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2. KAPITEL

Jebs Miene hätte selbst Dracula das Blut in den Adern stocken lassen. Er rauschte mit Vollgas die Straße von Roxannes Blockhütte hinunter und achtete weder auf die Kurven noch auf die Staubwolke, die er hinter sich aufwirbelte. Der Schotter spritzte nur so unter den Reifen weg.

Eine halbe Meile später bog er auf die Hauptstraße ein, die kaum breiter oder weniger kurvig war als die Straße, auf der er bisher gefahren war. Der gesunde Menschenverstand, sein Selbsterhaltungstrieb und Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer veranlassten ihn, vom Gas zu gehen und etwas vorsichtiger weiterzufahren. Seine Miene blieb jedoch finster, und seine Gedanken waren rabenschwarz.

Warum genügten dreißig Sekunden in Roxannes Gegenwart, um seine Selbstbeherrschung zu pulverisieren? Ein einziger Blick aus diesen spöttischen, bernsteinfarbenen Augen und ihr kampflustig vorgerecktes Kinn genügten, und er hätte sie am liebsten auf der Stelle stranguliert. Dabei fiel ihm sein Körper noch dazu heimtückisch in den Rücken. Sobald er dichter als drei Meter an diese Frau herankam, wurde er so erregt, dass selbst Casanova vor Neid erblasst wäre. Dann erfüllte ihn nur noch das überwältigende Bedürfnis, dieses Weib zu packen, sie flachzulegen und über sie herzufallen. Dabei konnte er sie nicht einmal leiden!

Jeb runzelte die Stirn. Himmel! Er war fünfundvierzig Jahre alt und kein hormongesteuerter Teenager mehr. Er war verheiratet gewesen. Sogar zweimal! Er war ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft, Deputy-Sergeant und Detective! Er sollte es besser wissen. Und sich besser im Griff haben. Trotzdem, ein Blick auf Roxanne Ballinger genügte, und er war gereizt und fasziniert, erregt und wütend gleichzeitig.

Seine Faszination für sie konnte er nachvollziehen. Sie war eine wundervolle Frau. Selbst wenn er aufgebracht war und sie verabscheute, war er sich dessen bewusst. Viel zu bewusst. Das war vermutlich das Problem. Gereizt umklammerte er das Steuerrad. Er würde sich auf keinen Fall in die lange Reihe der hirnlosen Narren einreihen, die auf Roxannes hinreißendes Aussehen hereingefallen waren. Man konnte kaum ein Magazin aufschlagen oder das Fernsehgerät anschalten, ohne nicht mit Neuigkeiten über Roxannes Liebesleben belästigt zu werden. Jeb war klar, dass die Zahl ihrer angeblichen Liebhaber maßlos übertrieben sein musste. Es sei denn, sie verbrachte jede freie Minute in Rückenlage. Und das bezweifelte er. Was er sonst über sie gelesen oder gehört hatte, hinterfragte er selten. Dennoch sagte ihm die Vernunft, dass sie nicht so leichtlebig sein konnte. Sonst wäre sie niemals auf und in all diesen Magazinen abgebildet worden.

Es ärgerte Jeb maßlos, dass er so viel Zeit damit verschwendete, an Roxanne zu denken. Er war selbst kein Heiliger und erwartete das auch von niemandem, weder Männern noch Frauen, doch Roxanne hatte etwas an sich ...

Er fluchte leise und zwang sich, nicht mehr an die verstörende Miss Roxanne Ballinger zu denken. Es gab Wichtigeres im Leben. Zum Beispiel, was er zu Mittag essen sollte. Ja, das müsste seine Gedanken wenigstens fünf Sekunden ablenken.

Als er die letzte Kurve vor der Talsohle umrundete, kam Jeb ein schwarzsilberner Geländewagen mit einem Pferdeanhänger auf der Straße entgegen. Das Gespann kannte er. Es gehörte Sloan Ballinger, Roxannes ältestem Bruder.

Jeb kannte Sloan schon sein Leben lang. Er mochte und respektierte ihn. In gewisser Weise waren sie wohl so etwas wie befreundet. Sie hatten gemeinsame Vorfahren und waren ähnlich weit miteinander verwandt wie Jeb und Shelly. Trotzdem waren sie nicht direkt eine Familie. Jeb hatte sich auf Sloans und Shellys Hochzeit im Juni ausgezeichnet amüsiert, nachdem er bereits ihre gegenseitige Annäherung wohlwollend verfolgt hatte. Sloan und Shelly verdienten eine glückliche und erfolgreiche Ehe. Immerhin hatten sie durch einige jugendliche Missverständnisse und, wie Jeb vermutete, durch eine hinterhältige Intrige von Shellys totem Bruder Josh beinahe siebzehn Jahre vergeudet. Diese Zeit lag jetzt jedoch hinter ihnen, und er wünschte ihnen alles Glück der Welt.

Joshs Haus, in dem Shelly nach ihrer Rückkehr ins Tal im März gewohnt hatte, lag etwa fünf Meilen entfernt an der Straße. Jeb vermutete, dass Sloan dorthin wollte. Zurzeit lebte Nick Rios, Shellys Geschäftspartner bei ihrer Rinderzucht, in dem Haus. Und Shellys Cousin Roman Granger aus New Orleans. Jeb besuchte die beiden häufig, und kannte sich dort mittlerweile gut aus.

Er hielt an einer der wenigen breiten Stellen auf der Straße an und wartete, bis Sloan ihn mit seinem Gespann erreicht hatte.

Jeb ließ das Fenster herunter. »Wohin willst du? Fährst du zu Nick?«

Sloan nickte. »Eine von Shellys Kühen ist durch ein Loch im Zaun entwischt. Nick und Acey suchen sie schon seit Stunden, doch bisher hatten sie kein Glück. Die Kuh dürfte jeden Tag kalben, und Shelly macht sich Sorgen um sie. Wir beteiligen uns an der Suche. Ich habe unsere Pferde im Trailer. Shelly ist im Bronco vorausgefahren. Ist sie dir nicht begegnet?«

Jeb räusperte sich. »Ich ... ich komme gerade von der neuen Hütte deiner Schwester.« Auf seinen gebräunten Wangen zeichneten sich zwei rosa Flecken ab. »Shelly muss an der Abzweigung zu Roxanne vorbeigefahren sein, bevor ich auf die Straße eingebogen bin.«

Sloan sah ihn forschend an. Seine Augen, die der seiner Schwester sehr ähnlich waren, funkelten amüsiert. »Tatsächlich? Wie geht es meiner Schwester denn? Gut, hoffe ich doch?«

»Sie ist genauso schnippisch und eingebildet wie gewohnt. Und hat mich von ihrem Grundstück geworfen.« Er warf Sloan einen leidenden Blick zu. »Sie ist deine Schwester, Sloan, aber verdammt noch mal, manchmal frage ich mich wirklich, wie ihr verwandt sein könnt!«

Sloan lachte. »Das frage ich mich manchmal selbst.« Er musterte Jeb. Die Reibereien zwischen seiner Schwester und Jeb hatten ihn schon damals in der Highschool belustigt. Sie waren wie Nitro und Glyzerin. Brachte man sie zusammen, krachte es unweigerlich. Sie bildeten eine hochexplosive Mischung.

»Womit hat sie dich denn diesmal in Rage gebracht, hm?«

»Ich bin nicht in Rage«, stieß Jeb zwischen den Zähnen hervor. »Es wundert mich nur, dass sie etwas tut, was niemand machen würde, der auch nur einen Funken gesunden Menschenverstand besitzt.«

»Weißt du noch, wie mein Dad ihr verboten hat, seinen großen, bösartigen Hengst zu reiten?«, fragte Sloan nachdenklich.

»Ja. Kaum hatte er ihr den Rücken zugekehrt, saß sie blitzartig auf dem Rücken dieses Gauls. Der Hengst war eines der hinterhältigsten Pferde, das ich jemals erlebt habe. Sie hat verdammt viel Glück gehabt, dass er sie nicht tot getrampelt hat, nachdem sie in hohem Bogen heruntergesegelt ist. Deine Eltern waren außer sich.« Jeb nickte. »Vermutlich reagiert Roxanne nicht gerade begeistert auf gut gemeinte Ratschläge. Wenn ich das nächste Mal mit ihr zu tun habe, werde ich das beherzigen.«

»Viel Glück.«

Sloan ließ langsam die Fensterscheibe hoch.

»Soll ich dir bei der Suche nach der Kuh helfen?«, fragte Jeb rasch. »Ich könnte mein Pferd holen und zu euch stoßen.«

Sloan schüttelte den Kopf. »Danke für dein Angebot, aber ich glaube, wir vier kommen zurecht. Wenn nicht, rufe ich dich an.«

Beide fuhren weiter. Auf der asphaltierten Straße kam Jeb zügig voran und bog nach wenigen Minuten auf die Hauptstraße von St. Galen’s ein. Die Stadt war klein und bestand in der Hauptsache aus einer Reihe von Geschäften, die schon lange in Familienbesitz waren, und einigen kleinen Häusern, welche den zweispurigen State Highway säumten, der mitten durch das Tal führte. Selbst wohlwollende Betrachter mussten einräumen, dass St. Galen’s weder hübsch noch malerisch war. Eher arm und nüchtern. Einige der Läden standen leer, andere brauchten dringend einen neuen Anstrich. Dennoch mochte Jeb St. Galen’s. Es war seine Stadt, und er liebte jeden Zentimeter, selbst die unebenen und geborstenen Bürgersteige. Wenn es überhaupt welche gab. Für sein liebendes Auge besaß St. Galen’s einen ganz eigenen Charme. Es war rau und widersprüchlich, wirkte jedoch auf eine bescheidene und gleichzeitig selbstbewusste Weise ansprechend.

Er parkte seinen Van vor Heather-Mary-Marie’s, und schlug die Tür zu, ohne abzuschließen. Er ging an dem aufgesägten Eichenfass vorbei, in dem rosa Cosmos und weiße Petunien blühten, und stieß einen Flügel der Glasdoppeltür auf, durch die man in das lange, rechteckige Holzgebäude gelangte.

Heather-Mary-Marie’s war einer der letzten alten Textil-und Gemischtwarenläden, die es in der Gegend noch gab. In seinen Regalen fand man so ziemlich alles, was man brauchte. Von Kleidern bis hin zu Trauergebinden aus Plastik. Inhaberin war Cleo Hail, eine Enkelin des Gründers, dessen drei Töchter dem Geschäft seinen Namen gegeben hatten. Hier wurden nicht nur Geschenke, Postkarten, Lotto und Kleider verkauft, sondern nahezu die Hälfte der Einwohner gab sich jeden Tag die Klinke in die Hand. Cleo verbreitete die neuesten Nachrichten besser als jede Zeitung. Außerdem unterlag ihre spitze Zunge keinerlei Zensur.

Momentan war sie damit beschäftigt, für eine Kundin ein Päckchen zu schnüren, als Jeb eintrat und die Türglocke bimmelte. Cleos rote Haare schimmerten im Licht, als sie sich zu ihm umdrehte. Als sie Jeb sah, lächelte sie. »Geh ruhig nach hinten ins Lager. Die Hemden, die ich für dich bestellt habe, liegen auf dem Regal gleich rechts hinter der Tür. Ich bin in einer Sekunde bei dir.«

Die Kundin kicherte. Es war Sally Cosby, die direkt gegenüber von Heather-Mary-Marie’s im Blue Goose kellnerte. Ihre freundlichen braunen Augen funkelten. »Sei lieber vorsichtig, Jeb. Wenn ich so ein gut aussehender Bursche wäre wie du, würde ich nicht mit Cleo nach hinten gehen.«

Jeb kannte Cleo und Sally schon von Kindesbeinen an. Cleo hätte mit ihren fünfundsechzig seine Mutter sein können, strahlte jedoch nichts Mütterliches aus, obwohl sie eine Tochter aus der ersten ihrer fünf Ehen hatte. Cleo war etwa einsachtzig groß, schlank und hatte die breiten Schultern eines Footballspielers. Ein paar goldene Kreolenohrringe pendelten beinahe bis zu diesen Schultern herunter, ihre Haarfarbe leuchtete in einem nahezu unwahrscheinlichen Rot und ihre Frisur war mindestens schon seit den Sechzigern aus der Mode. Eine knallrote Seidenbluse und eine hautenge schwarze Jeans komplettierten ihren Aufzug. An jeder anderen Frau hätten die Ohrringe, die Kleidung und die Frisur bizarr gewirkt, nicht jedoch an Cleo. Sie war nie eine Schönheit gewesen. Ihr Gesicht war grob und schlicht geschnitten, aber ihre großen, blauen Augen, ihr herzliches Lächeln und dieses flammend rote Haar harmonierten perfekt miteinander. Jeb gefiel dieses Gesamtkunstwerk irgendwie, sogar die Ohrringe. Und er bewunderte Cleo. Sie hatte ihn zwar seit seiner Kindheit in unregelmäßigen Abständen ordentlich zurechtgestutzt, doch sie besaß zudem das freundlichste Wesen, das er je an einem Menschen erlebt hatte. Bei jeder Krise in der kleinen Gemeinde reagierte Cleo Hail als erste und organisierte Hilfe.

Sally dagegen hatte Jeb heranwachsen sehen und auf seinen zwei Hochzeiten getanzt. Vor fünfzehn Jahren hatte sie Tim Cosby, einen Holzfäller aus dem Tal geheiratet. Sally stammte ebenfalls aus einer alten Familie von Oak Valley und war eine bekannte ›Pferdefrau‹. Ihre dreizehn Jahre alten Zwillingstöchter schienen in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten. Sie standen bereits in dem Ruf, wie der Teufel zu reiten, ebenso wie ihre Mutter in dem Alter. Die Zwillinge ritten die Hälfte der Jungs im Tal in Grund und Boden. Es gab nur wenig, was Jeb nicht über Sally und Cleo wusste. Oder sie über ihn. In Oak Valley gab es nicht viele Geheimnisse.

Cleo bedachte Sallys Kommentar mit einem verächtlichen Schnalzen. »Mach dir nur keine Sorgen um Jeb, Sally. Er ist viel zu alt für mich.«

Jeb lachte, winkte ihnen zu und schlenderte in den hinteren Teil des Geschäftes. Im Lager fand er die Hemden, die Cleo für ihn bestellt hatte. Er suchte sich drei karierte Westernhemden aus und ging zurück zur Kasse.

Sally war schon gegangen. Für einen Donnerstagmittag war es verhältnismäßig ruhig. Jeb warf die Hemden auf den Holztresen. »Ist wenig los«, bemerkte er.

Cleo nickte. Ihre Miene war ein wenig düster, als sie den Preis eintippte und die drei Hemden in eine Tüte schob. »Wir haben September, Jeb. Die Schecks von der Wohlfahrt sind schon lange da. Die Brombeerernte ist nur noch Erinnerung, es ist Schule, und das Rodeo ist eine Ewigkeit vorbei.« Ihr Gesicht hellte sich auf. »Aber wenn in ein paar Tagen die Jagdsaison anfängt, geht es hier wieder lebhafter zu.«

Die Türglocke bimmelte. Cleo und Jeb drehten bei dem Geräusch die Köpfe herum. Ein blonder, drahtiger Mann trat ein. »Hi, Cleo, ich komme wegen der Socken, die du ...«

Als der neue Kunde Jeb sah, blieb er wie angewurzelt stehen. Mit versteinerter Miene nickte er kurz in Jebs Richtung. »Jeb. Ich wusste nicht, dass du hier bist.« Er sah Cleo an. »Ich komme später wieder.«

»Das ist nicht nötig.« Cleo spürte die Spannung zwischen den beiden Männern und bemühte sich um einen unbeschwerten Ton. »Jeb wollte gerade gehen.« Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, drückte sie Jeb den Beutel mit seinen Hemden in die Hand.

»Ich weiß nicht so recht«, erwiderte Jeb gedehnt. »Ich sehe mir noch die Uhren da drüben an der Wand an. Vielleicht kaufe ich eine für meine Küche. Kümmere du dich ruhig um Scott.«

»Schon in Ordnung. Ich komme ein andermal wieder.« Scott stürzte fast zur Tür hinaus.

Cleo durchbohrte Jeb mit ihrem Blick. »Milo Scott ist sicher eine Nervensäge, und ich kann ihn nicht besonders leiden. Und er könnte es gewesen sein, der vor einer Weile mein Haus verwüstet hat. Ich halte ihn für ein gemeines, verschlagenes, perverses kleines Wiesel, und das sind noch meine freundlichsten Gefühle. Aber ich muss ein Geschäft führen, und er ist ein Kunde. Zudem noch an einem Tag, an dem nur wenige aufgetaucht sind. Und du erbärmlicher Mistkerl musst ihn vertreiben.«

»Beruhige dich, Cleo. Du hast nicht viel eingebüßt. Er wollte nur Socken kaufen.«

»Woher willst du das wissen, Mr. Großkotz? Vielleicht hätte er ja gleich ein Dutzend genommen.«

»Ein Taugenichts wie Scott? Niemals!«

»Du hegst offensichtlich Vorurteile gegen ihn. Das ist nicht gerade ein erstrebenswerter Charakterzug an einem Gesetzeshüter. Solltest du nicht besser objektiv sein?«

Jeb lachte. »Du hast mich ertappt, Cleo. Ich kann den Kerl einfach nicht ausstehen. Ich bin davon überzeugt, dass er etwas mit Joshs angeblichem Selbstmord zu tun hatte ...« Er hob die Hand, als Cleo ihn unterbrechen wollte. »Einverstanden, lassen wir Josh aus dem Spiel. Du weißt selbst, dass Scott bei so ziemlich jedem Drogenhandel in diesem Land seine Finger im Spiel hat. Außerdem ist er mit all den Leuten befreundet, die in ihren Gärten hinterm Haus Marihuana anbauen. Oder im National Forest.«

»Wenn ich jeden Marihuanapflanzer abweisen würde, der meinen Laden betritt, hätte ich nicht mehr viele Kunden, Jeb. Die meisten sind doch harmlos und bauen es lediglich für ihren eigenen Bedarf an.« Jeb warf ihr einen ungläubigen Blick zu, und Cleo zuckte mit den Schultern. »Na gut, vielleicht verkaufen sie ihm ein bisschen davon, und er schafft es in die Bay Area. Was macht das schon?«

»Cleo ...« Jeb blieb geduldig, obwohl sie diese Diskussion schon häufiger geführt hatten. »Marihuanaanbau ist illegal.«

»Wie gesagt, was macht das schon?«

Jeb seufzte. »Genau diese Haltung erschwert uns die Strafverfolgung erheblich.« Er wollte nicht mit Cleo streiten, weil er vermutete, dass sie ihn sowieso nur hochnehmen wollte. »Vergiss es«, murmelte er, während er sich abwandte. »Und mach dir keine Sorgen, was diesen Kunden angeht. Der Kerl kommt wieder. Du bleibst schon nicht auf seinen Socken sitzen.« Er spähte durch die Glastüren und verfolgte mit zusammengekniffenen Augen, wie Milo Scott die Straße überquerte und ins Blue Goose ging. »Siehst du, jetzt geht er zu Hank.«

Cleo folgte seinem Blick. »Nachdem du ihn von hier vertrieben hast, gehst du jetzt vermutlich zu Hank und vergraulst ihn dort.«

Jeb lachte. »Nein, ich gehe nicht ins Blue Goose. Scott soll von mir aus in Ruhe essen. Wenn er fertig ist, kauft er anschließend sicher seine verdammten Socken.«

»Weißt du, irgendwie ist es schon merkwürdig. Ich weiß, dass ich sie für ihn bestellt habe, und wenn ich mich recht entsinne, sind sie auch letzte Woche eingetroffen. Jedenfalls glaube ich das. Nur, ich kann sie einfach nicht finden.« Sie lächelte Jeb verschwörerisch an. »Das passiert regelmäßig bei Scotts Bestellungen. Irgendwie verlege ich sein Zeug andauernd. Ich steige nicht dahinter, weshalb.«

Jeb schüttelte lächelnd den Kopf und ging. Cleo hatte ihre eigenen Tricks auf Lager, und außerdem wollte er es sich nicht mit ihr verderben. Er stieg in seinen Wagen, warf die Tüte mit den Hemden auf den Beifahrersitz, ließ den Motor an und fuhr aus der Parklücke. Zehn Minuten später bog er in die Schotterstraße auf der Ostseite des Tales ein, die zu seinem Haus führte. Das quadratische Stück Land im Vorgebirge war etwa einhundertsechzig Morgen groß. Er hatte es mitsamt Haus und Scheune vor knapp fünf Jahren gekauft. Ihm war nicht entgangen, dass Roxannes Anwesen genau am gegenüberliegenden Ende des Tales lag.

Das passt doch, dachte er, als er die Tür seines Hauses aufstieß. Wir sind effektiv Gegenpole. Wahrscheinlich reizt sie mich deshalb so.

Das Haus war etwa dreißig Jahre alt und in dem für die Gegend typischen Ranchstil aus Stein und Holz erbaut. Daneben befand sich eine Garage für zwei Wagen. Es war nicht sehr groß, verfügte jedoch über drei Schlafzimmer und zwei Bäder. Obwohl er viele Neckereien hatte einstecken müssen, weil ein eingeschworener Junggeselle wie er ein Haus gekauft hatte, das für eine Familie ausreichte, fühlte sich Jeb sehr wohl hier. In einem der Schlafzimmer hatte er ein Gymnastikstudio eingerichtet, in dem größten schlief er selbst, und das dritte diente als Lagerraum für alles, wofür er gerade keine Verwendung hatte. Das Esszimmer war klein, eigentlich nur eine Erweiterung der Küche im hinteren Teil des Hauses. Das Wohnzimmer im vorderen Teil benutzte er nur selten. Jeb hatte nicht viel daran verändert und es nur spärlich mit einer schwarzen Ledercouch, ein paar Lampen und einer alten, rot karierten Chaiselongue möbliert. Wenn er überhaupt zu Hause war, hielt er sich meistens in der Küche und im Esszimmer auf. Jetzt marschierte er geradewegs zum Kühlschrank und nahm eine Flasche Bier heraus. Er öffnete sie, warf den Kronkorken auf die blauweißen Fliesen des Tresens, trank einen langen Zug und schlenderte dann hinaus auf die kleine Veranda.

Trotz des Schattens, den das Gitterdach aus Rotholz spendete, war es stickig. Das Tal unter ihm lag wie ausgedörrt in der flirrenden Hitze, und er zog sich lieber wieder ins Haus zurück. Er lehnte sich an die Glastüren, trank einen Schluck Bier und schaute zum westlichen Vorgebirge, das die gegenüberliegende Seite des Tales begrenzte. Sein Blick blieb unweigerlich an Roxannes Dachgiebel hängen. Die Scheiben ihres Blockhauses glänzen in der Sonne. Vermutlich trennten sie nur sechs oder sieben Meilen Luftlinie, aber Jeb erschien selbst diese Entfernung unüberbrückbar. Warum hat sie ausgerechnet dieses Haus gekauft?, dachte er. Jedes Mal, wenn er jetzt seine Augen über das Tal schweifen ließ, verharrte er an Roxannes Haus. Er könnte allerdings genauso gut über endlose Meilen bewaldeter Hügel schauen. Roxannes Besitz prangte nicht zwängend in seinem Sichtfeld. Es wurmte ihn zutiefst, dass ihm in letzter Zeit als Erstes am Morgen und als Letztes am Abend dieses Blockhaus ins Auge sprang. Er nahm sich vor, diese Gewohnheit schnellstens wieder abzulegen.

Gereizt ging er zum Kühlschrank. Einige Minuten später saß er an seinem Eichenesstisch, hatte die Füße auf einen Stuhl gelegt und kaute genüsslich auf einem Schinkensandwich mit Senf und Salat auf Vollkornbrot herum. Obwohl er kein besonderer Koch war, musste er deswegen nicht Hungers sterben. Er verwahrte einen erklecklichen Vorrat an Tunfischdosen, Chili, Suppen, Früchten und eine Vielzahl von Gewürzen in seinen Schränken. Der Kühlschrank war stets mit Milch, Bier und Zutaten für Sandwiches ausgestattet. In der Gefriertruhe lagerten Bratkartoffeln, Brezeln, Brotlaibe, Fertigmahlzeiten und einige Steaks für besondere Gelegenheiten, und im Gemüsefach des Kühlschranks Zwiebeln und Kartoffeln. Jeb verstand es, aus einer Kartoffel, die er mit Chili, Käse und Zwiebeln in der Mikrowelle zubereitete, ein Festmahl zu zaubern. Allerdings fühlte er sich danach, als hätte er ein viergängiges Menü zubereitet. Wie viel einfacher war dagegen ein Sandwich!

Er biss von dem Sandwich ab und blätterte gelangweilt in der Lokalzeitung, die er sich besorgt hatte. Da er für den Sheriff arbeitete, kannte er die interessantesten Neuigkeiten längst, und die Anzeigen waren langweilig. Deshalb war das Pochen an der Tür, dem die dröhnende Stimme seines Bruders folgte, eine willkommene Ablenkung.

»Ich bin im Esszimmer!«, rief Jeb. »Komm hinten rum.«

Ein paar Sekunden später trat ein Mann in kakifarbener Hose und Hemd ein, der eine deutliche Ähnlichkeit mit Jeb aufwies. Mingo Delaney war knapp vierzig, nicht ganz so groß wie Jeb und auch nicht so stattlich. Doch sie hatten die gleichen widerspenstigen schwarzen Haare, die gleiche braune Haut und die gleichen klugen schwarzen Augen. Die Ladys im Tal spalteten sich in zwei Lager, wenn sie entscheiden mussten, welcher der Delaney-Brüder am besten aussah. Mingo hatte ebenso seinen Fanclub wie Jeb. Eines war ihnen jedoch gemein: Die beiden Brüder gehörten zu den attraktivsten Singles meilenweit. Und dass sie aus einer der angesehensten Familien des Tales stammten – ihr Vater war ein pensionierter Richter – und unverheiratet waren, ließ das Herz jeder ledigen Frau unter fünfzig höher schlagen. Nicht nur im Tal, sondern noch über dessen Grenzen hinaus.

Mingo nahm sich ein Bier aus dem Kühlschrank und packte die Zutaten für ein Sandwich aus. Er fühlte sich bei seinem Bruder sichtlich wie zu Hause.

Nachdem er das Sandwich zu seiner Zufriedenheit belegt hatte, fischte er sich noch einen Beutel mit Kartoffelchips aus dem Schrank. Dann ließ er sich auf den Stuhl Jeb gegenüber fallen und biss herzhaft von seinem Sandwich ab.

Jeb betrachtete ihn amüsiert. »Fühl dich wie daheim.«

Mingo wirkte einen Moment verwirrt, dann grinste er. »He, ich habe uns nur das ganze überflüssige Gerede erspart. Du hättest mich sowieso aufgefordert, mir etwas zu essen zu nehmen. Ich bin dir lediglich zuvorgekommen.«

Jeb schüttelte den Kopf und biss von seinem Sandwich ab. »Was führt dich hier heraus? Solltest du nicht heute irgendwas im Hinterland machen? Schleusen und Durchlässe überprüfen oder dergleichen?«

Mingo arbeitete für das Forstamt und war auf die kleine Außenstation direkt in der Nähe von St. Galen’s abkommandiert. Sein Zuständigkeitsbereich war der Mendocino National Forest, der sich etwa zehn Meilen östlich vom Tal bis in die Berge erstreckte.

»Schon erledigt. Ich bin bei Tagesanbruch gestartet und habe alles überprüft. Auch wenn es in den Bergen etwas kühler ist, wollte ich nicht in dieser Gluthitze da herumklettern. Außerdem ist jetzt Mittagszeit.«

Sie aßen eine Weile schweigend. »Und?«, fragte Mingo schließlich. »Was machst du so in deinem Urlaub?«

Das war ein heikles Thema. Jeb liebte seinen Job. Und das so sehr, dass er es eher als Bestrafung denn als Vergnügen empfand, wenn er sich frei nahm. Deshalb machte er selten Urlaub und sammelte demzufolge jede Menge Überstunden an. Bis Sheriff Bob Craddock höchstpersönlich Jeb befohlen hatte, endlich diese freien Tage abzubummeln. Jeb hatte widerwillig und murrend gehorcht und fragte sich nun, was er mit diesem ganzen freien Monat anfangen sollte.

Er nahm sich einen Kartoffelchip aus Mingos Tüte. »Mal sehen. Die Zäune sind alle ausgebessert. Sie waren noch recht gut in Schuss, deshalb hat das nicht lange gedauert. Ich habe im Wohnzimmer ein paar Bilder aufgehängt, die in dem freien Zimmer herumstanden. Mein Van hat einen Ölwechsel verpasst bekommen und das Bad einen neuen Anstrich. Oh, am Montag habe ich den Schuppen fertig gebaut, eine Farbpistole gemietet und die Scheune frisch gesprüht. Griechisch Blau, falls es dich interessiert. Aufregende Sache. Ich weiß nicht, ob ich noch mehr Freizeit ertrage.«

Mingo zwinkerte. »Irgendwie hast du den tieferen Sinn eines Urlaubs nicht erfasst, glaube ich. Du hättest irgendwohin fahren sollen. Nach San Francisco, zum Beispiel. Oder nach L.A. Die großen, schlimmen Städte genießen sollen.« Er zwinkerte. »Und große, schlimme Frauen.«

»Eine Frau fehlt mir gerade noch«, murmelte Jeb. Sein Blick glitt automatisch durch die Glastüren zur gegenüberliegenden Talseite.

Mingo registrierte diesen Blick und trank einen Schluck Bier. »Du hast der Lady da oben also einen Besuch abgestattet?«, fragte er dann unschuldig.

Jeb sah ihn finster an. »Wie kommst du darauf, dass ich meine Zeit damit verschwende, Roxanne Ballinger zu besuchen?«

Mingo grinste. »Woher weißt du, dass ich diese Lady gemeint habe? Wenn ich mich recht entsinne, habe ich ihren Namen gar nicht erwähnt.«

Jeb wusste, dass sein Bruder nicht lockerlassen würde. Er lehnte sich grunzend auf dem Stuhl zurück. »Ja, ich bin hingefahren und habe mich davon überzeugt, dass sie tatsächlich dieses Stück Land gekauft hat.«

»Wem schadet das schon? Mir persönlich ist es lieber, wenn eine entzückende Person wie Roxanne da oben wohnt, als dieser Aston. Der Kerl hat nur Stunk gemacht. Du solltest froh sein, dass dieser Halunke nicht mehr die Straßen und das Tal unsicher macht.«

»Darum geht es nicht. Sondern darum, dass Oak Valley nicht der richtige Ort für Leute wie Roxanne ist. Sie verheißt nur Ärger. Mit einem großen Ä, und ich meine wirklich ein sehr großes Ä.«

Mingo sah ihn mit gespielter Fassungslosigkeit an. »Wäre es dir lieber, wenn statt eines hinreißenden Mädchens wie Roxanne ein hässlicher Marihuanapflanzer auf der anderen Seite des Tales lebte? Du warst wohl zu lange im Wald? Ich glaube, dieser Urlaub ist genau das Richtige für dich, alter Mann. Du musst mal wieder deinen Verstand polieren. Frauen, vor allem solche wie Roxanne, muss man anbeten und genießen, und nicht wie den Abfall von letzter Woche behandeln.«

»Was erwartest du von jemandem mit meiner Vergangenheit, was Frauen angeht? Man kann wohl kaum behaupten, dass man nach zwei, wohlgemerkt zwei!, gescheiterten Ehen noch die feineren Nuancen im Umgang mit dem anderen Geschlecht zu schätzen weiß.« Jeb starrte trübselig vor sich hin.

Mingo zögerte und betrachtete angelegentlich das Kondenswasser auf seiner kalten Bierflasche. »Solltest du nicht allmählich damit aufhören, dir deshalb ständig Vorwürfe zu machen?«, fragte er behutsam. »Du hast Fehler gemacht, das stimmt, aber offenbar ist dir entgangen, dass du nicht allein Schuld am Scheitern deiner beiden Ehen trägst. Dazu gehören immer zwei, verstehst du?«

Jeb schloss die Augen. Es war ein alter Streitpunkt zwischen ihnen, und er musste zugeben, dass Mingo nicht ganz Unrecht hatte. Er hatte eben nicht erwartet, mit fünfundvierzig Jahren allein dazustehen und auf zwei gescheiterte Ehen zurückblicken zu müssen. Und kinderlos zu sein. Betrachtete er die ganze Angelegenheit realistisch, was selten genug vorkam, musste er Mingo Recht geben. Es war nicht nur seine Schuld, dass seine Frauen ihn verlassen hatten. Selbst er gab zu, dass seine erste Ehe mit Ingrid Gunther, der Tochter eines österreichischen Barons, der den halben südlichen Teil des Tales aufgekauft hatte, keine gute Idee gewesen war. Damals war er gerade zweiundzwanzig gewesen, und Ingrid einundzwanzig. Sie hatten sich gesehen und waren aneinander kleben geblieben. Vier Monate später hatten sie geheiratet und drei Monate lang kaum das Ehebett verlassen. Im folgenden Frühling war ihre Lust aufeinander allmählich abgeflaut, und Ingrid hatte angefangen, sich zu langweilen und das Leben in Oak Valley zu verachten. Doch das Tal war Jebs Leben. Es war immer so gewesen und würde vermutlich auch immer so bleiben. Er hatte versucht, Ingrid das zu erklären, aber sie hatte ihm nicht zugehört. Am Ende hatte sie ihm ein Ultimatum gestellt. Entweder gab er seinen Job auf und folgte ihr nach Österreich, oder ... Im Juni war ihre Ehe endgültig gescheitert, und sie war zu Daddy und ihrem Jet-Set-Leben zurückgekehrt. Manchmal, wenn er einsam und melancholisch war, fragte er sich, ob ihre Ehe Bestand gehabt hätte, wenn er Ingrid nachgegeben hätte.

»Du denkst an Ingrid, oder?« Mingos Frage riss Jeb aus seinen Gedanken.

»Ja, woher weißt du das?«

»Weil du dann prompt diesen ganz besonderen Ausdruck ins Gesicht kriegst. Als hättest du dich an der Natur versündigt. Warum quälst du dich mit Schuldgefühlen? Schließlich hat sie dich verlassen.«

Jeb schnaufte. »Das stimmt. Und wenn du genau nachdenkst, hat Sharon das Gleiche getan.«

Mingo stieß verächtlich die Luft aus. »Du bist wirklich der Einzige im Tal gewesen, der Sharon nicht durchschaut hat. Sie hat dich nur geheiratet, weil sie hier weg wollte und nicht den Mumm hatte, es allein zu versuchen. Als du deinen Abschluss in Kriminalistik gemacht hast, dachte sie, wie übrigens fast alle hier, dass du sofort verschwinden und Karriere in irgendeinem Dezernat in irgendeiner großen Stadt machen würdest. Es muss Sharon ihr berechnendes Herzchen gebrochen haben, als sie feststellen musste, dass du glücklich da warst, wo du lebst.«

Jeb fühlte sich unbehaglich. Seine Ehe mit Ingrid konnte er an guten Tagen auf jugendliche Unerfahrenheit schieben, aber in Sharon Foley hatte er geglaubt, eine Seelenverwandte zu finden. Sie waren beide im Tal geboren und aufgewachsen. Sie hatten eine gemeinsame Geschichte und schienen auch viele gemeinsame Vorlieben zu teilen.

Er hatte keine Ahnung, dass Sharon Oak Valley verlassen wollte. Zuerst hatte sie ihn wohl tatsächlich geliebt, aber sie hatte ihren Blick fest auf eine Zukunft außerhalb von Oak Valley gerichtet. Eines Nachts war Jeb nach Hause gekommen und hatte auf dem Küchentisch eine Nachricht von ihr gefunden. Seine Frau erklärte ihm darin kühl, dass sie ab sofort ihr Leben mit einem Mann teilte, der eine Baumbeschneidungsfirma in Santa Rosa besaß. Jeb war aus allen Wolken gefallen. Er musste nun feststellen, dass Sharon zwar niedlich und süß gewesen war, aber auch genauso durchtrieben.

Er hatte Sharon aufrichtig geliebt und geglaubt, sie wäre glücklich gewesen und sie hätten dieselben Ziele geteilt. Hätte er gewusst, dass Sharon irgendwo anders hätte leben wollen, hätte er sie niemals geheiratet. Er war sicher gewesen, dass sie das Tal genauso liebte wie er. Und er hatte sich vorgestellt, wie sie zusammen alt wurden, umgeben von ihren Kindern, sich ausgemalt, wie seine Enkel auf seinen Knien ritten. Sharon hatte ganz andere Träume geträumt, und ihm nie ein Wörtchen davon erzählt. Er hatte offenbar viel von ihr nicht gewusst, schon gar nicht, dass sie sich mit einem anderen Mann traf. Wenigstens war ihm irgendwann klar geworden, dass sie unzufrieden war. Während der letzten Monate ihrer Ehe hatte er alles versucht, sie glücklich zu machen. Er hatte mit ihr Ausflüge ins Nappa Valley und an die Küste gemacht und sogar einige Wochenenden mit ihr in San Francisco verbracht. Es hatte nicht genügt. Als sie von ihm verlangt hatte, einen Job in San Francisco anzunehmen, hatte er sich gewehrt. Er hatte ihr klipp und klar gesagt, dass dies hier seine Heimat war und er hier leben wollte. Er erinnerte sich noch sehr genau an ihren Gesichtsausdruck. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt. »Weißt du«, hatte sie gelassen erklärt, »nicht jeder will sich freiwillig an einem so öden Ort wie Oak Valley lebendig begraben lassen. Manche Menschen möchten sich an etwas Aufregenderes erinnern können als an die FFA-Parade oder das Labor-Day-Rodeo.« Am nächsten Tag hatte er den Zettel gefunden.

In seinen trübseligsten Momenten fragte sich Jeb, ob der Fehler vielleicht bei ihm lag. Immerhin hatten zwei Ehefrauen ihn verlassen, und beide Male war der entscheidende Streitpunkt seine Entscheidung gewesen, im Tal zu bleiben. Er hatte das Problem von allen möglichen Gesichtspunkten aus betrachtet, doch es lief stets aufs selbe Ergebnis hinaus: Er wollte bleiben, und sie wollten unbedingt weg. Hatte er sich geirrt? War er zu eigensinnig gewesen? Hatte er womöglich einen sich bietenden Kompromiss übersehen?

Nach Sharons Treuebruch hatte er sich mit Selbstzweifeln gequält und sich den Kopf zerbrochen, wo sein Fehler lag. Was stimmte nicht mit ihm, wenn zwei Frauen nicht mit ihm hatten verheiratet bleiben wollen? Jeb hatte lange an diesen Verletzungen gelitten, eine Weile einsam darüber gebrütet und war schließlich zu dem Schluss gelangt, dass er nicht zur Ehe taugte. Offenbar verstand er nichts davon und würde nicht noch einen Versuch wagen. O nein. Er nicht. In den letzten zwölf Jahren hatte er nur unverbindliche Affären gehabt, und er sah keinen Grund, daran je etwas zu ändern.

Jeb trank einen Schluck Bier und musterte seinen Bruder. »Lass das Thema ruhen.«

»Das würde ich ja, wenn du dich nicht ständig deswegen zerfleischen würdest. Dich hat die wenigste Schuld getroffen.«

»Das mache ich nicht. Mir geht es gut.«

Mingo registrierte den warnenden Unterton in Jebs Worten und ließ das Thema fallen. Nachdem er sein Sandwich aufgegessen hatte, verabschiedete er sich. Jeb blieb am Küchentisch sitzen und starrte ins Leere. Ein bisschen machte er sich tatsächlich nach wie vor Vorwürfe wegen der beiden Scheidungen. Wenn schon! Er hatte eben versagt. Und das vor allem zwei Mal ....

Er schob diese unerquicklichen Gedanken beiseite und ging hinaus. Es gab genug Arbeit, aber da er Urlaub hatte, beschloss er, sich heute einen freien Nachmittag zu genehmigen. Er ließ seine Hunde Dawg und Boss, zwei Mischlinge, aus ihrem Zwinger. Nachdem sich die beiden ausgetobt und ihr Terrain ausgiebig markiert hatten, nahm er sie mit ins Haus, damit sie ihm Gesellschaft leisteten. Er legte sich auf die Couch im Wohnzimmer, und die beiden Hunde streckten sich auf dem Boden aus. Jeb vertiefte sich in die Lektüre eines Buches von John Sanford.

Es dämmerte bereits, als er die Hunde fütterte, und sie wieder hinausließ. Während er auf sie wartete, öffnete er erneut eine Flasche Bier, setzte sich auf die Veranda und genoss die kühle Abendluft. Schließlich kamen die Hunde hechelnd zurück, und nachdem sie ihm begeistert das Gesicht mit ihren rauen Zungen abgeschlabbert hatten, nahmen sie ihre gewohnte Position neben ihm auf der Veranda ein. Die abendliche Ruhe senkte sich herab, und die ersten Sterne tauchten silbrig am dunkelblauen Himmel auf. Jeb ließ die Stille und den Frieden auf sich wirken. Seine Laune besserte sich. Er war zufrieden. Fast. Bis nämlich sein Blick unweigerlich von dem Licht am anderen Ende des Tales angezogen wurde. Es drang aus den Fenstern von Roxannes Ballingers Blockhütte und wirkte wie ein Leuchtturm in der Nacht. Ein Licht in einer undurchdringlichen Wand aus Dunkelheit. Jeb presste die Lippen zusammen. Normalerweise war diese Stunde seine Lieblingszeit am Abend, doch jetzt wurde sie fast unerträglich.

Glutheiße Küsse

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