Читать книгу Die Bewusstseinsrevolution - Sebastian Siegel - Страница 7
ОглавлениеKAPITEL I
Das Schicksal, die Hand, die sich dir entgegenstreckt, und der Übermensch
Das Schicksal
Wenn du eine Reise vorhast, dann bestimmst du gewöhnlich zuerst dein Ziel. Ist es ein Hotel, das Meer, eine schöne Landschaft mit Feldern und Wäldern? Möchtest du Freunde besuchen, an einer Veranstaltung teilnehmen, ein besonderes Ereignis erleben, das du dir in deiner Vorstellung ausmalen kannst? Oder ist es dein eigentliches Ziel, dich zu verirren? Wenn das Reiseziel einmal bestimmt ist, dann legst du als Nächstes die Route fest. Erfahrene Reisende planen ihre Ferien, ihr Abenteuer, ihre Tour immer im Voraus. Dann fahren sie los, um Neues und Unerwartetes zu entdecken.
Das Beispiel der Reiseplanung zeigt, wie leicht die Neigung entstehen kann, ein Gefühl der Vorbestimmtheit zu entwickeln. Das betrifft auch unsere Lebensreise als Ganzes. Wenn wir an Schicksal denken, so meinen wir oft die Ahnung von etwas Unvermeidbarem, von etwas, was wir spüren und kommen sehen, und was einen endgültigen Charakter hat. Es besteht zwar kein Zweifel daran, dass Zielorientierung eine Schlüsselvoraussetzung dafür ist, um sich erfolgreich durchs Leben zu bewegen. Andererseits aber ist es eine Illusion zu glauben, dass wir garantiert an einem bestimmten Ort ankommen werden, und von dort auf die zurückgelegte Wegstrecke zurückschauen.
Im Englischen wird »Schicksal« meist als »destiny« wiedergegeben. Das Oxford Wörterbuch des Englischen (Oxford English Dictionary, OED) gibt dafür die folgende Definition: »Ereignisse, die einer bestimmten Person oder Sache in der Zukunft unbedingt zustoßen werden.« Das Wort ist mit dem deutschen Fremdwort »Destination« verwandt und kommt vom Lateinischen »destinare« … vorbestimmen, festlegen. »Destiny« ist also etwas, was schon festgelegt ist.
In diesem Begriff des Schicksals liegt aber eine doppelte Gefahr. Wenn ich einerseits zuversichtlich in die Zukunft schaue und etwas Gutes erwarte, so kann mich diese Sichtweise dazu verführen, zu zaudern und notwendige Handlungen aufzuschieben. Es passiert ja sowieso, da brauche ich nichts weiter für zu tun! Andererseits aber, wenn ich der Zukunft eher ängstlich entgegensehe und etwas Schlimmes erwarte, dann brauche ich auch nicht zu handeln, da jeder Versuch, das Unvermeidbare abzuwenden, ohnehin nutzlos wäre. Im Unterbewusstsein helfen wir dann vielleicht sogar dabei mit, das unerwünschte Ereignis hervorzubringen. Man nennt das oft eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
Diese Einstellung erklärt auch die andauernde Faszination mit den »Prophezeiungen« des Nostradamus, die zuerst im Jahre 1555 veröffentlicht wurden. Seine Vorhersagen sind so geheimnisvoll und unpräzise formuliert, dass sie das Interesse und die Fantasie der Menschen nun schon seit Jahrhunderten beschäftigen. Gewöhnlich werden die Schriften des Nostradamus im Nachhinein so interpretiert, als hätten sie historische Ereignisse wie den Brand Londons (1666), die Französische Revolution (1789) und den darauf folgenden Aufstieg Napoleons »vorausgesagt«.
Hitlers Aufstieg und Fall soll zum Beispiel in den folgenden beiden Vierzeilern angekündigt worden sein:
Im tiefsten Westen von Europa,
wird von armen Leuten ein junges Kind geboren,
durch seine Sprache verführt es große Menschenmassen,
sein Lärm wird in den Reichen des Ostens anwachsen.
(Nostradamus: Centurien III, 35)
Bestien, wild vom Hunger, durchschwimmen den Fluss,
größere Teile des Heeres stellen sich gegen Hister,
Im eisernen Käfig wird sie der Große verschleppen,
wenn das Kind Deutschlands nichts beobachten wird.
(ebd. II, 24)
Andere Beispiele für Ereignisse, die hinterher in den Text hineininterpretiert wurden, sind der Atombombenabwurf auf Hiroshima und Nagasaki sowie die jeweiligen Attentate auf die beiden Kennedybrüder. Der Angriff auf das World Trade Center in New York am ii. September 2001 soll in den folgenden Zeilen vorhergesagt worden sein:
Erschütterndes Feuer aus der Mitte der Erde,
lässt die neue Stadt erbeben:
Zwei große Felsblöcke führen über lange Zeit Krieg,
dann wird Arethusa den neuen Strom rot färben.
(ebd. I, 87)
Manchmal wurde dieses »etwas in den Text hineinlesen« auch zu Propagandazwecken missbraucht. So entdeckte Joseph Goebbels’ Frau Magda zu Beginn des Zweiten Weltkriegs einen Nostradamus-Vierzeiler, den sie als Prophezeiung eines Sieges der Nazis auslegen zu können glaubte. Goebbels benutzte diese Information dann in einem Pamphlet, das in ganz Europa verbreitet wurde und dazu dienen sollte, andere Länder davon zu überzeugen, dass die nationalsozialistische Position gerechtfertigt war. Zur selben Zeit benutzten auch die Metro-Goldwyn-Mayer-Studios in Hollywood die Texte des Nostradamus mit dem Ziel, die amerikanische Kriegsmoral zu stärken.
Ein anderes Beispiel, das übrigens viel zur Popularität des Nostradamus beitrug, ereignete sich schon zu seinen Lebzeiten. Im Jahre 1555 traf er sich mit Katharina von Medici, der Frau des französischen Königs Heinrich II. von Orléans. Katharina war an Nostradamus’ Weissagungen über die Zukunft ihrer Familie und des Königreichs interessiert. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes, des Königs, im Jahr 1559, als dieser an den Folgen eines Unfalls während eines Lanzenturniers starb, wurden die folgenden Zeilen als Prophezeiung interpretiert:
Der junge Löwe wird den alten besiegen,
auf dem Kampfplatz in einem einzigen Duell:
Im goldenen Käfig wird er ihm die Augen ausstechen,
zwei Wunden werden eine, er stirbt einen grausamen Tod.
(ebd. I, 35)
Heinrich wurde von einem Grafen Montgomery getötet. Dieser war sechs Jahre jünger als der König und beide trugen Schilde, auf denen Löwen abgebildet waren. Montgo-merys ansonsten stumpfe Lanze zerschellte und verwundete den König an zwei Stellen: ein Splitter drang durchs Auge ins Gehirn und ein zweiter verletzte ihn an der Schläfe. Heinrich überlebte noch zehn Tage und starb eines qualvollen Todes. Kein Wunder eigentlich, dass diese Übereinstimmungen vom Standpunkt Katharinas wie eine Vorhersage aussahen.
Ebenso lässt sich vielleicht Nostradamus’ Lebensauffassung aus seiner Biographie erklären. Sowohl seine erste Frau als auch die beiden Kinder aus dieser Ehe wurden Opfer der Pest. Es ist durchaus vorstellbar, dass eine solche Erfahrung zu der Überzeugung führt, dass das Leben von der irrationalen Macht des Schicksals kontrolliert und bestimmt wird.
Eine ganz andere Auffassung hingegen vertritt Picasso. Stell dir vor, du bist, wie er, ein Wunderkind und wirst von früher Kindheit an für jedes Gemälde und jede Zeichnung in den höchsten Tönen gelobt. Ist es da nicht leicht verständlich, dass sich so der Glaube formiert, dass das Leben zu deinen Gunsten vorprogrammiert ist? Dennoch betont Picasso die Notwendigkeit, selbst aktiv zu werden. Er sagt: »Die Tat ist der Schlüssel zu jeglichem Erfolg.« Ähnlich äußert sich auch Mahatma Gandhi, einer der bedeutendsten Pazifisten aller Zeiten, dem es gelang, mit eiserner Disziplin, großer Vorausschau und Unnachgiebigkeit den Kurs der Geschichte zu verändern:
»In fast allen Fällen ist es letzten Endes unwichtig, was du tust. Wichtig ist aber, dass du es tust. Du musst das Richtige tun. Es gibt keinen Anspruch darauf, die Früchte deines Handelns zu ernten. Aber das kann niemals heißen, dass du aufgibst, das Richtige zu tun. Vielleicht wirst du die Früchte deines Handelns nie sehen. Aber wenn du nichts tust, dann gibt es niemals Früchte.«
Und über das Verhältnis zwischen Tun und Schicksal sagt Gandhi:
»Deine Überzeugungen werden zu Gedanken. Deine Gedanken werden zu Worten. Deine Worte werden zu Taten. Deine Taten werden zu Gewohnheiten. Deine Gewohnheiten verwandeln sich in Werte. Deine Werte sind dein Schicksal.«
Die Hand, die sich dir entgegenstreckt
Was also ist dann das Schicksal? Schicksal ist Potenzial. Schicksal ist Möglichkeit. Im Schicksal entfaltet sich der Kosmos auf mannigfaltige Weise durch dich. Kannst du fühlen, wie es in jedem Bereich deines Lebens eine unendliche Vielfalt von Möglichkeiten gibt? Kreativität wird dann viel wichtiger als Intellekt. Die Tatsache, dass es so viele mögliche Endresultate gibt, erlaubt es dir, verschiedene Handlungsweisen und Szenarien in der Vorstellung durchzuspielen. Es ist, als strecktest du deine Hand in Richtung Zukunft aus, unmittelbar in das Reich grenzenloser Möglichkeiten. Stell dir vor, wie deine Hand dort intuitiv eine zweite Hand findet, durch reines Erspüren, ohne dabei von den Augen geleitet zu werden. Diese zweite Hand streckt sich dir entgegen. Sie ist der Platzhalter all deiner Zukunftsmöglichkeiten, all dessen, was du in deinem Leben verwirklichen kannst.
Und in diesem Prozess veränderst du dich und ebenso verändern sich die Umstände. Deine Reichweite und deine Fähigkeiten wachsen, aber dein sich entfaltendes Du spürt, dass es weiterhin unzählige Chancen und Möglichkeiten gibt, alle mit einer unterschiedlichen Textur versehen – eine reiche Sammlung von Geschichten mit verschiedenen Enden. Alle diese Geschichten sind Avatare deiner Entwicklung. Die Ahnung dessen, wer und was du wirklich bist, wird zu einem dynamischen Hologramm. Mit jedem neuen Gedanken, und mehr noch, mit jeder neuen Tat trittst du in ein neues Intelligenzmuster ein. Keiner dieser Gedanken und keine dieser Taten sind besser oder schlechter. Sie sind nur verschieden. Die Evolution des Kosmos, ebenso wie deine persönliche Entwicklung, hat ihre eigene natürliche Bewegung. Diese Bewegung ermöglicht es dir zu wählen: Du hast die Wahl, dich dafür zu entscheiden, deine eigene Geschichte zu erzählen, und damit auch gleichzeitig die Geschichte der Welt, die Geschichte Gottes, des Geistes, der Ewigkeit … des Schicksals.
Die eher magische Weltsicht des Nostradamus steht also im Kontrast zu dem Gedanken, dass das menschliche Handeln Priorität hat, so wie es etwa in dem bekannten Sprichwort »Der Mensch ist seines Glückes Schmied« zum Ausdruck kommt. Dies darf aber keineswegs so missverstanden werden, als habe der Mensch allein alles unter Kontrolle und alles hinge nur von seinem Willen ab. Eine derartige reduktionistische Sichtweise wird leider allzu oft in Selbsthilfeprogrammen verbreitet, meist um die Hoffnung auf schnellen, materiellen Gewinn zu schüren, die aber dann von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Es stimmt zwar durchaus, dass aktives Handeln die Entwicklung vorantreibt. Dazu muss aber noch die Einsicht kommen, dass es noch andere, wesentliche Fähigkeiten gibt, die eine zentrale Rolle dabei spielen: die Fähigkeit zu sehen, zuzuhören, das eigene Potenzial sowie das Potenzial, das in den jeweiligen Umständen steckt, zu verstehen. Der erste Schritt beim Reifenwechsel ist die Erkenntnis, dass man eine Panne hat.
Ein Zitat, das besonders deutlich zum Ausdruck bringt, welche Rolle der Mensch selbst in seinem Schicksal spielt, stammt von dem schottischen Bergsteiger William Murray:
»Solange man sich nicht vollständig auf eine Sache eingelassen hat, gibt es immer Zögern, Unschlüssigkeit, die Möglichkeit sich zurückzuziehen, und dies hat mangelnde Wirksamkeit zur Folge. Für jede Initiative und für jeden schöpferischen Akt gilt eine elementare Wahrheit, die beachtet werden muss, wenn nicht zahllose Ideen und grandiose Entwürfe zugrunde gehen sollen: In dem Augenblick, in dem man sich unwiderruflich auf etwas einlässt, bewegt sich auch die Vorsehung. Plötzlich erscheint unerwartet Hilfe. Dinge passieren, die sonst nie passiert sind. Ein ganzer Strom von Ereignissen entspringt aus der Entscheidung und bringt alle Arten unvorhergesehener Ereignisse, Bewegungen und materielle Hilfen hervor, von denen man sich nicht hätte träumen lassen.«
(aus: W. H. Murray: Die schottische Himalaya Expedition)
Sich auf eine Sache bindend einzulassen, heißt auf der neuronalen Ebene zu handeln. In dem Moment, in dem man sich zu etwas verpflichtet, findet ein Feuerwerk von Nervenzellen statt. Neue, ungeahnte Möglichkeiten eröffnen sich und dieser Moment ist der erste, wahrnehmbare Impuls der Hoffnung. In diesem Augenblick wird uns klar, dass wir tatsächlich etwas verändern können.
Auch in der Bhagavad Gita ist die Notwendigkeit zu handeln eines der zentralen Themen, obgleich hier Handeln noch durch Kontemplation ergänzt werden muss. Die Welt, die in der altindischen Schrift beschrieben wird, ist eine Welt jenseits von Gut und Böse. Der Mörder ist nicht vom Ermordeten zu trennen und Handeln ist nicht auf einen Gewinn hin ausgerichtet. Die Maxime ist vielmehr: Gehe hinaus, tue, was immer du tust, aber tue es mit ganzem Herzen! Lass dich vollständig darauf ein, in den Worten Murrays. Und ebenso gilt, wie auch Gandhi sagt, dass eine Handlung nicht erst durch das Resultat bedeutungsvoll wird. Durch die Zuwendung der Gnade wird jede Handlung an sich bedeutungsvoll und wird eins mit dem Lebensprozess selbst.
Die Dinge geschehen, unabhängig davon, was du tust oder nicht tust. Muster entfalten und manifestieren sich. Das Leben erneuert sich beständig. Wenn das schon so ist, warum dann nicht einfach daran teilhaben? Du fühlst dann, wie der Atem durch dich hindurchfließt, zuerst ein und dann wieder aus – ebenso wie im weiteren, kosmischen Zusammenhang, der ewige Atem spürt, wie du durch ihn ein- und ausgehst und er sich durch dich zum Ausdruck bringt. Damit wirst du zum Teilnehmer an der Entfaltung alles Seienden, mit dem Atem und durch den Atem. Und genau in diesem Augenblick, wie auch sonst in jedem Augenblick, regst du die Bildung eines neuen Musters an. Dieses Muster dehnt sich aus: Sekunden werden zu Minuten, Minuten zu Stunden, Stunden zu Tagen. Tage werden Wochen, Wochen werden Monate und Jahre, und dadurch, dass du dich auf deine Handlung bedingungslos eingelassen hast, entsteht ein einmaliges Leben. Durch dieses Leben wird … alles Leben.
Die Leere, das Nichts, ist der Ursprung und das Ziel von allem. Es gibt etwas, was immer gleich bleibt und sich dennoch andauernd erneuert. Sowohl Aurobindo als auch Ramana Maharshi beschreiben diesen Sachverhalt sehr eindringlich in ihrenWerken über Einheit und Vielheit sowie über das Wesen des Ich. Alles kommt aus dem »Du«, dem Raum, in dem die Kollaboration an der Entstehung der Muster stattfindet, da wo jegliches Schicksal anwest. Aus dem Nichts entsteht Etwas und dabei hast du etwas mitzureden.
Joseph Campbell hat den Ausdruck »Follow your bliss – folge deinem Glücksgefühl« geprägt. In der chinesischen Philosophie gibt es die Begriffe des »Tao« – auf Deutsch »Sinn und Weg«, sowie des »Wu Wei« – »handle nicht gegen die Natur der Dinge«. Im tiefsten Sinn laufen alle diese Gedankengänge auf dieselbe Bedeutung hinaus: Das Wunder des Werdens liegt in der Hingabe an den Lebensprozess.
Handle, aber versuche nicht, etwas zu erzwingen. Lass los, wenn du festhalten willst. Verliere dich im Spiel. Dieses eine Leben, das du jetzt lebst, wird keine endgültige Erleuchtung bringen. Für jeden neuen Schüler wird ein neuer Lehrer benötigt, dessen Aufgabe das fortwährende Erwecken und Wiedererwecken ist und der selbst immer wieder und wieder neu erwachen muss.
Wie flexibel bist du, wenn es darum geht, die Dinge nahtlos immer neu zu sehen? Kannst du im Vollmond den Mann im Mond ausmachen? Sobald du den Mann siehst, schalte um und erblicke den Hasen. Und dann wieder zurück zum Mann.
Diese Fähigkeit, ein Muster zu erkennen, und dann zwischen diesem und einem anderen, im selben Hintergrund verborgenen Muster hin- und herzuwechseln, ist identisch mit der Erzeugung des Musters selbst. Dadurch, dass du es erkennst, fängt es von deiner eigenen Perspektive her an zu existieren. Durch den Akt der Wahrnehmung wird auch der weitere Kontext sichtbar, der sich aus dem Muster heraus erweitert.
Ein Beispiel für dieses Phänomen sind die Sternbilder am Himmel. Die Menschen sehen Bilder und Muster am Himmel. Sie geben ihnen Namen, bringen Mythen und Geschichten mit ihnen in Verbindung, erschaffen also eine reiche Welt von Bedeutungen um diese Bilder herum. Tatsächlich aber sind die Muster nur einzelne Sterne, die ohne bestimmte Beziehung zueinander ihr Licht ausstrahlen. Das heißt aber nicht, dass die Sternbilder nicht wirklich sind. Ganz im Gegenteil: Wir haben sie aus unserem eigenen Innern heraus geschaffen. Wir sind aus dem Nichts gekommen und wir haben die Mythen aus dem Nichts geschaffen – und dieses Nichts ist Alles, ist das Leben. Wenn du genauer hinschaust, kannst du vielleicht auf der Mondoberfläche, am sternenübersäten Nachthimmel, in den Wolken oder im Blattwerk eines Baumes ein neues Bild erkennen. Vielleicht wirst du dabei zum Vermittler eines uralten Mythos oder zum Schöpfer eines brandneuen. Wie dem auch sei, in jedem Fall bist du der Impulsgeber, du bist der Entscheidungsträger, du bist ein Aspekt, eine Ausdrucksform Gottes, den sonst niemand anderer für sich in Anspruch nehmen kann.
Auf diese Weise, also durch dieses Sehen und Erkennen, wird ein bestimmtes Schicksal hervorgebracht. Wir erhalten das, was wir sehen, und wir finden, was wir suchen. Dadurch, dass wir Muster erkennen und sie benennen, erneuern wir ein existierendes Intelligenzmuster. Die Art und Weise, wie wir leben, führt dazu, dass vorhandene Bedeutungsmuster aktiviert und konkretisiert werden. Zuerst bist du wie die Apertur eines optischen Gerätes, etwa die Blende einer Kamera. Du öffnest dich und wirst zum Interpreten dessen, was du siehst. Dann wirst du zu einem Wahrsager, einem Propheten, zum Erzähler dessen, was geschehen könnte, und schließlich zu jemandem, der Wirklichkeit manifestiert.
In seinem Buch Also sprach Zarathustra erörtert Nietzsche die Begriffe »Prophezeiung« und »ewige Wiederkehr«. Er spricht von den unendlich vielen Möglichkeiten, die aus derselben Quelle entspringen. Dies sind die unzähligen Avatare, die mit ein und demselben Pinsel gemalt worden sind, die unbegrenzte Anzahl von Inkarnationen, die eine ewigdauernde Welt bevölkern. Nietzsches Begriff des »Übermenschen« inspirierte mich zum Schreiben eines Texts für die Huffington Post, in der ich die Frage untersuche, welchen Spielraum für die Fähigkeit, Wirklichkeit zu manifestieren, die Menschen besitzen.
Bevor es Menschen gab, waren Protonen, Neutronen und Elektronen in Wechselwirkung und wurden zu Atomen. Atome verbanden sich miteinander und wurden zu Molekülen, die wiederum zu Bestandteilen lebendiger Zellen wurden. Das zeigt, wie schon in solchen frühen, vormenschlichen Zuständen das Prinzip des Begreifens sowohl Schwingung, Orchestrierung als auch Transzen-dierung zur Folge hatte. Daher die Frage an dich, als den Menschen, der du hier und jetzt bist: Wie wirst du schwingen, orchestrieren und transzendieren? Das Stellen dieser Frage und ihre Beantwortung ist der Prozess des Schicksals.
Um diesen Gedanken etwas weniger esoterisch auszudrücken, hier ein weiterer Versuch, deine Rolle in diesem Prozess zu beschreiben: Was kannst du tun, um dich bedingungslos deiner persönlichen Evolution zu verschreiben? Was fängst du mit deinem Leben an?
Ich habe mich niemals so unerfüllt gefühlt wie zu der Zeit, als ich keinerlei Zielrichtung hatte. Zwar ist es immer möglich, einzelne Momente des Glücks zu erleben, aber Erfüllung kommt nur, wenn du dich selbst herausforderst und über dein eigenes Potenzial hinauswächst. Nimm die Herausforderung an und teste deine Stärke. Entwickle neue Fertigkeiten – solche, die du immer intuitiv in dir spürtest, die aber in der Realität erst dann existieren, wenn sie hervorgebracht und ausgebildet werden.
Wir kennen alle den einfachen menschlichen Optimismus, den Glauben, dass morgen genau das passieren wird, wonach man sich schon immer gesehnt hat. Es wird aber nicht geschehen. Menschen, die wie Schafe werden, die nichts anderes mehr zu tun wissen, als einkaufen zu gehen, sich mit einfachen Vergnügungen abzulenken oder zu betäuben, solche Herdenmenschen werden schließlich zu lebendigen Schlachttieren, die nur noch Zerstreuung und Genuss in ihren Süchten kennen. Sie leben ihr Leben in einem Ödland.
Das wirkliche Glück, das du erstrebst, liegt jenseits des einfachen und wunderbaren Gefühls des Daseins. Dieses Glück basiert auf der Suche nach neuen Möglichkeiten. Es hängt davon ab, wie sehr du dich selbst herausfordern kannst. Es hängt davon ab, ob du die sich bietenden Gelegenheiten wahrnimmst, um deine selbst gesetzten Grenzen zu überschreiten und deine einzigartigen Anlagen zu entwickeln.
Wenn du vor etwas Angst hast, wenn etwas dich nervös macht, obwohl du innerlich weißt, dass du es schaffen kannst, dann gibt es nur eine richtige Wahl: Konzentriere dich, sei bereit, Opfer zu bringen, und erwecke den tief in dir ruhenden Willen, zu wachsen und zu reifen. Wer das Leben im Ödland wählen will, der wird von dieser Notwendigkeit fliehen, direkt in die erwähnte Schafherde. Dumme Witze und ein voller Terminkalender bieten Zerstreuung, aber nie Erfüllung. Du wirst zum Sklaven deiner kurzfristigen Wünsche, die verhindern, dass die Beschleunigung dich über das Gravitationszentrum der Normalität hinausträgt. Verstecke dich nicht vor der notwendigen Disziplin, die es dir erst ermöglicht, deinen eigenen Namen wirklich zu besitzen.
Wofür werde ich heute dankbar sein? Und was werde ich aus dem Gefühl dieser Dankbarkeit heraus vollbringen? Welchen Beitrag werde ich leisten? Und wie wird sich dieser heutige Beitrag mit dem morgigen verbinden, und mit dem Rest meines Lebens, sodass ich zu dem Helden werden kann, der ich eigentlich sein will? Und welche Situation will ich heute aufsuchen, die mir Angst macht? Welche Gelegenheit werde ich heute haben, die Kraft in mir zu entwickeln, um die Brücke zur anderen Seite meiner Existenz zu überqueren.
Es gibt diese Existenz, in der ich darum bitte, aus meiner scheinbaren Sicherheit herausgerissen zu werden, in der ich den Morgen noch vor Sonnenaufgang begrüße, mit einem unbändigen Willen aufzustehen, meine Mitmenschen zu begeistern und zu beflügeln, Lachen und Tränen zu verbreiten, die einerseits aus dem tiefsten erreichbaren Selbstgrund geschöpft sind, die andererseits aber auch mit der Anerkennung verbunden sind, dass ich mich endlich dem furchtbaren und gleichzeitig aufregenden Endpunkt hingegeben habe, dem Omegapunkt, der mich unwiderstehlich anzieht und zum Wachstum zwingt.