Читать книгу Der Aktionskreis Halle - Sebastian Holzbrecher - Страница 34
ОглавлениеFür den AKH sind drei grundlegende Personengruppen zu unterscheiden: eingeschriebene Mitarbeiter des AKH; Sympathisanten, die überwiegend als Gäste der Vollversammlungen in Erscheinung traten; Empfänger der Rundbriefe.536 Mitarbeiter konnte werden, wer durch seine Unterschrift verbindlich die Bereitschaft erklärte, die Ziele der Grundsatzerklärung mitzuverfolgen.537 Zunächst beschränkte die Geschäftsordnung die Teilnahme nur auf Katholiken mit ständigem Wohnsitz in der DDR.538 Diese Limitierungen wurden jedoch in den darauffolgenden Jahren zugunsten einer ökumenischen Öffnung weitgehend fallen gelassen. Gäste waren von Beginn an ausdrücklich erwünscht, verstand man sich doch als Kommunikationsplattform für einen möglichst breiten innerkirchlichen Dialog.539 Diese explizite Offenheit gehörte zwar zum Selbstverständnis der Gruppe, hatte aber angesichts des totalitären Überwachungsstaates der DDR durchaus ambivalente Implikationen.540 Der Vorwurf einer Zweiklassengesellschaft im AKH lässt sich aus den Quellen nicht bestätigen. Zwar entwickelte sich nach einiger Zeit der Modus, dass sich am Vorabend von Vollversammlungen die eingeschriebenen Miglieder des Aktionskreises trafen, um Interna zu besprechen. Dass allerdings auf der anschließenden Vollversammlung nur noch abgestimmt wurde, was ohnehin schon intern entschieden worden war, lässt sich nicht nachvollziehen. Zudem unterschieden sich die Rechte von Mitarbeitern und Sympathisanten nur hinsichtlich eines qualifizierten Stimmrechts, der Wahrnehmung eines Mandats im Sprecherkreis und der Teilnahme an internen Sitzungen.541 Die Rundbriefe konnte beziehen, wer dies schriftlich oder mündlich beim AKH anmeldete, wobei die ostdeutschen Bischöfe passive Empfänger der Rundbriefe waren, die ihnen unaufgefordert zur Verfügung gestellt wurden.
Eine quantitative Betrachtung des AKH ergibt, dass die Gruppe keine fest umschriebene oder starre Institution war. Vielmehr lassen sich vor allem 1969/70 erhebliche personelle Fluktuationen beobachten. Während die erste Protestkundgebung vom 19. Juli 1969 zunächst 130542 und später gar 155543 Unterzeichner der Note an den Papst und die Kardinäle aufwies, nahmen am Nienburger Treffen am 27. September 1969 lediglich 29, an der Versammlung am 14. März 1970 immerhin 75 und an der konstituierenden Gründungsvollversammlung des AKH 53544 Personen teil.545 Offensichtlich hatten die Arbeitsweise und das Vorgehen des sich formierenden AKH nicht wenige Sympathisanten der ersten Stunde Distanz suchen lassen.546 In diesem Zusammenhang gewinnen die Zahl und der Kreis der Empfänger der AKH-Rundbriefe an Bedeutung. Waren es im Gründungsjahr 1970 noch 109547 Informationsempfänger, so stieg ihre Zahl bereits 1974 auf 309548, 1975 auf 338549 und sank im Jahr 1977 auf 270550. Ob sich diese Zahlen in den 80er Jahren wesentlich verändert haben, ist nicht überliefert. Da in den Quellen des AKH vereinzelt äußerst detaillierte Adresslisten erhalten geblieben sind, kann eruiert werden, wie sich der Empfängerkreis der Briefsendungen zusammensetzte.551 Vermutlich hatte es ein 1982 vom MfS geplanter Einbruch in das Nienburger Pfarrhaus auf genau diese Listen abgesehen.552 Eine exemplarische Aufschlüsselung der 309 Briefempfänger für das Jahr 1974 zeigt, dass 66 Mitglieder des Aktionskreises, 122 Empfänger im Bischöflichen Amt Magdeburg (BAM), 109 innerhalb der DDR und 12 Personen in der Bundesrepublik die Briefe erhalten haben.553 Eine noch detailliertere Empfängerliste aus dem Jahr 1977 lässt weitere Schlüsse zu. Zunächst kann für den Zeitraum, in dem diese Liste verbindlich war, und dieser dürfte sich wohl über das Jahr 1977 hinaus erstreckt haben, festgehalten werden, dass die AKH-Rundbriefe in alle ostdeutschen Bistümer und Jurisdiktionsgebiete verschickt wurden.554 Im Bischöflichen Amt Magdeburg erhielten nicht nur die 69 Mitglieder des AKH, sondern noch weitere 45 Laien und 43 Priester sowie die beiden Bischöfe den Rundbrief.555 DDR-weit erhielten weitere 37 Priester556, 41 Laien557 sowie Bischof Aufderbeck558 die Rundbriefe. In der Bundesrepublik gingen die AKH-Rundbriefe unter anderem an Hubertus Halbfas559 und Klemens Richter560 sowie an Empfänger in München, Dortmund, Münster, Essen, Bochum, Karlsruhe.561 Zwar wird man aus der Anzahl der Briefempfänger nicht leichthin weitere Sympathisanten extrapolieren können. Eher dürfte die in der DDR dauerhaft unbefriedigende Informationsversorgung für die Bestellung der AKH-Informationen mit ausschlaggebend gewesen sein. Dennoch ist festzuhalten, dass nicht nur verschiedene Professoren des Erfurter Theologisch-Philosophischen Studiums die Rundbriefe von Anfang an erhielten (H. Schürmann, W. Ernst, B. Löwenberg, L. Ullrich, G. Hentschel, K. Feiereis)562, sondern auch ein Kreis von Personen an innerkirchlichen Schlüsselpositionen (u.a. Dieter Grande, Dr. Werner Becker, Dr. Wolfgang Trilling, Gerhard Lange563). Der Grad der Verbreitung dieser für die ostdeutsche Kirche offensichtlich nicht unbedeutenden theologischen Informationsquelle ist daher wesentlich größer einzuschätzen, als es die regionale Verortung anhand des Namens und die innerkirchliche Stigmatisierung als „Nestbeschmutzer“ vermuten lässt.
Ausgehend von den durch den Aktionskreis selbst überlieferten Anwesenheitslisten der Vollversammlungen ergibt sich eine durchschnittliche Teilnehmerzahl von ca. 45 Personen.564 Die 5. Vollversammlung 1971 wies mit 76 Teilnehmern die größte, die 16. Vollversammlung 1974 mit nur 21 Personen die geringste Beteiligung auf.565 Die akademische Herkunft der meisten Mitglieder und Sympathisanten wurde nur vereinzelt aufgebrochen.566 Detaillierte Informationen über die tatsächliche Mitgliederstärke des Aktionskreises sind nicht für den gesamten Zeitraum überliefert. Vermutlich ist hierfür die staatliche Observation durch das Ministerium für Staatssicherheit mitverantwortlich, konnten derartige Informationen doch leicht zu einem veritablen Sicherheitsrisiko avancieren. Anfang 1971 hatte der Aktionskreis insgesamt 72 eingeschriebene Mitarbeiter.567 In den darauffolgenden Jahren schwankte die Mitgliederzahl, sodass sie sich im Dezember 1974 auf 66568, im April 1975 auf 73569, im November 1975 auf 68570 und im Juli 1977 auf 69 Mitarbeiter571 belief. Ein exemplarischer Vergleich der Mitgliederzahlen und ihrer Verteilung auf Priester und Laien für die Jahre 1971, 1975 und 1978 zeigt, dass das Verhältnis zwischen Priestern und Laien zumindest in den 70er Jahren etwa 1 zu 2 betrug.572 Ab 1975 nahm zudem die Zahl der laisierten Priester deutlich zu. Aufgrund der vorhandenen Quellen lässt sich feststellen, dass die Mehrzahl der AKH-Mitarbeiter auf das Territorium zwischen Magdeburg, Halle und Leipzig verteilt war.573 Für Christen aus anderen Gebieten der DDR war der AKH nicht selten ein geistiger und geistlicher Rückzugsort.574 Die Anzahl der verbindlich eingeschriebenen Mitarbeiter des AKH dürfte ausgehend von den vereinzelten Werten durchschnittlich bei über 50 gelegen haben. Allerdings ergibt sich im Vergleich zu den durchschnittlich 45 Teilnehmern der Vollversammlungen, diese setzten sich allerdings sowohl aus Mitarbeitern als auch aus Sympathisanten zusammen575, dass es eher ein kleinerer Kreis von eingeschriebenen Mitarbeitern war, der zusammen mit dem Sprecherkreis zum engeren Zirkel der Gruppe gehörte, regelmäßig an Veranstaltungen des Kreises teilnahm und die Arbeit des Aktionskreises entscheidend mit- und vorantrug.
Dieser Gruppe angehörig waren vor allem die vom AKH selbst als „Gründungsväter“576 bezeichneten fünf Priester Heribert Kamper577, Helmut Langos578, Adolf Brockhoff, Dr. Claus Herold und Willi Verstege.579 Die Bezeichnung als „Väter“ ist für das Verständnis der Gruppendynamik relevant, bedenkt man, dass diese Generation kriegsbedingt häufig ohne leibliche Väter aufwuchs. Diese fünf Männer, freundschaftlich untereinander verbunden, waren ursprünglich Paderborner Priester, die nach ihrer Priesterweihe in den 50er Jahren freiweillig in die SBZ gegangen waren und nicht, wie durchaus üblich, nach einigen Jahren in die infolge des bundesdeutschen Wirtschaftswunders aufstrebende Bonner Republik zurückkehrten. Man wird sicher nicht zu Unrecht behaupten, dass es sich bei diesen jungen Männern um die erste Garde Paderborner Diözesanpriester handelte. Sie stellten von Beginn an das personelle Gravitationszentrum dar, um das herum sich der Kreis Gleichgesinnter sammelte. Allerdings übernahmen sie durchaus unterschiedliche Rollen und Aufgaben. Heribert Kamper war Pfarrer in Leuna und wirkte im AKH eher als väterlicher Organisator im Hintergrund. Besonders zu erwähnen ist allerdings seine - trotz der Umweltbedingungen in Leuna - erfolgreiche Zucht der Sittichenart Platycercus elecica (Prachtrosella). Der Verkauf dieser Vögel ermöglichte es Pfarrer Kamper, besonders laiisierte Priester in nicht unerheblichem Maß finanziell zu unterstützen.
Der Merseburger Pfarrer Helmut Langos geriet 1968 in Konflikt mit Weihbischof Rintelen, da er in einem katholischen Eheseminar in Eisleben „die verschiedensten empfängnisverhütenden Methoden bei entsprechend vorliegenden Gründen für eine Geburtenregelung für sittlich erlaubt erklärt“580 hatte. Der Weihbischof verbot, noch bevor die Enzyklika Humanae vitae am 25. Juli veröffentlicht wurde eine solche Aussage in einem katholischen Eheseminar.581 Eng mit Pfarrer Langos verbunden war Wilhelm Verstege.582 Auch er ging nach der Priesterweihe 1952 freiwillig in den Ost-Teil des Erzbistums Paderborn und wurde 1960 Pfarrvikar in der Nienburger Gemeinde St. Nikolaus.583 Weihbischof Rintelen äußerte sich 1965 gegenüber Erzbischof Jaeger zu seinem Pfarrvikar: „Ganz besonders schön war die Firmungsfeier in der herrlichen Schlosskirche zu Nienburg. Herr Pfarrvikar Verstege hat zudem ein großartiges Pfarrhaus gebaut, und zwar natürlich zur Straße hin. Hinter dem Hof ist ein ganz moderner, großer Gemeindesaal entstanden, und in dem Seiten-Grundstück hat er Räume für Kleinkinder und größere Kinder, in denen es immer von Jugend wimmelt. Die größere Gemeinde Nienburg (ringsum sind große industrielle Werke entstanden) könnte ohne weiteres Pfarrei werden, aber Verstege hat noch kein Pfarrexamen gemacht. Er ist ein Seelsorger, wie man ihn nicht besser wünschen kann, verklüngelt aber leider Etat und Kirchenrechnung und hat ebenso eine rechtzeitige Ablegung des Pfarrexamens verklüngelt.“584 53 Jahre lange wirkte Willi Verstege als Priester in Nienburg und setzte sich für die katholische Gemeinde und besonders die Jugend, seine Familie, die evangelische Gemeinde und Schlosskirche sowie den AKH ein. Hier wurden die Rundbriefe des Aktionskreises kopiert und mit der Post versendet. Unter seiner Ägide wurden zudem jene vom Konzil her formulierten Ansprüche im Hinblick auf Ökumene, Glaubwürdigkeit der Verkündigung und geschwisterliches Miteinander des priesterlichen Volkes Gottes eingeübt und über Jahrzehnte praktiziert. Nach dem Tod der anderen Gründungsväter wurde Willi Verstege zu einem spirituellen und geistlichen Mittelpunkt des AKH. Seine persönliche Integrität und die Glaubwürdigkeit seiner Verkündigung sind weit über die Nienburger Gemeinden und den Aktionskreis Halle hinaus geschätzt worden.
Claus Herold war ein sehr stark von Hugo Aufderbeck und dessen pastoralem Ansatz geprägter Seelsorger, der von Friedrich Maria Rintelen 1929 getauft und 1955 zum Priester geweiht, ein gutes Verhältnis zu den Erfurter und Magdeburger Weihbischöfen sowie zum Paderborner Kardinal Jaeger pflegte.585 Nach den Kaplansjahren wirkte er von 1961 bis 1968 zusammen mit Joachim Garstecki, der ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre zu einem entscheidenden Vordenker des AKH werden sollte, als Diözesanjugendseelsorger in Magdeburg sowie als Leiter der AG Jugendseelsorge der BOK.586 Ein Konflikt auf höchster Ebene bahnte sich bereits 1966 an und brach vollends in den beiden darauffolgenden Jahren zwischen Claus Herold und Kardinal Bengsch aus.587 Herold hatte 1967 in seiner Eigenschaft als Leiter der bischöflichen Arbeitsgemeinschaft Jugendseelsorge einen kritischen Jahresbericht über die Situation der Kirche in der DDR für die Hauptversammlung des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) gegeben und darin massiv Kritik am „Berliner Zentralismus“, dem „Dirigismus von oben“ und an einem „Einheitsdenken der Kirche“ geübt, das totalitäre Züge aufweise.588 Es waren letztlich nicht nur persönliche Zerwürfnisse589 zwischen Claus Herold und Alfred Bengsch, die den Vorsitzenden der Berliner Ordinarienkonferenz 1968 dazu veranlassten, Herolds Wirken als Sprecher der AG Diözesanjugendseelsorger zu sistieren.590 Vor allem die Sorge um den Verlust der kirchlichen Einheit als Garant des Schutzes vor staatlichen Infiltrations- und Destruktionsversuchen dürfte hierbei ausschlaggebend gewesen sein.591 Im Dezember 1969 hatte Weihbischof Rintelen, mitten in den Wirren um seine Nachfolge, Pfarrer Herold vorübergehend die „pfarrlichen Amtsbefugnisse“ für die Pfarrei Heilig Kreuz in Halle entzogen, weil er einer ökumenischen Trauung assistiert, mit dem evangelischen Pfarrer Günter Loske konzelebriert und dem evangelischen Bräutigam die Kommunion gereicht hatte.592 Trotz dieser Entwicklungen nahm Claus Herold, der 1978 in evangelischer Theologie mit einer kirchengeschichtlichen Arbeit über die Entstehung der Hallenser katholischen Kirchgemeinde promoviert593 und zum Dechanten des Dekanates Halle-Merseburg ernannt wurde, im Aktionskreis eher die Rolle eines Vermittlers und Strategen ein, der den Kontakt zu höheren kirchlichen Stellen nie abreißen ließ.
Adolf Brockhoff war wohl eine der schillerndsten und umstrittensten Figuren der DDR-Kirche sowie des frühen Aktionskreises Halle. Für viele Studenten der Hallenser KSG und des Sprachenkurses war er eine Vaterfigur mit „Knochen im Schnurrbart“594. Durch seine charismatische Art begeisterte er ebenso stark, wie sein zuweilen apodiktisches Vorgehen polarisierte. Im AKH übernahm er die Rolle des progressiven Vordenkers. Nicht wenigen galt er als umstrittener Prophet. Adolf Brokchoff dürfte zu den wenigen ostdeutschen Theologen gehört haben, die Alfred Kardinal Bengsch auf intellektueller und rhetorischer Augenhöhe begegneten. Eine sich in den Quellen andeutende geistige Verwandtschaft beider endete wohl mit Bengschs Ernennung zum Berliner Weihbischof. Brockhoff hatte als kaum Zwanzigjähriger den Zweiten Weltkrieg als Soldat der Wehrmacht erlebt und war 1945 aus russischer Kriegsgefangenschaft geflohen.595 Nach dem Studium der Theologie in München und Paderborn wurde er am 25. März 1950 in Paderborn zum Priester geweiht und trat bereits am 18. April 1950 eine Vikariatsstelle in Merseburg an.596 Damit reihte er sich in die Gruppe jener Priester ein, die von Lorenz Kardinal Jaeger in die DDR geschickt worden waren. Er nahm diese Sendung als Berufung wahr und blieb wie einige andere auch im SED-Staat auch über die Vikariatszeit hinaus.597 Nach einer kurzen Tätigkeit in Dölau wurde er am 12. Oktober 1953 zum „Studentenseelsorger mit dem Titel ‘Studentenpfarrer‘ in Halle/Saale berufen.“598 Bis 1967 leitete er daraufhin sowohl die Thomas-Morus-Studentengemeinde als auch den Hallenser Sprachenkurs im von ihm errichteten Haus im Mühlweg 18.599 Diese Verbindung von Studentengemeinde und Sprachenkurs, von Hugo Aufderbeck und Adolf Brockhoff zusammen erdacht, wurde als „Hallenser Experiment“600 bezeichnet, weil der vielfach gelungene Versuch, zukünftige Priesteramtskandidaten nicht von der Welt abgeschottet zu erziehen, ein Novum darstellte.601 Die ostdeutschen Bischöfe hatten 1965, ohne Pfarrer Brockhoff davon vorher in Kenntnis zu setzen, dem Sprachenkurs einen Präfekten gegeben und damit das Ende der Leitungstätigkeit von Adolf Brockhoff eingeleitet. Über die tatsächlichen Hintergründe dieser Personalpolitik ist bislang noch wenig bekannt. Den mit der Entfernung aus diesem Amt verbundenen Vertrauensbruch zwischen Brockhoff und den ostdeutschen Ordinarien hat er zeitlebens nicht überwunden.602 Ob eine von Kardinal Jaeger im September 1966 erwogene Ernennung Brockhoffs zum Geistlichen Rat mit seiner bevorstehenden Entlassung in Zusammenhang steht, ist unklar.603 Weihbischof Rintelen kommentierte die Pläne des Kardinals kritisch. 1967 hatte sich Adolf Brockhoff für ein Jahr bei vollem Gehalt beurlauben lassen, um sich wissenschaftlich weiterbilden zu können, da „seine Fähigkeiten nur noch zum Journalismus reichten“ und er „durch ein Jahr Ruhe auch menschlich wieder zu sich finden müsse.“604 Über weitere Hintergründe dieser Auszeit machte er keine Angaben.605 Für Rintelen stand nicht nur deshalb fest, dass Brockhoff „ein Nonkonformist ist und bleibt.“606 Gegenüber Kardinal Jaeger erklärte Rintelen:„Ich bin überzeugt, dass Brockhoff, wenn Du ihn etwa zum Geistlichen Rat ernennen würdest, in ein homerisches Gelächter ausbrechen würde. Es geht aber auch sonst nicht, dass Du Brockhoff eine besondere Ehrung zukommen lässt. Zwei Geistliche haben bei mir schon ihre Empörung geäußert, dass ich Brockhoff bei vollem Gehalt für ein Jahr beurlaubt hätte. Man brauche in der Kirche nur entsprechend frech zu sein und sich querzustellen, dann erhalte man alles. Sie würden auch demnächst kommen und ein Jahr Urlaub erbitten. Brockhoff will das Jahr in einem Wochenendhaus in der Nähe von Dresden verbringen. Das Haus gehört seinem Freunde, dem Oratorianer Sonntag. Er will daselbst, wie er mir mitteilte, über den Thessalonicherbrief arbeiten. Ich selbst werde Brockhoff auch weiterhin, wenn ich Gelegenheit habe, gütig und wohlwollend behandeln, wenngleich meine Räte das allerdings nicht mehr für richtig halten.“607 Zum 3. Januar 1968 übernahm Adolf Brockhoff die Pfarrei St. Norbert in Merseburg.608 Nach nur zwei Monaten Tätigkeit in Merseburg hatte der Paderborner Kardinal erwogen, den von Rintelen als „Nonkonformisten“ deklarierten Brockhoff zum Dechanten eines neu zu errichtenden Dekanates Merseburg zu ernennen. Davon hatte Rintelen allerdings aufgrund Brockhoffs theologischer Ansichten abgeraten.609 In Merseburg wirkte Pfarrer Brockhoff bis zu seiner Suspendierung durch Bischof Braun im Jahr 1971. Dieser Suspendierung war eine seit mehreren Jahren bestehende Beziehung Adolf Brockhoffs zu einer jungen Frau vorangegangen, aus der drei Kinder hervorgingen.610 In einem Gespräch am 17. Juni 1971 hatte Bischof Braun Adolf Brockhoff den Vorwurf gemacht, den Zölibat verletzt zu haben.611 Bereits am 24. Juni wurde Brockhoff bis zu einer erneuten Aussprache mit Johannes Braun am 20. Juli 1971 vorübergehend als Pfarrer von Merseburg nach can. 2279 §2 CIC (1917) suspendiert.612 Adolf Brockhoff ordnete das eingeleitete Verfahren in einen größeren Zusammenhang ein und stilisierte sich dabei als Opfer einer weitverzweigten, bischöflichen Missbilligung.613 Fraglich ist, ob der von Pfarrer Brockhoff beschriebene Kontext tatsächlich in dieser Form vorlag und ob er auf das kirchenrechtliche Prozedere einen Einfluss hatte. Gegen das bischöfliche Vorgehen protestierte der Hallenser Aktionskreis. Nach einer ausführlichen Beratung auf der 7. Vollversammlung im September 1971 hatte sich die Gruppe mit Pfarrer Brockhoff uneingeschränkt solidarisch erklärt.614 Das von Bischof Braun gegen Adolf Brockhoff initiierte kirchenrechtliche Verfahren, das durch verschiedene kanonische Gutachten und nicht zuletzt durch den Paderborner Kardinal beanstandet worden war, kann an dieser Stelle nicht erörtert und bewertet werden.615 Im Ergebnis dessen war es 1972 zur „Zwangslaisierung“616 Adolf Brockhoffs gekommen, der sich die ebenfalls „erzwungene“ Ausreise der Familie Brockhoff 1975 in die Bundesrepublik anschloss.617 Für den Aktionskreis Halle bedeutete dies nicht nur, dass ein zentraler Protagonist der Gruppe öffentlich von seinen kirchlichen Ämtern suspendiert worden war und das Land verlassen hatte. Die Aussiedlung Brockhoffs drängte den AKH dazu, sich neu finden und neu organisieren zu müssen. Denn zwischen der Suspendierung 1971 und der Aussiedlung 1975 war Brockhoff unter anderem von der Pfarrgemeinde Leuna für eine Referententätigkeit angestellt worden, die er vorwiegend im AKH durch Vorträge und Aufsätze wahrnahm. Das Geld hierfür stellte das von Heribert Kamper maßgeblich gefüllte Konto des AKH für Priester ohne Amt (PoA) zur Verfügung. Trotz aller Erklärungsversuche bleibt letztlich unverständlich, weshalb Adolf Brockhoff, der für seine „an Brutalität grenzende Offenheit“618 geschätzt wurde, eine Aussage über die Vaterschaft vehement verweigerte. Sicher wollte er kein Exempel gegen die zwingende Verbindung von kirchlichem Amt und Zölibat statuieren. Der „Fall Brockhoff“ - dem noch weitere folgten und der letztlich nur Verlierer kannte - offenbarte, welche Schwierigkeiten daraus erwuchsen, wenn nachkonziliar geprägte Illusionen mit der kirchlichen Realität und den geltenden kanonischen Normen konfrontiert wurden. In der DDR war das Schicksal der laisierten Priester zudem davon bestimmt, dass eine anschließende Tätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes weder von Seiten der Kirche noch des Staates problemlos möglich war. Die Übersiedlung in die Bundesrepublik und eine anschließende Tätigkeit als Lehrer war für den dreifachen Familienvater Brockhoff schließlich auch eine materielle Notwendigkeit. Trotz weiterer Kontakte über die innerdeutsche Grenze hinweg ist für den AKH die Zeit nach 1975 als „Post-Brockhoff-Ära“ zu bezeichnen. Es stellt für die Gruppe eine nicht zu unterschätzende Leistung dar, sich danach neu geordnet und neuen Themenfeldern zugewandt zu haben. Für diese Neuorientierung ist ein Vordenker von besonderer Bedeutung.
Vor allem in der zweiten Hälfte der 70er Jahre und zu Beginn der 80er Jahre hat Joachim Garstecki die Rolle des zentralen Vordenkers hinsichtlich der thematischen Ausrichtung des Kreises übernommen.619 Er zählte zwar nicht zu den Gründungsmitgliedern, gehörte jedoch dem AKH-Sprecherkreis seit 1972 an und übernahm nach Claus Herold die Funktion des Sprechers des AKH. In dieser Eigenschaft stellte er von 1974 bis 1978 seine Privatadresse als Kontaktadresse für den Aktionskreis Halle öffentlich zur Verfügung. Willi Verstege übernahm diese Funktion von 1978 bis 1991. Ein im Rahmen der zeitgeschichtlichen Forschung bislang kaum gewürdigtes ökumenisches Zeichen stellt das Faktum dar, dass Joachim Garstecki als katholischer Theologe von 1971 bis 1990 im Dienst des Bundes der Evangelischen Kirchen gearbeitet hat und dort für das Referat Friedensfragen verantwortlich war:620 von 1971 bis 1973 im Sekretariat des DDR-Kirchenbundes, von 1974 bis 1990 als Studienreferent für Friedensfragen in der Theologischen Studienabteilung.621 Diese Tätigkeit hatte unmittelbare Rückwirkung auf die katholische Kirche in der DDR: einerseits über den AKH, dessen Sprecherkreis Joachim Garstecki von 1972 bis Mitte der 80er Jahre angehörte, aber auch über die katholischen Studentengemeinden und Akademikerkreise, in die er als Referent eingeladen war, schließlich publizistisch über Presse und Medien in der Bundesrepublik, die in die DDR zurückschallten. Die evangelischen Kirchen vernachlässigten dieses Unikum als einen der DDR-Situation geschuldeten einmaligen Sonderfall, der auf die „normalen Beziehungen“ zwischen den evangelischen Kirchen und der katholischen Kirche nicht übertragbar sei. Die katholische Kirche in der DDR ignorierte diese Personalie als kirchenpolitischen Unfall, der gemäß den Prinzipien der politischen Abstinenz der BOK/BBK nicht hätte passieren dürfen und der die offiziellen Kontakte zwischen Staat und Kirche/BBK zum Schaden der Kirche latent wie aktuell konterkarierte, gegen den man aber offiziell nichts unternehmen konnte, weil Garstecki den Schutz des DDR-Kirchenbundes und der evangelischen Kirchenleitungen genoss. Erhard Eppler bemerkte auf dem 90. Deutschen Katholikentag in Berlin im Mai 1990 zu Garsteckis Wirken: „Einer von denen, die den Umbruch geistig und geistlich vorbereitet haben, ist ein Katholik im Dienste des Bundes der evangelischen Kirchen in der DDR. Wo es um Freiheit und Unfreiheit, um Recht und Unrecht, um Leben und Tod geht, da verflüchtigen sich die Trennungslinien zwischen den Konfessionen.“622 Mit Garsteckis Orientierung auf gesellschaftliche Fragen korrespondierte die ebenfalls nach dem Weggang Brockhoffs verstärkte Arbeit von Claus Herold, der den Fokus eher auf innerkirchliche Fragen richtete. Obwohl mit diesen Personen auch Flügelbildungen im Aktionskreis verbunden waren, haben sie die Arbeit der Gruppe nicht gelähmt, sondern für ein breites Themenspektum geöffnet.
Den personellen und thematischen Veränderungen der Gruppe konnten nicht alle im AKH folgen. Bereits zwei Jahre nach seiner Gründung musste er einen veritablen Mitgliederschwund verzeichnen: „Mancher, der damals mit seiner Unterschrift seine Hoffnung bekundete, ist von dem Weg, den der AKH dann ging, enttäuscht worden. Einige haben ausdrücklich ihre Unterschrift zurückgenommen, andere scheinen durch ein beharrliches Fernbleiben von den Versammlungen schweigend ausgezogen zu sein.“623 Mitte der siebziger Jahre zeichnete sich dann eine tiefgreifende „Krise“ des AKH ab.624 Durch Umfragen unter den Mitgliedern wurde versucht, ein Erwartungsbild an den Kreis und seine Arbeit zu erstellen und dabei zu klären, ob die anvisierten Ziele realistisch waren und ob der erzielte Effekt den betriebenen Aufwand legitimiere.625 Die angestrebte Vitailisierung des Aktionskreises und seiner Mitglieder misslang jedoch. Infolge eines erheblichen Kräftedefizits im Sprecherkreis, wodurch selbst die minimale Erfüllung der anstehenden Aufgaben nicht mehr gewährleistet werden konnte, verordnete sich der Aktionskreis im Mai 1978 selbst eine vorläufige „Denkpause“.626 Der Briefversand und die Abhaltung von thematischen Vollversammlungen wurden auf unbestimmte Zeit ausgesetzt und ein interner Dialogprozess über die weitere Entwicklung des Kreises wurde initiiert.627 Hierfür wurden die an einer aktiven Mitarbeit im AKH Interessierten zu informellen Begegnungen nach Nienburg und Halle eingeladen.628 Bereits nach kurzer Zeit war klar, dass sich der AKH nicht nur als theologischer Gesprächs- oder spiritueller Meditationskreis verstand. Der Briefversand, die Vollversammlungen und eigene Stellungnahmen sollten auch zukünftig erhalten bleiben und die Arbeit und das Erscheinungsbild des Aktionskreises bestimmen.
Hatte die enge Verbundenheit zum Freckenhorster Kreis und den zahlreichen bundesdeutschen Solidaritäts- und Priestergruppen 1969/70 zur Gründung des AKH geführt und hatte sich auch die geistige Verwandtschaft zu den bundesdeutschen Gruppen in der Folgezeit verschiedentlich ausgedrückt, so kann Gleiches für die Vernetzung des Aktionskreises mit anderen Gruppen und Personen im ostdeutschen Katholizismus nicht festgestellt werden. Zwar kannten sich die zentralen Protagonisten eines „kritischen Katholizismus“ in der DDR.629 Der AKH hatte Verbindungen zu Karl Herbst630, dem Maximilian-Kolbe-Kreis631 und zu den Leipziger Oratorianern. Dr. Wolfgang Trilling, der dem Kurs der Berliner Ordinarien- und Bischofskonferenz ebenfalls distanziert gegenüberstand, hat eine Kooperation mit dem AKH allerdings nie favorisiert. Der AKH veröffentlichte zwar gelegentlich seine Aufsätze oder Stellungnahmen.632 Auch trat Trilling in den 80er Jahren als Referent auf einer AKH-Vollversammlung zum Thema „Überlegungen zum gegenwärtigen Stand der Ökumene“633 auf. Doch letztlich unterschieden sich die Oratorianer durch ihre enge Bindung an die Ortsgemeinden von dem stärker akademisch geprägten, jenseits von Gemeindestrukturen agierenden AKH. Bemerkenswert ist dennoch, dass beide auf das Bild von Jona im Bauch des Fisches rekurrierten, wenn sie die kirchliche Situation in der DDR beschrieben.634 Damit setzten sich der AKH und Trilling von der Metapher des Berliner Kardinals ab, der seinerseits auf Daniel in der Löwengrube rekurrierte, um Christsein in der DDR zu beschreiben.635 Zu Hans Donat in Erfurt bestanden eher informelle Kontakte.636 Zum Herausgeberkreis der sog. progressiven katholischen Zeitschrift „Begegnung“ gab es nur phasenweise Kontakte einzelner637; Gleiches gilt für Verbindungen des AKH zur Ost-CDU. Eine Kooperation mit staatsgelenkten Gruppen in der DDR hat es nach Ausweis der Quellen nie gegeben.