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Neuntes Kapitel

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Wieder vergingen ein paar Jahre, ohne dass man irgendetwas von dem Ring hörte. Dann aber geschah es, dass Jungfer Malwina Spaak im Jahre 1788 als Haushälterin nach Hedeby kam. Sie war eine arme Pfarrerstochter aus Sörmland, hatte noch niemals einen Fuß über die Grenze Värmlands gesetzt und hatte auch keine Ahnung von den Verhältnissen des Hauses, in dem sie dienen sollte.

Schon an dem Tag, als sie auf Hedeby eintraf, wurde sie zu der Baronin Löwensköld gerufen, um eine ganz eigentümliche vertrauliche Mitteilung entgegenzunehmen.

»Ich halte es für das Richtigste«, teilte die Frau Baronin der Jungfer Spaak mit. »Es spukt nämlich hier auf Hedeby, das lässt sich nicht leugnen. Es kommt nicht selten vor, dass man hier auf den Treppen und Gängen, ja sogar in den Zimmern, einem großen grobschlächtigen Mann in hohen Stulpstiefeln und blauem Uniformrock begegnet, der ungefähr wie ein alter Karoliner aussieht. Er steht ganz plötzlich vor einem, wenn man eine Tür öffnet oder um einen Treppenaufsatz biegt; aber ehe man sich auch nur verwundert fragen kann, wer das sein mag, ist er auch schon wieder verschwunden. Er tut einem nichts, ja, wir glauben eher, er meint es gut mit uns, und ich bitte nun die Jungfer, keine Angst zu haben, wenn er ihr begegnet.«

Jungfer Spaak war damals einundzwanzig Jahre alt, leichtfüßig und flink und außerordentlich tüchtig in allen erdenklichen häuslichen Arbeiten, auch tatkräftig und entschlossen. Wo immer sie hinkam, ging jeder Haushalt, den sie führte, wie ein Uhrwerk. Aber sie hatte ungeheure Angst vor Gespenstern und hätte die Stelle auf Hedeby gewiss nicht angenommen, wenn sie von dieser Sache schon vorher gewusst hätte.

Jetzt aber war sie eben einmal da, und ein armes Mädchen musste sich wohl hüten, sich einen guten Posten zu verscherzen. Deshalb machte sie einen Knicks vor der Baronin, dankte für die Warnung und versicherte, sie würde sich gewiss nicht ins Bockshorn jagen lassen.

»Ja, wir begreifen selbst ganz und gar nicht, warum er hier umgeht«, fuhr die Hausfrau fort. »Meine Töchter meinen, er sehe dem Vater meines Mannes ähnlich, dem General Löwensköld, den die Jungfer dort auf dem Gemälde sieht, und sie nennen die Erscheinung darum den General. Aber die Jungfer wird begreifen, dass niemand damit sagen will, es sei der General selbst, der hier spukt – denn der soll ein ganz vorzüglicher Mann gewesen sein. Wir alle begreifen nichts von der ganzen Sache. Und falls die Dienstboten nun mit irgendwelchen Anspielungen daherkommen sollten, dann hoffe ich, dass Sie, Jungfer Spaak, Verstand genug hat, sich nicht darauf einzulassen.«

Jungfer Spaak verneigte sich noch einmal und versicherte, sie lasse sich mit den Dienstboten niemals auf irgendeinen Klatsch über die Herrschaften ein, und damit war die Audienz zu Ende.

Die Jungfer war allerdings bloß eine arme Haushälterin; da sie aber besserer Leute Kind war, durfte sie wie der Inspektor und die Erzieherin mit am Herrschaftstisch essen. Sie war übrigens ordentlich und hübsch, hatte eine kleine zarte Gestalt, helles Haar und rosenrote Wangen, und so war sie durchaus keine Unzier für den Herrschaftstisch. Alle fanden in ihr ein herzensgutes Geschöpf, das sich auf jede Weise nützlich zu machen verstand; und so war sie auch allgemein beliebt.

Sie merkte auch bald, dass dieser ihr von der Baronin mitgeteilte Spuk der beständige Gesprächsstoff bei den Mahlzeiten war. Bald war es eines der jungen Fräulein, bald die Erzieherin, die erklärte: »Heut hab ich den General gesehen«, wie wenn das etwas wäre, worauf man Wert legte und dessen man sich rühmte.

Kaum ein Tag verging, ohne dass jemand sie fragte, ob sie das Gespenst noch nicht gesehen habe, und da sie immerfort mit einem Nein antworten musste, merkte sie allmählich, dass dies eine gewisse Geringschätzung verursachte. Es war, als sei sie weniger als die Erzieherin und der Inspektor, die beide den General schon unzählige Male gesehen hatten.

Jungfer Spaak hatte es allerdings noch nie erlebt, dass man sich einem Gespenst gegenüber so ungezwungen benahm, und vom ersten Augenblick an hatte sie das Gefühl, dies werde eines Tages ein Ende mit Schrecken nehmen. Sie sagte sich, wenn die Erscheinung, die sich zeigte, wirklich ein Wesen aus einer andern Welt wäre, müsste es sicher ein unseliger Geist sein, der von den Lebenden Hilfe brauche, um Ruhe in seinem Grabe zu finden. Sie gehörte zu den tatkräftigen Naturen, und wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte man ernstliche Nachforschungen angestellt, um der Sache auf den Grund zu kommen, anstatt sie als einen Gesprächsstoff beim Mittagsmahl zu verwenden.

Die Jungfer aber wusste, was ihre Stellung verlangte, und ein tadelndes Wort über das Betragen der Herrschaft konnte nie über ihre Lippen kommen. Für ihre eigene Person hütete sie sich wohl, an den Scherzen über das Gespenst teilzunehmen, und ihre schlimmen Ahnungen behielt sie für sich.

Jungfer Spaak war schon einen ganzen Monat auf Hedeby, ehe sie das Gespenst zu Gesicht bekam. Eines Vormittags jedoch, als sie auf dem Bodenraum gewesen war, um Weißzeug für die Wäsche zu zählen, begegnete ihr plötzlich auf der Treppe ein Mann, der rasch zur Seite trat, um sie vorbeizulassen. Es war mitten am hellen Tag, und sie dachte ganz und gar nicht an Geisterspuk. Sie fragte sich nur, was so ein fremder Mann wohl auf dem Bodenraum zu tun haben könne, und drehte sich um, ihn nach seinem Auftrag zu fragen. Auf der ganzen Treppe aber war kein Mann zu sehen; die Jungfer eilte hastig wieder die Treppe hinauf, schaute in den Bodenraum hinein, untersuchte alle dunklen Winkel, ganz bereit, einen Dieb festzunehmen. Da sie aber nirgends ein menschliches Wesen entdeckte, wurde ihr plötzlich klar, wie alles zusammenhing.

»Wie dumm ich doch bin«, rief sie, »diese Erscheinung war natürlich niemand anders als der General!«

Ja, gewiss! Ja, gewiss! Der Mann hatte ja einen blauen Rock angehabt und ebenso ungeheure Stulpstiefel wie der General auf dem Bild. Das Gesicht hatte sie nicht deutlich erkennen können, es hatte etwas Graues gehabt, etwas wie eine Art Nebel über den Zügen.

Jungfer Spaak blieb eine gute Weile auf dem Bodenraum, um sich wieder zu fassen. Ihre Zähne schlugen aufeinander, und ihre Beine wollten sie nicht recht tragen. Wenn sie nicht an das Mittagessen zu denken gehabt hätte, wäre sie die Bodentreppe nicht mehr hinuntergekommen. Sie beschloss auch gleich, was sie gesehen hatte, für sich zu behalten, und sich nicht von den andern damit necken zu lassen.

Sie konnte den General aber nicht aus ihren Gedanken verbannen, und man musste ihr doch etwas Sonderbares angesehen haben; denn man hatte sich kaum am Mittagstisch niedergelassen, als auch schon der neunzehnjährige Sohn des Hauses, der eben von Uppsala zu den Weihnachtsferien nach Hause gekommen war, sich an sie wendete und sagte: »Heute hat die Jungfer Spaak den General gesehen.«

Bei dieser plötzlichen Anrede war sie nicht imstande, es zu leugnen. Und mit einem Male war die Jungfer die Hauptperson am Tisch. Alle richteten Fragen an sie, die von ihr jedoch so einsilbig wie möglich beantwortet wurden. Unglücklicherweise konnte sie nicht leugnen, dass sie ein wenig erschrocken war, und das rief allgemeine Heiterkeit hervor: Vor dem General erschrecken! Das konnte doch niemand einfallen!

Jungfer Spaak hatte indes schon vorher wahrgenommen, dass sich der Herr und die Frau Baronin nie an den Scherzen über den General beteiligten. Sie ließen die andern nur gewähren, ohne sie darin zu stören.

Und jetzt bemerkte Jungfer Spaak auch noch etwas! Der junge Student nahm die Sache viel ernster als die übrigen jungen Leute.

»Was mich betrifft«, sagte er, »so beneide ich alle, die den General zu sehen bekommen. Ich möchte ihm gern helfen; aber mir ist er noch nie erschienen.«

Er sagte dies mit wirklichem Bedauern und mit einem sehr schönen Ausdruck; Jungfer Spaak bat unwillkürlich Gott in ihrem Herzen, er möge ihm diesen seinen Wunsch doch bald erfüllen. Der junge Baron würde sich gewiss des armen Geistes erbarmen und ihm die Ruhe des Grabes wiederschenken.

In der nächsten Zeit schien Jungfer Spaak mehr als einer von den andern der Gegenstand der Aufmerksamkeit des Geistes zu sein. Sie sah ihn jetzt so oft, dass sie sich beinah an ihn gewöhnte. Es war ein plötzliches augenblickliches Auftauchen, bald auf der Treppe, bald im Flur, bald in einer dunklen Ecke der Küche. Wie aber konnte man den geringsten Anlass für den Spuk ausfindig machen? Jungfer Spaak wurde oft von dem Gedanken verfolgt, dass es vielleicht im Hause etwas gäbe, dem der Geist nachspürte. Da er aber in derselben Sekunde verschwand, wo ein menschliches Auge ihn wahrnahm, konnte sie zu keiner Klarheit kommen.

Den Aussagen der Baronin zum Trotz merkte Jungfer Spaak wohl, wie sehr die ganze Jugend auf Hedeby fest davon überzeugt war, dass es der alte General Löwensköld war, der im Hause umging.

»Er ist unglücklich in seinem Grabe«, sagten die jungen Fräulein. »Und es ist ihm wichtig, zu wissen, was wir hier auf Hedeby treiben. Und dies kleine Vergnügen darf man ihm nicht verübeln.«

Jungfer Spaak, die sich, sooft sie den General gesehen hatte, in die Speisekammer begeben musste, um sich unbehelligt von den Scherzen der Mägde mit zitternden Knien und klappernden Zähnen wieder zu fassen, wäre es viel lieber gewesen, der General hätte sich nicht so sehr für Hedeby interessiert. Die übrige Familie aber hätte ihn recht vermisst, das begriff sie wohl.

Man saß zum Beispiel einen ganzen Abend lang bei einer Handarbeit. Man spann oder nähte, das Lesen und Vorlesen wurde einem manchmal zu viel, und der Gesprächsstoff ging ebenfalls aus. Da ließ plötzlich eines der Fräulein einen Schrei hören. Sie hatte draußen dicht an der Fensterscheibe ein Gesicht gesehen, nein, eigentlich nur zwei Reihen blinkender Zähne. Dann zündete man rasch eine Laterne an, öffnete die Flurtür, alle weiblichen Wesen, die Baronin an der Spitze, eilten hinaus, um den Friedensstörer zu finden; aber natürlich konnte man nichts entdecken. Man ging wieder hinein, verschloss die Fensterläden, zuckte die Schultern und sagte, es sei wohl niemand anders als der General gewesen. Indessen aber war man wieder hellwach geworden. Jetzt hatte man etwas, worüber man eifrig reden konnte. Die Spinnräder drehten sich mit neuem Schwung, ein lebhaftes Gespräch kam in Gang. Von einem war die ganze Familie fest überzeugt: Sobald man am Abend den Speisesaal verlassen hatte, nahm der General den Raum in Besitz, und er wäre gewiss dort entdeckt worden, falls man wieder hineinzugehen gewagt hätte. Man hatte auch gar nichts dagegen, wenn er sich da drinnen aufhielt. Jungfer Spaak dachte, die Familie finde sogar Gefallen an dem Gedanken, der friedlose Stammvater könne in ein gutes warmes Zimmer einkehren.

Es gehörte zu den Eigenheiten des Generals, dass er den Speisesaal vollständig aufgeräumt vorfinden wollte, wenn er da einzog. Jeden Abend sah die Jungfer, wie die Baronin und die Fräulein ihre Arbeiten zusammenlegten und sie mitnahmen. Die Spinnräder und die Stickrahmen wurden in ein anderes Zimmer getragen. Kein noch so kleines Fadenendchen ließ man auf dem Boden liegen.

Jungfer Spaak, die in dem Zimmer hinter dem Speisesaal schlief, erwachte eines Nachts davon, dass irgendein Gegenstand mit einem harten Aufplumpsen gegen die Wand schlug und dann auf dem Boden weiterrollte. Sie war kaum zu sich gekommen, als ein neuer Stoß auf dem Boden folgte, und das wiederholte sich noch zweimal.

»Herr, du mein Gott! Was treibt er denn jetzt da drinnen?«, seufzte sie, denn sie begriff ja, von wem der Lärm herrührte. Das war wirklich keine angenehme Nachbarschaft. Die ganze Nacht hindurch lag sie wach, in kalten Schweiß gebadet vor lauter Angst, der General könnte zu ihr hereinkommen und ihr eine Gespensterumarmung zuteil werden lassen.

Als sie am nächsten Morgen in den Speisesaal gehen musste, um zu sehen, was sich da begeben hätte, nahm sie die Köchin und auch das Zimmermädchen mit hinein. Doch nichts war zerstört! Nirgends war eine Unordnung zu sehen; nur mitten auf dem Boden lagen vier Äpfel. Ach, ach, man hatte ja am vorhergehenden Abend am Kaminfeuer gesessen und Äpfel gegessen! Und da waren vier Äpfel auf dem Kaminsims liegengeblieben, und das hatte dem General nicht behagt. Jungfer Spaak hatte ihre Vergesslichkeit mit einer schlaflosen Nacht bezahlen müssen.

Andererseits konnte Jungfer Spaak niemals vergessen, dass ihr eines Tages ein Freundschaftsbeweis vom General zuteil geworden war.

Auf Schloss Hedeby war Gesellschaft gewesen. Ein großes Festessen mit vielen Gästen. Jungfer Spaak hatte alle Hände voll zu tun gehabt: mit Braten an allen Spießen, mit Windbeuteln und Pasteten im Backofen, mit Suppenkesseln und Soßenpfannen auf dem Herdfeuer. Und nicht genug damit, Jungfer Spaak musste auch im Speisesaal sein; das Tischdecken war zu überwachen, das Silber zu übernehmen, das die Baronin ihr selbst vorzählte. Dann musste an den Wein und das Bier gedacht werden, die zu rechter Zeit aus dem Keller heraufgebracht werden mussten, und schließlich sollten auch alle Kerzen gerade in den Kronleuchtern stehen. Wenn man nun noch bedenkt, dass die Hedebyer Küche in ein Flügelgebäude verlegt worden war und man also über den Hofplatz laufen musste, um dahin zu gelangen, und dass es dort bei diesem festlichen Anlass von fremden und dazu ungelernten Dienstboten wimmelte, dann kann man wohl verstehen, welch eine tüchtige Person an der Spitze des Ganzen stehen musste. Aber alles ging genau, wie es sollte und musste. Es gab keine Daumenabdrücke an den Gläsern, keinen unschmackhaften Inhalt in den Pasteten, das Bier hatte geschäumt, die Fleischbrühe war gerade recht gewürzt gewesen, der Kaffee hatte die richtige Stärke. Jungfer Spaak hatte zeigen können, wozu sie taugte, und die Baronin selbst hatte ihr ihre Anerkennung ausgesprochen und gesagt, es hätte nicht besser sein können.

Doch dann kam der schreckliche Rückschlag. Als Jungfer Spaak der Baronin das Silber übergeben sollte, da fehlten zwei Löffel, ein Esslöffel und ein Kaffeelöffel. Das gab einen Aufruhr. Zu jener Zeit konnte in einem Hause nichts Schlimmeres passieren, als dass etwas vom Silber fehlte. Im Schloss Hedeby war man voller Unruhe, wie im Fieber. Man suchte, suchte ohne Unterlass. Man erinnerte sich auch, dass eine alte Landstreicherin an dem Festtage selbst in der Küche gewesen war, und man war schon entschlossen, weit hinauf nach Finnmarken zu reisen, um ihrer habhaft zu werden. Man wurde misstrauisch und unvernünftig. Die Herrin verdächtigte die Haushälterin, diese die Mägde, die Mägde einander, und überhaupt jedermann jeden. Bald zeigte sich die eine, bald die andere mit verweinten Augen, weil sie glaubten, die anderen meinten, sie hätte sich die zwei Löffel angeeignet.

So war es nun schon zwei Tage weitergegangen, die Löffel aber hatte man nicht gefunden, und Jungfer Spaak war am Verzweifeln. Sie war bis in den Schweinekoben gegangen in dem Gedanken, die Löffel hätten sich vielleicht dorthin verirren können. Sie war sogar in die Bodenkammern der Mägde geschlichen und hatte da ganz heimlich deren kleine Truhen durchsucht. Alles war vergeblich gewesen, und jetzt wusste sie nicht mehr, wo sie noch suchen sollte. Sie merkte, die Baronin und der ganze Hausstand hatten sie, die Fremde, im Verdacht, und sie hatte das Gefühl, wenn sie nicht selbst kündigte, dann würde man ihr kündigen.

Jungfer Spaak stand bitterlich weinend über den Küchenherd gebeugt, und ihre Tränen fielen zischend auf die heißen Platten, als sie plötzlich das Gefühl hatte, sie solle sich umwenden. Sie tat es, und siehe, dort drüben an der Küchenwand stand der General und deutete auf ein Wandbrett, das hoch oben in so unbequemer Lage angebracht war, dass es eigentlich nie jemand einfiel, etwas da hinaufzulegen.

Wie gewöhnlich verschwand der General in demselben Augenblick, wo er sichtbar geworden war. Jungfer Spaak aber folgte seinem Wink. Sie holte die Leiter aus der Speisekammer, lehnte sie an das Wandbrett, streckte die Hand hinauf und bekam einen alten schmutzigen Wischlappen in die Hand. Und wahrhaftig, in das Tuch eingewickelt lagen die beiden silbernen Löffel. Wie waren sie da hinaufgekommen? Sicherlich war es ohne irgendeines Menschen Wissen und Willen geschehen. Während des grenzenlosen Durcheinanders bei einem solchen Festgelage konnte alles passieren. Der Lappen war weggeschleudert worden, weil er im Wege lag, und die silbernen Löffel waren mitgekommen, ohne dass es jemand bemerkt hatte. Jetzt aber waren sie wieder da, und Jungfer Spaak trug sie glückstrahlend zu der Baronin hinein, und sie war nun aufs Neue die rechte Hand und Helferin aller Menschen.

Es gibt nichts Böses, das nicht etwas Gutes im Gefolge hätte. Als der junge Baron Adrian im Frühjahr nach Hause kam, erzählte man ihm, welche ungewöhnliche Gunst der General der Jungfer hatte zuteil werden lassen. Sooft er konnte, suchte er sie im Anrichteraum oder draußen in der Küche auf. Bald kam er unter dem Vorwand, er brauche eine neue Schnur für seine Angel‚ bald sagte er‚ der gute Geruch frischgebackener Semmeln habe ihn hergelockt. Bei diesen Gelegenheiten brachte er dann immer das Gespräch auf das Gebiet des Übersinnlichen. Er ließ sich von Jungfer Spaak Gespenstergeschichten von den großen Sörmländer Höfen, wie Julita und Eriksberg, erzählen und wollte wissen, was sie davon hielte.

Am häufigsten aber brachte er das Gespräch auf den General. Er sagte, mit den anderen könne er nicht über diese Sache reden, weil sie sie von der scherzhaften Seite auffassten. Er selbst aber fühle großes Mitleid mit dem armen Gespenst und wolle ihm gern zur Ruhe verhelfen. Wenn er nur wüsste, wie er das anstellen sollte! Da sagte Jungfer Spaak, ihrer bescheidenen Ansicht nach müsste es irgendetwas im Hause geben, wonach er suche.

Der junge Baron erblasste ein wenig, und er sah die Jungfer forschend an.

»Ma foi, Jungfer Spaak«, sagte er, »das ist ein Gedanke! Aber ich versichere Ihnen, wenn wir hier auf Hedeby etwas hätten, was der General sich wünscht, würden wir keinen Augenblick zögern, es ihm zu überlassen.«

Jungfer Spaak wusste sehr wohl, dass der junge Baron sie einzig und allein der Spukgeschichten wegen aufsuchte; aber es war eben ein liebenswürdiger und überdies sehr schöner, ja, wenn die Jungfer ihre Meinung sagen sollte, ein mehr als schöner junger Mann. Er trug den Kopf etwas vorgeneigt, er hatte etwas Sinnendes, viele dachten sogar, er sei allzu ernst. Aber das kam nur daher, weil sie ihn nicht kannten. Manchmal warf er den Kopf zurück und scherzte und verfiel auf lustigere Schelmenstreiche als sonst jemand. Aber was immer er auch tat, stets war dabei ein unbeschreiblicher Reiz in seinen Gebärden, seiner Stimme, seinem Lächeln.

An einem Sonntag im Sommer war Jungfer Spaak in der Kirche gewesen und wanderte nun auf einem schmalen Richtweg, der schräg über die Felder der Propstei führte, heimwärts. Der eine und der andere von den Kirchgängern hatte denselben Weg eingeschlagen, und Jungfer Spaak, die es eilig hatte, musste eine Frau überholen, die zu langsam für sie dahinwanderte. Gleich darauf kam die Jungfer an ein Gatter, das ziemlich schwierig zu übersteigen war, und diensteifrig, wie sie sich immer zeigte, dachte sie jetzt gleich an die langsame Wanderin, und so blieb sie stehen, um ihr über das Gatter hinüberzuhelfen. Sie reichte ihr die Hand und sah, dass die Frau gar nicht so alt war, wie sie zuerst geglaubt hatte. Sie hatte ein ungewöhnlich weißes und glattes Gesicht, und Jungfer Spaak dachte jetzt, sie könne möglicherweise nicht mehr als fünfzig Jahre alt sein. Obgleich sie offenbar nichts anderes als eine gewöhnliche Bäuerin war, lag doch eine eigene Würde über ihr, wie wenn sie irgendetwas erlebt hätte, was sie über ihren Stand hinausgehoben hätte.

Als Jungfer Spaak der andern über das Gatter hinübergeholfen hatte, gingen sie nebeneinander auf dem schmalen Pfad weiter.

»Sie ist gewiss die Jungfer, die dem Haushalt auf Hedeby vorsteht?«, fragte die Bäuerin.

»Ja, die bin ich«, antwortete Jungfer Spaak.

»Ich möchte wohl wissen, ob Sie gern dort ist?«

»Warum sollte man in einem so guten Hause nicht gerne sein?«, erwiderte Jungfer Spaak zurückhaltend.

»Die Leute sagen ja, es spuke dort.«

»Man soll nicht alles glauben, was die Leute sagen«, erwiderte Jungfer Spaak in zurückweisendem Ton.

»Nein, das soll man allerdings nicht, nein, das weiß ich wohl«, sagte die andere.

Beide schwiegen eine Weile. Es war deutlich, diese Bäuerin wusste etwas, und in Wirklichkeit brannte Jungfer Spaak vor Begierde, sie auszufragen. Aber das schickte sich nicht und war nicht richtig.

Dann begann die Bäuerin aufs Neue: »Ich finde, die Jungfer sieht sehr gut und lieb aus, und ich will Ihr deshalb einen guten Rat geben! Bleibe Sie nicht zu lange auf Hedeby, denn er, der dort umgeht, mit dem ist nicht zu spaßen. Er gibt nicht nach, bis er hat, was er haben will.«

Jungfer Spaak wollte zuerst ein wenig von oben herab für die Warnung danken, diese letzten Worte aber erregten Neugier.

»Was ist es denn, was er haben will? Weiß Sie, was das ist?«

»Weiß die Jungfer das nicht?«, antwortete die Bäuerin. »Nun, dann will ich nichts mehr sagen; es ist vielleicht am besten für die Jungfer, wenn Sie nichts weiß.«

Damit reichte sie Jungfer Spaak die Hand, bog in einen andern Fußpfad ein und war bald außer Sicht.

Jungfer Spaak hütete sich wohl, dies Gespräch der ganzen Familie beim Mittagessen zu erzählen; am Nachmittag aber, als Adrian sie in der Milchkammer aufsuchte, tat sie ihm kund, was die fremde Frau zu ihr gesagt hatte, und er war wirklich recht überrascht.

»Das muss Marit Erikstochter von Olsby gewesen sein«, sagte er. »Dies ist seit dreißig Jahren das erste Mal, dass sie mit irgendjemand von Hedeby ein freundliches Wort gesprochen hat. Mir hat sie einmal eine Mütze geflickt, die mir einer der Jungen von Olsby zerrissen hatte; aber sie sah dabei aus, als wollte sie mir die Augen auskratzen.«

»Aber weiß sie denn, was der General sucht?«

»Ach, Jungfer Spaak, sie weiß es besser als irgend sonst jemand, und ich weiß es auch. Mein Vater hat mir die Geschichte erzählt. Die Eltern aber wollen nicht, dass man es den Schwestern mitteilt. Sie würden von Gespensterfurcht befallen werden und dann nicht mehr hier wohnen. Ich darf es auch der Jungfer Spaak nicht erzählen.«

»Gott bewahre uns!«, erwiderte die Jungfer. »Wenn der Herr Baron es verboten hat …«

»Es tut mir leid«, sagte Baron Adrian. »Ich glaube, Jungfer Spaak könnte mir behilflich sein.«

»Ach, wenn ich das dürfte!«

»Denn ich wiederhole es«, sagte Baron Adrian, »ich möchte dem armen Geist zur Ruhe verhelfen. Ich habe keine Angst vor ihm. Sobald er mich ruft, werde ich ihm folgen. Warum zeigt er sich allen anderen, nur mir nicht?«

Die Löwenskölds

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