Читать книгу Anna das Mädchen aus Dalarne - Selma Lagerlöf - Страница 7

2

Оглавление

Anna Svärd war nun endlich so weit gekommen, daß sie ihren Heimatort Medstuby vor sich liegen sah. Da blieb sie stehen und sah vor allem nach, ob das Dorf noch wohlbehalten auf seinem alten Platze am Dalelf stehe, ob die Gehöfte noch ebenso dicht zusammengebaut und noch ebenso nieder und grau seien, ob die Kirche noch auf der kleinen Landzunge südlich vom Ort liege, genau wie sonst auch, und ob die Birkenhaine und die Tannengehölze nicht etwa während ihrer Abwesenheit von der Erde weggefegt worden seien, sondern noch ganz wie vorher dalägen.

Aber nachdem sie sich von dem allem überzeugt hatte, sah es aus, als gehe es ihr wie so vielen andern, die, gerade wenn sie dem Ziele nahe sind, sich so ermattet fühlen, daß sie kaum mehr weiterkommen. Sie mußte einen Pfahl aus einem Zaun herausbrechen und sich wie auf einen Stock darauf stützen; aber trotz dieser Hilfe konnte sie sich nur Schritt für Schritt auf dem Wege weiterschleppen. Der Rucksack drückte sie; sie mußte tief gebückt gehen, und der Atem wollte ihr versagen. Immer wieder mußte sie stehenbleiben, um sich zu verschnaufen.

So langsam es aber auch vorwärts ging, schließlich erreichte sie doch das Dorf. Sie hatte vielleicht gehofft, ihrer Mutter, der alten Berit, zu begegnen oder irgendeiner andern guten Bekannten, die ihr tragen helfen würde. Aber sie traf keinen Menschen unterwegs.

Der eine und der andere erblickte sie aber doch in ihrer Ermattung, und diese fragten sich sofort, wie es wohl der Mutter gehen werde, wenn nun, wie es den Anschein hatte, die Tochter so krank und elend heimkomme. Denn Mutter Svärd war eine arme Soldatenwitwe ohne Geldmittel und ohne ein eigenes Häuschen, und sie hätte ihre beiden Kinder niemals aufziehen können, wenn ihr Schwager Jobs-Erik, der ein vermögender Mann war, sie nicht in einer zwischen dem Stall und der Scheune eingeklemmten kleinen Kammer hätte wohnen lassen. Berit war sehr geschickt in allerlei Arbeiten sowie auch im Weben; sie war einer von jenen vielseitig gewandten Menschen, ohne die man in einem Dorfe nicht auskommen kann. Aber sie hatte auch Tag und Nacht im Geschirr sein müssen, um die zwei Kinder durchzubringen, und jetzt war sie nahezu aufgerieben. Sie hatte nun wohl auf Erleichterung gehofft, seit die Tochter mit dem Hausierhandel begonnen hatte. Wenn es jetzt nur nicht zu schlimm für sie stand! Es war kein gutes Zeichen, daß Anna zur Unzeit heimkam. Ja, die Armen, denen ging es doch immer schlecht!

Anna Svärd tastete sich durch Holzstöße, Balkenstapel und Arbeitsgeräte, die zwischen den vielen Gebäuden des Jobshofs aufgehäuft waren, hindurch und erreichte so die Stallkammer. Die Mutter war ausnahmsweise daheim. Sie saß mitten im Zimmer an ihrem Spinnrad. Man wird verstehen, wie sehr sie erschrak, als die Tür aufging und die Tochter tief gebückt und sich auf einen Zaunpfahl stützend hereinkam. Und Anna Svärd tat auch gar nichts, um zu verhindern, daß die Mutter nicht einen Todesschreck bekam. Sie sagte ganz leise guten Tag, wie wenn sie das Wort kaum herausbringen könnte; ja, sie seufzte und schnaufte und wendete das Gesicht weg, um der Alten nicht in die Augen sehen zu müssen.

Ach, was sollte die alte Berit denken? Sie war ja gewohnt, die Tochter so frisch ausschreiten zu sehen, wie wenn sie von keiner Last etwas wüßte. Jetzt ahnte sie das schlimmste, und hastig schob sie das Spinnrädchen zurück.

Noch immer seufzend und hart schnaufend, ging Anna Svärd zum Tisch unter dem Fenster hin und stellte ihren Ranzen darauf. Als sie die Riemen vom Rücken gelöst hatte, rieb sie sich mit der Hand das Kreuz. Sie versuchte sich aufzurichten, aber es ging durchaus nicht. Ebenso krumm und gebückt, wie sie in die Kammer hereingekommen war, trat sie an den Herd und setzte sich auf den Herdrand.

Ja, was sollte Mutter Svärd denken? Der Ranzen der Tochter war noch ebenso voll wie im letzten Frühjahr, als sich Anna auf die Wanderschaft begab. Hatte sie den ganzen Sommer hindurch gar nichts verkauft? War sie krank gewesen, hatte sie sich auf irgendeine Weise zugrunde gerichtet? Die alte Frau geriet in solche Angst, was sie wohl zu hören bekommen würde, daß sie nicht zu fragen wagte.

Aber Anna Svärd mußte der Ansicht gewesen sein, die Mutter könne die große Neuigkeit nicht auf die richtige Weise aufnehmen, wenn sie sich nicht noch erbärmlicher und unglücklicher vorkomme als jemals vorher; sie fragte darum mit kläglicher Stimme, ob nicht die Mutter, die wohl ausgeruht habe, ihr den Gefallen tun und den Ranzen aufschnallen wolle.

O doch, Mutter Svärd wollte sich so gefällig erweisen, als sie irgend konnte; aber ihre Hände zitterten, und es dauerte eine ganze Weile, bis sie mit all den Knoten und Schnallen zurechtkam und in den Ranzen hineingreifen konnte. Aber als sie das tat, ach – obgleich die alte Berit schon mancherlei erlebt hatte, so mußte sie einsehen, daß es ihr diesmal fast vor den Augen schwindelte. Denn was sollte sie von all dem denken, was sie aus dem Ranzen herauszog? Sie sah weder etwas von Holzknöpfen noch von seidenen Tüchern, noch von Nadelbriefen. Das erste, was ihr in die Hand kam, war ein kleiner Schinken, und darunter lag eine große Tüte brauner Bohnen und eine ebenso große Tüte gelber Erbsen. Sie sah nichts von einer Banddocke, nichts von einem Nähring, nichts von einem Stück Kattun, nichts, nichts von dem, was eine Hausiererin in ihrem Kramsack haben sollte, sondern nur Reis und Hafergrütze, Kaffee und Zucker, Butter und Käse!

Die Haare wollten ihr zu Berge stehen. Sie kannte doch ihre Tochter; diese gehörte nicht zu denen, die mit Leckereien daherkommen. Anna mußte den Verstand verloren haben, oder was konnte denn sonst mit ihr los sein?

Mutter Svärd war schon im Begriff, zu ihrem Schwager hinüberzulaufen, damit er herausbringe, wie es sich verhielt. Aber glücklicherweise warf sie vorher noch einen Blick nach dem Herd, und da sah sie, daß die Tochter sie anlachte. Nun begriff sie; Anna hatte nur Spaß mit ihr getrieben, und sie dachte, eigentlich müßte sie die Tochter hinauswerfen. Aber auch das wollte sie nicht tun, ehe sie ordentlich Bescheid bekommen hatte, wie alles zusammenhing; denn daß Anna spielen und scherzen wollte, das war nicht weniger ungewöhnlich, als daß sie sich verschwenderisch zeigte.

»Für wen hast denn alles mit'nander ein'kauft?«

»Für dich, Mutter.«

Mutter Svärd hatte bis jetzt glauben wollen, die Waren seien für Nachbarinnen bestimmt, die ihre Tochter gebeten hätten, ihnen solche feinen Lebensmittel mitzubringen. Jetzt schwindelte ihr wieder beinahe.

»Närrin!« sagte sie. »Meinst, ich glaub', du werd'st dich meinetwegen z'tot schleppen?«

»Ach, Mutter, ich hab' aufm Heimweg alles verkauft, und da war's mir doch z'dumm, mit dem leeren Ranzen 'rumz'laufen. Ich hab' eben alles n'einstopfen müssen, was ich g'kriegt hab'.«

Aber die alte Berit, die gewohnt war, ihr Mehl mit gemahlenem Stroh und Rinde zu vermischen, und der es selten so gut ging, daß sie Milch zu ihrer Wassergrütze hatte, konnte sich mit dieser Erklärung nicht zufriedengeben. Sie setzte sich neben ihre Tochter auf den Herdrand und nahm deren Hand in die ihrige.

»Jetzt sag mir aber, was dir g'schehen ist.«

Nun endlich mußte Anna die Mutter genügend vorbereitet gefunden haben. Und da hielt sie mit der großen Neuigkeit nicht länger hinter dem Berge.

»Ja, siehst, Mutter, 's ist 'n Wunder, 'n genauso groß' Wunder wie die in der Bibel und 's müßt' in der Kirch' verkündigt werd'n.«

Anna das Mädchen aus Dalarne

Подняться наверх