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Wunder in der Bibel
ОглавлениеFür die Bibel gehören Wunder beinahe zur „normalen“ Alltagserfahrung – und das bringt ihr heute nicht selten den Ruf eines „Märchenbuches“ ein. Das Alte Testament berichtet eine Vielzahl von Wundern – von der Durchquerung des Roten Meeres (2 Mo 14) über die wunderbare Speisung in der Wüste mit Manna (2 Mo 16), wiederholte Bewahrung vor übermächtigen Feinden im Richterbuch bis zur Vernichtung des assyrischen Heeres, als es Jerusalem belagerte (2 Chr 32). Das Neue Testament beginnt mit dem Bericht über die wunderbaren Umstände der Geburt Jesu und beschreibt viele Begebenheiten aus seinem Leben, die als Wunder bezeichnet werden. Auch von den Jüngern wird in der Apostelgeschichte berichtet, dass sie die Fähigkeit hatten, Kranke zu heilen und Tote aufzuerwecken.
In unserem landläufigen Verständnis der biblischen Wunder herrscht wohl die Überzeugung vor, dass diese Wunder ein Geschehen beschreiben, das im Widerspruch zu den Naturgesetzen steht. Es gibt in der Tat Berichte, in denen Gott die Natur in ihrem üblichen Ablauf unterbricht: Schlimme Plagen treffen die Ägypter, verschonen aber die Israeliten. Elia versorgt eine arme Witwe dadurch, dass ihr Ölkrug und ihr Mehltopf nicht leer werden. Elisa befiehlt einer im Fluss versunkenen Axt, wieder an die Oberfläche zu kommen. Jesus geht über das Wasser, befiehlt einem Sturm zu verstummen, speist fünftausend Menschen mit fünf Broten und zwei Fischen, auf einer Hochzeit verwandelt er Wasser in Wein. Elia, Elisa, Jesus, Petrus und Paulus haben alle mindestens eine Person vom Tode auferweckt. Diese Berichte sprechen von Ereignissen, in denen das, was wir Naturgesetze nennen, überwunden oder außer Kraft gesetzt wurde.
Daneben allerdings wird von Wundern erzählt, die nicht notwendigerweise gegen die Natur geschahen. Hierher gehören beispielsweise eine Reihe von Heilungswundern. Kranke Menschen werden augenblicklich gesund. In einzelnen Fällen hatten die Menschen Krankheiten, an denen sie gestorben wären; bei anderen Kranken wurde der normale Gesundungsprozess lediglich beschleunigt. Jesus heilte viele Blinde und Gelähmte. Auch heute noch kommt es zum Verschwinden von Symptomen wie Blindheit oder Lähmung bei Menschen, bei denen diese Behinderungen als psychosomatische Reaktionen auf traumatische Erfahrungen aufgetreten waren.
Eine weitere Gruppe von Wundern haben es mit der Überwindung böser Mächte zu tun, die sich im Leben eines Menschen eingenistet haben. Das ist vor allem bei den Dämonenaustreibungen Jesu der Fall. Aber auch andere Menschen vor und nach Jesus haben solche Fähigkeiten demonstriert.
Schließlich findet sich das übernatürliche Wissen von zukünftigen Ereignissen. Die Tatsache, dass Petrus einen Fisch fing, der eine Münze im Maul hatte, ist an sich noch nicht sonderlich ungewöhnlich. Erstaunlich ist, dass Jesus ihm voraussagt, wann dies passieren würde (Mt 17,27). Viele Menschen werden jedoch einwenden, die Fähigkeit zur Zukunftsvorausschau sei nicht auf Jesus beschränkt.
Schon dieser kurze Überblick lässt erkennen, dass Wunder in der Bibel in sehr verschiedenen Formen auftreten. Sie stehen zum Beispiel nicht in jedem Fall im Widerspruch zu dem, was wir als natürlichen Ablauf der Ereignisse bezeichnen. Wir werden sehen, dass ihre Besonderheit in etwas anderem besteht.
Eine andere weitverbreitete Meinung ist die, dass die biblischen Wunder die göttliche Sendung dessen beweisen sollen, der das Wunder vollbringt. Das ist zwar in einzelnen Fällen richtig (Mose sollte z. B. vor Israel bestimmte Wunder tun, um seine Beauftragung durch Gott zu belegen), aber diese Sicht wird etwa den Wundern Jesu nicht gerecht. Es ist richtig, dass die Wunder auf die Einzigartigkeit Jesu hinweisen: „Die Wunder Jesu sind anders als alles, was man sonst an Erfahrungen macht. ‚Noch nie haben wir so etwas erlebt!‘ (Mk 2,12)“ (Gerd Theißen, Urchristliche Wundergeschichten). Seine Taten führen Menschen dazu, nach seinem Wesen und seinem Auftrag zu fragen.
Die Wunder offenbaren Gottes Gegenwart und Macht im Leben Jesu allerdings nur denen, die sie im Glauben betrachten. Die Taten Jesu werden auf sehr unterschiedliche Weise gedeutet. Viele Menschen erkannten in ihnen den Beweis des Wirkens Gottes; andere dagegen sahen in ihnen den Teufel am Werk (Mt 12,24). Die außergewöhnlichen Dinge, die Jesus tut, können seine Autorität der Welt nicht zweifelsfrei beweisen. Sie sind Hinweise für die Menschen, die Herz und Verstand für Jesus öffnen. Eine Hauptschwierigkeit bei dem Gedanken, dass die Wunder vor allem Beweise für den Anspruch Jesu seien, liegt darin, dass Jesus selbst das verschiedentlich ablehnt. So widersetzt er sich den Vorschlägen des Versuchers, durch die Inszenierung einer wundersamen Bewahrung in aller Öffentlichkeit zu beweisen, dass er der Sohn Gottes ist (Mk 4,6.7). Auch die Forderung der Pharisäer nach einem wunderhaften Beglaubigungszeichen für seine besondere Autorität lehnt er ab (Mt 8,11.12). In der Tat sind es gerade die Wunder, die die intensivsten Konflikte mit den religiösen Führern auslösen. Religiöse Heilungen an sich waren wohl im „religiösen Repertoire“ auch der Gegner Jesu vorgesehen (Joh 5,11ff.); auch andere Menschen besaßen Heilungskräfte. Aber die Wunder, die Jesus tut, verstand man als Ablehnung der religiösen Tradition und der Gesetze. Jesus heilt am Sabbat und beansprucht göttliche Vollmachten, z. B. die, Sünden zu vergeben (Mk 2,1-12; 3,1-5). Seine Taten stellen Menschen in die Entscheidung, zwischen ihm und den traditionellen religiösen Vorstellungen zu wählen. Es ist besonders interessant zu beobachten, dass gerade im Bericht des Markus viele Wunder im Geheimen geschehen und mit dem ausdrücklichen Gebot Jesu verbunden sind, niemandem davon zu erzählen, damit dadurch keine Missverständnisse über Jesus entstehen. Die Wunder sind also nicht an sich schon unwiderlegbare Beweise seiner Göttlichkeit.
Die problematischste Folge dieser Ansicht ist allerdings, dass dadurch die Wunder überflüssig und bedeutungslos werden. Wunder sind als Beweise nur noch „Knalleffekte“, die die Volksmenge in Erstaunen versetzen und dafür sorgen, dass man Jesus zuhört.