Читать книгу Metta Meditation - Sharon Salzberg - Страница 12

Оглавление

2

Liebenswürdigkeit neu erlangen

Die Knospe

steht für alles,

selbst für jene Dinge, die nicht blühen,

denn alles blüht, aus sich selbst, aus innerem Glück,

obwohl es manchmal nötig ist,

ein Ding nochmals seine Liebenswürdigkeit zu lehren,

einer Blume die Hand

auf die Stirn zu legen,

ihr mit Worten und Berührungen zu sagen,

wie schön sie ist,

bis sie wieder aus sich selbst blüht, aus innerem Glück.

Galway Kinnell

Ein Ding nochmals seine Liebenswürdigkeit lehren“ ist das Wesen von metta. Durch Liebende Güte kann jeder und alles wieder aus sich selbst erblühen. Wenn wir das Wissen um unsere Schönheit und um die Schönheit anderer wiedererlangen, stellt sich das innere Glück auf natürliche und schöne Weise ein.

Metta, das in Pali „Liebe“, „Güte“ oder „Liebende Güte“ bedeutet, ist die erste brahma-vihara, die erste der „erhabenen Wohnstätten“. Die anderen – Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut – folgen aus metta, die diese anderen Eigenschaften fördert und erweitert.

Sprechen wir in unserer Kultur von Liebe, meinen wir in aller Regel Leidenschaft oder Sentimentalität. Es ist ganz entscheidend, metta von diesen beiden zu unterscheiden.

Leidenschaft geht mit Gefühlen des Begehrens, Wollens, Besitzens oder Verfügens einher. Leidenschaft verlangt, daß etwas so und nicht anders sein muß und unsere Erwartungen erfüllt werden. Die Erwartung des Austausches, die der Leidenschaft meist zugrunde liegt, ist an Bedingungen geknüpft und wird letztlich zum Bumerang: „Ich liebe dich, solange du die folgenden fünfzehn Dinge tust oder solange du mich mindestens ebensosehr liebst wie ich dich.“ Es ist kein Zufall, daß in dem Wort Leidenschaft das Wort Leiden steckt, und auch das Wort Passion, das im Englischen und in den romanischen Sprachen diesen Zustand beschreibt, geht auf das lateinische Wort für leiden zurück. Wollen und Erwarten erzeugen zwingend Leid.

Im Gegensatz dazu stellt metta keinerlei Bedingung: Sie ist offen und gradlinig. Wie Wasser, das aus einem Gefäß in ein anderes geschüttet wird, fließt metta ungehindert und paßt sich dabei jeder Situation an, ohne ihr eigentliches Wesen zu verändern. Eine Freundin mag uns enttäuschen; sie mag unsere Erwartungen nicht erfüllen, aber wir bleiben dennoch ihre Freundin. Mehr noch: Wir mögen uns selbst enttäuschen, unsere eigenen Erwartungen nicht erfüllen, und wir bleiben uns selbst dennoch eine Freundin.

Sentimentalität, die zweite Befindlichkeit, die sich als Liebe ausgibt, ist in Wirklichkeit eine Verbündete der Verblendung. Sie ist eine Schein-Fürsorge, die sich auf die Erfahrung von Annehmlichkeiten beschränkt. Wie der Blick durch ein Objektiv, das zuvor mit etwas Vaseline bestrichen wurde, zeigt Sentimentalität alles im „Weichzeichner“. Wir sehen die scharfen Kanten nicht mehr, die problematischen Stellen oder die Mängel. Alles ist viel zu nett. Sentimentalität findet Schmerz unerträglich und wendet sich daher von ihm ab.

Unsere Sicht der Welt wird sehr eng, wenn alle Dinge eine bestimmte Art und Weise haben müssen und wir sie nicht so hinnehmen können, wie sie wirklich sind. Verleugnung wirkt fast wie ein Betäubungsmittel, und zum Schluß fehlen uns einige unverzichtbare Teile unseres Lebens.

Es ist die Angst vor Schmerz, die dazu führt, daß wir etwas kurzfristig oder dauerhaft von uns abspalten. Um keinen Schmerz zu empfinden, blockieren wir wesentliche Aspekte unserer Wahrnehmung, auch wenn diese Blockade, dieses innere Abtrennen, tödlich ist.

Als einzelne oder in einer Gruppe opfern wir manchmal die Wahrheit, um unsere Identität zu sichern oder ein Gefühl der Zugehörigkeit zu wahren. Alles, was dieses Gefühl bedroht, löst Angst und Angespanntheit aus, also leugnen wir und beschneiden unsere Gefühle. Ein solches Verhalten führt schließlich zu Entmenschlichung. Wir sind von unserem eigenen Leben getrennt und fühlen auch zu anderen Lebewesen eine große Distanz. Wenn wir den Kontakt zu unserem inneren Leben verlieren, liefern wir uns der Willkür äußerer Veränderungen aus, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wer wir sind, was uns wichtig ist und was wir schätzen. Die Angst vor dem Schmerz, dem wir entkommen wollten, wird in Wahrheit zu unserer ständigen Begleiterin.

Der Buddha lehrte die metta-Meditation als das Mittel gegen Angst, als Weg, Angst zu überwinden, wenn sie entsteht. Die Legende berichtet, er habe einige Mönche zum Meditieren in einen Wald geschickt, der von Baumgeistern bewohnt war. Diese Geister wollten die Mönche nicht in ihrem Wald haben und versuchten, sie zu vertreiben, indem sie ihnen als Dämonen erschienen, mit schrecklichem Gestank und markerschütterndem Geschrei. Die Legende erzählt weiter, die Mönche seien in heller Panik zum Buddha zurückgelaufen und hätten ihn angefleht, sie für ihre Übungen an einen anderen Ort zu schicken. Der Buddha aber habe geantwortet: „Ich werde euch in den gleichen Wald zurückschicken, doch ich gebe euch den einzigen Schutz, den ihr brauchen werdet. Dieser Schutz war die erste Unterweisung in metta-Meditation. Der Buddha ermunterte die Mönche, die metta-Sätze nicht nur zu rezitieren, sondern auch tatsächlich zu praktizieren. Die Geschichten gehen alle gut aus, so auch diese – es heißt, die Mönche seien zurückgegangen und hätten metta praktiziert, bis die Baumgeister ganz bewegt davon waren, wie die Schönheit der liebenden Energie den Wald erfüllte, und beschlossen, für die Mönche zu sorgen und ihnen zu dienen.

Die tiefere Bedeutung der Geschichte ist, daß auch ein angsterfülltes Denken von der Kraft der Liebenden Güte durchflutet werden kann. Und ein Denken, das von Liebender Güte erfüllt ist, kann nicht von Angst bezwungen werden; selbst wenn Angst entsteht, wird sie niemals stärker sein als metta.

Wenn wir metta üben, öffnen wir uns unablässig der Wahrheit unseres gegenwärtigen Erlebens und verändern so unser Verhältnis zum Leben. Metta – das Gefühl einer Liebe, die nicht an Verlangen gebunden ist und die Dinge nicht anders sehen muß, als sie sind – überwindet die Illusion des Getrenntseins, die Illusion, nicht Teil eines Ganzen zu sein. Damit überwindet metta alle Empfindungen, die mit dem grundlegenden Irrtum einhergehen, wir seien getrennt – Zustände wie Angst, Entfremdung, Einsamkeit und Verzweiflung, alle Gefühle der Zersplitterung. Die Erkenntnis der Verbundenheit führt zu Zusammengehörigkeit, Vertrauen und Sicherheit.

Im Buddhismus gibt es nur ein Wort für Herz und Geist: chitta. Chitta bezieht sich nicht nur auf Gedanken und Gefühle im engeren Sinn von Denken, sondern auf das gesamte Bewußtseinsspektrum, ohne Grenzen und Schranken. Je mehr wir uns dem Erleben von chitta öffnen, um so besser verstehen wir, wer wir sind, und um so besser können wir uns um uns kümmern. Durch die Kraft der Liebe werden die Mauern zwischen uns und den anderen zu Staub, kaum daß wir sie berühren.

Was uns als Menschen eint, ist die Sehnsucht nach Glück, die im tiefsten Herzen ein Verlangen nach Einheit ist, nach der Überwindung unseres Gefühls von Trennung. Wir möchten spüren, daß wir mit etwas Größerem als unserem kleinen Selbst identisch sind. Wir sehnen uns danach, mit unserem Leben und miteinander eins zu werden.

Wenn wir an die Wurzel der schlimmsten Selbstzerstörung und der grauenhaftesten Gewalttaten in dieser Welt gehen, finden wir irgendwo immer diese Sehnsucht nach Nähe, nach Glück. In irgendeiner Form ist sie immer da, auch wenn sie sich manchmal auf die verzerrteste und widerwärtigste Art äußert. Das können wir berühren. Wir können näherkommen und uns öffnen. Wir können Verbindung aufnehmen mit unseren schwierigen Seiten, mit den unterschiedlichen Erfahrungen unseres Lebens. Wir können die Ideen durchbrechen, die uns voneinander trennen. Dies ist das wahre Wesen der Liebe, dies ist die Quelle der Gesundung für uns und unsere Welt. Auf diesem Boden kann Freiheit wachsen.

Metta ist die Fähigkeit, alle Aspekte unseres Wesens ebenso gutzuheißen wie alle Aspekte der Welt. Die metta- Meditation läßt unsere innere Einheit erstrahlen, weil sie uns des Zwangs enthebt, einige Aspekte unseres Selbst zu leugnen. Mit der heilenden Kraft der Liebe können wir uns allem öffnen. Wenn wir lieben, sind wir so aufnahmefähig und so weit offen, daß wir bei vollem Bewußtsein das Leben in seiner Gänze umschließen, die Freuden wie die Schmerzen. Wir fühlen uns vom Schmerz weder betrogen noch überwältigt und können daher ungeachtet der jeweiligen Situation mit dem Ort in uns Verbindung aufnehmen, der heil ist. Metta erlaubt uns zu sehen, daß unsere Einheit unzerstörbar ist, in welcher Lebenssituation wir uns auch befinden. Wir brauchen nichts zu fürchten. Wir sind ganz; unser größtes Glück liegt schon in uns und kann weder durch Ungewißheit noch durch Wandel zerstört werden.

Wenn wir lieben, beherzigen wir eine der wichtigsten Wahrheiten, die der Buddha lehrte – der Geist ist von Natur aus strahlend und rein. Unser Leiden ist die Folge vorübergehender Befleckung.

Die gängige deutsche Übersetzung des Pali-Wortes kilesa ist Unreinheit, Befleckung oder Grundübel, präziser wäre es allerdings mit Seelenqual übersetzt. Wir wissen aus unmittelbarem eigenem Erleben, daß uns bestimmte Zustände wie Wut, Angst, Schuld und Gier quälen können. Wenn sie anklopfen und wir sie einlassen, verlieren wir die Verbindung mit der reinen Natur unseres Wesens, und dann leiden wir.

Wenn wir uns mit diesen Unreinheiten oder Qualen nicht identifizieren, begreifen wir, daß sie nur Besucher sind. Sie sind uns fremd, gehören nicht zu uns. Sie spiegeln nicht, wer wir wirklich sind. Die Befleckungen oder kilesas sind eine zwangsläufige Folge unserer Konditionierungen. Doch deswegen müssen wir uns nicht verurteilen. Unsere Aufgabe besteht darin, sie als das zu erkennen, was sie sind, und an unsere wahre Natur zu denken.

Wir können das Leuchten und die Reinheit unseres Geistes verstehen, wenn wir metta verstehen. Wie der Geist wird auch metta nicht von dem verzerrt, was ihr begegnet. Dem Ärger, der in uns oder anderen aufsteigt, können wir mit Liebe begegnen; Liebe wird durch Ärger nicht zerstört. Metta nährt sich selbst und ist daher unabhängig von unsicheren äußeren Umständen. Der liebevolle Geist kann in einem Moment Freude und Frieden wahrnehmen und im nächsten Kummer, ohne von solchem Wechsel überwältigt zu werden. Er ist mit dem Himmel vergleichbar, über den verschiedenartige Wolken ziehen – einige leicht und wattig, andere dunkel und bedrohlich. Was immer geschehen mag, der Himmel wird von den Wolken nicht beeinflußt. Er ist frei.

Der Buddha lehrte, daß Kräfte, die Leid verursachen, die positiven Kräfte wie Liebe oder Erkenntnis zwar zeitweilig unterdrücken, nicht aber vernichten können. Die negativen Kräfte können die positiven Kräfte niemals völlig ausrotten, wohingegen die positiven die negativen tatsächlich auf immer besiegen können. Liebe kann Angst, Wut oder Schuldgefühle besiegen und ausrotten, denn sie ist die größere Macht.

Liebe gelangt überall hin. Nichts kann sie aufhalten. Das Buch I Am That, Gespräche mit Nisargadatta Maharaj, enthält eine Unterhaltung zwischen Nisargadatta und einem Mann, der oft über seine Mutter klagte. Er meinte, sie sei ihm keine gute Mutter gewesen, und sie sei kein guter Mensch. Nisargadatta riet ihm, sie zu lieben. Der Mann antwortete: „Das würde sie nicht zulassen.“ Und Nisargadatta sagte: „Sie kann dich nicht daran hindern.“

Nichts Äußeres kann Liebe verhindern; nichts und niemand kann sie aufhalten. Das Entstehen von Liebe ist nicht davon abhängig, daß die Dinge auf eine bestimmte Weise sind. Wie die wahre Natur des Geistes, ist auch metta von nichts abhängig; sie ist bedingungslos. Wenn wir beim Meditieren dieses Gefühl spüren, kommen wir unmittelbar mit dem tiefsten Wesen von metta in Verbindung. Die Folge ist ein gravierender Wandel unserer Weltsicht. Anfangs scheinen wir am Ufer zu sitzen und zuzusehen, wie auf der Oberfläche des Meeres Wellen tanzen. Bei fortgeschrittener Meditation ist es, als seien wir unter Wasser, in den ruhigen, reglosen Tiefen, und als beobachteten wir, wie sich die Wellen über uns bewegen. Noch später erkennen wir, daß wir das Wasser sind, nicht anders und nicht getrennt, und daß Wellen geschehen. Und so umfaßt auch metta alles.

Das Pali-Wort metta hat zwei Wurzeln. Eine ist das Wort für „sanft“. Metta wird mit einem sanften Regen verglichen, der auf die Erde fällt. Der Regen wählt nicht aus – „Hierhin regne ich, dorthin nicht.“ Er fällt, ohne Unterscheidungen zu treffen.

Die andere Wurzel des Wortes metta ist „Freund“. Wer die Macht und Kraft von metta versteht, versteht Freundschaft. Der Buddha hat recht ausführlich erläutert, was er unter „ein guter Freund“ versteht. Er nannte ihn einen Menschen, der in unseren glücklichen Zeiten da ist, und auch dann, wenn es uns schlechtgeht und wir unglücklich sind. Ein Freund verläßt uns nicht, wenn wir in Schwierigkeiten sind, und er freut sich nicht über unser Unglück. Der Buddha beschrieb den wahren Freund als Helfer, als jemanden, der uns beschützt, wenn wir nicht auf uns selbst aufpassen können, der ein sicherer Hafen für uns ist, wenn wir Angst haben.

Ein Mann beschrieb einmal dem Dalai Lama, wieviel Angst er beim Meditieren empfinde. Der Dalai Lama sagte: „Wenn Sie Angst haben, betten Sie Ihren Kopf in Buddhas Schoß.“ Buddhas Schoß steht für die Sicherheit der wahren Freundschaft. Metta gipfelt darin, sich selbst und allen Lebewesen ein solcher Freund zu werden.

Die metta-Meditation, also die Entdeckung, wie die Kraft der Liebe Furcht, Wut und Schuldgefühle ausmerzen kann, beginnt damit, daß wir uns mit uns selbst anfreunden. Die Grundlage der metta-Praxis ist das Wissen, wie wir uns selbst ein Freund sein können. Der Buddha sagt: „Durchsuche das Universum nach einem Wesen, das deine Liebe und Zuneigung mehr verdient als du, du wirst es nirgends finden. Du selbst verdienst deine Liebe und Zuneigung ebensosehr wie jedes andere Wesen im gesamten Universum.“ Wie wenige von uns akzeptieren sich so! Mit der metta-Praxis entdecken wir die Möglichkeit, uns selbst wirklich zu respektieren. Wir entdecken, wie Walt Whitman es formulierte, „Ich bin größer und besser, als ich glaubte. Ich habe nicht gedacht, daß so viel Gutes in mir ist.“

Sehen wir, wie strahlend unser Geist von Natur aus ist, lehrt uns dies auch, unsere eigene Liebenswürdigkeit zu erkennen. Um einen Satz aus dem Zen-Buddhismus zu zitieren: Dies ist unser Gesicht, bevor wir geboren wurden – bevor wir in unsere Identifizierung mit einem getrennten, begrenzten Ich hineingeboren wurden. Das Erkennen unserer Liebenswürdigkeit zeigt uns den direkten Weg zum Erkennen dieses angeborenen Strahlens.

Wenn wir auf unser Potential vertrauen, als Mensch zu lieben, fördert dies die Entwicklung von metta. Unsere Fähigkeit zu lieben ist real, und sie ist unzerstört, was wir auch erleben: Trotz all der Fehler, die wir vielleicht machen, all der Male, die wir in Reaktionen gefangen sind, all der Male, die wir Schmerzen zugefügt haben, all der Male, die wir gelitten haben. Von allem unberührt, bleibt unsere Fähigkeit zu lieben unversehrt und rein. Indem wir metta in der Meditation und im Alltagsleben praktizieren, kultivieren wir diese Fähigkeit. Liebe und unsere Motivation verbinden sich, gemeinsam heilen sie uns und die Welt.

Unser wichtigster Verbündeter ist in mancherlei Hinsicht unser Wunsch, glücklich zu sein. Er führt uns unfehlbar zur Freiheit, wenn wir ihn mit der Einsicht verbinden, was uns tatsächlich Glück beschert. Manchmal glauben wir allerdings, Glück nicht wirklich zu verdienen, ja wir schämen uns fast schon wegen des Wunsches. Und doch gehört dieser Wunsch zum Besten an uns, denn er öffnet uns die Tür zur Transzendierung unseres begrenzten Lebens.

Bestimmte Glaubensrichtungen im Indien zur Zeit des Buddha lehrten, der Geist könne sich auf immer befreien, wenn man den Körper genügend martere. Heute martern die wenigsten von uns ihren Körper, um ihren Geist zu befreien. Doch wir haben offenbar eine eigene Variante, und die ist der Glaube, der Weg zu unserer Befreiung liege darin, uns mit Haß und Verachtung zu geißeln.

Damit eine echte spirituelle Wandlung geschehen kann, müssen wir diese Neigung zu geistiger Selbstkasteiung ablegen. Spiritualität, die auf Selbsthaß basiert, kann keinen Bestand haben. Großzügigkeit, die aus Selbsthaß geschieht, wird zum Märtyrertum. Moral, aus Selbsthaß geboren, wird zu rigider Unterdrückung. Liebe zu anderen ohne das Fundament der Selbstliebe wird zum Grenzverlust, Ko-Abhängigkeit und einer ebenso schmerzhaften wie fruchtlosen Suche nach Nähe. Nehmen wir aber durch Meditation Verbindung auf zu unserer wahren Natur, dann können wir zulassen, daß auch andere Lebewesen ihre wahre Natur finden.

Häufig fungieren wir im Leben als Spiegel füreinander. Wir betrachten andere, um zu erfahren, ob wir liebenswert sind; wir betrachten andere, um herauszufinden, ob wir lieben können; wir betrachten andere, um einen Widerschein unseres inneren Leuchtens zu finden. Es ist ein ungeheures Geschenk, einem Menschen das Wissen um seine eigene Liebenswürdigkeit zurückzugeben! Wenn wir das Gute in anderen sehen, ermöglichen wir ihnen, „aus sich selbst zu blühen, aus innerem Glück“.

Das Gute in einem Menschen zu sehen heißt nicht, seine schwierigen Seiten oder sein schädigendes Verhalten zu ignorieren. Doch wir können diese Aspekte uneingeschränkt zur Kenntnis nehmen und trotzdem beschließen, uns auf das Positive zu konzentrieren. Konzentrieren wir uns auf das Negative, spüren wir selbstverständlich Wut, Groll oder Enttäuschung. Konzentrieren wir uns auf das Positive, entsteht in uns eine Verbindung zu diesem Menschen. Betrachten wir dann seine negativen Charakterzüge oder Verhaltensweisen, tun wir es als Freund. Und wenn zwei Freunde solch schwierige Dinge betrachten, stehen sie dabei Seite an Seite.

Dieses Spiegeln, mit dem wir „ein Ding seine Liebenswürdigkeit neu lehren“, gehört zu den wichtigsten Eigenschaften von metta. Ihre Kraft ermöglicht es uns, einen Menschen anzuschauen und die Berechtigung seines Wunsches nach Glück ebenso zu bekräftigen wie unser Einssein mit ihm. Die Kraft der Liebe eröffnet uns selbst ebenso wie den anderen die zahlreichen Möglichkeiten eines jeden Augenblicks.

Ich hörte einmal einen jungen Mann über seine Kindheit in Kambodscha sprechen. Alle Kinder seines Dorfes lebten jahrelang als Gefangene in einem stacheldrahtumzäunten Lager. Viermal am Tag führte man Menschen an den Rand des Lagers und tötete sie. Die Kinder wurden in einer Reihe aufgestellt und mußten zusehen. Jedes Kind, das zu weinen anfing, wurde ebenfalls getötet. Der Junge erzählte, wenn die Menschen gebracht wurden, die getötet werden sollten, sei er jedesmal völlig außer sich vor Angst gewesen, daß ein Freund, Nachbar oder Verwandter dabei sein könnte. Er wußte, daß er dann weinen und selbst sterben würde. Jahrelang lebte er mit dieser furchtbaren Angst, und er sagte, unter diesen Umständen habe seine einzige Überlebensmöglichkeit darin bestanden, alle Gefühle abzuschneiden und sich selbst damit völlig zu entmenschlichen.

Nach vielen Jahren veränderte sich die politische Situation in Kambodscha, der Junge wurde von einer amerikanischen Familie adoptiert und kam in die Vereinigten Staaten. Er war damals an einem Punkt in seinem Leben, wo er wußte, daß er nur überleben würde, wenn er wieder lieben lernte, wenn er die Wände einreißen würde, die er hatte aufrichten müssen. Der junge Mann berichtete, er habe wieder lieben gelernt, als er in den Augen seines Pflegevaters so viel Liebe zu ihm, dem Jungen, sah. Im Spiegel dieser Liebe habe er erkannt, daß er tatsächlich liebenswert sei und daher auch selbst Liebe geben konnte.

Menschen anzuschauen und ihnen das Gefühl zu geben, daß sie geliebt werden und auch selbst lieben können, bedeutet, ihnen ein ungeheures Geschenk zu machen. Es ist auch ein Geschenk an uns selbst.

Wir erkennen, daß wir eins sind mit dem, woraus Leben besteht. Dies ist die Kraft von metta: Sie lehrt uns und die Welt diese innewohnende Liebenswürdigkeit.

Metta bringt alle Lebewesen zusammen. Die buddhistische Lehre sieht metta als Bindemittel des Bewußtseins. Wenn ein Mensch sich ärgert, ist sein Herz trocken. Wenn er Liebe empfindet, wird es feucht. Fügen wir in der Natur zwei trockene Substanzen zusammen, fehlt ihnen die Möglichkeit, sich fest miteinander zu verbinden – erst wenn wir Feuchtigkeit hinzufügen, können sie zusammenkommen. Auf genau diese Weise kommen wir durch die Kraft von mettã, der Liebenden Güte, zusammen. Wir können uns mit uns selbst und allen Lebewesen verbinden. Die Schönheit dieser Wahrheit veranlaßte den Buddha zu der Äußerung, die Pflege eines liebenden Herzens, und sei es nur für die Dauer eines Fingerschnalzens, mache einen Menschen zu einem wahrhaft spirituellen Wesen.

Übung: Bedenken Sie das Gute in sich

Sitzen Sie bequem, entspannt, schließen Sie die Augen. Analysieren und erwarten Sie so wenig wie möglich. Denken Sie zehn bis fünfzehn Minuten lang an etwas Freundliches oder Gutes, das Sie gesagt oder getan haben – eine Gelegenheit, bei der Sie großzügig waren, fürsorglich oder zum Wohlbefinden eines Menschen beigetragen haben. Falls Ihnen etwas einfällt, lassen Sie das Gefühl von Glück zu, das vielleicht mit der Erinnerung einhergeht. Sollte Ihnen nichts einfallen, wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit einer Eigenschaft zu, die Sie an sich selbst schätzen. Haben Sie eine Fähigkeit oder Stärke, die Sie mögen? Sollte Ihnen noch nichts einfallen, denken Sie an Ihren tiefen Wunsch nach Glück und daran, daß er richtig und schön ist.

Seien Sie nicht entmutigt oder ängstlich, selbst wenn Sie bei diesen Überlegungen Ungeduld, Ärger oder Angst spüren sollten – versuchen Sie, ohne Schuldgefühle oder Selbstverurteilung zur Meditation zurückzukehren. Im Zentrum der Meditation steht die Fähigkeit, loszulassen und von vorn zu beginnen, immer und immer wieder. Selbst wenn Sie das während einer Sitzung mehrere tausend Male machen müßten, es spielt keine Rolle. Um unsere Aufmerksamkeit zu sammeln, müssen wir keine Entfernungen zurücklegen; wenn wir bemerken, daß unsere Gedanken abgeschweift sind oder wir die Verbindung zu unserem gewählten Meditationsgegenstand verloren haben, können wir im gleichen Moment von vorn beginnen. Nichts wurde zerstört, es gibt kein Scheitern. Wohin die Aufmerksamkeit auch gewandert sein mag, wie lange die Ablenkung gedauert haben mag, wir können alles binnen eines Augenblicks loslassen und von vorn beginnen.

Übung: Sätze der Liebenden Güte

Wenn wir metta praktizieren, wiederholen wir Sätze, die benennen, was wir uns wünschen, erst für uns und dann für andere. Wir beginnen, indem wir Freundschaft mit uns schließen. Die Hoffnungen, die wir formulieren, sollten tief empfunden sein und einiges Gewicht haben (also keine Wünsche wie „Möge ich eine gute Fernsehsendung finden“). Meistens werden die folgenden vier Sätze benutzt:

Möge ich frei sein von Gefahr.

Möge ich glücklich sein.

Möge ich körperlich gesund sein.

Möge ich leicht durchs Leben gehen.

Ich werde diese vier Sätze einzeln betrachten, und Sie können mit ihnen experimentieren, sie verändern oder eine andere Kombination von drei oder vier Sätzen wählen.

„Möge ich frei sein von Gefahr.“ Zu Beginn richten wir Fürsorge und Liebende Güte auf uns selbst und wünschen uns, daß wir Sicherheit und Freiheit von Gefahr erfahren mögen. Dann wünschen wir, daß alle Lebewesen und wir selbst ein Gefühl von Heimat haben, einen sicheren Hafen, Freiheit von innerer Not und äußerer Gewalt.

Ein Leben ohne Sicherheit gleicht einem Alptraum. Wenn wir immer wieder bedingte Zustände wie Zorn oder Gier erleben, wenn wir ständig verletzt werden und andere verletzen – dann gibt es weder Frieden noch Sicherheit. Wenn Angst, Schuldgefühle und Aufregung uns nachts wach halten – dann gibt es weder Frieden noch Sicherheit. Wenn wir in einer Welt der offenen Gewalt leben, die auf der Entrechtung von Menschen sowie auf der Einsamkeit eines verschwiegenen und zum Schweigen gebrachten Mißbrauchs beruht – dann gibt es weder Frieden noch Sicherheit. Daher beginnt die metta-Meditation mit dieser tief empfundenen Hoffnung:

„Möge ich frei sein von Gefahr.“ Andere mögliche Sätze sind „Möge ich in Sicherheit sein“ oder „Möge ich ohne Angst sein“.

„Möge ich glücklich sein.“ Sähen wir unsere eigene Liebenswürdigkeit, fürchteten wir andere weniger und vertrauten unserer Fähigkeit zu lieben mehr – dann wären wir glücklich. Und könnten wir mit den auftauchenden Qualen des Geistes auf heilsame Weise umgehen und sie weder nähren noch kultivieren, wir wären glücklich. Selbst unter sehr positiven oder glücklichen Umständen geht es uns ohne geistiges Glück schlecht. Andere mögliche Sätze sind „Möge ich Frieden empfinden“ oder „Möge ich befreit sein“.

„Möge ich körperlich gesund sein.“ Mit diesem Satz wünschen wir uns Gesundheit, Freiheit von körperlichem Schmerz sowie Harmonie mit unserem Körper. Sollte der Wunsch nach Schmerzfreiheit nicht realistisch sein, hoffen wir darauf, den Schmerz heiter und geduldig annehmen zu können, damit nicht zu den körperlichen noch geistige Qualen kommen. Andere Sätze, die hierher passen, sind „Möge ich geheilt werden“, „Möge ich meinem Körper ein Freund sein“ oder „Möge ich meine Liebe und mein Verstehen verkörpern“.

„Möge ich leicht durchs Leben gehen.“ Dieser Satz bezieht sich auf schwierige Situationen im Alltag – Beziehungen, Familienangelegenheiten und Lebensunterhalt. Mit diesem Satz wünschen wir uns, in diesem Bereich unseres täglichen Lebens nicht kämpfen zu müssen und Probleme gut und mühelos zu bewältigen. Mögliche Alternativen sind „Möge ich mit Heiterkeit leben“ oder „Möge in allen Dingen meines Lebens Liebende Güte sein“, „Möge ich inneren Frieden finden“.

Sitzen Sie bequem. Beginnen Sie, indem Sie fünf Minuten lang über das Gute in sich oder über Ihren Wunsch, glücklich zu sein, nachdenken. Wählen Sie dann die drei oder vier Sätze, die Ihre Wünsche am besten ausdrücken, und wiederholen Sie sie immer wieder. Wenn Sie wollen, können Sie die Sätze mit dem Atem koordinieren, aber Sie können Ihren Geist auch ohne körperlichen Anker in diesen Sätzen ruhen lassen. Gestatten Sie sich Experimente, und seien Sie kreativ. Spüren Sie nach, ob Sie sich Umstände vorstellen können, unter denen es Ihnen leichter fiele, Freundschaft für sich zu empfinden, ohne dabei ein liebevolles Gefühl zu erzwingen oder zu fordern. Fällt es Ihnen leichter, wenn Sie sich als Kind sehen? Ein Freund stellte sich vor, er sei mit den liebevollsten Menschen der Welt zusammen und empfange ihre Freundlichkeit und guten Wünsche. Dabei spürte er zum ersten Mal in seinem Herzen Liebe zu sich selbst.

Nehmen Sie sich Zeit mit diesen Sätzen; es ist nicht nötig, sie eilig oder barsch zu sagen. Sie machen sich mit jedem Satz ein Geschenk. Wenn Ihre Aufmerksamkeit abschweift, wenn schmerzliche Gefühle oder Erinnerungen auftauchen, versuchen Sie, sie mit einem Gefühl der Heiterkeit loszulassen, und formulieren Sie wieder die metta-Sätze:

Möge ich frei sein von Gefahr.

Möge ich glücklich sein.

Möge ich körperlich gesund sein.

Möge ich leicht durchs Leben gehen.

Manchmal entstehen starke Gefühle von Unwürdigkeit, dann können Sie deutlich erkennen, womit Sie die Liebe zu sich selbst begrenzen. Atmen Sie ruhig, akzeptieren Sie die auftauchenden Gefühle, denken Sie an die Schönheit Ihres Wunsches, glücklich zu sein, und kehren Sie zu den metta-Sätzen zurück.

Metta Meditation

Подняться наверх