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1. KAPITEL

Roxanne Ballinger stand auf der kleinen Veranda hinter dem Haus und betrachtete die heiße, trockene Landschaft, die sich vor ihr ausbreitete. Sie hasste den September in Oak Valley. Den August ebenfalls, genauso wie den Juli. In diesen Monaten stöhnte das Tal unter der sengenden Hitze, die Weiden waren abgefressen und die abgeernteten, von der glühenden Sonne verbrannten, ockerfarbenen Felder lagen brach da. Eine Ausnahme bildeten nur die wenigen Stellen, an denen das Grundwasser hoch stand. Dort blieb das Land das ganze Jahr über grün. Roxanne bedauerte, dass ihr neu erworbenes Haus ihr keinen Blick auf diese Landschaft bot. Sie hätte gern in dieser Jahreszeit grüne Felder gesehen. Allerdings hätte sie dafür auf den majestätischen Ausblick auf den fernen Mount Sebastian verzichten müssen und auf die anderen, niedrigeren Berge und Hügel, die sich an der Ostseite des Tals bis zu seiner Sohle erstreckten.

Um diese Jahreszeit zeigt sich das Tal wirklich nicht von seiner schönsten Seite, dachte Roxanne. Und sie fragte sich nicht zum ersten Mal, was sie eigentlich hier machte. Warum hatte sie dieses Haus gekauft? Sie drehte sich um und ließ ihren Blick über das Gebäude mit dem A-förmigen Dach gleiten. Es ist kein Haus, verbesserte sie sich. Sondern eine Blockhütte. Ihre Blockhütte. Eigentlich sollte sie sich jetzt in New York in ihrem eleganten Penthouse auf der Park Avenue aalen, das vor allem mit einer Klimaanlage ausgestattet war. Sich auf die fabelhaften Amüsements freuen, welche die Stadt bot, die pulsierende Erregung genießen, die auf den belebten Straßen herrschte, und sich dem Glanz und der Vitalität der Metropole hingeben. Dort war alles, was sie sich nur wünschen konnte, zum Greifen nahe. Wenn sie nicht ausgehen wollte, genügte ein Telefonat, und die Stadt würde ihre Schätze vor ihrer Schwelle ausbreiten. Kleider, Speisen, Juwelen, gut aussehende Männer ...

Bei dem Gedanken an den letzten gut aussehenden Mann, der ihr Leben geteilt hatte, schüttelte Roxanne missmutig den Kopf. Todd Spurling war Geschäftsführer eines großen Verlages in New York. Ihre Affäre hatte fast fünf Wochen gedauert. Sie hatten sich im Juni auf einer dieser angesagten Pub-Partys kennen gelernt, bei der irgendeine Berühmtheit ihre Biografie vorgestellt hatte. Es war Lust auf den ersten Blick gewesen, das musste Roxanne zugeben. Sie war ein Top-Model, und ihr Gesicht zierte häufig die Titelseiten von Magazinen wie der Cosmopolitan, der Vogue und ähnlichen Hochglanzillustrierten. Sie war berühmt dafür, großzügig ihre kaum verhüllte Haut im Victorias-Secrets-Katalog zur Schau zu stellen, und wurde häufig zu solchen Partys eingeladen. Roxanne hatte schnell herausgefunden, dass das Leben einer Berühmtheit vor allem darin bestand, zu sehen und gesehen zu werden. Sie galt als »Schönheit« und war ein entsprechend begehrter Gast. Dabei hätte sie die Einladung zu dieser Party beinahe ausgeschlagen.

Sie war erst kurz zuvor aus Oak Valley zurückgekehrt, wo sie an der Hochzeit ihres Bruders Sloan teilgenommen hatte, und war unruhig und rastlos gewesen. Die Vorstellung, irgendein beliebiges Gesicht in einer schillernden Menschenmenge zu sein, gefiel ihr nicht, und sie wäre fast zu Hause geblieben. Dieses Unbehagen hatte sie in den letzten Jahren häufiger überfallen. Am Ende war es ihr jedoch lieber gewesen, sich unter die Berühmtheiten und Möchtegern-Prominenten zu mischen, als die Wände ihrer Wohnung anzustarren.

Eine Affäre hatte sie nicht im Sinn gehabt, als sie auf die Party gegangen war. Ganz im Gegenteil. Sie war eher gereizt und schlecht auf Männer zu sprechen gewesen. Was nicht bedeuten sollte, dass sie keine Männer mochte. Sie mochte sie. In letzter Zeit hatte sie jedoch den Eindruck gewonnen, als wären die Männer die Mühe nicht wert, die sie einem machten. Roxanne seufzte leise. Vielleicht war sie ja auch nur an einem Punkt in ihrem Leben angelangt, an dem sie sich auf das konzentrieren sollte, was sie wollte. Ohne Rücksicht darauf nehmen zu müssen, was jemand anders wollte oder nicht wollte. Sie hatte lange über die Entscheidung, nach Oak Valley zurückzukehren, nachgedacht und hatte wirklich nicht das Bedürfnis gehabt, sich dabei von einem Mann in ihrem Leben ablenken zu lassen. Dann hatte sie auf dieser Party Todd Spurling getroffen. Todd war der Traum einer jeden Frau. Gewandt, umsichtig, höflich, attraktiv, blond, breitschultrig und mit den blauesten Augen gesegnet, in die sie jemals gesehen hatte. Als sich ihre Blicke begegnet waren ... Roxanne verzog spöttisch die Lippen. Von diesem Augenblick an hatte ein anderer Körperteil von ihr das Hirn ausgeschaltet. Todd schien es ganz ähnlich gegangen zu sein, denn kaum vier Wochen nach ihrer ersten Begegnung war er bei ihr eingezogen. Knapp eine Woche später hatte Roxanne ihn mit einem Tritt in seinen knackigen Hintern hinausgeworfen. In seinen knackigen verheirateten Hintern. Sie war ebenso angewidert von sich selbst gewesen wie von ihm.

Roxanne schüttelte den Kopf, und ihre wundervolle, schwarz glänzende Mähne schimmerte wie eine Rabenschwinge in der glühenden Sonne. Mit achtunddreißig Jahren sollte ich es eigentlich besser wissen, dachte sie. Nach fast zwanzig Jahren auf der Überholspur sollte ich gelernt haben, nicht so impulsiv zu handeln, jede Vorsicht in den Wind zu schlagen und mich blindlings in die nächsten muskulösen Arme zu stürzen. Ihr Stolz und ihre Selbstachtung hatten einen herben Schlag erlitten, als sie herausfand, dass Todd verheiratet war. Das hatte er klugerweise vergessen zu erwähnen, als sie miteinander ins Bett gefallen waren. Roxanne war entsetzt gewesen. Trotz ihres anrüchigen Rufes und der Andeutungen in den zahlreichen Klatschspalten waren verheiratete Männer tabu für sie. Die Regenbogenpresse behauptete zwar, sie wechselte ihre Liebhaber jede Woche. In Wahrheit stimmte das aber ganz und gar nicht.

Roxanne dachte darüber nach. In Wirklichkeit hatte sie nicht einmal eine Hand voll Liebhaber gehabt. Was Sex anging, war sie immer weit zurückhaltender gewesen als viele ihrer Zeitgenossinnen. Vermutlich lag das daran, dass sie in Oak Valley aufgewachsen war. Selbst in dem wohlhabenden und mächtigen Ballinger-Clan galten noch Wertmaßstäbe, die allgemein heutzutage als altmodisch abgetan wurden. Wenn Roxanne auch glaubte, mit neunzehn den Staub des Tales abgeschüttelt zu haben, war es ihr weit schwer gefallen, die Moral und Sitten abzulegen. Außerdem hütete sie sich, in Anbetracht all der kursierenden Krankheiten heutzutage, leichtfertig ‘mit jemandem ins Bett zu springen. Warum hatte sie sich nur ausgerechnet bei Todd anders verhalten?

Roxanne biss sich auf die Lippe. Sie war nicht leichtsinnig. Das war sie noch nie gewesen, nicht einmal mit zwanzig, als sie so darauf versessen war, das Leben bis zur Neige auszukosten. Sie sehnte sich nach Eleganz und Bildung und war entschlossen, der Welt zu beweisen, dass sie nicht nur eine hübsche Landpomeranze aus irgendeinem hinterwäldlerischen Kaff war. Dass sie dabei Fehler gemacht hatte, konnte und wollte sie nicht abstreiten. Sie war jung und selbstbewusst gewesen, vielleicht sogar überheblich. Auf jeden Fall jedoch war sie davon überzeugt gewesen, dass die Welt nur darauf wartete, sich ihr zu Füßen zu legen.

Sie hatte sich wie ein Kind benommen, dem man in einem Süßigkeitenladen freie Bahn gelassen hatte. Und für eine junge Frau, die in einer Stadt aufgewachsen war, die nicht einmal mit einer Ampel aufwarten konnte, ganz zu schweigen von Neonreklame, Burger-Restaurants oder einem Einkaufszentrum, war New York natürlich eine Art Süßigkeitenladen.

Einige ihrer Jugendsünden konnte Roxanne rechtfertigen, doch die Affäre mit Todd Spurling hatte sie bis ins Mark getroffen. Sie hatte in seine faszinierenden blauen Augen gesehen und ... Roxanne stieß verächtlich die Luft aus. Und sich wie ein naiver Teenager benommen, der zum ersten Mal bis über beide Ohren verknallt war. Liebe war es nicht gewesen. Wenigstens das hatte sie noch gemerkt. Vielleicht hatte sie ja noch sehnsüchtig davon geträumt, wie Sloan und Shelly ihr Eheversprechen abgelegt hatten. Und als sie dann in diesem sinnlichen Augenblick in Todds Gesicht schaute, glaubte sie, dass aus seinen Zügen die gleiche Liebe sprach, die ihr Bruder und seine Braut füreinander empfanden.

Roxanne schüttelte missbilligend den Kopf. Das war wirklich dumm. Und impulsiv. Letzteres war sie schon von klein auf gewesen. Sie holte tief Luft. Sie würde sich zusammenreißen und versuchen, nicht mehr so spontan zu handeln, vor allem nicht, wenn es um Männer ging. Sie brauchte keinen Mann, schon gar nicht jetzt, wo sie sich in ein ganz anderes Abenteuer stürzte. Das allerdings wiederum sehr impulsiv. Sie lächelte.

Roxanne blickte erneut auf das Tal hinunter. Nun war sie hier. Zurück in Oak Valley. Von wo sie vor knapp zwanzig Jahren gar nicht schnell genug hatte flüchten können. Und jetzt ... Merkwürdig, dachte sie. Nach den vielen Jahren, die sie glücklich in den schillerndsten Städten der ganzen Welt verbracht hatte, in London, Paris, Madrid oder Athen, fühlte sie sich mehr und mehr von der Ruhe und Vorhersagbarkeit Oak Valleys angezogen. Früher hatte sie sich zu den seltenen Stippvisiten geradezu zwingen müssen. In den letzten Jahren jedoch hatten ihre Besuche sowohl an Häufigkeit als auch an Dauer zugenommen. Die Sehnsucht nach dem Tal hatte sich zunehmend hartnäckiger in ihr geregt. Allmählich hatte Roxanne erkannt, dass die Amüsements, die sie einmal so fasziniert hatten, jetzt schal und abgestanden schmeckten. Dabei hatte sie früher mit genau diesen Worten Oak Valley beschrieben. Merkwürdig, wie das Leben einen veränderte. Jetzt kam ihr alles andere schal und abgestanden vor, und Oak Valley übte einen unwiderstehlichen Reiz auf sie aus.

Zuerst hatte sie ihre Sehnsucht nach dem Tal als eine Laune abgetan, doch das Bedürfnis hatte sich nicht gelegt, sondern war stärker geworden. Roxanne war klar geworden, dass sie müde war, Roxanne zu sein, das Gesicht und der Körper, der Millionen von Magazinen verkaufte. Und zweifellos eine ebenso große Zahl an erotischer Unterwäsche. Sie wollte wieder einfach »Roxy« sein, die älteste Ballinger-Tochter, Sloans Schwester und die von Ross und Ilka und Sam. Sie wollte verschlissene Jeans tragen und abgeschabte Stiefel und bei Heather-Mary-Marie’s einkaufen, dem Eisenwarenladen von St. Galen’s. Und Leuten begegnen, die sie schon seit ihrer Geburt kannten und weder von ihrem Gesicht noch von ihrem Körper noch von ihrem Ruhm beeindruckt waren. Roxanne sehnte sich nach einem Leben, bei dem sie nicht ständig aufpassen musste, pausenlos auf der Hut vor Fotografen und Lieblingsthema der Klatschspalten. Sie lächelte. Letzterem würde sie kaum entkommen. Die Klatschmäuler im Tal waren berüchtigt, und Roxanne war sicher, dass ihr Kauf dieses Hauses eines ermordeten, berüchtigten Marihuana-Dealers zurzeit der heißeste Gesprächsstoff überall im Tal war. Wenigstens nimmt das Sloan und Shelly ein bisschen aus der Schusslinie, dachte sie amüsiert, und bietet den Bewohnern etwas Neues, worüber sie spekulieren können.

Die Heirat von Sloan Ballinger und Shelly Granger im Juni hatte das ganze Tal in Aufruhr versetzt. Nicht nur wegen des Tempos, mit dem die ganze Angelegenheit über die Bühne ging, sondern schon deshalb, weil ein Ballinger eine Granger heiratete. Die Ballinger-Granger-Fehde war legendär und das Lieblingsthema im Tal. Obwohl es eigentlich eher eine Reihe von Konflikten gewesen war als ein einzelner Vorfall. Ballingers und Grangers nahmen beinahe naturgegeben gegensätzliche Standpunkte ein. In allem. Die schlimmsten Zwischenfälle lagen zwar schon Jahrzehnte zurück, aber jedes Mal, wenn sich ein Ballinger und ein Granger auch nur auf der Straße begegneten, hielt das Tal kollektiv die Luft an und verfolgte mit funkelnden Augen, ob in der aufgeheizten Atmosphäre Funken flogen. Die Neugierigen wurden nur selten enttäuscht, nur manchmal, wie im Fall von Sloan und Shelly ... Roxanne lächelte sehnsüchtig. Bei Sloan und Shelly waren es magische Funken gewesen.

Mit einem Ruck riss sich Roxanne aus ihren Träumereien, drehte sich um und betrachtete ihr Haus. Mein Blockhaus, verbesserte sie sich und überlegte zum wiederholten Mal, welcher Teufel sie geritten hatte, es zu kaufen. Immerhin besaßen die Ballingers Tausende Morgen Land im Tal und den ringsum angrenzenden Hügeln und Bergen, wo sie sich hätte ansiedeln können. Außerdem war sie auf dem Sitz ihrer Familie und dem Heim ihrer Kindheit mehr als nur willkommen. Ihre Eltern wären begeistert gewesen. Ein kleiner Wink hätte genügt, und ihr Vater Mark hätte ihr sofort eine Villa auf einer der zahllosen Parzellen Land gebaut, die der Familie gehörten.

Sie hätte es echt nicht nötig, sechshundertvierzig Morgen meist nutzloses, bergiges Terrain auf der Westseite des Tales zu kaufen, eine ganze Quadratmeile. Es war nicht einmal ein legendäres Stück Land, und alles in allem waren davon höchstens achtzig Morgen einigermaßen eben. Und das auch nur, wenn man es großzügig auslegte. Der Rest ihres Besitzes bestand aus bewaldeten Hängen mit kleinen, hügeligen Abschnitten hier und da. Selbst der Waldbestand war nicht nutzbar. Dafür gab es zu viel Unterholz, Sträucher, Bärentraube und Eichen, durchsetzt mit Kiefern und Fichten. Aber es gehörte ihr. Dieser Gedanke erfüllte sie mit Stolz. Sie hatte es sich mit ihrem selbst verdienten Geld gekauft. Nicht mit dem der Familie. Sie musste es mit keinem Menschen teilen. Es gehörte ihr ganz allein. Und was das Blockhaus anging, das darauf stand ...

Roxanne wusste sehr genau, dass kein Ballinger, der etwas auf sich hielt, diese primitive Holzhütte als zukünftiges Heim angesehen hätte. Außer ihr. Sie lachte. Sollte man sie doch für verrückt erklären! Ihre Schwester Ilka hatte es bereits getan. Ihre Eltern hatten sie schief angesehen und sie mindestens ein Dutzend Mal gefragt, ob sie das tatsächlich tun wollte. Roxanne hatte ihnen versichert, dass sie genau dieses Land haben wollte. Es besaß eine eigene Schönheit, und sie mochte das Blockhaus. Wie sie ihrer vom Donner gerührten Familie versichert hatte, besaß es Potenzial. Es war zwar nicht groß, verfügte jedoch über alles, was Roxanne wollte. Oder vielmehr würde es das tun, nachdem sie einige Umbauten vorgenommen hatte.

Trotzdem verstand sie die Reaktion ihrer Angehörigen. Das Haus hatte mehrere Monate leer gestanden und war mehrmals von Vandalen heimgesucht worden. Sie hatten die Hütte total auseinander genommen. Damit nicht genug, hatten sie selbst die Wände in dem kleinen Brunnenschuppen und dem baufälligen Stall eingerissen, der als Garage diente. Roxanne schüttelte den Kopf. Diese Burschen hatten wirklich ganze Arbeit geleistet und kein Gebäude verschont. Es hatte Roxanne einige Tage harter, schweißtreibender Arbeit gekostet, bis sie das Blockhaus wenigstens einigermaßen wohnlich hergerichtet hatte. Vorausgesetzt, man übersah die Flickstellen an Wänden und Böden. Doch das konnte bis zur Renovierung warten. Und die anderen Gebäude interessierten sie im Moment nicht. Die Garage wollte sie ohnehin niederreißen und eine neue bauen lassen. Das Gleiche galt für das Brunnenhaus. Bis dahin konnte sie mit dem Flickwerk leben.

Am Rand einer der Ebenen erhob sich das Blockhaus in fast tausend Meter Höhe über der Talsohle. Von der Veranda und den nach Osten liegenden Fenstern, die von der Decke bis zum Boden reichten, hatte sie eine phänomenale Aussicht. Das Erdgeschoss bestand aus einem einzigen großen Raum, von dem ein winziger Küchenbereich abgetrennt war. Das Schlafzimmer war etwa so geräumig wie ein begehbarer Kleiderschrank, und in eine Ecke quetschte sich noch ein winziges Bad. Im Obergeschoss befanden sich zwei Räume und ein etwas größeres Badezimmer. Das Dekor ließ zwar zu wünschen übrig, doch Roxanne bezweifelte nicht, dass sie die Hütte mit Muskelschmalz und ihrem prall gefüllten Scheckbuch schon bald so hergerichtet hatte, wie sie es sich vorstellte.

Bis dahin genügten ihr das schlichte Doppelbett, eine batteriebetriebene Lampe, ein Eichentisch, ein tragbarer CD-Spieler und die neue, mandelfarbene Kühl-Gefrierkombination, die mit Propangas gespeist wurde. Die Kücheneinrichtung bestand aus einer zerkratzten Edelstahlspüle, einem Propangasherd mit Ofen und einigen Metallschränken. Sie verzog das Gesicht. Offenbar kochten Marihuana-Dealer nicht gern.

Es war allerdings niemals bewiesen worden, dass der vorherige Besitzer Dirk Aston tatsächlich Marihuana gepflanzt hatte. Das war nur eine Vermutung der Talbewohner. Wie sonst, hatten sie spekuliert, konnte ein Arbeitsloser ohne zusätzliche Einnahmequellen genug verdienen, um hier ganz allein zu leben? Woher hatte er das Geld gehabt, sich einen brandneuen Pick-up zu kaufen? Was wollte er mit zwei Gewächshäusern und den Bewässerungsrohren aus schwarzem Plastik überall auf seinem Grundstück? Nicht zu vergessen diese endlosen Rollen Maschendraht und die zahllosen Pakete Kunstdünger? Und der soll kein Marihuana anbauen? Als Roxanne einwandte, dass er doch längst eingesperrt und sein Land konfisziert worden wäre, wenn sein Beruf so offensichtlich gewesen wäre, schauten die Weisen sie lediglich pfiffig an. Aston sei nur ein kleiner Fisch, erwiderten sie. Er war nicht wichtig genug, dass sich die KAGMA, »Kalifornier Gegen Marihuana-Anbau«, und das Büro des Bezirksstaatsanwaltes für ihn interessierten. Davon gab es viele. Das Büro des Sheriffs kannte sie alle sehr genau, aber die Beamten wurden von ernsthafteren Gesetzesübertretungen als Marihuana-Anbau auf Trab gehalten. Der Sheriff nahm sich zwar Typen wie Aston ab und zu vor, aber ernst nahm sie niemand. Es galt, größere und gefährlichere Fische zu fangen.

Roxanne zweifelte eigentlich nicht daran, dass die Talbewohner Aston richtig einschätzten. Dennoch hatte sie sich davon nicht abschrecken lassen. Sie liebte dieses Land. Die Blockhütte war zwar nur sechs Meilen von der Stadt entfernt, lag aber trotzdem isoliert da. Und war einzig über eine kurvige Schotterstraße zu erreichen. Für den kurzen Weg brauchte man fast zwanzig Minuten, und das bei gutem Wetter.

Ihr nächster und einziger Nachbar war Nick Rios, der im Granger-Haus wohnte. Dazwischen lagen einige dicht bewaldete Meilen, und nach dem engen, vor Menschen wimmelnden New York genoss Roxanne das Wissen, dass sie splitternackt aus ihrer Haustür treten und den Mond anheulen konnte, ohne von jemandem gesehen oder gehört zu werden. Nicht, dass sie so etwas vorhatte. Aber sie konnte es tun. Wenn ihr danach war.

Fröhlich trat sie in das Blockhaus, nahm eine Flasche Wasser aus ihrem neuen Kühlschrank, öffnete sie und schlenderte durch eine andere Tür wieder hinaus. Hier lag ebenfalls eine kleine Veranda, von der aus sie einen schönen Blick über eine sanft abfallende Weide hatte, hinter der sich ein bewaldeter Hügel erhob. Wie bei vielen Häusern im Tal diente die Hintertür des Blockhauses als Haupteingang. Es war ihr immer merkwürdig vorgekommen, zur Rückseite eines Hauses vorzufahren, bis sie begriffen hatte, dass die Vorderseite die wundervolle Aussicht bot. Niemand mit gesundem Menschenverstand würde einen solchen Blick für einen Vorgarten oder eine Auffahrt opfern. Die Gewächshäuser, über die so viel spekuliert wurde, lagen südlich vom Blockhaus. Roxanne trank einen Schluck Wasser und wollte gerade dorthin schlendern, als sie Motorengeräusch hörte.

Sie erwartete keinen Besuch. Verwundert ging sie zu dem großen Kiesparkplatz, wo ihr bunt lackierter Jeep stand. Er hatte ein Leinenverdeck. Eine Sekunde später röhrte ein roter Van die letzte Anhöhe hoch und kam in einer Staubwolke zum Stehen.

Als Roxanne den Wagen und den sehr großen, muskulösen Mann erkannte, der ausstieg, versteifte sie sich und umklammerte die Wasserflasche unwillkürlich fester. Jeb Delaney. Ausgerechnet! Er war der letzte Mensch, den sie jetzt sehen wollte.

Selbstverständlich und lässig, als gehörte ihm alles, was ihm unter die Augen kam, schlenderte Jeb auf sie zu. Früher einmal hatte Roxanne vermutet, dass seine Überheblichkeit von seinem Job kam. Er war Detective im Sheriffsdepartment. Er strahlte mühsam gezügelte Kraft aus wie ein großer Tiger, der allein von einer dünnen Leine zurückgehalten wurde. Doch irgendwann war sie zu dem Schluss gekommen, dass er es nicht absichtlich tat. Er war einfach so.

Die meisten Leute mochten Jeb Delaney. Die älteren Ladys waren geradezu in ihn vernarrt, und junge Frauen fielen reihenweise in Ohnmacht, wenn er sie nur anlächelte. Gestandene Männer bewunderten ihn, und die Jüngeren wollten so werden wie er, wenn sie erwachsen waren. So ziemlich jeder hielt ihn für einen tollen Hecht. Roxanne gehörte nicht dazu. Er ging ihr gegen den Strich, das war von vornherein so gewesen. Sie hielt es keine fünf Minuten lang in seiner Gegenwart aus, ohne zu überlegen, wie sie ihm die Rübe runterreißen konnte.

Und dieses Gefühl war keineswegs neu. So empfand sie, seit sie siebzehn Jahre alt gewesen war. Damals hatte er sie wegen Besitzes eines Marihuana-Joints einkassiert. Sie hatte sich so gedemütigt gefühlt, wie sich nur ein Teenager fühlen konnte. Und hatte ihm niemals verziehen. Als wären die strenge Ermahnung und die Konfiszierung des Joints nicht schon genug gewesen, nein, er hatte ein Exempel an ihr statuiert. Vermutlich, dachte sie gereizt, weil ich mit seinem Bruder Mingo befreundet war. Er wollte nicht, dass Mingo ebenfalls korrumpiert würde. Es war die schlimmste Erniedrigung in ihrem jungen Leben gewesen.

Das ganze Tal hechelte haarklein die Geschichte durch, wie Jeb ihr auf dem Parkplatz der Highschool Handschellen angelegt und sie auf den Rücksitz seines Streifenwagens verfrachtet hatte. Wenigstens hatte er sie nicht ins Gefängnis gebracht, wie ihre glotzenden Freunde erwartet hatten. Selbst Mingo hatte das gedacht. O nein, er hatte sie nach Hause gefahren, und ihr auf dem Weg eine hochnotpeinliche Strafpredigt gehalten. Danach hatte er sie kurzerhand ihren Eltern ausgeliefert.

Den Rest des Schuljahres hatte Roxanne Stubenarrest bekommen und dazu noch die enttäuschten Mienen ihrer Eltern ertragen müssen. Das hatte sie am meisten gehasst. Und fast genauso hasste sie das Wissen, dass sie quasi mit dem Joint unter seiner Nase herumgewedelt und ihn herausgefordert hatte, doch etwas dagegen zu unternehmen, wenn er sich traute. Roxanne runzelte die Stirn. Er hatte sich getraut. Und ihr Schuljahr ruiniert. Ihre Miene hellte sich gleich wieder auf. Natürlich hatte sie durch diese Affäre eine gewisse Berühmtheit erlangt, die ihr Ansehen unter ihren Freunden massiv gesteigert hatte.

Doch diese Zeit lag lange hinter ihr, und die Jahre hatten ihre provozierenden Ecken abgeschliffen. Allerdings genügte selbst heute noch der bloße Anblick von Jeb Delaney, ihre Nerven bloßzulegen. Eigentlich merkwürdig, wenn sie es recht bedachte. Sie schloss schnell Bekanntschaften und galt als charmant und umgänglich. Sie mochte Menschen, sonst hätte sie in ihrem Job niemals so viel Erfolg gehabt. Sah sie jedoch Jeb Delaney, knirschte sie mit den Zähnen und sträubte ihre Nackenhaare. Und eine höhnische Stimme in ihrem Hinterkopf flüsterte ihr zu, dass er sie mehr erregte als jeder andere Mann, dem sie begegnet war.

Jeb war groß, über einsneunzig, und hatte breite Schultern und einen ausladenden Brustkorb. Das blaue Baumwollhemd verbarg seine muskulösen Arme, und die enge, verblichene Jeans klebte wie eine zweite Haut auf seinen schmalen Hüften und seinen langen, kräftigen Schenkeln. Eine dunkle Sonnenbrille, staubige schwarze Stiefel und ein breitkrempiger Stetson vervollständigten seine Garderobe.

Roxanne bedachte ihn mit einem Blick, der genauso gut einer Invasion von Klapperschlangen hätte gelten können. » Was willst du denn hier?«

Jeb blieb etwa einen halben Meter vor ihr stehen und setzte die Sonnenbrille ab. Sein markantes Gesicht zeigte keine Regung, während er Roxanne ausgiebig musterte. Er betrachtete ihre langen, gebräunten Beine unter der rosafarbenen, gestreiften Shorts und die festen Brüste, deren Ansatz der weite Ausschnitt ihres weißen Trägerhemdes enthüllte. In ihrer Karriere hatte sie einige wenige Male auch nackt posiert, doch noch nie hatte sie sich so entblößt gefühlt wie unter dem forschenden Blick von Jeb Delaneys schwarzen Augen.

»Ich frage dich noch mal«, wiederholte sie gepresst. »Was willst du hier?«

»Einen Nachbarschaftsbesuch abstatten?« Er hob anzüglich eine Braue.

»Jeb«, erwiderte sie verächtlich, »ich habe keine Ahnung, wo du haust, aber Nachbarn sind wir ganz bestimmt nicht.«

Er rieb sich das Kinn. »Nein, wohl nicht.« Er sah sich um. »Ich finde es merkwürdig, dass du dieses Anwesen gekauft hast.«

»Und das geht dich etwas an, weil ...?«

Jeb seufzte und schob seinen schwarzen Stetson zurück. »Behandelst du alle so abweisend, oder liegt es an mir?«

Sie lächelte ihn zuckersüß an. »Du bist der Einzige. Alle anderen mag ich.«

Er grinste, und seine weißen Zähne unter dem schwarzen Schnurrbart blitzten auf. Jetzt sah er aus wie ein Bandit, ein sehr, sehr attraktiver Bandit. Roxanne gefiel es nicht, dass sich ihr Herzschlag bei diesem Grinsen plötzlich beschleunigte. Dämlicher Blödmann!

Ungeduldig klopfte sie mit dem Fuß auf den Boden. »Wirst du mir endlich sagen, was du hier willst, oder wollen wir den Morgen damit vergeuden, uns gegenseitig Beleidigungen an den Kopf zu werfen?«

»Prinzessin, ich habe dich nicht beleidigt. Noch nicht. Aber wenn du weiter giftige Bemerkungen aus deinem entzückenden Mäulchen abschießt, unternehme ich diesbezüglich eventuell etwas.« Er schaute wie gebannt auf ihre Lippen, und plötzlich schien die Luft zwischen ihnen zu knistern. Jeb schüttelte sich und holte tief Luft. »Ich wollte mich nur davon überzeugen, ob diese Klatschmäuler Recht hatten und du dieses Anwesen gekauft hast.« Er sah sich gelassen um. »Nach Astons Tod haben Danny und ich uns hier umgesehen. Es war das reinste Chaos, und ich habe nicht erwartet, dass ausgerechnet du so eine heruntergekommene Hütte kaufst. Deshalb wollte ich mich selbst überzeugen. Du bist hier, also scheinen die Klatschmäuler diesmal ins Schwarze getroffen zu haben.«

Sie war unhöflich gewesen. Das war ihr klar. Sie hasste sich dafür, aber sie konnte einfach nicht anders. Sie schaute angelegentlich auf ihre rosa lackierten Fußnägel in ihren Sandalen und riss sich mühsam zusammen. »Die Klatschmäuler haben Recht. Ich habe das Anwesen gekauft.«

»Und warum? Wie gesagt, niemand würde erwarten, dass die exaltierte, berühmte und stinkreiche Roxanne Ballinger ausgerechnet eine solche Hütte kauft. Ein Anwesen in San Francisco, wohin du deine berühmten Freunde einladen und wilde Partys feiern kannst, sicher, dass würde ich verstehen. Aber das hier? Die Behausung eines toten Drogendealers mitten im Nichts? Oder hast du etwa vor, dich nebenbei im Marihuana-Anbau zu versuchen?« Kühl fügte er hinzu. »Das ist nicht dein Stil, Prinzessin.«

Was, zum Teufel, bildete der Kerl sich eigentlich ein? Roxanne wurde fuchsteufelswild. Wieso benahm sich Jeb so arrogant? Die meisten Menschen, vor allem die Männer, überschlugen sich beinahe, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Jeb nicht. O nein. Er benahm sich nicht mal höflich. Und der verächtliche Ton, wenn er sie »Prinzessin« nannte! Sie fühlte sich auf einmal wieder wie siebzehn und hasste ihn mit derselben intensiven Wut. Sie hob ihr Kinn. Mit welchem Recht verurteilte er ihre Lebensweise? Sie war mittlerweile ein großes Mädchen und voll ausgewachsen. Sie hätte ihm zu gern eins auf seine markante Nase gegeben und ihm diesen arroganten Ausdruck aus seinem Gesicht vertrieben.

Unvermittelt wurde ihr jedoch klar, dass sie wegen einer albernen Nichtigkeit einen Wutanfall zu bekommen drohte, und sie holte tief Luft. Sie hatte versucht, höflich zu sein. Zwar nicht gerade übermäßig, aber immerhin. Und was hatte ihr das eingebracht? Herablassende Bemerkungen und Beleidigungen. »Ist das eine offizielle Befragung?«, knirschte sie. »Falls nicht, reicht es, wenn ich dir sage, dass ich meine Gründe habe. Und jetzt verschwinde von meinem Grundstück.«

Ein Muskel zuckte in seiner Wange. »Irgendwann wird jemand dir Manieren beibringen«, knurrte er drohend.

Sie lächelte herausfordernd. »Meldest du dich freiwillig?«

Er musterte sie einmal von Kopf bis Fuß. »Ja«, sagte er gedehnt. »Vielleicht.«

Jeb drehte sich auf dem Absatz herum, stieg wieder in seinen Van und ließ den Motor an. Er wendete etwas schwungvoller als nötig und fegte in einer Staubwolke den Hügel hinunter.

Nachdem er weg war, stand Roxanne noch einige Minuten da und starrte ins Leere. Was war nur mit ihr los? Jeden anderen Gast hätte sie mit einem Lächeln begrüßt und ihm etwas zu trinken angeboten. Sie biss sich auf die Lippe. Warum nicht Jeb? Benehme ich mich ihm gegenüber womöglich doch zickig? Nein. Er ist ein Idiot. Befriedigt über ihre messerscharfe Schlussfolgerung schlenderte sie zu den Gewächshäusern.

Trotz der frühen Stunde war es schon heiß. Gegen Mittag würden sich Mensch und Tier nach Linderung sehnen. Die erst kam, wenn die Sonne unterging. Trotz ihrer knappen Kleidung machte Roxanne die Hitze zu schaffen. Und nach einigen Hundert Metern beschloss sie, die Erkundung der Gewächshäuser auf den frühen Morgen des nächsten Tages zu verschieben. Bevor es richtig heiß wurde.

Sie drehte sich um und schlenderte wieder Richtung Haus, als es in einem Busch rechts von ihr raschelte. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Visionen von Bären oder Berglöwen stiegen vor ihrem inneren Auge empor. Hier in der Gegend trieben sich viele herum, und Roxanne verwünschte sich, dass sie nicht daran gedacht hatte, eine Waffe mitzunehmen. Selbst ein Stock wäre jetzt tröstlich gewesen. Sie rief sich die Verhaltensmaßregeln für eine Begegnung mit einem Bären oder einem Berglöwen ins Gedächtnis, drehte sich zu dem Lärm um und ging dabei langsam rückwärts zum Blockhaus weiter.

Der Lärm wurde lauter, und gerade als Roxanne die Anspannung nicht länger ertragen zu können glaubte, tauchte ein Reiter aus dem Unterholz auf. Ihm folgten drei verdreckte, hechelnde Hirtenhunde.

Als Roxanne den Reiter erkannte, verlangsamte sich ihr Pulsschlag, und sie lächelte erleichtert. »Acey Babbitt!«, rief sie. »Deinetwegen habe ich beinahe einen Herzschlag bekommen! Ich dachte, ein Bär hätte mich auf seinen Frühstücksplan gesetzt!«

Acey grinste. Seine blauen Augen in dem sonnenverbrannten Gesicht unter dem staubigen, hellbraunen Cowboyhut leuchteten. »Du würdest ein sehr schmackhaftes Frühstück abgeben.« Er schnalzte mit den Lippen, und sein beeindruckender weißer Schnauzbart zuckte. »Ja, Madam, du siehst wirklich lecker aus, selbst für einen alten Kuhhirten wie mich.«

Sie lachte. »Hallo, Mr. Babbitt, machst du mir etwa Avancen?«

»Vielleicht. Wenn ich zwanzig Jahre jünger und du zwanzig Jahre älter wärst.« Er wackelte viel sagend mit seinen weißen Augenbrauen. »Sollte es dir allerdings nichts ausmachen, es mit einem Burschen zu versuchen, dessen Gelenke beim Gehen knarren, wäre ich jederzeit bereit, einen Versuch zu wagen.«

Roxanne lachte. Sie ließ sich von seiner hoffnungsvollen Miene nicht narren. Acey Babbitt war fünfundsiebzig Jahre alt, einer der liebsten Menschen, den Roxanne jemals kennen gelernt hatte, und ein unverbesserlicher Spötter. Seine Geschicklichkeit mit Rindern und Pferden war legendär, und in seinem langen Berufsleben hatte er schon für fast jeden Rancher im Tal gearbeitet, auch für die Ballingers. Und so ziemlich jedes Kind im Tal, Roxanne und ihre Geschwister eingeschlossen, hatten unter Aceys liebevoller, aber eiserner Anleitung reiten gelernt. Obwohl er für alle arbeitete, gehörte seine Loyalität ausschließlich den Grangers. Roxanne wusste, dass er in der kleinen Wohnung über der Scheune der Grangers wohnte und für Shelly arbeitete, Sloans Frau.

»Gut, ich bin überzeugt. Du bist der Teufel auf zwei Beinen.« Sie lächelte. »Was führt dich denn hierher?«

»Eine der schönen teuren Kühe, die Shelly aus Texas importiert hat, soll kalben. Bedauerlicherweise hat sie das einzige Loch weit und breit im Zaun gefunden. Wir haben es gestern kurz vor Einfall der Dunkelheit festgestellt. Da konnten wir nicht mehr viel ausrichten. Jetzt sind Nick und ich seit Tagesanbruch unterwegs, um sie aufzuspüren.«

»Würde sie nicht nach saftigeren Weideplätzen suchen?«, fragte Roxanne nachdenklich. »Weiter unten im Tal? Hier oben bei mir ist es so schroff, dass selbst Ziegen das Gelände verschmähen, geschweige denn eine Kuh, die kalben will.«

»Ich will dir nicht zu nahe treten, doch in dem Punkt hast du Recht. Dein Land ist so ziemlich der unwirtlichste Boden, über den ich je geritten bin. Ich erwarte auch nicht, sie zu finden. Wir haben sofort vermutet, dass sie ins Tal gelaufen ist, aber bis jetzt haben wir keine Spuren in dieser Richtung entdecken können. In den letzten zwei Stunden sind wir den Kamm auf und ab geritten, ohne auch nur ein Schwanzhaar von ihr zu sehen.«

»Ich halte gern die Augen offen, aber ich glaube nicht, dass sie hier entlangkommt.«

»Wenn du sie siehst, ruf bei den Grangers an. Nick hat einen Anrufbeantworter.« Er unterbrach sich. »Hast du überhaupt Telefon hier draußen?«

»Mein Handy. Ein Hoch auf die moderne Technologie.«

Acey schaute sich um. »Hab schon gehört, dass du die Aston-Hütte gekauft hast. Ich mochte es kaum glauben.« Seine blauen Augen richteten sich wieder auf sie. »Was willst du damit anfangen?«

»Jedenfalls kein Marihuana anbauen.« Ihre Augen glitzerten.

Acey hob abwehrend die Hand. »Schon gut. Wollte nur ein bisschen herumschnüffeln. Warst lange weg, Roxy. Hast in New York und in anderen tollen Städten gelebt. Und warst viel zu hübsch, als dir gut getan hat. Aber du warst genauso ein braves Kind. Wahrscheinlich bist du das noch immer. Doch einige Leute hier im Tal sind misstrauischer als ich. Es wird viel darüber geredet, was du hier oben wohl machst.« Er lächelte. »Bin froh, dass ich die Gemüter ein bisschen beruhigen kann.«

»Ist das dein Ernst?« Sie war erstaunt. »Glauben die Leute ernstlich, dass ich aus New York hierher gezogen bin, um Marihuana anzubauen?«

Acey zupfte sich am Ohr. »Die mit einem Funken gesunden Menschenverstand nicht. Leider leben auch einige arme Teufel im Tal, die vom Leben benachteiligt worden sind, wie du weißt. Sie haben statt einem Hirn eine Erbse im Kopf. Nimm dir das Geschwätz bloß nicht zu Herzen.«

»Kanntest du Dirk Aston?«

»Nicht sehr gut. Und um deiner Frage zuvorzukommen, ich weiß auch nicht, ob er hier oben Marihuana angebaut hat. Ich weiß nur, dass er sich mit einigen üblen Figuren herumgetrieben hat, zum Beispiel mit Milo Scott. Doch das ging mich nichts an. Wenn du neugierig bist, frag Jeb. Er ist zwar mittlerweile Detective und fährt nicht mehr Streife, aber er weiß mehr über das, was hier in diesen Hügeln vorgeht, als jeder andere.« Acey ließ erneut seine Brauen tanzen. »Abgesehen von mir, vielleicht. Spaß beiseite, du solltest mit Jeb reden. Er ist ein guter Mann. Und ein guter Deputy.«

»Könnten wir eventuell über etwas anderes als Jeb Delaney sprechen?«

Acey zuckte gleichmütig mit den Schultern, aber seine Augen funkelten verdächtig. »Klar. Möchtest du noch etwas wissen, bevor ich verschwinde?«

»Ich habe gehört, dass Aston in Oakland erschossen worden ist. Und in irgendwelche Drogengeschichten verwickelt war. Stimmt das? Oder ist das nur Tratsch?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Wie Jeb sagt, Aston kann ebenfalls unglücklichen Umständen zum Opfer gefallen sein. Es gibt jedenfalls für keine dieser Meinungen Beweise. Soweit ich gehört habe, wird dort ständig jemand auf offener Straße ermordet, vor allem in der Gegend von Oakland, in der er gefunden wurde. Gut möglich, dass Aston zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen ist. So sehe ich das jedenfalls, und die meisten anderen. Aston war ein kleiner Fisch. Er hat gern große Reden geschwungen und den harten Burschen gespielt, aber niemand hat auf ihn geachtet. Und was die Gerüchte angeht, dass du hier oben Marihuana anbauen willst ...« Acey schüttelte den Kopf. »Das ist blanker Unsinn. Jeder, der dich kennt, weiß das.«

»Danke, Acey. Tut gut, das zu hören.« Vor allem nach Jebs Besuch, dachte sie. Dieser Blödmann.

Er nickte und sah sie liebevoll verschmitzt an. »Dachte ich mir. Diese Kerle mit den Erbsen im Kopf reden zu viel und wissen meist nicht, was sie da eigentlich sagen. Achte nicht auf sie.« Er sah sich um. »Übrigens, was genau willst du hier eigentlich tun?«

Roxanne lächelte strahlend. »Ich habe nicht den leisesten Schimmer. Ist das nicht toll?«

Glutheiße Küsse

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