Читать книгу Wir sind nicht allein - Shino Tenshi - Страница 6
Erste Begegnungen
Оглавление„Und wie ist dein erster Eindruck von dem Spiel?“, begann sie ein Gespräch, während wir über die Landschaft flogen, wobei ich die Grafik auf mich wirken ließ. Unter uns raste ein savannenähnliches Gebiet vorbei, das immer mal wieder von kleinen Grünoasen unterbrochen wurde. Auch erkannte ich vereinzelte Wassergebiete, an dem sich Tiere versammelten. Es schien alles so real, dass ich das Gefühl hatte die Tiere und das Wasser riechen zu können. Ich spürte, wie ich mich immer mehr in dieser Welt verlor. Ohne es selbst wirklich wahrzunehmen, scrollte ich in die Egoperspektive, wodurch das Gefühl, selbst der Charakter zu sein, nur noch mehr verstärkt wurde.
„Sehr gut. Die Grafik ist klasse und mehr hab ich ja leider noch nicht gesehen“, meinte ich ruhig, wobei ich sie erneut auflachen hörte: „Da hast du durchaus Recht. Aber ich werde dir noch mehr zeigen. Wichtig ist erst einmal, dass wir dir ein paar Sachen in der Stadt besorgen. Wie größere Taschen und einige besondere Ausrüstungsgegenstände. So wird der Start ein wenig erleichtert.“
„Hm, wenn du meinst.“ Ich verstand es nicht so ganz, wobei ich ruhig weiter die Landschaft beobachtete. Immer wieder sah ich andere Spieler, wie sie hinter Monster herjagten und Aufgaben für die NPCs erledigten. Die alltägliche Arbeit in diesen Spielen halt. Nicht mehr und auch nicht weniger.
„Was treibst du denn hauptsächlich mit deinem Troll?“, fragte ich sie ruhig, wobei sie erneut ein wenig lächelte. „Dies und jenes. Was sich gerade anbietet. Entweder ich gehe mit einer Gruppe in einen Dungeon oder mache selbst ein paar Quests, um etwas über die Geschichte des Spiels zu erfahren. Was mir gerade Spaß macht.“
„Hm, klingt nicht nach viel Abwechslung.“ Meine Skepsis kehrte zurück. Ob es wirklich gut war, mit diesem Spiel angefangen zu haben? Nun ja, jetzt war ich erst einmal da. Vielleicht würde es ja spannender sein, als es sich anhörte. Ansonsten könnte ich ja nach ein paar Tagen wieder aufhören.
„Wie man es sieht. Ich habe mich bis jetzt noch nicht gelangweilt“, schmetterte sie meinen Einwand ab, wobei ich merkte, wie der Greif langsam in den Sinkflug überging, „nun ja, wir sind bald in der Hauptstadt. Halt dich fest, denn an meinen Landungen muss ich noch ein wenig arbeiten.“
Ich wusste gar nicht, wie ich mich festhalten sollte, wodurch ich irritiert auf die Steuerung des Charakters blickte, doch bevor ich den richtigen Knopf gefunden hatte, setzten die Füße des Greifen schon auf den Boden auf und mein Charakter blieb im Sattel sitzen.
„Ging doch. Auch ohne Festhalten“, meinte ich ruhig, wobei erneut ein amüsiertes Lachen von Laura erklang: „Das war ja auch nur so ein Spruch. Egal wie bekloppt ich lande, du kannst gar nicht runterfallen. Manchmal bist du schon süß mit deiner Naivität.“
Ich schnaubte nur und stieg dann schließlich beleidigt ab, wobei mich Laura irritiert ansah, bevor sie zur Verfolgung ansetzte. „Jetzt warte doch einmal, Destina.“
Es dauerte einige Sekunden bis ich verstand, dass sie mit mir sprach, wobei ich mich irritiert umsah. „Warum sprichst du mich so an?“ „Weil das hier dein Name ist. Ich bitte dich auch darum, dass du mich Terrivon nennst. Meinen richtigen Namen braucht hier niemand zu erfahren, verstanden?“ Ihre Stimme war schon fast eisig, wodurch ich nur nickte, um mich dann wieder in die eigentliche Richtung zu wenden. „Wo müssen wir hin?“
„Folge mir einfach. Der alte Terrivon kennt den Weg.“ Sie machte sofort wieder ein paar Scherze, was mich nur den Kopf schütteln ließ. „Du magst deinen Charakter, kann das sein?“
„Oh ja, sehr. Ich habe mir auch schon einen Namen mit ihm gemacht.“ Man konnte den Stolz in ihrer Stimme direkt hören und kaum betraten wir die Mauern der Stadt wurden wir auch schon von ein paar Mitspielern begrüßt. Beziehungsweise eigentlich nur Laura. Mir selbst wurden einige Pfiffe zugetragen, die ich aber ganz gekonnt ignorierte.
Die Stadt selbst bestand aus Steinhäusern, die sich gemütlich aneinander reihten. Immer mal wieder liefen Soldaten vorbei und auch Händler standen an den verschiedensten Ecken. Genauso wie Ware von Ort zu Ort mit der Hilfe eines Zugwagens transportiert wurden. Die Häuser selbst waren meist nicht größer als zwei Stockwerke. Nur in der Mitte stand ein riesiges Monument, das wie eine Kreuzung aus Kirche und Schloss wirkte.
„Hey, Terrivon, wer ist denn die Schnalle, die du da bei dir hast? Ein Low-Level und wahrscheinlich auch noch Jungblut?“ Ein männlicher Goblin trat auf uns zu, wobei ich ein wenig angewidert mein Gesicht verzog. Diese Rasse wurde wirklich gespielt? Das war ja kaum zu glauben.
„Das ist Destina und ja, sie hat gerade erst angefangen. Ich will sie ein wenig ausrüsten und ihr die Welt zeigen“, erklärte sich Laura, wobei ich sie ein wenig skeptisch von der Seite musterte, bevor der Goblin wieder meine Aufmerksamkeit auf sich zog. „Destina. Ein interessanter Name. Man nennt mich Sinbad. Falls du irgendwas brauchst, was man nicht auf legalen Weg beschaffen kann, dann meld' dich einfach bei mir. Ich kann dir da bestimmt weiterhelfen.“
„Ähm, danke, aber nein, kein Interesse.“ Es war ja klar, dass es auch noch ein Schurke war, der mir über den Weg lief. So ein Kleinkrimineller, oder wie es sich gerade anhörte, wohl schon ein Profi und dick im Geschäft.
Plötzlich griff Laura nach meiner Hand und zog mich einfach hinter sich her. Ich begriff noch gar nicht, wie sie das machte. Anscheinend sollte ich mir die Steuerung noch einmal genauer ansehen. Doch das hatte Zeit. Bis jetzt kam ich ja ganz gut klar.
„Komm mit. Wir haben heute noch einiges vor. Man sieht sich, Sinbad“, verabschiedete sie sich von den Goblin, bevor sie mit mir tiefer in die Straßen ging. Überall begegneten uns andere Spieler, die mich amüsiert musterten und ein paar pfiffen mir sogar zu, doch die Tatsache, dass ich wohl in männlicher Begleitung war, schreckte sie ein wenig ab, wodurch man mich einigermaßen in Ruhe ließ.
„Kennst du diesen Sinbad eigentlich auch im privaten Leben?“ Ich durchbrach nach einer Weile die Stille, als sich Laura die Waren eines Händlers ansah, wobei sie ein paar Sekunden brauchte, um zu antworten: „Nein, ich glaube zumindest nicht. Wir haben uns noch nie über unser Privatleben unterhalten. Eigentlich habe ich auch keine große Lust Kontakte über das Spiel hinaus zuknüpfen. Bei vielen interessiert es mich nicht, wie der Mensch hinter dem Charakter aussieht. Ich habe hier meinen Spaß mit ihnen und für den Rest habe ich ja dich.“
Ich sah sie ein wenig verblüfft an, doch dann lachte sie erneut auf, wodurch ich mich auch ein wenig entspannte. „Nun gut. Da hast du wohl Recht. Ich will eigentlich auch keine großartigen Bekanntschaften hier schließen. Was suchst du eigentlich?“
„Eine bestimmte Klinge. Aber ich glaube, dass wir dafür den Schwarzmarkt aufsuchen müssen. Ich hatte eigentlich gehofft, dass wir diesen Ort meiden könnten, aber im Moment hat kein Händler dieses Schwert“, erklärte sie mir kurz ihre Pläne, wobei ich sie irritiert ansah. „Wieso willst du dort nicht hingehen? Du bist ein starker Troll, was hast du schon zu fürchten?“
„Ich nicht, aber du, Destina. Du bist ein Werwolf und dazu noch ein sehr schwacher. Der Schwarzmarkt liegt im Revier der Vampire. Sie werden dich dort nicht gerne sehen“, löste sie auch dieses Rätsel auf, wobei ich sie dennoch weiter verwirrt ansah. „Ist das wirklich so, wie es im Heft steht?“
„Oh ja, es gibt Vampire, die lauern den Werwölfe in den Wäldern auf und töten sie. Oder viele töten sie auch aus dem Hinterhalt heraus, wenn sie ihnen über den Weg laufen. Schließlich bekommen sie dafür Erfahrung und auch ein wenig Gold. So ist die Geschichte des Spiels. Das hätte dir aber bewusst sein müssen, als du diese Rasse gewählt hast“, sprach sie ruhig weiter, wobei ich meinen Ohren nicht traute. Die Vampire bekamen wirklich Erfahrung, wenn sie einen Werwolf töteten? Wie krank war denn das?
„Aber nicht nur die Vampire. Auch die Werwölfe werden belohnt, wenn sie einen Vampir töten.“ Anscheinend hatte sie meinen Gesichtsausdruck perfekt gedeutet, wodurch ich sie kurz anlächelte. „Ähm, okay. Dann ist es nicht ganz so unfair. Aber irgendwie müsste das auch nicht sein. So erschwert man diese Rassen ja nur unnötig. Oder nicht?“
„Da könntest du durchaus Recht haben. Aber nun ja, sie werden dennoch gerne gespielt. Aber Vampire oder Goblins, also die Assassinen unter ihnen, können jeden Charakter töten, wenn sie wollen. Jedoch bekommen sie nur Belohnungen, wenn auf diesen ein Kopfgeld ausgesetzt ist. Eigentlich kann jeder jeden töten, wenn er lustig ist. Was aber dazu führt, dass man sie irgendwann als Mörder jagt oder man sogar ein Kopfgeld auf einen aussetzt. Nur die Assassinen dürfen diese Spieler dann ohne Nachteile jagen und töten. So einfach ist das. Man kann auch bestehlen oder andere Verbrechen begehen. Aber alles wird irgendwann gelistet und man wird verfolgt, damit man für diese Taten auch büßt. Manche landen am Pranger, andere müssen eine gewisse Zeit im Gefängnis absitzen, sodass sie den Charakter für ein paar Tage oder gar Wochen nicht spielen können. Wir haben hier eine sehr realistische Gesellschaft“, erklärte sie mir weiter die Welt, wobei ich das irgendwie nicht glauben konnte.
Wie war das möglich, dass man so ein Spiel programmierte? Da musste ein gewaltiges und vor allem aufwendiges Programm dahinter stehen. Oder etwa nicht? Ich kannte mich in der Informatik nicht aus, wodurch ich die Gedankengänge unterbrach, weil ich eh niemals auf ein Ergebnis kommen würde.
„Ich werde hier auf dich warten, während du auf den Schwarzmarkt gehst. Ist vielleicht das Beste“, machte ich ihr schließlich einen Vorschlag, wobei sie mich kurz zweifelnd ansah, bevor sie dann über den Vorschlag nachdachte und schließlich nickte. „Da könntest du Recht haben. Geh einfach die Straße entlang. Da müsste irgendwann ein Gastwirt namens ‚Zum singenden Hirsch’ kommen. Setz' dich an einen Tisch und trink vielleicht etwas. Hier ich gebe dir ein paar Münzen.“
Damit drückte sie mir das kalte Metall in die Hand und ich nickte ihr zu, bevor ich in die Richtung sah, wo sie mich hinschicken wollte. Ich würde den Ort schon finden, wodurch ich sie zuversichtlich anlächelte und nickte. „Ist gebongt. Viel Erfolg und danke für deine Hilfe.“
„Kein Problem. Man sieht sich und halt dich von den Männern fern. Sie können sehr lästig werden.“ Sie wandte sich ab und bog nach wenigen Metern in eine dunkle, kleine Gasse ein, wodurch ich noch einmal seufzte und mich dann auch umdrehte, um in den besagten Gasthof zu gehen…