter Hindernislauf, der schien, als würde er nie zu Ende gehen. Mittlerweile konnte man in meiner Straße eine Art Tatort drehen.

Als das alles mit mir war, stürzte Schamo eines Tages und hatte einen Schädelbasisbruch. Er wurde sofort ins Klinikum gebracht, untersucht und versorgt. Er hatte einfach nur einen Unfall und brach sich den Schädel, aber zu unserem Erstaunen stand auf seinem Befund, dass er an paranoider Schizophrenie litt. Ich war ja kein Arzt, aber ich arbeitete bei einem und kannte mich schon ein wenig aus. Und ich war mir sicher, dass man paranoide Schizophrenie nicht anhand eines Röntgenbildes diagnostizieren konnte.

Das ging mir schon wieder auf die Nerven. Manche Ärzte hielten ihre Patienten wirklich für bescheuert. Aber das war Schamo allemal nicht. Um dem Ganzen gegenzusteuern und dem Klinikum zu zeigen, dass ich mit dem Befund nicht einverstanden war, machte ich ein Bild mit seinem zerbrochenen Gehstock und postete es mit den Worten Schamokrimi auf Facebook.

Zwar wusste ich, dass diesen Post das Klinikum womöglich nie zu Gesicht bekam, aber ich fühlte mich trotzdem besser und ich hatte das Gefühl, dass ich ihn damit wenigstens ein bisschen aufmuntern konnte. Schamo lebte sehr gesund und bewusst, schon allein deshalb, weil er schon einmal Krebs hatte. Damals leitete er auch noch seine Sicherheitsfirma.

An einem ganz normalen Nachmittag öffnete ich nichts ahnend meine Post und wäre fast vom Stuhl gefallen, als ich plötzlich eine Abmahnung von meinem Chef in den Händen hielt. Was sollte das denn jetzt? Ich konnte mir das nicht erklären. Im ersten Moment war ich wie vor den Kopf gestoßen und hatte das Gefühl zu träumen. Ich dachte immer, dass man mit meiner Arbeit zufrieden war.

Aber Robert war nicht Robert, wenn er mich nicht aufgemuntert hätte. Und das tat er auch. Als ich ihm von der unvorhergesehenen Botschaft schrieb, stand er keine fünf Minuten später mit einer Angel auf der Schulter vor meiner Tür. Schon allein das Bild brachte mich zum Grinsen. Ich fragte ihn, was er damit wollte. Daraufhin zwinkerte er mir nur zu und ging einfach an mir vorbei ins Wohnzimmer.

Dort lag der Brief auf dem Tisch. Robert nahm ihn, heftete ihn wie einen Köder an den Angelhaken, ging zum Fenster und öffnete es. Anschließend fing er an, ein Lied zu singen und ließ den Brief zur Nachbarin hinunter. Ich konnte nicht mehr vor Lachen und somit war mein Tag gerettet. Er hatte immer solche Aktionen auf Lager. Seinen Balkon dekorierte er mit einer Schaufensterpuppe und bunten Tüchern. Diese Puppe ging schon durch halb Heidelberg, zumindest einzelne Körperteile von ihr.

Was ganz wichtig war und was jeder Mensch in seinem Leben beachten sollte, war: Man sollte seinen Fokus nach vorne richten, sich auf die Zukunft konzentrieren und die Vergangenheit hinter sich lassen. Das war alles leichter gesagt als getan. Aber wenn man etwas will und an sich glaubt, dann schafft man das auch. Also schnitt ich meine Marionettenfäden ab und wandelte das ganze Coronathema in etwas Positives um. Das war mein Ziel, welches ich verfolgte und welches ich heute noch verfolge. Teilweise ist es sehr lustig, auf der anderen Seite aber auch sehr schmerzhaft.

Alle Freunde, die ich hatte, waren auf einmal weg. Sie hatten sich einfach von mir abgewandt, sie glaubten mir nicht und an manchen Blicken von ihnen sah ich, dass sie mich für gaga hielten. Es gab Zeiten, da gingen meine Eltern auf mich los und mein Sohn bekam das alles mit. Alles um mich herum wurde wilder und irrer, zum Teil fühlte ich mich wie in einer Irrenanstalt.

Mittlerweile war ich so weit, dass ich wieder rauchte und eine Kettenraucherin geworden war. Der Einzige, der noch entspannt war, war mein Hund Schröder. Mein komplettes Leben war von heute auf morgen ganz anderes oder gar ganz weg. Im Inneren hatte ich mit allem abgeschlossen und hatte auch vor nichts mehr Angst, außer vor denen, die mich angriffen. Ich versuchte mit allen Mitteln, die mir zur Verfügung standen, zur Ruhe zu kommen. Überall um mich herum sah ich nur noch Kranke oder alles drehte sich um Krankheiten. Alles brauchte einen Namen, genau wie das Wort Mülltrennung. Diese Idiotie sah man ja schon bei den Kotbeuteln für Hunde. Auch symptomlos erkrankt fand ich einen total bescheuerten Ausdruck.

Nun saß ich hier und bastelte an mehreren Dingen gleichzeitig. Zum Beispiel an einem Liederbuch, das die Emotionen und die Gedanken der Zeit und der Persönlichkeitsentwicklung beschrieb. Dazu kamen noch provokante Kunst mit Fotos und Musik, um eine richtige Richtung zu finden. Dabei dachte ich an die Love-Parade zurück, wie friedlich doch so viele Menschen an einem Fleck waren.

Alle zeigten sich, wie sie waren, niemand genierte sich und niemand verurteilte irgendwen. Dabei zeigte sich in meinem Kopf das Bild eines Krieges, jedoch nicht mit Waffen und Bomben, sondern man beschoss den Gegner mit Musik und Liebe. Musik ist die Sprache, die wir alle verstehen.

Ich glaubte, dass es doch bestimmt mehr Gutes und gute Menschen geben müsste, die nach und nach wie Pilze aus dem Boden kommen. Pilze sind unter der Erde mit ihren Wurzeln sehr vernetzt und großflächig. Man könnte doch eine Art Demo machen, friedlich mit Musik und die Menschen mal mit etwas Positivem beschallen. Da würde es vielen Depressiven oder verängstigten vielleicht etwas besser gehen. Mit Musik konnte man gut Emotionen verarbeiten und auch steuern. Wir sahen und hörten ja aktuell nur noch Negatives und Angsteinjagendes. Auch Telepathie ist doch bestimmt möglich durch Musik. War ja früher schon bei den Urvölkern so. Sie hatten ihre volle Intuition und machten auch viel mit Trommeln und hatten so ihre eigene Kommunikation. Tiere haben ja auch ihre feinen Antennen. Kommt ein Tsunami, sind sie eine Stunde bevor er da ist, schon im Wald verschwunden. Jeder sollte sehen, wie die Welt sein konnte, wenn nicht jeder Mensch nur an sich dachte, sondern auch an andere und deren Zukunft. Wenn man zusammenhielt, sah man klarer und bekam mehr Luft, man war fröhlicher und zufriedener.

Aber überall hörte und sah man nur noch ein Thema und es wurden weiterhin Ängste geschürt. Man wusste gar nicht mehr richtig, was man von alle dem noch halten sollte. Alles war wie verrückt geworden und die Menschen fingen an zu horden, am schlimmsten war dies mit WC Papier. WC Papier war eine Zeit lang wie Gold für manche. Es war Lockdown, kein Mensch, kein Auto auf der Straße. Todesstille und ich saß Abend für Abend auf dem Balkon und schaute in die Sterne. Ich fing an zu schreiben und zu dichten. Aber es sprach die Wut und die Enttäuschung aus mir und ich fand keine schönen Worte mehr. Oft setzte ich mir die Kopfhörer auf und hörte ganz laut Musik. Das munterte mich dann wieder auf.

Nichts war mehr da von meinem alten Leben und ich hatte keinen Schimmer, was am nächsten Tag auf mich zukam. Das war ein sehr seltsames Gefühl für mich. Dennoch war ich jeden Abend darauf gespannt, was mich erwartete und was noch auf mich zukam. Ich kämpfte um mein Leben und ich werde immer um mein Leben und mein Glück kämpfen. Ich möchte um das Überleben dieser Erde und um Gerechtigkeit kämpfen. Das war mein Anker.

Mir war klar, dass ein einziger Mensch nicht viel auf der Welt anrichten konnte, dennoch wollte ich nicht einfach so aufgeben. Ich wollte schon immer den Menschen, denen auch Schlechtes passiert war, helfen und ihnen sagen, dass sie niemals den Mut verlieren sollten. Positives Denken hilft und dieses sollte man viel mehr anwenden.

Mit meinem Hund Schröder fühlte ich mich teilweise wie Pinki und Brain, gefangen in einem Käfig und behandelt wie ein Versuchsobjekt.

Ich gab nie die Hoffnungen auf und hoffte so sehr, dass bald wieder fröhlichere Zeiten ins Land schritten und betete dafür, dass ich lange genug die Kraft dazu hatte, um an mich zu glauben. Auch wenn viele wegschauten, mich ignorierten und mir nicht halfen, obwohl ich schon so viel für sie getan hatte, verlor ich nie den Mut. Es war jedem selbst überlassen, was er mit seinem Leben machte. Aber wenn man die falsche Entscheidung traf, durfte man seine Mitmenschen da nicht mit hineinziehen. Ich hörte nie auf, die Welt retten zu wollen und an das Gute zu glauben, aber zuallererst musste ich mich erst einmal vor der Welt retten.

*Cool mit mir selbst von Culcha Candela, VitaliZe und Ela

*Noch einmal von Nena

*Mother Earth von Karliene

Unverpixelt

Подняться наверх