Читать книгу Und waren voll Trauer und Sehnsucht - Sebastian Kreuz - Страница 5
1. Kapitel: Die Erfindung der Liebe im Paradies
ОглавлениеDer Mensch im Paradies, Genesis 2,4 – 2, 25
4 Als Gott, der HERR, Erde und Himmel machte,
5 gab es zunächst noch kein Gras und keinen Busch in der Steppe; denn Gott hatte es noch nicht regnen lassen. Es war auch noch niemand da, der das Land bearbeiten konnte.
6 Nur aus der Erde stieg Wasser auf und tränkte den Boden.
7 Da nahm Gott, der HERR, Staub von der Erde, formte daraus den Menschen und blies ihm den Lebensatem in die Nase. So wurde der Mensch ein lebendes Wesen.
8-9 Dann legte Gott im Osten, in der Landschaft Eden, einen Garten an. Er ließ aus der Erde alle Arten von Bäumen wachsen. Es waren prächtige Bäume und ihre Früchte schmeckten gut. Dorthin brachte Gott den Menschen, den er gemacht hatte.
In der Mitte des Gartens wuchsen zwei besondere Bäume: der Baum des Lebens, dessen Früchte Unsterblichkeit schenken, und der Baum der Erkenntnis, dessen Früchte das Wissen verleihen, was für den Menschen gut und was für ihn schlecht ist.
10 In Eden entspringt ein Strom. Er bewässert den Garten und teilt sich dann in vier Ströme.
11 Der erste heißt Pischon; er fließt rund um das Land Hawila, wo es Gold gibt.
12 Das Gold dieses Landes ist ganz rein, außerdem gibt es dort kostbares Harz und den Edelstein Karneol.
13 Der zweite Strom heißt Gihon; er fließt rund um das Land Kusch.
14 Der dritte Strom, der Tigris, fließt östlich von Assur. Der vierte Strom ist der Eufrat.
15 Gott, der HERR, brachte also den Menschen in den Garten Eden. Er übertrug ihm die Aufgabe, den Garten zu pflegen und zu schützen.
16 Weiter sagte er zu ihm: »Du darfst von allen Bäumen des Gartens essen,
17 nur nicht vom Baum der Erkenntnis. Sonst musst du sterben.«
Die Erschaffung der Frau
18 Gott, der HERR, dachte: »Es ist nicht gut, dass der Mensch so allein ist. Ich will ein Wesen schaffen, das ihm hilft und das zu ihm passt.«
19 So formte Gott aus Erde die Tiere des Feldes und die Vögel. Dann brachte er sie zu dem Menschen, um zu sehen, wie er jedes Einzelne nennen würde; denn so sollten sie heißen.
20 Der Mensch gab dem Vieh, den wilden Tieren und den Vögeln ihre Namen, doch unter allen Tieren fand sich keins, das ihm helfen konnte und zu ihm passte.
21 Da versetzte Gott, der HERR, den Menschen in einen tiefen Schlaf, nahm eine seiner Rippen heraus und füllte die Stelle mit Fleisch.
22 Aus der Rippe machte er eine Frau und brachte sie zu dem Menschen.
23 Der freute sich und rief:
»Endlich! Sie ist's! Eine wie ich! Sie gehört zu mir, denn von mir ist sie genommen.«
24 Deshalb verlässt ein Mann Vater und Mutter, um mit seiner Frau zu leben. Die zwei sind dann eins, mit Leib und Seele.
25 Die beiden waren nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander.
(zit. n. Gute Nachricht Bibel)
Wahre Geschichten
Über Ehe und Familie gibt es keine wahren Geschichten. Es gibt taugliche und weniger taugliche, zeitgemäße und weniger zeitgemäße Anschauungen darüber, aber keine, die universelle Gültigkeit beanspruchen könnte. Das hängt damit zusammen, dass Ehe und Familie - aus der Gesellschaft stammend - dem historischen Wandel unterliegen. „Ein weltlich Ding“ eben, wie Luther lapidar vermerkt. Jede Generation bestimmt neu, was darunter zu verstehen sei. In der pluralisierten Gegenwart wird diese Herkules-Aufgabe sogar jedem Individuum, jedem Paar einzeln aufgebürdet – mit dem Resultat, dass immer mehr scheitern.
Geschichten über die Liebe dagegen schöpfen ihre Wahrhaftigkeit aus der Unwandelbarkeit und Unvergänglichkeit ihrer Substanz. Ob Liebe als die edelste aller menschlichen Empfindungen gelten kann, mag dahingestellt sein. Zweifellos ist sie aber die Leidenschaft, die am wenigsten sozialen Veränderungen unterworfen ist und am ehesten Anspruch auf Ewigkeit im Sinne von Wesenhaftigkeit beanspruchen kann. Was nicht bedeutet, dass die Liebe zwischen zwei Menschen unvergänglich sei. Ganz im Gegenteil, oft währt sie kürzer als die Ehe oder der familiäre Zusammenhalt, doch erweist sich ihr Wesenskern in einer wundersamen Weise als zeitlos, so dass man zur Frage nach der Liebe einen 2000 Jahre alten Mythos genauso heranziehen kann wie den Traum der letzten Nacht. Vielleicht ist die Liebe von allen großen Ideen und Wesenheiten, die Theologie oder Philosophie proklamieren, die einzige, deren beständiger Kern nicht nur postuliert wird, sondern durchgängig nachweisbar ist – nicht in der Sozialgeschichte der Menschheit, aber in den überlieferten und täglich neu entstehenden Geschichten, in unser aller Empfinden.
Die Unteilbarkeit der Liebe
Im Glück ist die Liebe eine Angelegenheit zweier Menschen, im unglücklichen Falle nur die einer Person, deren Gefühl unerwidert bleibt. Wir können als Gruppe gemeinsam Freude und Leid empfinden, mit anderen emotional übereinstimmen. Sogar Sex ist in der Gruppe möglich. Liebe jedoch ist unteilbar. Zwei Liebenden ist es nicht möglich, eine dritte oder vierte Person an ihren Gefühlen teilhaben zu lassen, sie sind dabei auf sich gestellt und sondern sich im Falle starker Gefühle sogar ab. Ja, der Verdacht liegt nahe, dass zwei innigst Liebende in ihrem Empfinden letztlich getrennt bleiben. Nur in wenigen außergewöhnlichen Momenten gelingt die Vereinigung, das Vergessen von Ich und Du, die Verschmelzung. Oft nagt der Zweifel. Werde ich in gleicher Weise geliebt wie ich liebe? Für kein anderes Gefühl sucht der Mensch so angestrengt nach Beweisen im Tun und Lassen der Person, deren Liebe man ersehnt. Auch sich selbst prüft der Mensch: Ist es wirklich Liebe, was ich empfinde?
Im Liebesleid wird ein Verlassener, Verletzter zum denkbar einsamsten Menschen der ganzen Welt. Eine Synchronisation mit den Gefühlen anderer ist unmöglich. Somit trifft die Unteilbarkeit der Liebe das Erste und Letzte dessen, was über sie überhaupt ausgesagt werden kann.
Bei vielem, was unser Leben bestimmt, wird dessen Bedeutung erst offenbar, wenn es schwindet, verloren geht oder mutwillig zerstört wird. Den schuldhaften Bruch der Freundschaft nennen wir Verrat, die schuldhafte Verletzung der Liebe Betrug. Im ersten Falle wird ein Konsens, eine (vielleicht unausgesprochene) Vereinbarung gebrochen, im zweiten ein Heiligtum zertrümmert. Freundschaft beruht auf wechselseitigem Verstehen und einem Mindestmaß an Übereinstimmung, Liebe in ihrer prinzipiellen Unteilbarkeit bedarf keines Konsenses, keiner Gleichheit, keines Gleichklangs. Nicht die Sehnsucht nach Verständigung und Übereinkunft, sondern die nach Vereinigung treibt sie an. Das macht sie brüchiger als Freundschaft. Von Liebe allein kann deshalb eine dauerhafte Beziehung zwischen zwei Menschen nicht gespeist werden.
Wie mächtig Liebe tatsächlich ist, spürt ein Mensch zuerst im Augenblick ihres Entstehens und dann wieder im Vergehen, so wie die Sonne unsere größte Aufmerksamkeit dann erweckt, wenn sie auf- oder untergeht. Niemand käme auf die Idee, sie zu beobachten und sich an ihrer Schönheit zu erfreuen, wenn sie mitten am Tag ihren Dienst als Wärmequelle und Lichtgeber tut. Wir nehmen dankbar an, dass sie die uns umgebenden Dinge und uns selbst erkennen lässt, oder genießen nach dunklen Tagen ihre Wärme – am besten mit geschlossenen Augen. In ihrem „An-sich-Sein“ aber beschäftigt sie uns vorrangig in den Momenten ihres Erscheinens und Verschwindens. Hier liegt die Faszination für den Sonnenauf- und Untergang verborgen, nur hier wird die Sonne als Sonne gesehen - und nicht hinsichtlich der Zwecke, die sie erfüllt.
Mit der Liebe verhält es sich nicht anders. Während sie vorhanden und tätig ist, haben wir wenig Veranlassung, sie zu ergründen. Sie gibt – darin der Sonne gleich – dem Leben die notwendige Wärme und das rechte Licht zum Blick auf die Dinge, die sind. Als Liebe nehmen wir sie in ihrem Herrschaftsanspruch über die Seele erst bewusst wahr, wenn sie uns ereilt, entschwindet oder wir sie zerstören.
Wenn Liebe zu Ende geht, ist die Notwendigkeit, darüber zu reflektieren, größer als im Moment des Entstehens, wo sie mit Wucht die Sinne vereinnahmt und den Verstand lähmt. Erst wenn das Objekt der Liebe, der (einst) geliebte Mensch, entschwindet, haben wir Veranlassung und Verstandeskraft gleichermaßen, ernsthaft nachzudenken und dem großen Schmerz in geistiger Gegenwehr zu trotzen. Deshalb thematisieren die Geschichten, die der Einleitung folgen werden, in der Hauptsache das Ende der Liebe.
Platon setzt im Höhlengleichnis die Sonne mit der Idee des Guten gleich. Zur (Idee der) Liebe passt die Sonnensymbolik fast noch besser.
Die Sonne der Liebe
Wenn die Liebe im philosophischen Sinne eine Idee ist, bedeutet das, dass ihr Ursprung außerhalb der sichtbaren und empirisch fassbaren Welt liegt und sie in das Leben der Menschen „strahlt“ - darin der Sonne gleich. Und auch wenn diese unsichtbar bleibt, Licht und Wärme aktuell nicht spendet, ist ihre Wirkung vorhanden und stützt unser Planetensystem auch im Status der nächtlichen Abwesenheit vom Zentrum her. Dazu passt die Symbolik des Mondes, in der Vorstellung vieler Kulturen der weiblichste aller Planeten, dem die deutsche Sprache unsinnigerweise einen männlichen Artikel zugeschrieben hat. Von der Existenz der Sonne erfahren wir des Nachts durch Luna, die ihr Licht reflektiert. Auf Erden spiegelt sich die Liebe in einem höheren Maße in Frauen, ihren Gesichtern und ihrem Gebaren wider als in den diesbezüglich eher „unterbelichteten Männern“. Die „Frau in der Mitte“, so nennt das Johannes-Evangelium die Hauptfigur, in deren tragischer Geschichte unsere Suche nach dem Wesen der Liebe ihren Anfang nehmen wird. Auch in den weiteren Liebesgeschichten spielen Frauen als „Träger“ und Gesicht der Liebe die Hauptrolle.
Wir sind heute – ebenso wie die griechische Antike – der Auffassung, dass es wahre Liebe auch zwischen Mann und Mann sowie zwischen Frau und Frau geben kann. Dem möchte ich nicht widersprechen. Beim gegenwärtigen Erfahrungs- und Entwicklungsstand der westlichen Zivilisationen erscheint es fast zwangsläufig, die sozialen und (finanz)rechtlichen Implikationen der bürgerlichen Ehe und Familie in vollem Umfang auf gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften zu übertragen. Das Wesen der Liebe aber lässt sich besser in der innigen Gemeinschaft zweier vom Geschlecht her verschiedener Menschen ergründen.
Liebe zwischen Mann und Mann und Frau und Frau ist unbedingt natürlich und steht in ihrer konkreten Ausformung nicht hinter der von Personen verschiedenen Geschlechts nach. Bei unvoreingenommener Betrachtung müsste auch dem überzeugtesten Hetero die Parallelität beider Liebesweisen einleuchten: gleiche Muster, gleiche Gefühle, gleiche Freuden, gleiche Leiden. Wer mit dem Hinweis auf fehlende Fortpflanzungsfähigkeit homosexuelle Beziehungen gegenüber heterosexuellen herabstuft, hat das Wesen der Liebe nicht verstanden. Sie offenbart sich nämlich keineswegs im Akt der Fortpflanzung. Sie ist kein Trick der Natur, um die Individuen zur Reproduktion und zur Erhaltung der Art zu veranlassen. Dazu reicht der Geschlechtstrieb aus, der unter glücklichen Bedingungen mit der Liebe in Einklang kommt, aber keineswegs die Liebe selbst ist. Gleichgeschlechtliche Beziehungen sind ebenso berechtigt wie die von Frau und Mann; ihnen die volle Rechtsfähigkeit oder familiär-soziale Eignung abzusprechen, ist abwegig und widerspricht allen sozialempirischen Befunden. Aber eines kann sie nicht beanspruchen: eine Verankerung im Metaphysischen. Oder religiös gesprochen: einen Ursprung in der göttlichen Schöpfung. Das berührt aber nur die, die überhaupt einer solchen Welt hinter der Welt bedürfen. Für alle anderen ist dieser Aspekt der Liebe belanglos. Es gibt großartige Geschichten über gleichgeschlechtliche Liebe, aber keinen einnehmenden Mythos, der diese in vor- und außergeschichtliche Dimensionen entrücken könnte. Eine Erzählung, in dem ein Prinz den anderen liebt und heiratet, wäre kein Märchen.
Das gibt es nur in der Realität.
Die größte aller Liebesgeschichten
Die schönste und größte Geschichte vom Anfang und Ursprung der Liebe berichtet von einem Mann, der noch gar nicht weiß, dass er einer ist. Er lebt ruhig und fern von Aufregungen in einem großen Garten, der ihn mit allem Lebensnotwendigen versorgt. Die höhere Macht, der der Mensch-Mann seine Existenz verdankt, hat ihm die Verantwortung für die Flora übertragen, er übt also die Tätigkeit eines Gärtners aus. Es geht ihm gut, die Gartenpflege scheint nicht sonderlich anzustrengen. Es gibt in dieser einfachsten aller Welten nur eine Regel zu beachten. Von den Früchten zweier Bäume darf er nicht essen. Das umfassende Wissen, welches das Obst des ersten verleihen soll, strebt der recht einfältig scheinende Gartenmensch wohl gar nicht an. Was ist das überhaupt? Wissen? Die ihm angedrohte Strafe im Falle des Verzehrs wird er kaum verstanden haben. Sterben wird er! Was soll das sein? Davon hat er keinen Begriff.
Auch das zweite Tabu betrifft einen Baum. Dessen Früchte bieten das Gegengift gegen die todbringende Nebenwirkung des ersten und verleihen „unvergängliches Leben“. Was versteht der erste Mensch schon von Leben und Tod? Letzterer ist ihm noch unbekannt, weshalb er auch das Erstere nicht begreifen kann.
Die Unzufriedenheit des Gartenmenschen gilt deshalb auch nicht dem Verbot, die Früchte zweier Bäume zu essen. Hungrig nach Wissen ist er nicht, entgegen der Annahme moderner Bildungspolitik, die darin das größte Verlangen des jungen Menschen erblickt. Und ein Verlangen nach Unsterblichkeit verspürt er angesichts mangelnder Todeserfahrung ebenfalls nicht. Ihm fehlt etwas ganz anderes, so findet auch sein Schöpfer: die Gesellschaft von Lebewesen. Kurzerhand wird der Garten mit Landtieren und Vögeln bevölkert und der Tätigkeitsbereich des Menschen um den eines Wildhüters erweitert. Eine erste intellektuelle Aufgabe ist ihm neben der naturnahen Beschäftigung nun auch gegeben: den Tieren Namen zu geben. Wie er diese Aufgabe erledigt, erfahren wir nicht. Woher nimmt er das Vokabular? Doch hinsichtlich seines eigenen Unbehagens kommt er weiter und gelangt – ohne auch nur eine Frucht von besagtem Baum gegessen zu haben - zu der ersten wirklichen Erkenntnis: Keines der Tiere passt zu ihm. Er spürt seine Andersartigkeit und Einsamkeit in der Begegnung mit den Tieren. Das bin nicht Ich!
Die höhere Macht vernimmt die stumme, unbewusste Klage des Gärtners und Wildhüters und arbeitet an einer Lösung. Und der Schöpfer lässt sich etwas einfallen. Der einfachste Weg wäre sicher, ein Duplikat des bisherigen Unikats Mensch zu schaffen. Doch das bewährte Verfahren, aus Lehm einen Körper zu formen und ihm Leben einzuhauchen, wird nicht wiederholt. Denn es soll das Gleiche und dennoch Andere in Einem werden. Dazu bedarf es einer Methode, die getrost als die erste Operation in der Geschichte des Kosmos bezeichnet werden darf. Der Gartenmensch wird in einen Tiefschlaf versetzt, einer Rippe beraubt. Aus diesem Material formt die Schöpfermacht eine Frau, die der Mensch spontan als ihm zugehörig erkennt. Die Ableitung von sich selbst erleichtert offenbar die Zuordnung und Erkennung: mir zugehörig, von mir genommen! Ein Duplikat oder der Blick in den Spiegel hätte diesen entscheidenden Schritt des Menschen aus Einsamkeit, sexueller Unbestimmtheit und fehlendem Selbstbewusstsein nicht vermocht. Eins an Leib und Seele sollen die beiden nun sein. Aus dem Gärtner und Wildhüter ist ein Mann geworden, der den ersten und einzigen Auftrag für eine mögliche Zukunft von späteren Nachfolgern des Ur-Paares erhält: Vater und Mutter zu verlassen, „um mit seiner Frau zu leben.“
Damit endet die Schöpfung. Es kommt nichts Neues mehr hinzu. Die folgenden Turbulenzen zerstören die Gartenidylle. Und zuletzt werden die beiden aus dem Paradies vertrieben und – als Paar – aufgefordert, fortan ihre eigene Geschichte zu schreiben und zu leben.
Schöpfungsbilanz
Es lohnt sich, eine Bilanz am Abschluss der Schöpfung zu ziehen. Es gibt Mann und Frau, das Gebot der Anhänglichkeit des Mannes an seine Frau, die Vorwegnahme eines Falles, der noch gar nicht eingetreten ist und für den die Figuren und Umstände erst noch entstehen müssten: die Abkehr des Mannes von den Eltern und die Hinwendung zur Frau.
Kurz gesagt: Die Liebe ist erfunden.
Erst der letzte Schöpfungsakt bringt das Höchste hervor. Angeregt durch die Einsamkeit des Menschen, geschaffen von der höchsten Macht, die hierbei ihr Meisterstück abliefert. Ein nicht materielles Schöpfungsprodukt, gewonnen aus einer Operation, die zu einer neuen Konstellation verhilft: der Begegnung und Erkennung zweier Menschen unterschiedlichen Geschlechts. Das ist Liebe und am Anfang und in ihrem Ursprung ist sie nicht mehr und nicht weniger als das im Schöpfungsbericht Geschilderte.
Liebe ist das Höchste, was der Mensch im Rahmen des durch die Schöpfung gegebenen Rahmens erreichen kann. Mehr geht nicht. Wenn einem realen Mann die Erkennung seiner Frau nicht durchgängig glückt, kehrt er gerne zu einer älteren Stufe der Schöpfungsfolge zurück: er legt sich einen Garten an, pflegt und schützt diesen wie damals, als das weibliche Gegenstück noch nicht geschaffen war, und genießt sogar die Einsamkeit, die seinem Urahn so nicht mehr zusagte, oder er geht – in Ermangelung von Wildtieren – mit dem Hund spazieren. Oder legt sich ein frauenfernes Hobby zu. Er bewegt sich dabei anders als der Untreue, Betrügende oder von seiner Mutter nicht Loslassende durchaus noch im Rahmen der Schöpfungsordnung, wenn auch im Rückwärtsgang.
Wohin stößt der Ellenbogen einer Frau, wenn sie ihren Mann auf ungebührliches Verhalten aufmerksam machen und zu einer edleren, höheren Form des Betragens anregen will? In die Rippe!
Was aus toten Männern wird, verrät das 1. Buch Mose unmissverständlich: Staub! Der Mann wird zu dem Material, aus dem er geschaffen ist. Die Unsterblichkeit bleibt ihm verwehrt. Gott hat ihn aus dem Paradies verwiesen, bevor er Gelegenheit hatte, vom Baum des ewigen Lebens zu essen. Was aber wird aus toten Frauen? Die Staubprognose richtet Gott bei der Vertreibung aus dem Paradies nur an den Mann, was gerne überlesen wird. Ob die Frau durch bloßes Mithören der Ansprache an ihren Gefährten dem gleichen Schicksal anheim fallen wird? Und noch etwas stimmt nachdenklich. Sie hat ihren Ursprung gar nicht in der Erde so wie der Mann. Sie stammt aus dem bereits Lebenden, einen ersten Lebenshauch zur Erweckung benötigt sie also gar nicht und kann diesen deshalb prinzipiell nicht aushauchen. Sie ist zweifelsfrei der Schlusspunkt der Schöpfung und über ihr Schicksal im Tode kann nur spekuliert werden, während das des Mannes unzweifelhaft ist. Adam stirbt nach biblischen Angaben im phantastischen Alter von 930 Jahren. Von Tode Evas berichtet das 1. Buch Mose nichts. Vielleicht lebt sie immer noch unerkannt unter uns.
Was nicht zur Schöpfung gehört
Nicht der Schöpfung angehörig sind gemäß dem zweiten Kapitel der Genesis viele für selbstverständlich gehaltene Dinge, Institutionen und Ideen, die gerne in den Mythos aller Mythen hineingeschummelt werden, doch erst der nachparadiesischen Menschheitsgeschichte entstammen: Ehe, Familie, Kinderkriegen, Ackerbau, Viehzucht, Religion, Hierachie, Eigennutz und und und. Auch die Sexualität fehlt vollständig ebenso wie der Verzicht auf selbige.
So verwundert es nicht, dass uns uralte mythologische oder märchenhafte Erzählungen der Liebe vertrauter und näher erscheinen als biblische und historische Berichte über Ehe, Familie und Recht. Schon manche Sozialformen des letzten Jahrhunderts muten heute antiquarisch an.
In Tausenden von Jahren werden Menschen andere Lebensformen entwickelt oder die heute bestehenden bis zur Unkenntlichkeit (aus unserer Sicht) verwandelt haben. Ihre Vorstellung von Gerechtigkeit, ihr Gottesbild wird ein anderes sein. Das bekannte Erleben der Liebe, in ihrer Entstehung und in ihrem Verlust, dagegen vergeht erst, wenn Menschen von der Erdoberfläche verschwunden sind oder aufgehört haben, Menschen zu sein. Was durchaus eintreten kann.
Wem das alles inakzeptabel oder zu frauenfreundlich erscheint, der halte sich besser ausschließlich an den sogenannten ersten Schöpfungsbericht, der der Paradiesgeschichte vorausgeht, aber eigentlich der jüngere ist und von einer feministischen Theologie – wohl in Unverständnis der Schöpfungsfolge der zweiten Schilderung – bevorzugt wird.
Im ersten Bericht wird der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen: sofort als Mann und Frau, stufen- und folgenlos. Und auch der Auftrag zur Vermehrung, zum Kinderkriegen also, und zur Beherrschung der Erde, selbstverständlich in verantwortlicher und gottgefälliger Weise, ist schon von Beginn an vorhanden. Sogar Vegetarier können sich im ersten Kapitel der Genesis bestätigt finden.
Für die Fragestellung dieses kleinen Büchleins taugt der erste Schöpfungsbericht aber weniger. Es fehlt darin der faszinierendste Teil: das Paradies. Und etwas Ewiges, das zwar der einzelne Mensch verlieren kann, aber nicht die Menschheit in ihrer Gesamtheit, vermissen wir ebenso: die Liebe. Wir halten uns deshalb, darin Jesus folgend, der gleich im nächsten Kapitel auftreten wird, an den zweiten Schöpfungsbericht; der handelt von der Liebe und dem Paradies. Der allein uns erklären kann, warum Umarmung und Küssen nirgends so schön sind wie in einem Garten. Im Chatroom kann ein Mann seine Frau nicht erkennen und ebenso wenig wiedererkennen. Sex gibt es deshalb im Internet zuhauf, aber Liebe nicht.
Das größte Geheimnis des zweiten Schöpfungsberichtes liegt in der Folge.
In der Entstehung folgt die Frau dem Mann, in der Liebe folgt der Mann der Frau. Einer Frau übrigens, die allen archaischen Zuschreibungen einer Mutter Erde widerspricht. In der Paradiesgeschichte ist der Mann das irdische Geschöpf, die menschliche Fortsetzung der Erde, die Frau aber das Fremde, Unbekannte, Neu-Hinzugekommene.
Urknall, Evolution und Schöpfung
Die griechische Philosophie hebt vor ca. 2600 Jahren mit der Frage an, woraus die Welt besteht und wie trotz der sichtbaren Vielfalt die Einheit all dessen, was ist, zu begreifen ist. Es ging also darum, hinter der unendlichen Vielheit der Dinge den einen Stoff, die Ursubstanz oder die wenigen Grundelemente beobachtend und denkend zu erfassen, aus denen die vielen konkreten Dinge beschaffen sind. Die erste Philosophie war konsequent materialistisch, auch die menschliche Seele stellte man sich als hauchzarte Materie vor, der Luft ähnlich.
Moderne Sinnfragen – Wer bin ich? Woher kommen wir? Wohin gehen wir? - sucht man in der vorsokratischen Philosophie zunächst vergebens. Den Sinn des eigenen Daseins in Frage zu stellen, hatten die ersten Philosophen keine Veranlassung. Auch an der Realität zu zweifeln, im Sinne eines Trugbildes, das uns Sinne, menschliche Wahrnehmung und Gehirn vorgaukeln, lag ihnen noch weit fern.
An der Welt und ihrer Beschaffenheit sind die meisten Menschen der Gegenwart nur insofern interessiert, als dass sie ihre eigene Stellung darin verstehen möchten, sofern man überhaupt noch bestrebt ist, die eigene Person in einen größeren Zusammenhang zu stellen, ob religiös, mystisch, esoterisch oder physikalisch, historisch und evolutionär. Wobei die gesicherten wissenschaftlichen Anschauungen, Urknall in der Physik und Evolution in der Biologie, zur Sinngebung wenig taugen, weil sie zwar bei unvoreingenommener Auseinandersetzung den Verstand erreichen, aber weit, weit entfernt vom menschlichen Lebensgefühl bleiben. Das sagt man auf, es stimmt vermutlich sogar, aber es bewegt uns nicht, das Innerste erreicht es nicht.
Auch der Kreationismus, das wortwörtliche Verständnis des Schöpfungsberichtes, teilt sich dem Menschen nicht „von selbst“ mit und wird von der Seele bereitwillig aufgesogen. Deshalb muss die Auffassung, alles Lebendige sei von Gott in einem Akt geschaffen und habe seine Gestalt seitdem nicht verändert, so dogmatisch und fanatisch verkündet werden. Fundamentalisten fallen dadurch auf, dass sie den Mythos für verbürgte Tatsachen halten und keinen Zweifel daran dulden. Glaube aber kommt aus dem Zweifel, der auch sein ständiger Begleiter ist; ohne diesen gibt es keinen Glauben, sondern lediglich bornierte Gewissheit, die nach immerwährender Bestätigung sucht.
Besonders schwer tun sich jene, die beides miteinander vereinbaren möchten: Schöpfung und Wissenschaft. Heraus kommt ein Gott, der einen Milliarden Jahre währenden Prozess angestoßen und dessen momentanes Entwicklungsstadium offenbar von Beginn an gekannt hat. Einen solchen Gott aber braucht eigentlich kein Mensch, wie überhaupt die Vorstellung eines Weltenbaumeisters manche Erkenntnislücke zu füllen vermag, aber nicht dem tieferen menschlichen Bedürfnis entspricht. Menschen benötigen einen Gott, bei dem die Seele – vor allen in den dunklen Stunden – aufgehoben und angenommen ist. Wer auch darauf verzichten kann, kommt dennoch nicht umhin, nach einer Welt vor, hinter und nach der erfahrbaren Wirklichkeit zu fragen. Unser Verhältnis zu Gott , wenn wir ihn denn nicht leugnen, und zum Tode, den wir nicht leugnen können, und unser zeitweiliges Gefangensein in der Liebe sind nur durch etwas hinter der Physis befindliche, philosophisch gesprochen: metaphysisch, zu verstehen. Die Liebe ist als Urkraft denkbar, die aus jener Hinterwelt bis in die Gegenwart strahlt. Die Mythen und die gefühlte Ähnlichkeit der dort geschilderten Phänomene mit unseren Liebesempfindungen sind Zeugnisse dieses immerfort wirkenden Ursprungs.
Reden wir aber von Gerechtigkeit, Recht, Staat, Herrschaft, Notwendigkeit und Freiheit, so mag der Bezug auf Mythen manch hilfreiche Ergänzung verschaffen, das Wesentliche aber erfassen diese nicht. Ja, besonders die Ableitung von Familie und Staat aus dem einen Ursprung führt nicht nur zu Missverständnissen, sondern kann verhängnisvolle Betriebsstörungen in der Realität des Zusammenlebens hervorrufen. Auf die Frage der Gleichheit und Gleichberechtigung von Frau und Mann gibt der Mythos keine Antwort. Sie ist wie jede Frage von Gerechtigkeit und Freiheit letztlich eine der Vernunft, der menschlichen wohlgemerkt, eine göttliche ist mir noch nicht begegnet. Menschliche Vernunft kann irren, das wirksamste Palliativ gegen Irrtum und Fehler ist der Dialog, gegründet auf Respekt, Toleranz und Methode. Märchen und Mythen lassen sich nicht dialogisch erfassen, sondern nur in einer gewissen Einsamkeit deuten.
Lauter Verwechselungen
Die Vermengung von Liebe und Vernunft sorgt für zahllose Missverständnisse.
Eine Ehe wird nicht besser oder schlechter, wenn man sie „vor Gott“, in der Kirche oder wo man ihn sonst vermutet, schließt. Das gibt dem Treueversprechen allenfalls einen feierlichen Rahmen. Der Ehealltag kann aber durch den richtigen Gebrauch der Vernunft erheblich verbessert werden. Übrigens: Es ist blanker Unsinn, sich ewige Liebe zu schwören, weil diese als etwas metaphysisch Gewirktes sich dem menschlichen Willen entzieht. Sie ist ein Geschenk, das verloren gehen kann. Auf keinen Fall eine Leistung des Menschen. Wer die Ehe bricht, kann sich andererseits auch nicht auf die Liebe (zu einem anderen Menschen) berufen. Das eheliche Treueversprechen kommt wie jeder Vertrag, jedes Gelübde, jede Verzichtserklärung aus der Vernunft. Treuebruch ist Vertragsbruch und ist mit (neuer) Liebe ebenso wenig zu entschuldigen wie Zahlungssäumnis mit guter Laune oder schönem Wetter.
Der Verzicht auf Sexualität kann niemals mit der Liebe zu Gott begründet werden. Er hat seinen Ursprung in der Vernunft. Die kann übrigens anders als die Liebe irren. Jeder Priester, der einer Frau folgt und seinen Stand verlässt, korrigiert einen Irrtum der Vernunft. Vielleicht kommt er Gott dadurch ein Stück näher.
Der Versuch, vernünftig zu lieben, führt unweigerlich zum Tod der Liebe. In beständiger Gesellschaft eines Vernunftradikalen verkümmert auch der mit größter Leidenschaft Begabte.
Die grundsätzliche Verschiedenheit von Liebe und Vernunft bestätigt der zweite Schöpfungsbericht auf mysteriöse Weise. Die Vernunfterkenntnis ist bereits als Möglichkeit im Paradies angelegt, als Frucht eines Baumes. Doch macht der Mensch, mehr einem Instinkt als einem göttlichen Verbot folgend, davon vorerst keinen Gebrauch. Die Liebe geht der Vernunft voraus. Zur Erweckung der Erkenntnis – gemeint ist die Episode mit der Schlange und der Baumfrucht - kommt es erst, nachdem die Liebe zwischen Mann und Frau schon vorhanden ist, inklusive der Vereinigungssehnsucht.
Dass die Liebe der Vernunft vorausgeht und deshalb auch völlig unabhängig von dieser wirkt, kann jeder Mensch, der einmal geliebt hat, uneingeschränkt bestätigen. Die Vernunft kommt in einer Beziehung später hinzu, sie macht das Zusammensein im günstigsten Fall beständiger, im ungünstigsten ist sie der Tod der Liebe. In jedem Fall aber nimmt sie der Liebe etwas von ihrer Urgewalt.
Hätte der erste Mensch sich frühzeitig – zu früh - am Baum der Erkenntnis gelabt, gäbe es Frauen lediglich als Duplikate der Männer mit anderen Geschlechtsorganen und vor allem fehlte eines: die Liebe. Wir wären dann alle höchst rationale kleine Gelehrte, hielten die Mathematik wegen ihrer logischen Unbestechlichkeit für das Höchste aller Wesen und würden uns weitgehend mechanisch, nach „vernünftigen“ Kriterien fortpflanzen und zweifellos gesund ernähren. Wir wären so, wie die Bildungspolitik sich den Menschen vorstellt.
Liebe und Vernunft
Wenn wir von der Liebe zur Wissenschaft oder auch zur Kunst sprechen, sollten wir nicht meinen, das analog zur Liebe zwischen zwei Menschen tun zu können. Auch die Liebe der Eltern zu ihren Kinder und der Kinder zu ihren Eltern ist etwas anderes als jenes urtümliche Erkennungserlebnis und jene Vereinigungssehnsucht, von denen der zweite Schöpfungsbericht erzählt. Der alleinerziehende Elternteil versteht das besser als der sich ganz der Wissenschaft Hingebende, ist doch seiner Mutter- oder Vaterliebe gewiss eine Liebe ganz anderer Art vorausgegangen, die durch die Gegenwart der Kinder nicht zu ersetzen ist. Der die Wissenschaft, oder wenn es dazu nicht reicht, seinen Computer Liebende weiß um die Existenz einer Urliebe womöglich gar nicht oder hält sie schlicht für einen Mangel an Vernunft. Wenn es sie oder ihn dann doch erwischt, kann es den Verstand kosten. Keine Liebe erscheint närrischer als die eines Menschen, der zuvor ihre Existenz geleugnet hat.
Wäre das Ur-Paar auf dem Entwicklungsstand nach der Erfindung der Liebe geblieben, gäbe es keine Scheidung, aber auch keine Kinder. Woodstock konnte aber nicht ewig dauern, weil es sich bei den Blumenkindern bereits um vernunftbegabte Wesen mit Verdauung und Kindern handelte. Irgendwann muss der Müll weggeräumt werden und den Kindern eine feste Struktur und warme Mahlzeit geboten werden. Die Kinder von ewigen Blumenkindern sind bedauernswerte Geschöpfe. Um Eltern zu werden, müssen Menschen das Paradies verlassen, was nicht heißt, dass es keine zeitweilige Rückkehr darin gibt. Wer glaubt, das Paradies der Liebe am besten ohne Kinder erhalten zu können und sich willentlich dagegen entscheidet, hat bereits eine „vernünftige“ Entscheidung getroffen; und es ist nur eine Frage der Zeit, wann die Vernunft das gesamte Beziehungsgeflecht durchwirken wird. Es lässt sich durchaus eine reine Vernunftehe führen, eine Vernunftliebe gibt es nicht.
Wie kann man sich von jungen Jahren an bis in den Tod wahrhaft lieben, wenn schon am Anfang eine Verzichtserklärung steht?
Trennung und Vereinigung
Tätige Vernunft trennt, zergliedert (Analyse) und entfernt, löst ab (Abstraktion). Liebe zwischen zwei gleichen und dennoch verschiedenen Menschen drängt zur Vereinigung. Elternliebe aber hat anders als Eros ein durchgängig trennendes Moment. Schon der Geburtsakt ist ein Schritt der Loslösung. Am Ende einer von Elternliebe gestützten Kindheit und Jugend sollte ein weitgehend autonomer Mensch stehen.
Scheidungen als rechtlich-soziale und versuchte emotionale Trennung zweier einst Liebender resultieren aus willentlichen Entscheidungen unter mehr oder weniger großer Beteiligung der Vernunft. Missverständnisse entstehen, weil bei Verwendung des Vernunftbegriffs nicht in Rechnung gestellt wird, dass Vernunft irren kann. Trennungen können aus diesem Grunde sowohl richtig als auch falsch sein.
Liebe dagegen hat weder eine Qualität im Positiven noch im Negativen. Den Falschen zu lieben ist ebenso unmöglich wie den Richtigen. Liebe irrt nicht, ebenso wenig hat sie je recht. Allenfalls lassen sich wahre oder unwahre Geschichten über sie erzählen.
Das Trennende, das Liebe bewirkt – die Loslösung von den Eltern – entsteht erst, wenn sie aus der Metaphysis, der Welt hinter der Welt, ins Leben tritt. Als Adam und die Frau aus seiner Rippe sich auf den Weg machten, blieben noch keine Eltern zurück, die weinend-winkend ihre Kinder verabschiedeten. Doch ist dieser Fall bereits in der paradiesischen Erzählung vorbedacht.
Was können wir über die Liebe wissen?
Wenn ein Philosoph zwei Prinzipien als wirkungsmächtig erkennt, ist er bestrebt, einen Ausgleich herbeizuführen: synthetisch gemäß der dialektischen Methode oder kausal im Nachweis eines gemeinsamen Ursprungs. Im Falle von Liebe und Vernunft gelingt kein überzeugender Weg der Zusammenführung. Beide können zwar nebeneinander existieren, das Bemühen um Balance ist aber per se schon eine Tätigkeit der Vernunft. Denn die Ausgewogenheit kommt aus dieser, die Liebe dagegen drängt es zur Vereinigung, dem Ende jeder Balance.
Letztendlich können wir zum Verhältnis von Liebe und Vernunft(erkenntnis) nur das in Worte fassen, was der zweite Schöpfungsbericht in Bildern darstellt:
Die Vernunft geht der Liebe als Möglichkeit voraus - der Baum der Erkenntnis existiert vor der Frau und der mit ihr Einzug haltenden Liebe. Der Gebrauch der Vernunft aber folgt erst der entstandenen Liebe. Mit dem Beginn der Erkenntnis jedoch ändert sich etwas auf dem Feld der Liebe.
War diese zuvor das Fundament der Beziehung von Mann und Frau, wird sie nun zu dem, was zuvor die Vernunft war: eine Möglichkeit, die nicht notwendig eintreten muss. Wenn sie den geschichtlichen, „real existierenden“ Menschen erreicht, ist sie in ihrer Entstehung dem Urerleben der paradiesischen Wesen verblüffend ähnlich. Als bloß bestehende Möglichkeit ergreift sie nicht jeden, sie kann verloren gehen und tut das in den meisten Fällen auch. Willentlich erschaffen kann der Mensch sie nicht, aber durchaus mutwillig zerstören. Als kosmische Hintergrundstrahlung ist sie allgegenwärtig und in Momenten größter Stille und Ruhe sogar spürbar oder hörbar, je nachdem wie unser Sinnes- und Empfindungsapparat beschaffen ist. Sie teilt sich in diesen rätselhaften Momente nicht im Verlangen nach einem konkreten Menschen mit, sondern als Sehnsucht ohne Anfang, ohne Objekt, ohne Ziel, ohne Ende. Die Sehnsucht nach einer Heimat, die keinen Ort, keinen Namen hat. So wie die Frau in der Erkennung durch Adam noch namenlos ist. Die Tiere haben bereits einen Namen, der Mann heißt Adam. Eva heißt die Frau erst nach den Turbulenzen um Schlange und Erkenntnisbaum. Eva ist der Name der mythologischen Urmutter aller Menschen, aber nicht der Name der Frau, der der Mensch-Mann folgt. Manchmal zweifele ich, dass beide identisch sind.