Читать книгу Zerstörte Leben - Sebastian Schaa - Страница 4
Am Hafen
ОглавлениеSchon von weitem konnte er sehen, wo sich der Tatort befand. Polizeiwagen sperrten den Bereich weiträumig ab. Die Blaulichter hatten bereits viele Schaulustige angelockt, die sich hinter dem Absperrband sammelten und von einigen Polizisten im Zaum gehalten wurden.
"Unglaublich, wie viele Menschen hier zu dieser Uhrzeit unterwegs sind", dachte er.
Die Cap San Diego, ein altes Frachtschiff, das nun im Hamburger Hafen als Museumsschiff vor Anker lag, war ein merkwürdiger Hintergrund für einen Tatort.
Er parkte seinen Wagen ein paar hundert Meter entfernt und machte sich zu Fuß auf den Weg.
"So kann ich noch einmal die Ruhe vor dem Sturm genießen", ging es ihm durch den Kopf.
Eric nahm sich eine Zigarette und zündete sie an.
Eigentlich sollte ich aufhören ..."
Er zündete sich die Zigarette an, nahm einen langen Zug und schloss dabei die Augen. Er hielt einen Moment inne, während er den Kopf hob und langsam den Qualm durch seine Nasenlöcher entweichen ließ. Nachdem er den Kopf wieder gesenkte und seine Augen geöffnete hatte, sah er Sabrina, die auf ihn zulief.
„Hey Eric!“, rief sie ihm entgegen.
Sie sah wie immer hinreißend aus. Ihre blonden Haare waren zu einem Zopf zusammengebunden. So genoss Eric einen guten Blick, auf ihre Brüste, die von der blauen Bluse umrandet wurden.
„Schau wo anders hin!“, ermahnte er sich und hoffte, dass sie den Blick nicht bemerkt hatte.
„Moin Sabrina“, sagte Walthers.
Er ging auf sie zu. Als die beiden voreinander standen umarmten sie sich kurz. Dann ging Sabrina voran.
„Erzähl mir, was hier passiert ist", bat er sie
„Heute Nacht wurde eine Leiche entdeckt. Sie ist männlich, 30 – 40 Jahre alt, blond. Sonst haben wir noch nicht viel. Er hat keine persönlichen Dinge bei sich. Deshalb ist er noch nicht identifiziert. Die Leiche wurde so schwer entstellt. Eine genauere Beschreibung wird schwer."
"Wie wurde er entstellt?“
"Das musst du dir selbst anschauen", sagte die Blondine und ging voran.
„Graham und die KTU sind bereits vor Ort und schauen sich alles an", sagte sie.
„Er ist mit seinen Skizzen beschäftigt. Ich finde das unnötig, wir bekommen doch einen detaillierten Bericht der KTU. Wozu also die ganze Arbeit?“, frage sie Eric
„Ich weiß, das macht er schon immer. Er vertraut am liebsten auf seine eigene Arbeit. Es ist nicht so, dass er die KTU nicht schätzt, aber er geht gern auf Nummer sicher.
Sie erreichten die Menge der Schaulustigen und Eric hörte das Gemurmel der Menge.
"Das ist einer abgesoffen!"
"Ja ich hab gehört, es soll ein Betrunkener gewesen sein."
"Er war feiern auf‘m Kiez und ist dann, sturzbesoffen in Wasser gefallen."
Eric erkannte bereits die ersten lokalen Journalisten. Sie standen in der Menschenmenge, machten sich Notizen und schossen Fotos.
"Jeder dieser Vollidioten will natürlich, dass seine Geschichte genommen wird! Aber besser für uns, so können wir vorerst in Ruhe arbeiten. Wenn erst einmal bekannt wird, dass es Mord war, wird es hier von Reportern und Kamerateams nur so wimmeln", dachte Eric.
Eric und Sabrina kämpften sich durch die Menge und zeigten dem Streifenpolizisten am Absperrband ihre Ausweise. Er hob das Band an und lies sie passieren. Eric wusste, dass er den Kollegen schon mehrfach gesehen hatte, konnte sich aber nicht mehr an dessen Namen erinnern.
Nun hatten sie freie Sicht auf die kleine Gruppe. Kriminaltechniker und Henning. Sie trugen weiße Einweg-Overalls aus einem dünnen Stoff. Sie verhinderten, dass sie versehentlich Beweismittel vernichteten oder kontaminierten und somit wertvolle Spuren verloren. Eric und Sabrina liefen zielstrebig auf den weißen VW-Sprinter zu, dem Einsatzfahrzeug der KTU. Eric sprang hinein und fand auf dem kleinen Tisch sofort, wonach er gesucht hatte. Eine Packung mit Latexhandschuhen. Er zog ein Paar heraus und streifte es sich über. Daneben stand eine Packung mit Schuhüberziehern, von denen er sich auch ein Paar überstreifte. Sabrina tat es ihm gleich.
"Wenn ich die so sehe, muss ich an Ameisen denken. Die Arbeiten auch immer so durcheinander", flüsterte die blonde Kommissarin in Erics Ohr. Er grinste Sie an, sagte aber nichts dazu, auch wenn er ihren Vergleich ziemlich treffend fand.
Als sie auf Henning zugingen, traten die Kriminaltechniker beiseite und gaben den Blick frei. Das Opfer lag mit dem Rücken auf dem Boden, seine Armen und Beinen an ein Holzkreuz genagelt. Das Erste, was auffiel, waren das Fehlen der Augen, Hände und Füße. Außerdem wies die Leiche diverse Brand- und Schnittwunden auf.
"Moin!", sagte Eric in die Runde.
Erwiderungen kamen von der Gruppe, aber keiner wandte sich von seiner ihm zugewiesenen Aufgabe ab. Zu groß war die Gefahr, dass etwas übersehen wurde. Henning schaute als Einziger auf und gesellte sich zu Eric und Sabrina.
Er sah viel besser aus als Eric, zumindest um diese Uhrzeit. Henning war schon immer ein Morgenmensch gewesen, ganz anders als Eric. Seine dunkelblonden Haare waren wie immer TOP frisiert, der Bart frisch rasiert.
„Na Graham, was hast du für mich?“, fragte Eric
„Ach Walthers, wirst du deiner blöden Witze nie müde. Ich sehe viel besser aus als er. Außerdem bin ich bei weitem nicht so labil.“, sagte Henning und grinste.
„Der arme Kerl hatte wirklich ein grausiges Ende. Egal was du in deinem Leben angestellt hast, aber so etwas verdient meiner Meinung nach keiner! Das Kreuz könnte ein Indiz für ein Ritual sein, aber wenn ich mir die Art und Menge der Wunden anschaue, tippe ich eher auf Rache. Das Opfer wurde auf ein Holzkreuz gefesselt und vermutlich Stunden, wenn nicht Tage gefoltert. Ihm wurden die Augenlieder entfernt. So wollte der Täter ihn wahrscheinlich zwingen, alles mit anzusehen. Der Penis und die Hoden wurden ihm entfernt und in seinen Mund gestopft.“, erläuterte Henning mit dem typisch klaren Dialekt der Hannoveraner.
"In den Mund gestopft!? Scheiße eh.", sagte Eric entsetzt.
Henning nickte.
„Dann wurden ihm die Lippen zugenäht und Hände und Füße abgesägt. Vermutlich, um eine Identifizierung zu erschweren. Brandwunden, Schnitte, gebrochene Knochen durch Schläge, mit einem schweren Gegenstand. Am Ende hat man ihm dann die Augen ausgestochen. Und das sind nur die Verletzungen die man oberflächlich erkennen kann. Weiteres wird uns Peter nach seiner Autopsie sagen können.", beendete Henning seine Ausführung.
Sabrina, die blonde Kommissarin schaute entsetzt. Sie war zwar schon eine Weile vor Ort, aber trotzdem musste es unheimlich schwierig für sie sein.
Der erste Mordfall, an dem sie beteiligt war und gleich so einer.
Die Meisten, die das erste Mal zu so einem Tatort kommen, rennen weg, oder übergeben sich. Der Anblick einer Leiche ist etwas, woran man sich erstmal gewöhnen muss.
Eric hatte auch einige Zeit gebraucht. Sein erster Fall war ein Mord mit anschließendem Selbstmord. Eine junge Frau kam abends nach Hause und erwischte ihren Verlobten, wie er die Brautjungfer vögelte. Sie holt die Pistole ihre Verlobten, erschoss ihn, die Brautjungfer und am Ende sich selbst. Für eine Frau war so ein Selbstmord sehr ungewöhnlich, denn sie wollen auch im Tod makellos aussehen. Das hätte Eric, zumindest bis dahin immer gedacht. Aber auch bei der der Polizei war es so, dass die Theorie sich oft von der Praxis unterscheidet.
"Daran ist er aber nicht gestorben. Auch wenn man bei dem Anblick, der hier angewandten Foltermethoden, vermuten könnte, dass er verblutet ist, oder an einem Schock starb.
„Er wurde letztendlich hier im Hafenbecken ertränkt", sagte ein Mann, der sich von hinten an Eric herangeschlichen hatte.
Eric drehte sich um, und erkannte den Sprecher sofort, Peter Wolf, der leitende Pathologe.
Eric stellte mal wieder fest, wie wenig Peter sich in den letzten Jahren verändert hatte. Er war Mitte fünfzig, was man ihm aber, aufgrund seiner sportlichen Figur, nicht ansah. Dunkle Haare, den Bart immer frisch getrimmt und gut gekleidet. Durch seine Vorliebe für „schweigsame Patienten“, wie er sie selbst gerne nannte, hatte er sich den Namen Doktor Tod eingefangen.
"Seine Lunge ist voll mit Wasser. Daraus lässt sich ableiten, dass er noch am Leben gewesen sein muss, als man ihn ins Hafenbecken warf.“
"Er wurde also gefoltert und am Ende ertränkt", flüsterte Henning.
„Der Täter muss medizinische Kenntnisse haben. Vielleicht Rettungssanitäter, Mediziner oder eine andere Art von Erste- Hilfe Ausbildung. Sonst wäre es schwer gewesen, das Opfer so lange am Leben zu erhalten. Normalerweise würde der menschliche Organismus nach einer gewissen Zeit einfach kollabieren, aber er hat es geschafft, ihn am Leben und bei Bewusstsein zu behalten, bis er mit seinem grauenhaften Werk am Ende war. Meinen vollständigen Bericht bekommst du so schnell wie möglich, Eric".
„Ich danke dir Peter.“
Eric stand nun nur wenige Meter entfernt von dem, was einmal ein lebendiger Mensch gewesen war. Immer wenn er so etwas sah, konnte er nicht glauben, dass ein Mensch zu so etwas in der Lage war.
Er sah ihn an. Lange Nägel waren ihm durch die Armgelenke und durch die Knie getrieben worden. Die Augenlieder fehlten, sowie die Augen selbst.
Die Brustwarzen abgeschnitten ... Schnittwunden ... Brandwunden ...
„Was hast du getan umso ein Ende zu verdienen?“, murmelte Eric.
Eine Antwort bekam er nicht.
Dann drehte sich Eric, der nun wieder einen neunen Fall leitete, sich um und studierte die Umgebung. Es sah alles aus wie immer hier am Hamburger Hafen. Die Hafenarbeiter auf der anderen Seite verluden ununterbrochen Container. Die ersten Touristen des Tages spazierten die Landungsbrücken entlang und warten auf den Sonnenaufgang, der in wenigen Augenblicken beginnen würde. Wenn neben ihm nicht eine Leiche liegen würde, wäre es ein Tag wie jeder andere auch.
„Ein Boot der Hafenpolizei wurde heute Nacht auf ihn aufmerksam. Erst dachten sie es würde sich um Treibgut handeln, oder um ein abgebrochenes Schiffsteil. Wir haben die Hafenarbeiter befragt, niemand weiß, wie er in das Hafenbecken gekommen ist", erklärte Sabrina.
"Sabrina, du gehst alle Vermisstenanzeigen durch und suchst diejenigen heraus, die zu unserem Opfer passen."
"Henning ...“
„... Ich erstelle ein Profil. Was momentan eher schwierig ist, wenn man bedenkt, dass ich über kaum Informationen verfüge!", vervollständigte er selbst seine Aufgabe.
"Ja so ist es, aber irgendwo müssen wir anfangen", antwortete Eric.
"Vergleich auch diesen Mord mit der Datenbank. Vielleicht hat der Kerl schon einmal gemordet", schlug Sabrina vor.
"Gute Idee.", sagte Henning.
„Darauf bin ich auch schon gekommen meine Süße.“, dachte Henning, sagte es aber nicht.
"Und ich brauch erstmal einen Kaffee!", sagte Eric und überlege, wo er schnell etwas von dem schwarzen Lebenselixier besorgen konnte.
“HEY WALTHERS!
KOMMT MAL SCHNELL RÜBER!!!”, rief Peter und verdrängte damit sein Bedürfnis. Er und sein Team hatten gerade die Leiche vom Holzkreuz gelöst und umgedreht.
„Na was hast du gefunden Doktor Tod?“, fragte Eric
Die Kriminaltechniker hatten sich um sie versammelt. Als die Drei näher kamen, erkannten sie den Grund. In die Haut des Rückens war ein Text eingebrannt worden.
„Da hat uns der Täter ein kleines Gedicht hinterlassen.“, sagte Peter.
4 Stunden der Folter für Wochen an mir.
4 Täter werden Opfer sein, nun sind sie die voller Pein !
4 Opfer sollen meine Gerechtigkeit sein!
4 Tage wird es gehen, jeden Tag werdet ihr jemand Neues sehen!
"Das bestätigt uns sein Motiv. Rache.", sagte Eric.
„Oder will er uns nur auf eine falsche Fährte locken?“, überlegte er dann.
Hinter der Absperrung der Polizei herrschte helle Aufregung. Jeder stellte neue Vermutungen an. Immer mehr Gaffer versammelten sich. Die Journalisten schrieben und schrieben auf ihre Notizblöcke oder sprachen in die Diktiergeräte. Die Mordtheorie war auch schon im Umlauf. Die Aufregung der Menschen machte sie blind. Ihn, der in ihrer Mitte stand, an einem warmen Sommermorgen einen Pullover mit Kapuze tragend, nahmen sie nicht wahr. So etwas wäre unter anderen Umständen sofort aufgefallen. Aber nicht heute. Er stand da und beobachtete mit einem Grinsen im Gesicht das Treiben.
Als eine junge Frau sich ihm zuwandte und sagte: "Was für ein schrecklicher Morgen!", reagierte er nicht, sondern drehte sich um und ging.
Im Gehen sagte er: "Das ist kein schrecklicher Morgen. Das ist ein Morgen der Gerechtigkeit!"
Verwirrt starrte die junge Frau ihm hinterher, weil sie seine Worte nicht verstand.
"Mal wieder so ein Spinner, der nur wirre Scheiße labert", sagte sie zu sich selbst. Dann wand sich wieder dem Geschehen zu und er verschwand unerkannt.